1078
247/2
Kgsb
Münster den 18 Juli 87.

3
Zu den 3 Verhältnißen, unter denen ich sonst schrieb, ist die eines

4
liebreichen Wirths hinzugekommen, liebster Reichardt! Ich habe gnug an dem

5
Vergnügen, das in Ihrem Hause und in Ihrer mir unendlich schätzbaren

6
Familie genoßen und woran ich Theil genommen, unterwegs theils allein,

7
theils mit
meinen
Reisegefährten Theil genommen, widergekäut, und bin

8
gleich bey meiner glücklichen Ankunft, vorgestern Abends, mit neuen

9
Merkmalen Ihres freundschaftlichen Andenkens und Sorgfalt erfreut worden.

10
Die 3 Einlagen sind von meiner Gevatterin und Freundin
Me Courtan,
für

11
die Sie die Bestellung an die Behörden gern übernehmen werden. Aus

12
Magdeburg haben Sie einen kleinen
Aviso
-Brief vermuthlich erhalten, den mir

13
Ihre würdige Frau Schwiegermutter so dringend aufgetragen. Mein

14
Versuch in Schuhen auszugehen ist mir schlecht bekommen. Es war mir sehr

15
angenehm den Consistorialrath
Funck
kennen zu lernen und meinen alten

16
Freund den
Assistenz
rath
Philippi
widerzufinden; aber seine Gemalin war

17
nicht sichtbar, und schien nicht so viel Antheil an der Zufriedenheit ihres

18
Gemals
Manns zu nehmen, als der Fall bey Ihnen zu seyn
schien
. Es

19
war nun wohl kein bloßer Schein, sondern baare That, die mir Ihr Haus

20
auf zeitlebens unvergeßlich gemacht hat. Ich kann an Ihre liebe Frau und

21
die Ihrigen nicht denken, ohne Seegens- und Friedenswünsche.

22
In Braunschweig besuchte uns ein Landsmann, HE Jenisch und erfuhren

23
bey unserm Abzuge
D.
Biesters Ankunft aus Hamburg. Mit schwer

24
geschwollnen Füßen durch die kleine
Excursion,
die ich in Magdeburg versucht

25
und gewagt hatte muste ich meine Reise fortsetzen; wir kamen den 13 in

26
Bielfeld an, wo ich theils die Stube, theils das Bette hüten muste. Sontags

27
nachmittags kam ein Brief von B. an, der uns meldete bereits von Welbergen

28
nach Münster zurückgekommen zu seyn; daher wir Montags des Morgens

29
mit
Extra
post abfuhren und des Abends gegen 9
entre chien et loup

30
anlangten.

31
Ich habe gestern den ganzen Tag liegen müßen, und weil mir das

32
Schreiben im Liegen zu beschwerlich wird, bin ich eben zur
Caffé
stunde aufgestanden

33
um diesen Brief zu vollenden –

34
Mein guter B. hat einen Brief von Jac. erhalten, da ich eben den in

35
Berlin eingelaufenen Brief mit ein paar Zeilen beantwortete und Ihre

36
litterarische Nachrichten ihm mittheilte. Noch kann ich mich kaum besinnen, wie ich

S. 248
her gekommen bin, und unser liebe Reisegefährte und Engel Raphael erklärt

2
meine gegenwärtige Entkräftung für natürl. Folgen der Reise und ludernden

3
Lebensart, deutsch zu sagen, die ich wegen meiner
ödopischen
Ungemächlichkeit

4
führen muß. So bald ich wider hergestellt werde, schreibe ich weitläuftiger.

5
Ich hoffe alles gefunden zu haben, was ich hier gesucht und gewünscht habe,

6
und ein freyes neues Herz zum Genuß der Freude und des Lebens wird die

7
Ausbeute meiner Wallfahrt hier bald seyn.

8
Alles, was mir in Ihrem Hause
gefallen
hat, finde ich auch
hier
,

9
nur
concentrirter
; der einzige Unterschied liegt in meinem Geschmack,

10
der mehr für das Mönchs- als Hofleben gestimmt ist. Die Fürstin lebt auf

11
dem Lande und wird morgen erwartet. Ihre
Silhouette
hängt hier zur Seite

12
neben mir. Sie soll ein Göthe ihres Geschlechtes seyn.

