958
361/9
Quasimodog.
86.
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Nun, mein Herzenslieber Fritz – Ariel – Jonathan – Gestern war nichts
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von Ihrer Hand, wollte also bis zur nächsten Post warten, habe mich aber
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wider bedacht. Ihr letzter vom 7 erhielt den 19 – Die Fortsetzung wird wohl
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Mittwochs kommen. Mit Ihrer Gesundheit geht es doch gut, weil Sie nicht
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dran denken. Meine Diät scheint mir auch gut zu thun, wenn ich mir nur
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mehr Bewegung machen könnte; ich verspar aber alles auf meine Reise, für
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die ich wider mit dem 1 May zu schreiben gedenke. Kant ist heute
Rector
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Magnificus
geworden, und ich habe ihn gestern zu seinem Geburts
tag
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der zugl. sein Namenstag nach unsern Almanachs ist, Glück gewünscht,
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welches er sehr gut aufzunehmen schien, ich konnte u wollte mich aber gar nicht
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aufhalten laßen. Ein gestörter
Cand. Medic.
hat durch einen närrischen
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Auftritt den heutigen
Actum
unterbrochen, hat sich auf den Katheder
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gedrängt und seine
Lectiones
ankündigen wollen.
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Sie sind ein Mann von That – Sind Sie weiter gekommen, als ich, mit
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einem halben Bogen, von dem ich Ihr Gutachten erwarte und des Alcibiades.
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Das ist gnug über die Recension u dabey will ich es bewenden laßen. Gott
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gebe, daß ich die Sache selbst ruhiger, gesetzter und – – ich weiß selbst nicht
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wie? behandeln kann. Aber übereilen kann ich mich nicht, wenn das Ding
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auch ein Jahr lang währt, unterwegs oder bey meiner Heimkunft fertig
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wird. Ich erwarte heute Brahls Familie, die mir die Morgenstunden
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abgenommen und die
neue Auflage
dafür versprochen, so bald sie gebunden
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seyn wird. Mein Kopf ist mir so voll und wüste, daß ich mit meinen
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Gedanken nicht in Ordnung kommen kann.
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Haben Sie die
infame Lettre des
Conte
de Mirabeau sur Cagliostro
S. 362
et Lavater
gelesen.
Ich glaube, daß diese Fäustenschlage des Berl.
2
Satansengels ihm nicht
S
schaden werden; aber fühlen muß er sie, und ich wollte
3
weder ihm noch seinen Freunden rathen, darauf zu antworten. Der welsche
4
Theist
hat sich wie ein Kind den Brey ins Maul schmieren
laßen,
um
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selbigen wider auszugeifern. Ich erwarte heute oder morgen Hartknoch, und
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wünschte sehr den 4ten Theil
des
Pontius Pilatus
bey seiner
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Rückreise von der Meße zu erhalten. Ferner bin ich inständigst gebeten worden
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um eine Predigt, die L. über die Ziehenschen Prophezeyungen
erhalten
haben
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soll. Einem seiner Glaubensbrüder und herzl. Freunde, dem hiesigen
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pollnischen Prediger
Wanowski
ist so viel daran gelegen, sie zu lesen. Ich glaube,
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unser Johannes wird mir meine Bitte um diese Predigt und den 4. Theil des
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P.P.
nicht abschlagen, da er mir die 3 ersten verehrt, und die 2 ersten Theile
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seiner vermischten Schriften, ohne daß ich weiß, ob nicht mehr ausgekommen.
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Seine salomonische Denkw. habe ich auch hier nicht auftreiben können, und
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seine Predigten über meinen Lieblingsbrief an
Philemon
von dem ich
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mir ebenso viel Erqvickung verspreche, als da ich seinen
Jonas
las. Er und
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seine Freunde in Zürich sind immer das
vltimum visibile
meiner
18
Reise
vision
en gewesen, und seine gegenwärtige Lage hat sowohl meine Liebe zu ihm
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als Neugierde ihn zu sehen vermehrt und erhöht.
