1022
21/8
Kgsb den 5 8t. 86.
9
Lieber HerzensFritz! Wenn Du mir auch unhold wärst – und nur der Fluß
10
aus Deinem Kopf ausgefahren ist, über den Du in Deinem letzten Briefe
11
klagtest. Mit jedem Posttage beynahe wünsche ich mir einen von Dir zu sehen.
12
Mein Letztes ist auch einen liegen geblieben, nicht aber durch meine Schuld.
13
Daß ich Arbeit siehst Du aus Beyl. die es mir unmögl. fällt beßer
14
abzuschreiben. Freund
Tiro
wird meine Hand wohl lesen können.
15
Die neuen Noten sind mit rother Dinte. Die rothe Stelle gehört in den
16
Text. Die auf den letzten Seiten sind versetzt.
17
Ich will noch die schwersten Stellen übersehen. Auf der ersten Seite: Den
18
eilften Jänner (86)
–
–
quem semper
acerbum
19
Semper honoratum, sic DI voluistis, habebo,
erfuhr ich p
20
No
14: (weil der Weihbischof
sich
schon längst in eines fremden Herrn
21
Gebiete sich aus den Preuß. Staaten entfernt hatte)
–
–
unter Pauken- 22
und Trompetenschall.
23
Die Anziehungen der Sprüche habe ich so viel mögl. in die Anmerkungen
24
verlegt.
25
Bin ich bald im stande die Fortsetzung zu überschicken: so wünschte ich, um
26
die Noten ins reine bringen zu können, nicht mit der Post sondern aus Leipzig
27
noch ein oder 2 Exempl. der 4 abgedruckten Bogen übermacht zu sehen. Warte
28
aber erst die Folge ab, ehe unser
Tiro
Anstalt macht.
29
Mein äußerl. Ansehen hat sich sehr durch die Cur gebeßert, und ich habe
30
seitdem
zugenommen
und ein runder Gesicht bekommen. Montags mit dem
31
101
Lav.
eine Halte gemacht, die mir zu lange währt. Nur mein grimmiger
32
Appetit wird durch Reisen gebrochen werden, und durch Zerstreuung des
33
Gemüths, das durch die elende Jahreszeit noch mehr leidt. Seit gestern ist der
34
Himmel ein wenig klarer, aber die Wettergläser fallen schon wider so stark
35
wie mögl. Die Wege müßen
inpraticable
seyn, und meine Einbildung
S. 22
schaudert schon, wenn ich sie mir in Gedanken vorstelle. Ich kann so wenig
2
Kälte, als eine geheitzte Stube vertragen – und diese Zwischenzeit greift mich
3
sehr an.
4
Das Berl. Blättchen schreibt schon viel von Veränderungen in unserm
5
Fach, aber nicht zu meinem Trost. Es ist also nicht blos um Urlaub, sondern
6
um meine ganze Lage zu thun, deren Veränderung ich nöthig finde
7
gegenwärtig zu erleben. Ich mag sehen wo ich will, so finde ich noch nichts, warum
8
mir etwas gereuen, oder meinen gefaßten Entschluß umstimmen könnte.
9
Unsere Erwartung beßerer Zeiten dürfte schwerl. in diesem Leben erfüllt
10
werden.
11
den 25 8
br.
12
Nach 20 Tagen bin ich im stande das Blatt umzukehren, und mache heute
13
den ersten Versuch einen Brief zu schreiben; da ich heute und besonders vor 8
14
Tagen mit Briefen von Dir, mein lieber Fritz Jonathan, erqvickt und gelabt
15
worden bin. Gottlob! daß Dein Kopfschmerz aufgehört hat; ich kenne das
16
Uebel nicht aus Erfahrung, so wüste und schwach mein Kopf ist, habe aber
17
so viel andere leiden sehen.
18
Beynahe hatte ich einen
irreparable
dummen Streich gemacht. Mich
19
überfiel den 5 d. ein Flußfieber, daß ich nicht
wider
weiter schreiben konnte.
