1007
520/8
Kgsb. den 5
Aug.
86.
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Herzlich geliebtester Freund,
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Ihre letzte Zuschrift erhielt den 27
Jul.
mit 2 andern Briefen. Der eine
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aus M. bestand aus einer einzigen Zeile und meldete mir unter dem 9
Jul.
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den Tod des kleinen
Josephs
, mit deßen Geburt ich unter dem 5 erfreut
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worden war. Einl. an
Me Hartknoch
wurde durch meinen Sohn gleich
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bestellt, weil ich den Tag vorher an einem Durchfall p bettlägerig geworden
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war, mich bald erholte, aber die ganze Woche durch nicht ausgieng. Meine
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Hausmutter feyerte zum ersten mal ihren Geburtstag, hatte ohne mein
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Wißen uns. Lieschen u Louischen Miltz zu Mittag gebeten. Mamsell
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Podbielski
kam den Nachmittag von selbst; sie erhielt also die zweite Einl.
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unmittelbar aus meiner Hand. Die aber nach W. ist erst gestern abgegangen.
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Ich war seit dem 8
Jul.
eine Antwort schuldig, und es war mir unmögl. mit
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der ersten Post alles zu bestreiten. Sonntags erhielte den vierten
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abgedruckten Bogen; ich bin aber nicht im stande gewesen, ihn eher als Mittwochs
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anzusehen, und bin erst morgen willens ihn zu lesen. So gemächlich und
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behutsam muß ich mit meinem kranken Kopf umgehen. Selbst an
Jacobi
habe
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keine Zeile nach Engl. geschrieben und er ist schon auf der Rückreise, wird in
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10 Tagen erwartet. Mit dem vierten Bogen muß meine Autorschaft
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entschieden seyn, ob selbige zum Durchbruche kommen oder ins Stecken
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gerathen wird. Man arbeitet dort noch an meinem Urlaube, wovon ich den
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Erfolg auch noch abwarten muß und vielleicht noch diesen Herbst ziehe um
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den ganzen Winter dort zuzubringen.
Homo proponit, DEVS disponit.
Sie
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thun der Baroneße Unrecht, die ich abgehalten Ihnen zu antworten,
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ohngeachtet sie von selbst dazu willig war – und die mit Gram und Kummer so
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überhäuft ist, daß sie nicht einmal die nöthigsten Besuche annimt. Ihre
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innigste Freundin hat so viel Blutspeien gehabt, daß sie beynahe alle ihre
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wenige Lebenskräfte darüber verloren, und fängt sich erst seit ein paar
Tage
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an ein wenig zu erholen. Sie denkt ganz gleichförmig mit mir, und bleibt bey
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ihrem Entwurf und Gelübde durch die älteste Schwester die jüngsten
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nachzuhelfen, und ich kann ihren
guten Willen
eben so wenig misbrauchen, wie
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von Ihnen, liebster Hartknoch, größere Opfer der Liebe und Freundschaft
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annehmen, als ich mit gutem Gewißen zu verantworten und zu verdauen im
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stande bin. Die
Gaben der Natur
machen uns selbst gegen den
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Schöpfer
unerkenntlich, ungeachtet seine Natur das
Minimum,
wie die Kunst ein
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Maximum
zum Ziel macht. Um Ihres
guten Willens
würdig zu seyn,
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und mein
gutes Gewißen
unverletzt zu erhalten, kann ich nicht anders als
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meinen Grundsätzen und Pflichten gemäß handeln. Meine Worte mögen
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zweydeutig und dunkel seyn, in meinen Handlungen hoffe ich einen reinen
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und klaren Ausdruck der innigsten Gesinnungen zu äußern, und denselben
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treu zu bleiben. Ich denke von
Erziehung
, wie von allen
Mitteln
,
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deren menschlicher Gebrauch lediglich von einem höheren Seegen abhängt,
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und einen
mäßigen Gebrauch
ziehe ich immer einem
erzwungenen
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und
übertriebenen
vor. Seyn Sie von meiner
Freundschaft
und
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Erkenntlichkeit
durch meine abschlägige Antwort fester versichert.
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Wenn Ihnen an
jenen
etwas im Ernst gelegen ist, so würden selbige durch
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die Annahme und ein schwaches
obsequium
eher unterdrückt und erstickt
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werden. Ich werde Ihre
grosmüthige
Absichten zeitlebens im Sinn und
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Herzen behalten und meinen Kindern selbige einprägen und hoffe sie auch
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dadurch erkenntlicher und beßer und glücklicher, als durch einen
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unverschämten mißlichen
Genuß
zu machen, der natürlich sätigt und zu Murren
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Anlaß giebt, wie das Manna in der Wüsten. Ich kann Ihnen keinen andern
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Beweis meines empfindlichen Herzens geben, als einen
negati
ven.
Dum
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tacet, clamat;
also auch
dum nego, fruor.
