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Königsberg den 2 Jänner 85.
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Der erste Brief, liebster Freund Hartknoch, in diesem neuen Jahre an Sie.
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Gottes Seegen kehre reichlich in Ihr Haus
ein
, wie bey mir mit dem Ende des
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alten. Sie wißen es zum Theil, und das gröste Theil wißen Sie nicht, in
S. 303
welchem Kummer und Sorgen für die Zukunft ich gelebt. Gottes Schickung war es,
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die den hartherzigen Mann in Mitau bewegen muste, mir seinen Sohn vor
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2 Jahren aufzudringen. Von diesem Gelde habe ich mich bisher unterhalten
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müßen und es gieng auf die Neige.
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Den 4
Sept.
kam ich des Abends von
Me Courtan
zu Hause und finde einen
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Brief von Kleuker aus Osnabrück mit
einem
dem Einschluß eines uns beiden
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Unbekannten der Kleuker ausdrückl. besucht um Nachrichten von mir
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einzuziehen. Dieser Unbekannte meldt mir, daß er schon im vorigen Jahre die Absicht
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gehabt hätte mich zu besuchen, führt den
Kermes du Nord
u die hierophantischen
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Briefe an, welche wegen ihres elenden Abdrucks, wie Sie wißen, eben keinen
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guten Eindruck von dem Sinn des Verf. einem gemeinen Leser mitzutheilen im
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stande sind. Ich qväle mich die halbe Nacht mit Grillen, und weil ich nicht im
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stande bin meinen Gast aufzunehmen: so nehme mir vor wenigstens diesen
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Umstand und alles was dazu gehört aufrichtig zu beichten. Unterdeßen fielen
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mir zwey Ideen ein, ohne daß ich weiß wie? 1. ich wünschte mir einen Freund
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und Liebhaber meiner Schriften um in seiner Gesellschaft meine Schriften die
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ich Ihnen feyerlich zugesagt, sammlen durchgehen und ausgeben zu können.
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2. glaubte ich hier ein Mittel gefunden zu haben das
Project
einer Reise nach
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Weimar u Wandsbek, woran ich schon so viele Jahre gebrütet, vielleicht
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erreichen zu können. Ich theile diesen Einfall dem Herder mit, dem eben dieser
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Zunder ins Dach fällt – Vom Lavater, auf den sich mein Wohlthäter ausdrückl.
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bezogen, erhalt ich noch außerordentlichere Nachrichten, die mich im stande
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setzten tiefer in den Sinn des ersten Briefs einzudringen und alle meine
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Erwartung anstrengten. Endlich
erhielt
empfieng den 15
Χ
stm. eine Antwort
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die ein alles übertreffendes Geschenk für jedes meiner 4 Kinder zu gleichen
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Theilen in sich schloß
mit der schweren Bedingung des tiefsten
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Stillschweigens
. Mit göttlichem Seegen werden die bloße Zinsen des ungeheuren
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Kapitals zureichen meinen Kindern eine anständige Erziehung zu geben – und
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ich bin voller Dank und Freuden über Gottes Barmherzigkeit, und daß die
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Kinder meiner Muse ein Mittel geworden die Kinder meines Leibes und Herzens
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zu erhalten, zu pflegen und zu bilden nach Nothdurft. Mein Sohn kam den 27
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mit seinem Hofmeister an und führte seine Schwester
Lisette Reinette
zu
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meiner gnädigen Baroneße Bondeli, die Mutterstelle übernommen; meine
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Tochter ist also die neunte in dieser Akademie der Gratien, und man wird sich
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kaum entschließen mehr anzunehmen, da Sie gegen mein Kind schon
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Einwendungen machte und in der Wahl sehr strenge ist.
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Ich bin fest entschloßen meinem Wohlthäter zuvor zu kommen, und war
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schon willens mich zu Ihrem Reisegefährten anzubieten. Weil aber Erlaubnis
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aus dem Kabinette haben muß und ich keine Antwort auf meinen Brief vor
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2 Jahren erhalten u an die dortige Generalhexe sr. Finanzen auch nicht mehr
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wenden mag: so blieb mir nur ein einziger Ausweg übrig, zu deßen
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Ausführung einige Papieren gehören, welche aufzusuchen ich meinen Sohn
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verschrieben. Dazu gehörten auch einige meiner Schriften deren letztes Exemplar
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ich zu einem andern
Ebentheuer
brauchen
muß, das ich Ihnen auch mittheilen
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werde.
