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Kgsb. den 1. Nov. 85.
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Höchst zu Ehrender Freund,
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Herr Prof. Kraus hat für Ihren lieben Pathen gesorgt und ich bin mit
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seiner Wahl sehr zufrieden. Herr Räbel ist aus Berlin gebürtig, 22 Jahr
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alt, hat sich hier 3 Jahr auf der Akademie aufgehalten, und sich bereits
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veniam concionandi
erworben. Er wurde von
D.
Biester an Kr.
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empfohlen – und ich habe während seines hiesigen Aufenthalts in Verbindung mit
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ihm gestanden, um das beste Zeugnis seinem Fleiße und seiner guten
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Aufführung geben zu können. Er ist ein würdiger Schüler des Gedicke – und ich
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bin völlig überzeugt, daß der HErr RegierungsPräsident eben so zufrieden
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mit einem jungen Mann von einem so gesetzten Geschmack und reifen,
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gründlichen bescheidnen Urtheil seyn werden, als er selbst, deßelben Haus den
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Anwerbungen eines Gräfl. vorgezogen zu haben. Ich wünschte also, daß die
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Sache so bald als möglich durch meinen Freund Kraus abgemacht werden
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könnte. Im Zeichnen scheint er mehr als in der Musik gethan zu haben;
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und im französischen so viel als zum Unterricht nöthig ist. HE Pr.
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Kraus
hat in den
beyden letzten Jahren mehr Umgang mit ihm
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gehabt
, und wird alles
näher gewissenhaft
bestimmen können.
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Die melancholische Jahreszeit wird doch keinen Nachtheil auf ihre
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Gesundheit gehabt haben. Ich bin deshalb besorgt, höchstzuEhrender Freund,
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weil ich lange nichts von Ihnen erhalten. Ich erwarte jeden Morgen
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HE Scheller, deßen Bestätigung vorige Woche von Berl. eingelaufen seyn
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soll. Vermuthlich wird auch der gräuliche Weg ihn abhalten, wenn die
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Schuld nicht an der hiesigen Expedition aus der Geheimen Canzley liegt.
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Richtig erhalten haben Sie doch
Heynecke
und das
Spinozabüchlein
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von Jacobi
in Düßeldorf, nebst den 3 ersten Bänden der Romanbibl.
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für die Damen, welche weder säen noch spinnen – Die beyden ersten
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Bücher gehören nicht mir; aber mein Freund zu Pempelfort hat Ihnen auch
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ein eigen Exemplar zugedacht, das unterwegens ist, aber nicht eher
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ausgeliefert werden wird, als bis ich das
geliehene
zurück erhalten.
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Daß Herder mich mit einem Briefe erfreut, werde ich Ihnen schon
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gemeldt haben. Vorigen Mittwoch bekam ich den 2ten Theil der Ideen aus
S. 114
Riga durch HE
Fueßli
, der mit einem Grafen v. Raßumowski auf Reisen
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geht, und hier vor Anker liegt, weil alle
Coffres
von dem Fuhrmann auf
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Schaakner Boot gegeben worden, das wegen
contrair
en Windes nicht
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ankommen kann. Es thut mir um den ehrl. Schweitzer leid, der seinen Grafen
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hüten muß und nicht sein eigener Herr ist. Zum Unglück war ich mit meinem
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gantzen Hause ausgebeten, wie beyde mir das Päckchen überbrachten. Ich
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habe Fueßli 2 mal besucht ohne noch den Grafen gesehen zu haben, mit dem
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ich weder deutsch noch französisch reden kann – und muß daher des ersteren
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wider meinen Willen
auch entbehren.
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Sonnabends habe
Mendelssohns Morgenstunden oder Vorlesungen
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über das Daseyn Gottes
durchgelaufen. Es ist nur der erste Theil
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heraus, und der zweite noch in der Ferne. Er hat diese Vorlesungen
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würkl. für seinen Sohn u seine Freunde gehalten. Er bekennt in der
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Vorrede ziemlich weit in dem
Decennio
unsers Jahrhunderts
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zurückgeblieben zu seyn, weder
Lambert
, noch
Plattner
p noch den alles
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Zermalmenden Kant
gelesen zu haben. Dies Beywort hat er schon bei
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seiner Kritik in einem Briefe gegeben, nun läßt ers gar drucken als ein
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Attribut des Schriftstellers. Kant will, wie ich gehört, seinen ersten polemischen
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Ritt gegen ihn wagen.
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Ein Kaufmann führte mir heute einen jungen Menschen zu, Namens
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Lorck, als einen Vetter des Claudius, der schon bald 2 Monathe hier ist,
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ohne
Aviso
von ihm.
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Ich eile was ich kann auch mit dem dritten Bande des
Monboddo
fertig
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zu werden. Seine alte Metaphysic ist ein albernes Buch. Ihm ist jeder ein
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Atheist, der glaubt, daß die Materie sich von selbst bewegen könne, und den
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Orang Utang hält er schlechterdings für eine Menschen
race.