Männliche, väterliche, kindliche,
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brüderliche Freundschaft sind gründlich, fest und stärker als Fleisch und Blut,
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das gleich dem Mercur steigt und fällt, von Meteoren abhängt. Meine
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Arbeit und meine Reise ist das Einzige, woran ich jetzt denken kann. Gott, der
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dies weiß, mag für alles übrige sorgen, und mir das
Eine
überstehen
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helfen, von deßen Ausgang zum Theil der Rest meines Lebens und meine
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Entschließungen für die Zukunft abhängen. Ein Käufer zu meinem Hause das
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mir bisher so viel Sorgen gemacht, hat sich auch diese Woche gemeldt,
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und so sehr ich ihn gewünscht, habe ich auch nicht einmal Lust diese Sache
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abzumachen, so willig ich auch zu
verlieren
bin, und schon 1000 fl. baar
S. 522
Capitali
en aufgeopfert habe, meine
Unwißenheit
im Handel und
2
Wandel als eine Art von
Allmosen
ansehe, die ich dem Publico schuldig
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bin –
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HE Geheime
Secr.
Mayer ist vorige Woche aus Deutschl.
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zurückgekommen und nach Curl. um vermuthl. seine Familie abzuholen. Sollte er nach
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Riga kommen, so hat er mich gebeten, ihn Ihrem Hause zu empfehlen,
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welches ich auf allen Fall vor der Hand thue. Sie kennen ihn bereits, wo ich
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nicht irre, persönlich. Er ist ein feiner, geschickter und dabey wegen seines
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Schicksals merkwürdiger Mann. Er hat mir dem
M. Masius
seine Schriften
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mitgebracht einen Gruß von Häfeli aus Deßau, der mir 2 poetische u 2
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prosaische Kleinigkeiten von dem dortigen Oberhofprediger
de Marées,
einem
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außerordentl. lebhaften Greis, an deßen Autorschaft ich ebensoviel Antheil
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nehme, als er an meiner scheint, mitgebracht. In Berl. u Deßau hält man
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unsern Herder für den Verf. der Resultate, die von einem liebenswürdigen
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Jünglinge herkommen, und ihm Ehre machen.
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HE Oberhofprediger Schultz brachte mir heute selbst vor 8 Tagen den
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III.
Theil der Michaelischen
Supplemente
ins Haus, auf die HE Jacobi
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für einen Sohn
subscribirt,
und bat mich Sie an
Rossi
zu erinnern, den ich
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mit der ersten beqvemen Gelegenheit erwarte.
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Der Wanderer Hill, dem Pfenninger den 5 Theil seiner jüdischen Briefe
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mit einem Misverständniße
dedicirt,
hat auch eine dringende Bitte an Sie,
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wegen der er schon unmittelbar an seine dortige Freunde schreiben wollte, die
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Sie aber füglicher vermittelst Ihrer Verbindungen und durch Ihren HE
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Sohn, den ich von mir herzl. zu grüßen bitte u meinem Michael,
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auszurichten imstande seyn werden. HE Comm. Rath
Wolff
hat ihm einige
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Höflichkeiten erwiesen und seine kranke Frau zu retten sich bisher vergebl. Mühe
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gegeben den
Gletscher
Spiritus
und den
Bats. Heluet. maj.
u
min.
zu
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erhalten. Die Kosten will man gern reichlich erstatten. Können Sie uns
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Nachricht verschaffen, ob und wo derselbe dort zu haben ist, oder wenn Sie
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dort hin schreiben, diese Mittel auf irgend eine gute Art hieher
expedi
ren
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laßen durch Ihre und vielleicht unsere Freunde in Zürich oder Schaffhausen
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z. E. HE Gaup, HE Steinert p so werden durch diese Gefälligkeit sämmtl.
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Interessent
en verpflichtet werden.
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Ich rechne und baue auf Ihre Freundschaft, von der ich so viel
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Unterpfänder habe.
Me Courtan
hat mir vorgestern aus Pillau geschrieben, aber
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mit ihrer Gesundheit will es nicht fort. Ich denke diese Einl. an Ihre Frau
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Gemalin abzugeben, die ich seit langer Zeit nicht gesehen habe, und noch hier
S. 523
vermuthe. Mein Gesetz ist, keinen Besuch ohne irgend ein
Geschäfte
oder
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einen Beruff dazu abzulegen.
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Montag vor 8 Tagen besuchte ich meinen ältesten u einzigen
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übergebliebnen Freund Hennings. Den Tag drauf bekommt er einen Anfall vom
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Schlage. Ich habe ihn vorigen Sonntag zum erstenmal sehen können, und
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seit dem jeden Tag in guter Hoffnung seiner Widerherstellung.
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Gott gebe Ihnen Gesundheit und seegne Sie mit eben dem überfließenden
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Maaße, das Sie mir und meinem Hause zugedacht haben. Bey ihm ist jeder
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gute Wille That, und erfüllt. Für mich auch jede Verheißung, gesetzt daß
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selbige erst auch durch die Zeit
reif
werden muß – eine Blühte, die Frucht
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bringt, oder immer die Fruchtbarkeit des ganzen Baums befördert. Mein
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Haus u die beyde Pflegtöchter empfehlen sich samt den Eltern. Ich lese
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Penzels Dion halb lachend, halb ärgerlich. Muß aber noch heute damit fertig
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werden um mir auf die Woche völlige Muße zu verschaffen. Entschuldigen
15
Sie die Eilfertigkeit eines alten Grillenfängers und Predigers in der Wüsten
16
JGH.
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Vermerk von Hartknoch:
18
Empf
d.
6
Aug
1786 beantw
d.
19
Aug
1786
Provenienz
Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 5.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 337–339.
Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 129, 149, 156.
ZH VI 520–523, Nr. 1007.
Zusätze fremder Hand
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523/18 |
Johann Friedrich Hartknoch |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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521/2 |
Tage ]
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Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: Tagen |