20
Den ganzen Tag drauf lieg ich im Schlummer, behelf mich mit ein wenig
21
Habergrütze u Semmel, schlaf wider ein; befinde mich im stande gegen Abend
22
aufzustehen. Sonntags fühle mich beynahe gantz munter, bin so unvorsichtig
23
Abendbrodt zu eßen, und nehme den Tag drauf eine
Purganz
seyn ohne
an das
24
Flußfieber
zu denken, das nicht gantz nicht halb zeitig geworden war. Laß
25
mich wider gelüsten an diesem Tage, wo ich mir vorgenommen hatte
26
enthaltsam zu seyn; etwas zu eßen. Kaum bin ich fertig; so überfällt mich ein
27
Fieber, mit der Phantasey als wenn sich ein kalter Geist auf mich legte. Dies
28
war Mittags den 9. Zu meinem Glück fall ich darauf wieder in einen tiefen
29
Schlaf
e
,
der bis nach dem Dienstag gegen Abend anhielt, wo ich mich wider
30
zu ermuntern anfieng und währender Zeit scheint meine Natur die
crisin
31
glücklich überstanden zu haben. Es stand alles so still und feyerlich um mich
32
herum, daß ich mich wunderte, ohne daß ich vom Geringsten etwas wuste.
33
Man war fast für mein Leben, wenigstens für eine schwere Krankheit besorgt
34
gewesen. Ich habe mir schon einmal die Gicht durch ein unvorsichtiges
35
Aderlaßen und Flußfieber ohne es zu wißen zugezogen, und bin auch dies Uebel
36
durch den Gebrauch der
Dulcamara
zu einem gantz andern Behuf, glücklich
37
losgeworden. Nun habe ich ein ander Experiment meiner Einfalt gemacht
S. 23
das noch ärger hatte ablaufen können, durch eine
Purganz
im Flußfieber.
2
Mittwochs den 11 kam mein Flußfieber in Ausbruch mit einem Krampf u
3
Husten, der mich zum Ersticken zusammenschnürte und wieder zu zersplittern
4
drohte. Endlich bekam die
materia peccans
durch alle Schleusen ihren
5
Ausfluß. Der Graf Kaiserlingk besuchte mich und da ich mich wegen meines
6
Apparatus
entschuldigte, schickte er mir ein
Quispeldoor,
das eben zu rechter
7
Zeit kam, wie ich es am nöthigsten hatte. Ich bin wie neu geboren, seit dem
8
Sonntag im stande aufzustehen, aber so erschreckl. matt, daß ich mich noch
9
gar nicht erholen und zu Kräften kommen kann. Außer ein paar
Vomitiv
en
10
habe ich fast lauter Hausmittel gebraucht – All mein Kämpfsches
11
Embonpoint
ist verschwunden –
12
Den 14 kam der
Octob.
der Berl. Monatsschrift an, habe sie aber erst den
13
20 zum Frühstück lesen können, mit solcher
Alteration,
daß ich es wagen
14
muste
ein paar Gläser kalt Waßer zu trinken – nicht wegen des Innhalts,
15
sondern wegen der Urtheile die ich darüber gehört, und die so wenig mit dem
16
meinigen übereinstimmten. Ich glaube, daß Krankheit mehr an meinen
17
Empfindungen schuld gewesen; denn sonst ist der Innhalt dieser Schrift sehr
18
wichtig für mich.
19
Meine gantze Natur scheint sich geändert zu haben; und ich bin vollig
20
hergestellt, bis auf den Mangel an Kräften u Lebenswärme. Seit Sonntags
21
eße ich wider Fleisch; alles, was ich genieße, hat den Geschmack von
Ambrosia.
22
Mein Hunger ist nicht so unbändig; aber doch scheint meine Entkräftung
23
aus dem Magen zu kommen. Ich habe heute Glaubersches Saltz
24
eingenommen, aber ohne Wirkung. Uebrigens scheint auch diese Krankheit eine
25
herrliche Zubereitung auf meine Reise zu seyn, an die ich mit dem Anfange des
26
neuen Jahres mit allem Ernst denke;
spätestens
in Gesellschaft
27
Hartknochs.
28
Ich schreibe, lieber Fritz Jonathan alles durcheinander; denn mein Kopf
29
ist schwach und voll. Um ihn ein wenig zu wetzen, habe ich diese Woche
30
Ferguson’s History of the Fall and Termination of the Roman Republic
zu
31
lesen angefangen und bin eben mit dem
I.
Buch der Hälfte des
I Vol.
fertig.
32
Arbeiten kann ich noch nicht, und es unterhält mich auf eine angenehme Art
33
ohne Anstrengung.
34
Ich freue mich daß Du von Deinem Hauptübel erleichtert bist; im vorigen
35
Briefe blieb mir doch diese Besorgnis
in petto.