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Vorigen Mittwoch schickt das Kayserlingsche Haus zu mir und läst mich den
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Tag
Morgen drauf zu sich bitten, welches mir angenehmer ist als der Mittag.
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Da hat die Gräfin einen Brief von der Fürstin Galliczin erhalten, die sich eine
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umständliche Nachricht von meinen Schriften, eine der vollständigsten Samml
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derselben oder Anweisung ihrer habhaft zu werden, von meiner
maniere d’etre,
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de mon caractere et de mon ton
pp ausbittet. Ich bin so glückl. gewesen ein
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gutes Exempl. der Sokr. Denkw. hier aufzutreiben – zweifele aber einen
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Versuch über die Ehe
zu finden und die
Hirtenbriefe das Schuldrama
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betreffend. Sollten Sie noch eins finden: so ersuche drum allenfalls selbige
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nachzuschicken. Wegen der etwanigen Kosten giebt diese Fürstin eine Anweisung
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auf Ihren Bruder den Grafen von Schmettau,
Chanoine de Halberstadt à
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Berlin.
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Hartung wie ich heute erfahren hat auch den Schiblemini, aber weder im
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Katalog noch Zeitungen angemeldt. Dengel seinen Laden an die Gebrüder
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Prüschmann
, Kannengießersöhne in der Altst. Langgaße richt über der
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Holtzgaße verkauft, für 13000 rth. Der Handel soll aber nicht nur zurückgehen
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sondern Dengel solcher Spitzbübereyen sich dabey schuldig gemacht haben daß er
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sn guten Namen
eben
ein u alles Mitleiden einbüßen wird. Friedrich ist in Curl.
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um sich daselbst auch zu
etabli
ren – und
unter der Hand
bietet Hartung sn
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Laden für 12000 rth aus. Dies bitte aber nicht zu verrathen.
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Mich wundert, daß Sie mir nicht Gerards Abhandl. über die Theile der
30
φφ
ia
mitgetheilt haben, die ich wenigstens gern zu sehen wünschte, weil
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ein guter Freund mich auf einige Gedanken darinn aufmerksam gemacht.
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Noch suche ich hier ein Buch auf allen öffentl.u in allen Privatbibliotheken
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umsonst, neml.
Renati Descartes Principiorum Philosophiae Pars I. et II.
nunc
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geometrico demonstratae per Bened. de Spinoza. Amst. Accesserunt eiusd.
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cogitata Metaphysica – – Amst.
663. 4
o
Sollten Sie es haben, so hoffe ich daß
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Sie es mir für Geld u gute Worte oder falls zu theuer zu einem geschwindern
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Gebrauch als die
Reiskiana
überlaßen welche ich noch keine Muße gehabt habe
S. 305
anzusehen. Ich brauche diese erste Schrift des
Spinoza
s welche ihres Innhalts
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wegen eben keine Seltenheit wie die übrigen
anonyme
seyn kann zu einer kleinen
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mir
aufgetragnen Arbeit
, welche desto wichtiger für mich ist weil man in
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Berlin sehr darüber scheel sehen soll, daß ich dem Mendelssohn einen
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atheistischen Fanatismum
aufgebürdet.
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Die Einl Ihres letzten Briefes den ich den 30 erhalten sind gl. mit der
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nächsten Post unter HE
Jacobi
Einschluß befördert worden, habe aber keine
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Zeile wegen meiner gegenwärtigen Unruhe in meinem Hause und Gemüth
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beylegen können. Freyl. wünschte daß Sie ein wenig glimpflicher geschrieben; der
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alte Adam läst sich aber mit keiner
furca
austreiben. Gott wolle diesen Mangel
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durch sn Seegen ersetzen und es an keinem Guten fehlen laßen. Je näher die
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Freunde welche sich katzbalgen; desto heftiger der
Paroxysmus.
Man wird sich
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über mein Stillschweigen u die Ursachen deßelben gnug dort wundern; ich hoffe
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aber alles gutzumachen – Gott gebe mündlich u persönlich, wiewol ein Brief
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der
nicht roth werden darf
, beßer
wäre
.