13
Nun mein liebster Herzens Freund! Die Post will abgehen, und mehr bin

14
ich nicht im stande zu schreiben. Laßen Sie mir Zeit mich erst ein wenig zu

15
erholen und zu mir selbst zu kommen. Gnug zu Ihrer Theilnehmung, daß ich

16
glaube alles, und vielleicht mehr, als ich gesucht und erwartet habe, hier zu

17
finden zu meiner Widerherstellung und Erneurung meiner erloschenen Kräfte.

18
Ich umarme Sie mit dem dankbarsten gefühlvollsten Herzen, und wenn noch

19
ein verirrter Brief bey Ihnen einlaufen sollte: so werden Sie es sich nicht

20
verdrießen laßen ihn hieher zu recht zu weisen. Für Besorgung meiner

21
vergeßenen Sachen nach Magdeburg danke herzlich. Mein Freund Philippi

22
wollte diese Woche nach Berlin gehen, und ich warte nur auf Gelegenheit an

23
ihn zu schreiben, wenn ich seine Rückkunft wider vermuthen kann. Mein

24
Wirth ist mit seiner lieben Hälfte ausgegangen. Freund
Druffel
vertritt

25
seine Stelle. Doctor Lindner und Hans erinnern sich Ihrer genoßenen Güte

26
aufs zärtlichste. Empfehlen Sie mich und
Comp.
bestens meiner liebreichen

27
Frau Gevatterin und sämtlichen Geschwistern HE
Referendarius Alberti

28
nicht zu vergeßen p. Von meinem kindl. Gehorsam habe ich Ihrer

29
verehrungswürdigen Frau Schwiegermutter eine Probe bereits abgelegt durch

30
meinen
Aviso
Brief aus Magdeburg. Gott seegne und erhalte Ihre lieben

31
Kinder und den kleinen Mann, der sich des alten erinnert. So bald ich kann,

32
mehr. Noch habe nach Kgsb. nicht schreiben können, meine liebe Gevatterinn

33
Me Courtan
hat sich meiner bereits erinnert, ich bitte selbige auch nicht in

34
Ansehung der Reliquien von unserm seel. Kreutzfeld zu vergeßen. Nochmals

35
Gott empfohlen von Ihrem Pfleggaste und ewigen Freunde
Joh. Ge.

36
Hamann.

37
Den 1 d. ist eine
Resolution
für mich angekommen, wie Hill meinem Sohn

S. 249
meldet, die wider von ihm zurückgeschickt worden. Ob es der Mühe lohnt sich

2
darum zu bekümmern? und ob selbige mit der schriftl. Versicherung, deren

3
Abschrift Sie so gütig gewesen sind mir mitzutheilen, übereingestimmt haben

4
mag? Verzeihen Sie, daß
Hill
nicht den Brief an uns freygemacht hat –

5
ich bitte in solchem Fall uns nicht durch den Vorschuß des
Porto
zu

6
beschämen.

7
Grüßen Sie HE Sennewald den ich hier oder bey meiner Rückreise dort

8
zu sehen und mich für seine zuvorkommende Freundschaft zu bedanken hoffe,

9
vielleicht in unserm Vaterlande –


10
Adresse mit rotem Lacksiegel JGH:

11
An / HErrn Reichardt / Königl. Preuß. Kapellmeister / zu /
Berlin
. /
frey Hanau
.

Provenienz

Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 1.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 362 f.

Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 158.

ZH VII 247–249, Nr. 1078.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
247/7
meinen
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
meinem
248/3
ödopischen
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
ödipischen
249/11
frey Hanau
.
]
Hinzugefügt nach der Abschrift Wardas.