Gott gebe doch auch dem
36
lieben
Wzm.
Gesundheit; ich wünschte ihn noch gern in Deinem Hause zu
37
sehen und ihn da zu genießen. Mein Michael hat mir diese Woche einen Fund
S. 24
gemacht, den ich habe ohne es gewußt zu haben. Es sind seine Beyträge zum
2
christl. Magazin. Ich nannte ihn Resultatenschmidt u wollte dies dadurch
3
gut machen daß ich ihn in einen Prometheus verwandelte, ohne eine andere
4
Nebenidee, als seine Leiden, die er sich zugezogen. In Berlin soll man ihn gar
5
für einen
fanatischen Atheisten
halten; ich begriff dies auch nicht, bis
6
man mir erklärte, daß dort Atheisten wären alle die der Vernunft absprächen
7
das Vermögen Gott zu erkennen, u eine andere Qvelle als die Philosophie
8
suchten. Wenn er nicht darüber zu lachen im stande ist; so sag es ihm lieber
9
nicht.
10
Kant harmonirt gar nicht mit den Berlinern; sondern hat vielmehr Ursache
11
mit ihnen unzufrieden zu seyn. Eben hör ich von der Vorrede zu einem M.
12
Jacob, der ihn drum ersucht, ohne an seinem Buch weiter Antheil zu nehmen.
13
Meine Urtheile beruhen vielleicht oft auf meiner besondern Laune u Lage.
14
So laß ich Lavater über Philemon in einer Dürre der Seele, wo ich glaubte
15
alles Gefühl von Freundschaft u Erkenntlichkeit u Moralität verloren zu
16
haben. Mein Mitgefühl deßen ich fähig war, gereichte mir zum Trost, und
17
ich konnte mir selbst Rechenschaft geben von dem außerordentl. Geschmack,
18
mit dem ich für diesen kleinen Brief eingenommen war, den manche keiner
19
Stelle im Kanon werth halten.
20
Mit dem ersten Theil der Vorlesungen über das N. T. gieng es mir eben
21
so. Die beyden folgenden Theile haben nicht den Eindruck in mir gemacht –
22
aber ich unterstehe mich noch nicht zu urtheilen – und warte mit Verlangen
23
auf die Fortsetzung.
24
Meynst Du, lieber Fritz Jonathan, daß es andern beßer geht wie Dir mit
25
Deinem Christentum. Wundere Dich also nicht, daß Du allenthalben
Dein
26
eigen Elend
findest. Mit solchen Gesinnungen – hoff ich ist man nicht fern
27
vom Reich Gottes, das nicht
μετα παρατηρησεως
kommt.
Luc. XVII.
Hast
28
Du gesucht? Hast Du gestrebt? Hast Du geredt? Hast Du nichts als
29
durchlöcherte Cisternen gefunden? Nun so versuchs ein Vierteljahr mit
Stille
30
seyn und Hoffen
– um mit Deinem 45sten
stärker
zu werden.
31
Fürchtet euch nicht, steht fest, und seht zu – Der HErr wird für uns streiten, und
32
wir werden stille seyn
Exod. XIV.
Gnug auf heute
33
den 26 8
br
86.
34
Ohngeachtet meiner willigen Natur hat die Arzney gestern nur ein einzig
35
mal und spät gewürkt. Die Nacht ist schlechter als die vorigen gewesen; ich
36
habe dennoch heute zum ersten mal früher, wie bisher aufstehen können.
S. 25
Du machst mir Vorwürfe die mehrsten Puncte unberührt gelaßen zu
2
haben. Ich habe daher Deine 3 letzten Briefe von neuen durchgelesen. Die
3
Hauptsache war Deine Nachricht aus Münster, worüber Du mich auf den
4
Brief von unserm lieben B. verwiesest; den ich bisher eben so wenig darauf
5
antworten können. Was konnte ich in dem Tumult meines Gemüths darüber
6
schreiben. Es war doch alles geschehen, daß ich
Gebrauch
davon machen
7
sollte. Nur war die Frage: welchen? Gleich zu platzen, und zu fahren. Dergl.