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Außer der Predigt über die
Ziehenschen Weißagungen
hab ich
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noch eine Bitte, an der mir unendl. gelegen ist. Können Sie mir nicht
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zuverläßig den Verfaßer des in der Beyl. angeführten
Reinhart
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Morgensterns
zuverläßig entdecken. Man will hier dem Stark selbige
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zuschreiben, welches mir
schlechterdings
unmögl. vorkommt, wenn ich nicht all
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mein Gefühl und Urtheil verloren, unwiderbringl.
verloren habe
.
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Scheffner ist hier gewesen, ihm zu Gefallen muste ich vorigen Mittwoch
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bey Hippel speisen. Sie besuchten mich gestern nebst
Banco Dir.
Ruffmann.
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Zu meiner großen Freude habe ich heute erfahren, daß
Hippels
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würdiger
Bruder, der sich bisher auf einer kümmerl. Landpfarre beholfen, eine
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der
besten in der Nähe von der Stadt
erhalten wird. Es sind so
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viel Umstände dabey die mich
interessi
ren, daß ich an dieser Schickung der
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Vorsicht den innigsten Antheil nehmen würde. Mit Schellers Hochzeit, die
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den 4 d. in Graventihn gefeyert werden sollte, ist es sehr wunderbar
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zugegangen, daß sie erst den 17 auf einem andern adl. Gute vollzogen worden.
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Ich denke daß man sich an den tägl. Brodt genügen kann, ohne
sich
nach
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himml. Wundern lüstern zu
seyn
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Ich bin immer besorgt, daß Sie sich
die
an meinen Briefen satt gelesen
S. 363
hätten, und die Gnädige Fürstin an meinen
Opp. omnibus.
Das Gegentheil
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gefällt mir beßer als ich es recht begreifen kann – also auch schon ein
3
Wunder und dergl. giebt es eine solche Legion, daß ich zum
Nil admirari
der
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Weltweisheit alle Hoffnung aufgeben muß.
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Ach mein liebster Fritz Ariel Jonathan, der
ridiculus mus,
den ich zur
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Welt bringen wollte, wird ein Riesengebirge – oder ein Myrrhenhügel, wie
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Golgotha – wenigstens ein sehr blutiger Nierenstein, von dem ich ohne
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Schnitt nicht erlöst seyn werde. Ich erwarte Ihr Gutachten über den ersten
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Bogen. Das
ΑΩ
! muß schlechterdings vom Titel fort und auf die
dritte
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Seite kommen. Das Versezeichen
v.
bey Dichtern z.e.
S.
4
lin. vlt.
kommt
11
auch fort und wo ich es etwa vergeßen haben möchte als S. 6. 8.). Auf der
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letzten Seite konnte doch die ausgestrichene Stelle bleiben: Nun was geht es
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mich an? hat er nicht die Augensalbe so nahe, so nahe, zur Erleuchtung des
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philosophischen Verständnißes? –
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Doch dies überlaße auch Ihnen. Thut Beyl. Ihnen u B. Gnüge; so wird
16
Freund
Tiro
Schenk sich nicht die Mühe der Abschrift verdrießen laßen;
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aber mit Weile und nach Beqvemlichkeit. Ein paar Parenthyrsen werden
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Sie meinem alten Adam schon zu gut halten müßen; er kann seine Nicken
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nicht laßen.
20
Unser Freund
Crispus
und der seel. Kreutzfeld haben einen garstigen
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Gegner hier an einem Ex-minister bekommen, einem HE von Braxein, der vor
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einigen Jahren
historisch-genealogische bisher ungedruckte
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Geschlechtsnachrichten seiner alten hochadl. ostpreuß.
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Nationalfamilie herausgab. Er und ich waren damals gantz begeistert von den
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eben ausgekommenen Schlivenschen Nachrichten, davon ein Exempl. an die
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Königl. Bibliothek anher kam. Der seel. Mann hat als
Subbibliothecar
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Veranlaßung an den vortrefl. Autor selbst zu schreiben und theilte ihm so
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viel er konnte von den bisher umsonst verlangten
u
gesuchten Nachrichten
29
u
Mst
mit, die er sehr grosmüthig aufnahm und beantwortete. Bey der
30
Gelegenheit fiel es ihm ein, etwas über den
Preuß. Adel
zu schreiben, das
31
ihm mancherley Verdruß mit dem Hartung als
Verleger
zuzog, der sich
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wie ein grober schlechter Mensch gegen ihn verhielt. Es kam erst nach seinem
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Tode aus der Preße, und
Crispus
war Hebamme dieses kleinen
Posthumi.
