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Kgsb
Münster den 18 Juli 87.
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Zu den 3 Verhältnißen, unter denen ich sonst schrieb, ist die eines
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liebreichen Wirths hinzugekommen, liebster Reichardt! Ich habe gnug an dem
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Vergnügen, das in Ihrem Hause und in Ihrer mir unendlich schätzbaren
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Familie genoßen und woran ich Theil genommen, unterwegs theils allein,
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theils mit
meinen
Reisegefährten Theil genommen, widergekäut, und bin
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gleich bey meiner glücklichen Ankunft, vorgestern Abends, mit neuen
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Merkmalen Ihres freundschaftlichen Andenkens und Sorgfalt erfreut worden.
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Die 3 Einlagen sind von meiner Gevatterin und Freundin
Me Courtan,
für
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die Sie die Bestellung an die Behörden gern übernehmen werden. Aus
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Magdeburg haben Sie einen kleinen
Aviso
-Brief vermuthlich erhalten, den mir
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Ihre würdige Frau Schwiegermutter so dringend aufgetragen. Mein
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Versuch in Schuhen auszugehen ist mir schlecht bekommen. Es war mir sehr
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angenehm den Consistorialrath
Funck
kennen zu lernen und meinen alten
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Freund den
Assistenz
rath
Philippi
widerzufinden; aber seine Gemalin war
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nicht sichtbar, und schien nicht so viel Antheil an der Zufriedenheit ihres
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Gemals
Manns zu nehmen, als der Fall bey Ihnen zu seyn
schien
. Es
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war nun wohl kein bloßer Schein, sondern baare That, die mir Ihr Haus
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auf zeitlebens unvergeßlich gemacht hat. Ich kann an Ihre liebe Frau und
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die Ihrigen nicht denken, ohne Seegens- und Friedenswünsche.
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In Braunschweig besuchte uns ein Landsmann, HE Jenisch und erfuhren
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bey unserm Abzuge
D.
Biesters Ankunft aus Hamburg. Mit schwer
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geschwollnen Füßen durch die kleine
Excursion,
die ich in Magdeburg versucht
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und gewagt hatte muste ich meine Reise fortsetzen; wir kamen den 13 in
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Bielfeld an, wo ich theils die Stube, theils das Bette hüten muste. Sontags
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nachmittags kam ein Brief von B. an, der uns meldete bereits von Welbergen
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nach Münster zurückgekommen zu seyn; daher wir Montags des Morgens
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mit
Extra
post abfuhren und des Abends gegen 9
entre chien et loup
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anlangten.
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Ich habe gestern den ganzen Tag liegen müßen, und weil mir das
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Schreiben im Liegen zu beschwerlich wird, bin ich eben zur
Caffé
stunde aufgestanden
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um diesen Brief zu vollenden –
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Mein guter B. hat einen Brief von Jac. erhalten, da ich eben den in
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Berlin eingelaufenen Brief mit ein paar Zeilen beantwortete und Ihre
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litterarische Nachrichten ihm mittheilte. Noch kann ich mich kaum besinnen, wie ich
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her gekommen bin, und unser liebe Reisegefährte und Engel Raphael erklärt
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meine gegenwärtige Entkräftung für natürl. Folgen der Reise und ludernden
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Lebensart, deutsch zu sagen, die ich wegen meiner
ödopischen
Ungemächlichkeit
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führen muß. So bald ich wider hergestellt werde, schreibe ich weitläuftiger.
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Ich hoffe alles gefunden zu haben, was ich hier gesucht und gewünscht habe,
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und ein freyes neues Herz zum Genuß der Freude und des Lebens wird die
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Ausbeute meiner Wallfahrt hier bald seyn.
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Alles, was mir in Ihrem Hause
gefallen
hat, finde ich auch
hier
,
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nur
concentrirter
; der einzige Unterschied liegt in meinem Geschmack,
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der mehr für das Mönchs- als Hofleben gestimmt ist. Die Fürstin lebt auf
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dem Lande und wird morgen erwartet. Ihre
Silhouette
hängt hier zur Seite
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neben mir. Sie soll ein Göthe ihres Geschlechtes seyn.
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Nun mein liebster Herzens Freund! Die Post will abgehen, und mehr bin
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ich nicht im stande zu schreiben. Laßen Sie mir Zeit mich erst ein wenig zu
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erholen und zu mir selbst zu kommen. Gnug zu Ihrer Theilnehmung, daß ich
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glaube alles, und vielleicht mehr, als ich gesucht und erwartet habe, hier zu
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finden zu meiner Widerherstellung und Erneurung meiner erloschenen Kräfte.
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Ich umarme Sie mit dem dankbarsten gefühlvollsten Herzen, und wenn noch
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ein verirrter Brief bey Ihnen einlaufen sollte: so werden Sie es sich nicht
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verdrießen laßen ihn hieher zu recht zu weisen. Für Besorgung meiner
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vergeßenen Sachen nach Magdeburg danke herzlich. Mein Freund Philippi
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wollte diese Woche nach Berlin gehen, und ich warte nur auf Gelegenheit an
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ihn zu schreiben, wenn ich seine Rückkunft wider vermuthen kann. Mein
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Wirth ist mit seiner lieben Hälfte ausgegangen. Freund
Druffel
vertritt
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seine Stelle. Doctor Lindner und Hans erinnern sich Ihrer genoßenen Güte
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aufs zärtlichste. Empfehlen Sie mich und
Comp.
bestens meiner liebreichen
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Frau Gevatterin und sämtlichen Geschwistern HE
Referendarius Alberti
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nicht zu vergeßen p. Von meinem kindl. Gehorsam habe ich Ihrer
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verehrungswürdigen Frau Schwiegermutter eine Probe bereits abgelegt durch
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meinen
Aviso
Brief aus Magdeburg. Gott seegne und erhalte Ihre lieben
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Kinder und den kleinen Mann, der sich des alten erinnert. So bald ich kann,
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mehr. Noch habe nach Kgsb. nicht schreiben können, meine liebe Gevatterinn
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Me Courtan
hat sich meiner bereits erinnert, ich bitte selbige auch nicht in
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Ansehung der Reliquien von unserm seel. Kreutzfeld zu vergeßen. Nochmals
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Gott empfohlen von Ihrem Pfleggaste und ewigen Freunde
Joh. Ge.
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Hamann.
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Den 1 d. ist eine
Resolution
für mich angekommen, wie Hill meinem Sohn
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meldet, die wider von ihm zurückgeschickt worden. Ob es der Mühe lohnt sich
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darum zu bekümmern? und ob selbige mit der schriftl. Versicherung, deren
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Abschrift Sie so gütig gewesen sind mir mitzutheilen, übereingestimmt haben
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mag? Verzeihen Sie, daß
Hill
nicht den Brief an uns freygemacht hat –
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ich bitte in solchem Fall uns nicht durch den Vorschuß des
Porto
zu
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beschämen.
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Grüßen Sie HE Sennewald den ich hier oder bey meiner Rückreise dort
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zu sehen und mich für seine zuvorkommende Freundschaft zu bedanken hoffe,
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vielleicht in unserm Vaterlande –
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Adresse mit rotem Lacksiegel JGH:
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An / HErrn Reichardt / Königl. Preuß. Kapellmeister / zu /
Berlin
. /
frey Hanau
.
Provenienz
Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 1.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 362 f.
Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 158.
ZH VII 247–249, Nr. 1078.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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247/7 |
meinen ]
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Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: meinem |
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248/3 |
ödopischen ]
|
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: ödipischen |
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249/11 |
frey Hanau . ]
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Hinzugefügt nach der Abschrift Wardas. |