1073
239/17
Berlin den 30
Jun.
87.

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Mein auserwählter, mein erwünschter
Franz.
Ihren 21sten Brief vom

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1 d. erhielt den 16 zu meiner großen Beruhigung. Den 21. gieng ich von

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Königsberg ab und bin in einem Zuge, den 2
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8. mit genauer Noth, aber

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glücklich angekommen bey meinem lieben Landsmann, Gevatter und Freund

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Reichardt, in deßen Hause ich die liebreichste Pflege von ihm und seiner

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Familie genieße. Auch meinen Freund
D.
Lindner hab ich hier gefunden, der die

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Absicht hatte mich nach Weimar zu begleiten, und den ganzen Vormittag den

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Gebrauch der Arzneyen bey mir abgewartet hat, sich nach einigen

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Bedenklichkeiten entschloßen mich zum Ruhepunct meiner Wallfahrt zu begleiten.

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Er traut mir zu den nächsten Dienstag wider abreisen zu können – Weil uns

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eine Gelegenheit bis nach
Magdeburg
lieber wäre als die Post, und wir uns

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nach ersterer erkundigen müßen: so werden Sie aus Magdeburg erst die

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positive
Nachricht unserer Abreise erhalten, und ich erwarte von Ihrer

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zuvorkommenden Zärtlichkeit einen Brief von Ihrer Hand in
Bielfeld
, um

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unsern Weg nach
Welbergen
, deßen Lage dies- oder jenseits Münster

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mir unbekannt ist, zu
dirigi
ren. Ich komme also mit einem äsculapischen

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Mentor
und seinem
alumno
meinem Johann Michael nach
Welbergen
,

S. 240
wo ich am liebsten den Julius und unsere erste Zusammenkunft zu erleben

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und zu genießen wünschte – auch meine Gesundheit am baldigsten wider

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herzustellen hoffe.

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Ich wollte diese Zeilen im Bette schreiben. Mich überfiel ein Schwindel,

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der mich nöthigte aufzustehen. Meine
Oedipus
-Füße machen mir das Sitzen

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und Gehen schwer. Die Geschwulst hat sich ein wenig gelegt, wird aber

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vermuthlich durch die Fortsetzung der Reise wider zu nehmen.

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Bereiten Sie Ihre liebenswürdige
Marianne
auf den Anblick eines alten

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kranken braunen Mannes zu. Find ich bey Ihnen keine Ruhe; so giebt es keine

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mehr hienieden für mich. Aber auf Kosten der Ihrigen, mein auserwählter,

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mein erwünschter
Franz,
ist freylich ein Opfer, deßen Sie nur fähig sind,

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und unser treuer Nachbar in Pempelfort, an den mein guter Wirth schreibt.

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Gott gebe, daß wir uns gesund oder wenigstens zufrieden einander sehen. Ich

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bin nicht im stande auszugehen und irgend jemanden hier zu sehen,

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ohngeachtet es mein Vorsatz war den HE. Grafen von Schmettau mir darzustellen,

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und
ihn
für den Antheil zu danken, den er an der Beförderung unsrer

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gemeinschaftl. Wünsche und Angelegenheiten genommen. Mein freundschaftl.

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Artzt wird Ihnen weder gleichgiltig noch beschwerlich seyn, auch zur

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Bewillkommung des erwünschten Gastes einigen guten Rath ertheilen können.

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Woran es Ihnen fehlt, damit bin ich desto
reichlicher
versehen, mit Thränen der

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Freude. Wir haben die beyde Abende hier unter Gewitter zugebracht.

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Mündlich mehr. Gott seegne Sie und
Marianne
mit häuslichen Freuden, und mache

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mich zum glücklichen Genoßen derselben und Ihrer Freunde. Auch ich ewig

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und gantz   Dein
alter treuer Hans.


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Adresse:

26
An / HErrn
Franz Buchholtz
/ Erbherrn von
Welbergen
/ zu /

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Münster
.


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den 30
Jun.
87.

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Lessing-Sammlung Nr. 1841 v.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 357 f.

Ludwig Schmitz-Kallenberg (Hg.): Aus dem Briefwechsel des Magus im Norden. Johann Georg Hamann an Franz Kaspar Bucholtz 1784–1788. Münster 1917, 127–129.

ZH VII 239 f., Nr. 1073.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
239/17
Jun.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Jun
239/28
Magdeburg
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Magedeburg
240/5
Oedipus
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Ödipus
240/16
ihn
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ihm
240/20
reichlicher
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
reicher
240/24
alter treuer Hans.
]
Geändert nach der Handschrift; in ZH in eigener Zeile.
240/28
den 30
Jun.
87.
]
Hinzugefügt nach der Handschrift.