1000
492/20
Pempelfort,
den 25
ten
July 1786.


21
Vermerk von Hamann mit roter Tinte:
No
8.


22
Lieber Verehrungswürdiger Mann

23
Ehe ich zur Beantwortung Ihres gütigen Briefes vom 12
ten
schreite, laßen

24
Sie mich aus einem Briefe Ihres Jonathan vom 18
ten
July Ihnen

25
dasjenige mittheilen, was Sie intereßieren kann. Er ist den 16
ten
nach Richmont

26
zürückgekehrt, und sein Brief ist daher datiert.

27
„Meine Lust an diesem Lande, sagt er von England, wächst mit jedem

28
Tage, und ich erschrack gestern Abend, da ich fühlte, indem ich an den Tag

29
meiner Abreise dachte, daß mich eine Art von Schauder überlief. Ich bin

30
überzeugt, wenn jemand im Schlafe aus Deutschland an die Ufer der Themse

31
bey
Richmont versetzt würde und hier erwachte, daß er durchaus glauben

32
müßte, er sey jenseits des Mondes in die Gärten des Himmels versetzt.

33
Denken Sie Sich dabey die Gesellschaft in der ich das alles genieße, Reventlow

34
und seine Gemahlinn, Schönborn, Spalding, Schlaberndorf, Empirius

S. 493
(lauter in ihrer Art vortreffliche Menschen) – tausend liebliche zufälligkeiten

2
des Genußes, die ich meinem edeln Gastfreunde und seiner beneidenswürdigen

3
äußern Lage zu verdanken habe, und urtheilen Sie mit welcher Rührung ich

4
der Vorsehung danken muß, die mich, wie ehmals den Propheten Habakuk

5
durch einen Engel beym Kopfe nehmen ließ, und so sanft hier lächelnd

6
niedersetzte,
wo sich meine Gesundheit vortrefflich erholt
.“ – Weiter

7
unten sagt er: „Ueber die Berlinsche Antwort an Hamann (der Brief der

8
Direction in Absicht Ihres Urlaubs) mag ich nicht
reden
;
.
Ich hoffe mit der

9
heutigen Post wieder von ihm zu hören. Sagen Sie ihm doch, daß ich ihn im

10
Innersten meines Herzens trage, und hier oft noch mehr in seiner Gegenwart

11
lebe, als in meinem einsamen Pempelfort. Gott weiß, daß ich die Zeit an ihn

12
zu schreiben unmöglich hier ersparen
kann.“ –
Schlaberndorfs
Schönborns

13
Umgang scheint ihm vorzüglich zu gefallen; er gedenkt seiner ein Paar mahl

14
in seinem Briefe mit großem Lobe, und sagt unter andern von ihm,
daß
es

15
sey ein Mann, wovon man mit Wahrheit behaupten könne, daß er den

16
ganzen Ocean der Metaphysick umschiffet habe. – Die Abreise von London ist

17
auf den 1
ten
des künftigen Monaths verschoben; dies soll aber auch der

18
späteste Termin für die
jetzige
Reise seyn. Er hat sich aber vorgenommen,

19
England noch einmahl zu sehen, und will alsdann nicht weniger als 2 bis 3

20
Monathe darinn verweilen. Für jetzt treiben ihn Familien Lage,
s
die neue

21
Ausgabe seines Spinoza Büchleins, und die Uebersetzung des Alexis
zurück

22
Aus Münster ist auch heute ein Brief von der Fürstinn eingelaufen. Sie

23
können Sich vorstellen, da ich dazu durch die Adreße bevollmächtigt wurde,

24
wie begierig ich ihn, in Erwartung einiger Nachrichten über Buchholz

25
erbrochen habe; aber leider stand nicht eine Zeile diesen betreffend darinn, und