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Darauf hat nun der
cassi
rte Staatsminister mit aller Infamie, wodurch er
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sich im gantzen Lande stinkend gemacht, theils selbst geantwortet theils
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antworten laßen mit solchen groben Lügen –
Crispus
hat nicht Lust darauf zu
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antworten, aber er wird von jedermann dazu aufgemuntert. Mein alter
S. 364
Verleger, Gevatter Kanter ist auch den 18 eingeschlafen; ich sahe ihn am Gr.-
2
Donnerstag zum letzten mal, und lief noch ihm zu Gefallen ungern in den
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Hartungschen Buchladen nach der Weisheit Morgenröthe, die er noch zu
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lesen lüstern gemacht wurde, damit aber schwerl. fertig geworden. Die
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beyden Ostertage war ich noch in seinem Hause ohne ihn aber zu sehen. Er war
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einer der außerordentlichsten Menschen und
desperat
esten Unternehmer, der
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eben so leichtsinnig andere als sich selbst aufzuopfern im stande war –
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Quiescat in pace!
9
Meine Gäste sind nicht gekommen; dafür sprachen
Wanowski
Kraus u
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sein Schatten der
Subinsp.
u
Subbibl.
Sommer an.
Crispus
las meine
11
Abschrift, und hat ein
ihrer
auf der dritten Seite eingeflickt, das ich wider
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ausstreichen müßen.
Crispus
klagte gestern über Magenkrampf u sieht elend
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aus. Er hat das heutige Ehrengedicht auf Kant zurück gelaßen aus
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Vergeßenheit, das ich statt des Andenkens beylege. Der unterstrichene Name ist
15
des Verf. seiner. Der ältere ist Kants
amanuensis,
von dem ich schon einmal
16
gesprochen. Mein Michel als
auditor gratuitus
hat weiter keinen Antheil,
17
als daß er seinen thaler u Namen dazu gegeben.
Daß der alte
φφ
den Juden
18
vom
Monument
ausgeschloßen, werden Sie schon wißen.
Man sprach hier
19
anfängl. sehr viel von dem berühmten
Mst
gegen Lavater; jetzt ist alles
20
davon stille. Gott gebe daß ich bald mehr u beßer schreiben kann. Mittwochs
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erwarte ich gewiß Ihren versprochenen Brief. Bitten Sie
Claudius
daß er
22
wenigstens so viel Gedult mit mir haben möge als ich selbst brauche mich zu
23
ertragen. Ist
Reichardt
nicht eingesprochen. Wetter und Gesundheit – zum
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Genuß des Frühjahrs in Ihrem
ganzen
Hause, wo ich oft mehr als in
25
meinem daheim bin. Erinnern Sie sich meiner wenn Sie nach Münster
26
schreiben.
Ich ersterbe Ihr alter Johann Georg
27
Vermerk von Jacobi:
28
Koenigsberg den 23
ten
Apr. 1786
29
J. G. Hamann
30
empf den 4
ten
May
31
beantw den 5
ten
–
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 207–209.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 294–298.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 161–164.
ZH VI 361–364, Nr. 958.
Zusätze fremder Hand
|
364/28 –31
|
Friedrich Heinrich Jacobi |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
|
361/9 |
Quasimodog. |
Bei dem Datum von Jacobi notiert: den 23ten Apr 86 |
|
361/33 |
Conte ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Comte |
|
361/33 –362/1
|
Haben […] gelesen.] |
Über dem Absatz von Jacobi notiert: Mirabeau à Cagl u Lavater |
|
362/4 |
laßen, ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: laßen |
|
362/8 |
erhalten ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: gehalten |
|
362/25 |
verloren habe ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: verloren habe |
|
362/36 |
seyn ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: seyn. |
|
363/10 |
S. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: S |
|
363/28 |
u ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: und |
|
364/17 –18
|
Daß […] wißen.] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |