542
46/2
den 23 Jänner 79.
3
HöchstzuEhrende Freundin u Gevatterin
4
Ich habe meine schuldige Antwort bis auf den heutigen heil. Abend eines
5
Staatsfestes verspart. Anstatt Wünsche zu Ihrem Geburtstage durch meinen
6
Deputirten
Johann Michael Hamann
kleinen Deputirten zu empfangen haben Sie mir welche ausgetheilt. Ich bin
7
zwar nicht arm, aber zu geitzig mit baarer Münze zu bezahlen – und was
8
jedem wirkl. gut aber nicht allemal lieb ist, weiß jener
Andere
der nicht nur
9
Herzen sondern auch Nieren prüft, beßer als wir beyde.
10
H. F. G.
HöchstzuEhrende Freundin u Gevatterin
Was die 20/
m
fl. betrift, so kann ich Ihnen H. F. G.
wahr und
11
wahrhaftig
versichern, daß alles Menschmögl. bereits von meiner Seite geschehen
12
war u ist u wird, ehe es Ihnen erst am heil. Abend Ihres Neujahrs
oder
13
Geburtstages
eingefallen den Grund zu legen. Weil aber Eitelkeit keine Tugend
14
meines Geschlechts noch Geschmacks ist: so besteht das gröste Opfer das ich
15
der spröden Glücksgöttin bringen kann, darinn, mich jedem
zureichenden
16
Grunde
ihrer Güterverwaltung blindlings zu unterwerfen. Nicht stark gnug
17
die Freuden des Lebens zu verleugnen geschweige zu verachten, bin ich
18
wenigstens durch tägl. Erfahrungen gewitzigt worden, nicht drauf zu bauen noch
19
selbige zu Grundsätzen zu machen.
20
Ich gestehe es Ihnen aufrichtig H Fr G daß der Einfall einer Spaarbüchse
21
Marianne Sophie
Marianne Sophie Hamann
für meine liebe Marianne Sophie meinen ganzen Beyfall und besten Dank
22
verdient. Ich habs ihr selbst heute schon angekündigt, da ich sie auf meinen
23
Armen trug und hab’s ihr in allen mögl. Tönen vorausgesagt: „Eine
24
Spaarbüchse! eine Spaarbüchse! mein Mädchen, keine Puppe!“ – Daß das
25
vortrefliche gelehrige Kind von der Idee einer Spaarbüchse gerührt worden war,
26
bewies mein Schlafpeltz bis unten zu. Ein Beweis deßen keine Puppe fähig
27
ist. Mein künftiger Schwiegersohn soll Ihnen danken, denn ich werd es ihm
28
nicht verheelen, daß Sie mir den ersten Wink gegeben nicht leidige Puppen! –
29
sondern eine Spaarbüchse mit geharnischten Männern unter Schlüßel und
30
Ainsi soit-il!
dt. so sei es!
Schloßchen zum Bestimmungsgrunde ihrer Erziehung zu legen.
Ainsi soit-il!
31
Mutter
Anna Regina Schumacher
Daß Sie aber Ihre
Pathenrechte
soweit ausdehnen der armen Mutter
32
Vorwürfe einer muthwilligen Nachläßigkeit zu machen ohne Untersuchung
33
der Sache und Umstände, komt mir als ein gewagter Eingriff in meine –
34
Rechte eines Hausvaters vor, in deren Erhaltung u Behauptung ich
35
unbestechlich u eifersüchtig bin.
36
Ich! eine
Negligence
in meinem Hause
statui
ren? Das sagt mir keine
37
Freundin nach –
Beweis
oder
Gnugthuung
–
Negligence
soviel Sie wollen
S. 47
in Beyträgen – aber in meinem Hauswesen von meinen Hausgenoßen ist
2
mir der bloße Verdacht einer
Negligence
Hochverrath und
Negligence
in
3
meinen Augen ärger als Straßenraub und Meuchelmord – Feuer u
4
verbotene Baum … Cherub
1 Mo 3,11 u. 24
Waßersnoth – der einzige verbotene Baum meines häuslichen Paradieses, deßen
5
Cherub ich bin. –
6
Beweis oder Gnugthuung! wenn ich nicht wahr u wahrhaftig (mit dem
7
braven Thoris im verdeutschten Pathos zu reden) alle grosmüthige Beyträge
8
zur Freude meines Lebens Ihnen eben so zurückliefere als ich es mit den
9
Catilina ou Retz
Im 4. Band der
Mémoires du cardinal de Retz
: S. 2 erwähnt er das Schlachtfeld, auf dem Catilina, der ihm als Prototyp des Verschwörers galt, getötet wurde.
beykommenden vier Theilen thue des
Catilina ou Retz.
10
Virtuos Parisien …
Friedrich II.
, Anspielung auf dessen Frankophilie und ebenso seine Kinderlosigkeit bzw. Asexualität, im Gegensatz zum biblischen Salomon, dem Dichter des Hohelieds; als „Salomon des Nordens“ wurde Friedrich II. auch von Hamann ironisch apostrophiert (
Au Salomon de Prusse
). – Diese Anspielung wie auch die oben auf den Sündenfall wohl im Zusammenhangb der
Schürze von Feigenblättern
– prüfen?!?
König Salomon Selbst – nicht unser nordische Virtuos Parisien u Evnuch,
11
Packhof-Güterverwalter
bei der
Provinzial-Akzise-, Zoll- und Lizent-Direktion in Königsberg
am Königsberger Licent
deßen unwürdiger Packhof-Güterverwalter und Freywohner Ich ohne Ruhm
12
zu melden bin – sondern der morgenländische Weisheitsprediger,
13
Minnesänger, Splitter Sitten u Policeyrichter würde in dem Nabel meines Göttl.
14
Mädchens Marianne Sophie einen Pendant seiner Sulamith finden und nach
15
französischen Schweitzer Bibel
wohl nach der Ausgabe
Basel 1736
S. 681; vgl.
Biga
24/140; dort jedoch bloß „tasse“, nicht „petite tasse“.
Ton nombril …
Hld 7,2
: „Dein Schoß ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk mangelt. Dein Leib ist wie ein Weizenhügel, von Lotosblüten umsäumt“ – Nabel bzw. nombril anstatt „Schoß“ (in der Lutherbibel) ist jedoch die wörtlichere Übersetzung.
meiner französischen Schweitzer Bibel den Spruch thun:
Ton nombril est
16
comme une petite tasse ronde toute comble Voy le Cantique Ch VII. v.
2.
17
Warum erschracken Sie
Madame
da Hänschen eben eintratt – Warum
18
nicht der Nabel Ihres
Billet.
Beweis oder Gnugthuung für Ihren beschämten
19
aber keiner Nachläßigkeit fähigen noch schuldigen
20
den 23 Jänner 79.
Gevatter Freund u Diener
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 2.
Bisherige Drucke
ZH IV 46 f., Nr. 542.