8
Anlagen machten mich behutsamer, und achtsamer, um nichts zu verderben,
9
und mit desto mehr Anstand und Ueberlegung zu Werk zu gehen. Ich habe
10
keine Weltkenntnis u mache auch keine Ansprüche darauf; aber meine
11
Grundsätze und Empfindungen kann ich nicht verleugnen, und es thut mir nicht leid,
12
ihnen treugeblieben zu seyn. Drey Geschwüre oder 3 Pfeile stecken in mir, die
13
mir keine Ruhe laßen. Mein Urlaub zur Reise, die jetzige
Reformation,
in
14
so fern selbige auf meine ganze Lage Einfluß haben kann, und denn meine
15
leidige Autorschaft. Alle 3 hängen zusammen, wirken in einander, und
16
si
ch
nd sich im Wege. Eine
Crisis,
die nicht von mir abhängt, muß alles zur
17
Reife bringen.
18
Mir ist jetzt kein anderer Schritt übrig, als ins Cabinet zu gehen; denn
19
nach den Gesetzen muß ich unmittelbar beym Könige die Erlaubnis suchen
20
zu einer Reise aus dem Lande – Wenn ich Vortheil und Genuß von dieser
21
Reise für meine Gesundheit u Gemüthsruhe haben soll: so muß ich mit
22
gutem Gewißen
und ohne
Unruhe oder Sorgen
die Reise thun.
23
Mit dem nächsten Jahre habe ich 20 dem Könige gedient, die Hälfte als
24
Uebersetzer, die andere als Packhofverwalter. Ich habe in Ansehung meines
25
Dienstes so viel auf dem Herzen, daß ich mich nicht entbrechen kann, dem
26
Minister darüber reinen Wein einzuschenken.
Dixi et liberaui animam
27
meam.
Brahl hat diesen Schritt schon gethan, und es ist mir lieb einen
28
Vorgänger
zu haben, nach dem ich mich richten kann, und den Erfolg vielleicht
29
abwarten. Man hat seinem Vorgänger bey der letzten
Reduction
5 rth des
30
Monats entzogen, da er von allen 4
Accise
Einnehmern die gröste Arbeit
31
hat, also gegen alles Recht u Billigkeit, wie man in Berl. gantz blind aufs
32
Gerathewohl ohne Kenntnis der Sachen durchzuschneiden gewohnt ist.
33
Was meine Autorschaft anbetrifft, so habe ich zwar über d
as
ie
34
abgedruckte 4 Bogen den Stab gebrochen, aber die Sache selbst liegt mir mehr am
35
Herzen als jemals, und ich habe alle die Feuer- und Waßerproben nicht
36
umsonst ausgestanden, sondern bin desto mehr
gestählt
worden in meinem
37
Vorsatz. Ich nehme an Deinen Aufmunterungen, lieber Jonathan, vielen
S. 26
Antheil, aber den Sporn hat kein Autor nöthig, und hierinn bin ich eben so
2
sehr Autor als Mensch, und schäme mich dieses Bekenntnißes nicht. Was ich
3
mir selbst
und dem
Publico
schuldig bin, oder wenigstens für eine
4
Schuld ansehe, muß mit dem letzten Heller geleistet werden. Wie meine
5
Autorschaft einen
Anfang
gehabt, so mag sie auch ein
Ende
nehmen.
6
Lieber nichts, wie halb! Die Art, wie ich mich gegen meinen ältesten Freund
7
Herder darüber manifestirt, ist mir noch heute so heilig als denselben
8
Augenblick, da ich es schrieb; und so lange ich nicht durch beßere Einsichten überführt
9
werde, daß ich seit dem 17
Xbr.
wo ich die Feder ansetzte, in einem Taumel
10
gelebt, ohne bisher von selbigem nüchtern geworden zu seyn. Alles was ich
11
zu Anfang dieses Briefes geschrieben, gilt nicht, weil ich die Beyl. noch einmal
12
durchsehen und ins reine schreiben will.
13
Von Kants Abhandl. konnte ich damals eben so wenig schreiben bey aller
14
Mühe die ich mir gab mehr und etwas bestimmtes davon zu erfahren. Was
15
ich erfuhr, schrieb ich. Ich habe sie jetzt selbst gelesen, und bin eben so klug,
16
wie ich gewesen bin.
17
Was sie für Eindruck bey mir gemacht, hab ich Dir schon gemeldt. Kraus
18
hat mir die Kälte und den sanften Ton so empfohlen, und es verdroß mich
19
weder eins noch das andere darinn finden zu können.
20
Ich las den Sonntag vor meinem
Recidiv
Ehlers Winke mit zieml.