Nun mit Gottes Hülfe wird alles
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noch ins reine gebracht werden können. Schon bey meinem Besuch in Riga
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habe das voraussehen können. Unser arme geplagte Hiob hat vielleicht Ursache
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hypochondrisch
zu seyn und verdient in allem erdenklichen Fall etwas alte
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freundschaftliche Nachricht, worinn Sie
olim
zu freygebig u zu verschwenderisch,
20
nunc
zu gerecht und zu weise sind. Vergib uns unsere Schuld wie wir vergeben –
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und führe uns
nicht in Versuchung
. So arg gieng es in Riga, ärger in
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Bückeburg und am ärgsten – Die kleinste
Lüsternheit zum Beßerseyn
sagt
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der Prediger in der Wüste, sich selbst u sn Lesern – ist der Funke eines höll.
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Aufruhrs. Doch gnug hievon und
punctum pro futuro,
mit Bitte vorsichtiger
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zu seyn und durch Abreden allen übeln Nachreden vorzubeugen.
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Nun, mein lieber alter Freund H. der wohlthätige empfindseelige Richter der
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Menschenherzen und Gedanken und guten Werke, welcher keinen Trunk kalten
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Waßers unvergolten laßen wird, wolle auch das Gute in Ihre Rechnung
ferti
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bringen, als Ihm selbst gethan, was Sie einem Ordens- und Dutzbruder,
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Gevatter und Landsmann und einem Ihrer Taglöhner zu seiner Erqvickung und
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seiner 7 Kinder haben angedeyen laßen. Er seegne dafür Sie und die lieben
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Ihrigen in der Ferne und Nähe in diesem Jahre, verjünge Ihre Leibes- und
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Gemüths-Kräfte. Ich umarme Sie, empfehle mich mit Hans und seinen
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Schwestern und ihren Eltern, ohne jemals aufzuhören Ihrer bewährten
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Freundschaft und Liebe eingedenk zu seyn. Muntern Sie unsern H. zur
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Fortsetzung und Vollendung seines Werks – ich denke bald im Ernst meine Brocken
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zu sammeln, und mich aller günstigen Augenblicke u Umstände dazu
zu
S. 306
bedienen. Vielleicht wird auch die im Sinn liegende Reise dazu beförderlich seyn –
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so der HErr will und wir leben. Antworten Sie sobald Sie können
3
Ihrem
4
alten verpflichteten Landsmann und Freunde
5
Johann Georg Hamann.
6
Wegen
Rossi
habe Meldung thun laßen, werde vielleicht morgen selbst zum
7
HE Oberhofprediger hingehen. Die
Matinées
habe wie sie empfangen meinem
8
Freunde
Jacobi
verehrt. Meine Absicht war es nicht sie umsonst zu haben. Er so
9
wohl als HE Kr.
Rath Deutsch
würden gern bezahlt haben. Leben Sie wohl
10
und nach Herzenswunsch. Grüßen Sie unsern Georg B. zum Neuen Jahr.
11
den 3 –
12
HE Oberhofprediger habe eben besucht, und dankt sehr erfreut für
Rossi.
Er
13
wünscht sich ein paar Bogen von Griesbach über
Theologia popularis,
wenn
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Sie selbige haben oder zur Meßzeit selbige aufzutreiben im stande sind. Was
15
Rossi
kostet, werden Sie mir melden und das Geld soll parat liegen. Gott
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seegne Sie und Ihr Haus. Ich bin den gantzen Morgen herumgelaufen und
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habe Gäste, Hans mit seinem Hofmeister Scheller und Prof. Kraus.
Vale et
18
faue.
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Adresse mit Mundlackrest:
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An / HErrn Hartknoch / Buchhändler / zu / Riga.
21
Vermerk von Hartknoch:
22
HE Hamann in Königsberg
23
Empf
d.
31
Dec
1784
Provenienz
Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 5.
Bisherige Drucke
Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 84–88.
ZH V 302–306, Nr. 793.
Zusätze fremder Hand
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306/22 –23
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Johann Friedrich Hartknoch |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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302/33 |
ein ]
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In der Abschrift Wardas: seyn ; vmtl. Abschreibefehler von Warda. |
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304/7 |
brauchen ]
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In der Abschrift Wardas: ich brauchen ; Wortverdopplung vmtl. Abschreibefehler von Warda. |
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304/23 |
Prüschmann |
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: Prüschmann |
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304/26 |
eben ]
|
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: oben |
|
304/30 |
φφ ia |
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: Philosophia |
|
304/33 |
nunc |
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: more |
|
305/15 |
wäre . |
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: wäre. |
|
306/18 |
faue. |
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: fave. |