26
der Münstersche Officier, deßen ich in meinem jüngsten
Brief
erwähnte, ist

27
auch noch nicht gekommen, so daß ich in völliger Unwißenheit wegen der

28
Niederkunft der jungen Gattin bin. Wahrscheinlich ist es indeßen, daß diese

29
Niederkunft noch nicht vorüber ist, weil die Fürstin sonst derselben

30
Erwähnung gethan haben würde.

31
Ihre Nachricht, daß Kant über das Mendelssohnsche
Orientieren

32
schreiben will, habe ich dem Verf. der Resultate mitgetheilt, und auch heute

33
noch nach London gemeldet. Es ist natürlich, daß Kant dieses Orientieren in

34
Schutz nimmt, da er mit seiner
Moral-Theologie
ohngefähr denselben

35
Weg einschlägt; nur daß er sich durch Worte etwas beßer verschanzet.

36
Sollten Sie über sein Vorhaben etwas
bestimmteres
hören, so säumen Sie

37
doch nicht, es mitzutheilen, weil, wie Sie leicht begreifen werden, Ihrem

S. 494
Jacobi und dem Verfaßer der Resultate daran gelegen seyn muß,
da
es zu

2
wißen. Ihr Urtheil über den Aufsatz gegen Stark in der Berl. Mon. Schrift

3
ist vortrefflich. Ueber Stark mag man denken wie man will, des höchsten

4
Unwillens gegen die Berliner kann man sich nicht erwehren, wenn man sieht,

5
mit welcher
teuflischen
Bosheit
sie ihre Zwecke verfolgen.
Abels

6
Seelenlehre habe ich noch nicht gelesen; ist es aber der
Stuttgarder
Abel,

7
so kann ich Ihnen von diesem melden, daß er gegen die Resultate zu Felde

8
ziehen wird. Er steht mit einem von Witzenmanns Freunden in genauer

9
Verbindung, hat von diesem ein Exemplar der Resultate zum Geschenk erhalten,

10
läßt den Talenten des Verfaßers Gerechtigkeit widerfahren, ist aber mit der

11
Entwickelung, die Endursachen betr
effend
, und mit noch einigen andern

12
Punkten, die Witzenm. Freund nicht bestimmt angegeben hat, unzufrieden.

13
An seinem Aufsatze gegen die Resultate arbeitet er würklich, und will ihn vor

14
dem Drucke
dem Verf
seinem
Gegner
mittheilen laßen, um deßen eigenes

15
Urtheil darüber einzuziehen. Ein vortrefflicher Kopf soll dieser Abel seyn,

16
und daneben ein sehr gerader liebenswürdiger Mann, der von jedermann

17
geschätzt wird.

18
Ich habe neulich den 4
ten
Bogen Ihres fliegenden Briefes noch einmahl

19
durchgelesen, und ihn auch dem Verf. der Resultate zu lesen
gegeben
.
(dem

20
einzigen der außer J. u. mir Ihre Schrift hier gesehen hat); – wir finden

21
beyde nicht, daß Sie Sich darinn Excursionen, die Ihrem Plane
schaden

22
könnten, erlaubt haben. Inzwischen kann man über das:
non
erat
hic

23
locus,
so lange die ganze Schrift nicht beysammen ist, nicht wohl entscheiden.

24
Einige Druckfehler habe ich noch
bemerkt,
worüber ich in Zweifel bin, ob ich

25
sie schon angemerkt habe, und welche ich desfals auf gut Glück hier anzeigen

26
will. S. 26 Z. 16. steht
Aus
ohne die Verbindungsstriche für die in der

27
nächsten Zeile folgende Sylbe
gieng
. –
S.
29 Z. 7. wird nach
admonuit
ein

28
Punkt stehen müßen. – Eben daselbst Z. 5. statt jüngfersäuberlicher, l
ies

29
jungfersäuberlicher. – S. 30. Z. 13. statt abh
ä
ngen, l. abhangen. S. 31.

30
Z. 15. Ist vielleicht Leh
n
sätzen statt Lehrsätzen zu lesen. – Bloße

31
Sylbenstecherey mag es seyn, daß mir S. 26. Z. 6. das
Pronomen
diesen
etwas

32
unbestimmt scheint. An
Nachdruck
fehlt es übrigens auch diesem 4
ten

33
Bogen nicht; eben so wenig fehlt es ihm an Deutlichkeit für
Ihre
Leser

34
und für Ihre
Gegner
. Was vom Schluß des 4
ten
Bogens an bis zur 6
ten

35
Fortsetzung fehlt, habe ich gesendet.

36
Unser George ist nun entschieden auf der Beßerung und wird in wenig

37
Tagen seinen gewöhnlichen Arbeiten wieder obliegen können. Gottes Wege

S. 495
sind die
weisesten
und
besten
. Der Wink, den Er Georgen durch

2
Zusendung dieser Krankheit gegeben hat, scheint wenigstens diesen Sinnlichen

3
auf das
Eitele
des Götzendienstes, womit er seinem
Leibe
anhieng,

4
aufmerksam gemacht zu haben. – In der Krankheit selbst hat er sich gut

5
betragen, und weder Ungeduld noch weibische Niedergeschlagenheit gezeigt.

6
Gefühlt hat er übrigens sehr wohl, daß die äußerste Gefahr
nicht
ferne
war.

7
Leben Sie wohl, verehrungswürdiger Mann. Ich bin und bleibe

8
Ihr
getreuer
Tiro-Schenck.


9
Adresse:

10
An / Herrn Georg Hamann / zu /
Königsberg
. /
Einschluß
.


11
Vermerk von Hamann:

12
d. 5. Aug. 86.

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 318–321.

ZH VI 492–495, Nr. 1000.

Zusätze fremder Hand

492/21
Johann Georg Hamann
495/12
Johann Georg Hamann

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
492/20
Pempelfort,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Pempelfort
492/21
No
8.
]
Hinzugefügt nach der Handschrift.
492/31
bey
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
bei
493/8
reden
;
.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
reden.
493/12
kann.“ –
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
kann.“
493/21
zurück
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
zurück.
494/14
Gegner
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Gegener
494/19
gegeben
.
(dem
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
gegeben (dem
494/22
erat
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
erat,
494/24
bemerkt,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
bemerkt;
494/27
S.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
S
495/10
Königsberg
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Königsberg