Dies sind ein
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paar seiner Lieblingshypothesen, welche einen guten Theil seines Werks
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ausmachen.
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Ein Frauenzimmer, die sich eine Zeitlang in der Gegend von Bristol
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aufgehalten, kommt auch bey ihm vor. Von dieser Erscheinung ist neulich eine
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kleine Schrift herausgekommen unter dem Titel:
L’Inconnue. Histoire
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veritable
785.
p.
99
c.,
worin sie für eine natürl. Tochter des vorigen
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Kaysers ausgegeben war. Ein ähnliches Gespenst mit der
französischen
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Maske
.
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HE Pr. Köhler ist reisefertig, nachdem er zu seiner oriental. Profeßion
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nicht nur die griechische sondern auch die dritte Vacantz der juristischen
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Facultät gesucht, auch wo möglich noch eine
civil-
Bedienung. Er hat auch
S. 115
im
Cabinet
widerholentlich angehalten ein
Academicien
zu Berl. zu
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werden, auch große Lust gehabt ein reiches Fräulein zur Braut zu haben, welches
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aber ihm alles in Gnaden abgeschlagen worden. Ein gewißer Pörschke, der
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sich für einen Schüler Herders
ausgibt
und ihn in Weimar besucht, wird sich
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hier vielleicht zum Prof. der gr. Sprache
qualifici
ren. Ich habe ihn aber
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noch nicht gesehen, sondern blos
pro
und
contra
von ihm gehört.
D.
Bohlius
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wird erst auf den Sonntag über 8 Tage zum
Rector crei
rt werden
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können; woraus ich vermuthe, daß künftiges Jahr die Ostern spät eintreffen
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müßen.
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Röbel oder Räbel heist der in Vorschlag gebrachte Hofmeister. HE
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Caplan Hermes hat ihm auch schon eine Stelle mit 120 rth bey einem Gr. von
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Dohna angeboten, die er ausgeschlagen hat, oder nunmehr ausschlagen wird.
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HE Kriegsrath Hippel hat kranke Augen gehabt, ist aber nunmehr wider
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im stande auszufahren und wird hoffentlich nicht ermangeln, gutes
Feyer
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Festbrot zu bestellen, woran ich auch in Ihrer Gesellschaft theil zu nehmen
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hoffe.
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Mein Hans Michael hört bey Kant, Metaphysik, natürl. Gottesgelahrtheit
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und Anthropologie bey Kraus mit mehr Geschmack wie es scheint, die alte
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Geschichte nach Schlötzer und die Statistik, nach Tolle u. bey
D.
Hagen
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die Mineralogie, mit Raphael,
Nicolovius
und Hill liest er Homer,
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Englisch, Italienisch – und vielleicht arabisch, mit seinem Vater bisweilen den
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Boileau,
mit Jenisch den Sophokles, und hat aus eigenem Triebe das
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Pollnische bey einem jungen Wanowski angefangen, für sich selbst setzt er den
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Herodot fort, und liebt die
güldnen Morgenstunden
, deren Werth
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ich spät kennen gelernt. Nur Schade, daß seine Zunge wie meine Handschrift
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ist – ein elend, jämmerlich Ding, wie aller Menschen Leben!
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Ich hoffe, HöchstzuEhrender Freund, daß es mit den
philosophischen
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Vorlesungen über das so genante
N. T. Ihnen beßer gehen wird,
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als mir mit der
alten Metaphysik
meines ehrlichen
Monboddo
– der
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meine Galle und Leber angreift.
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Empfehlen Sie mich der Frau Kriegsräthin. Gott helfe die
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gegenwärtigen Unbequemlichkeiten des Landlebens überstehen, und der unumgängl.
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Witterung, welche selbst uns Stadtleute ungesellig macht. Ich bin mit
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meinem ganzen Hause
Ihr
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alter verpflichteter Joh. G. H.
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Können Sie mir nicht im Nothfall eine nähere Anweisung geben, wo ich
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künftig Briefe oder Bücher zu Bestellung abgeben kann? Der Weg nach
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dem Friedl. Thor ist bey einer so elenden Witterung theils wegen der Weite
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theils wegen des schlechten Pflasters unausstehlich. Sprechen nicht die
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Gelegenheiten bey
einer
Me Cuvry
in der Altstadt an? Verzeihen Sie diese
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Anfrage, die vielleicht überflüßig ist, und ein Uebergang der Jahreszeit uns
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bevorsteht –
amant alterna Camoenae.
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Adresse:
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Des / HErrn Kriegsraths Scheffner / Wolgeboren / zu /
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Sprintlacken
.
Provenienz
Druck ZH nach dem überlieferten Typoskript Walther Ziesemers. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Preußisches Staatsarchiv Königsberg, Nachlass Johann George Scheffner.
Bisherige Drucke
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, III 128, 155.
ZH VI 113–116, Nr. 887.