21
Intereße an dem Ton dieses Mannes; gegen das Ende überfällt mich ein
22
Unwille, ohne recht zu wißen wie? und warum? Ich konnte mir selbst den
23
Grund meines Verdrußes nicht erklären. Meine erste Arbeit war dies Buch
24
von neuen durchzugehen, um mir wenigstens Rechenschaft von meinem
25
Gefühl geben zu können. Es läuft alles auf die jesuitische Chicane heraus mit
26
der Zweydeutigkeit des Worts Vernunft. Ich begreife in aller Welt nicht,
27
wie so ein paar Männer wie Kant und Ehlers aus einem Ton pfeifen und
28
sich einer so niedrigen u plumpen List bedienen ihren Gegnern aufzubürden,
29
als wenn von der Vernunft die Rede, die Gottes Gabe und der Character
30
der Menschheit ist, und daß selbst
Crispus
sich durch einen solchen Schein der
31
Sanftmuth
und
Kälte
sich blenden laßen kann. So sehr diese ganze
32
Sophisterey in die Augen fällt: so schwer ist es, das rechte Ende zu finden,
33
um sie in ihrer Blöße
z
darzustellen.
34
Die Leute reden von Vernunft, als wenn sie ein wirkliches Wesen wäre,
35
und vom lieben Gott, als wenn selbiger nichts wie ein Begriff wäre.
36
Spinoza
redt von einem
Object, causa sui;
und Kant von einem
Subject, causa
37
sui.
Ehe dies Misverständnis gehoben wird, ist es unmögl. sich einander zu
S. 27
verstehen. Weiß man erst, was Vernunft ist; so hört aller Zwiespalt mit der
2
Offenbarung auf.
3
Ich kann aber darüber nicht schreiben, weil ich mir selbst noch nicht Gnüge
4
thun kann. Ich hoffe aber, werde wenigstens nicht eher ruhen, bis ich mit
5
gehöriger Deutlichkeit alle diese verworrenen Begriffe aus einander setzen kann.
6
Du erinnerst mich an
ein Versprechen, lieber Fritz, von dem
7
ich nichts weiß, Dir ein
που στω
zu geben, welches Du
8
gefor-
dert
und zwar sündiger Weise gefordert, wie ich
9
mit Mendelssohn behauptet haben soll
. Das ist auch dunkel für
10
mich, bringt meine Einbildungskraft wie Deine eigene auf und zerstreut mich
11
im hin und herdenken ohne Frucht. Wo hab ich das
Versprechen
gethan
12
und diese
Behauptung
? Stoß mich mit der Nase drauf, wenn ich bitten
13
darf; so hart, wie mögl. und erklär mir das Rätzel. Es schwahnt mir so
14
etwas, aber ich weiß nicht was? das Du nicht recht verstanden haben must.
15
Der deutsche Merkur ist noch nicht hier, und kommt sehr spät. Die
16
Gottingschen Anzeigen
in puncto
der Resultate habe ich schon besorgt.
17
Vorigen Sonnabend schickte mir Reichardts Schwager seinen
Brief an
18
Mirabeau
mit der Nachricht, daß eine Krankheit, von der er sich aber
19
schon erholt, ihn auf der Reise nach Paris überfallen und selbige rückgängig
20
gemacht hätte, und daher von ihm bis auf den Frühling ausgesetzt wäre. Die
21
ganze Anekdote vom
Frachtbriefe
verstehe ich nicht, und kann den
Witz
22
der darinn liegen soll, nicht mit Lavater reimen.
23
Ich bin diesen ganzen Nachmittag durch Besuche gestört worden, und liege
24
meiner Erschöpfung an Kräften beynahe unter. Heinse ist doch der Verf.
25
der Laidion. Ich kenne den Mann sonst weiter nicht. Dohm wurde mir einst
26
als ein sehr geitziger u eigennütziger Mann beschrieben. M Pleßing, den ich
27
hier während seines Aufenthalts kennen lernte, wuste die Höflichkeit nicht
28
gnug zu rühmen, womit er ihn in Berlin aufgenommen hatte. Sie waren
29
vermuthlich Glaubensgenoßen. Mit Müllers Bruder, der sich bey Herder
30
aufhielt, bin ich in Verbindung gewesen, die seitdem gänzl. aufgehört, wie
31
mein ganzer Briefwechsel. Er schrieb mir damals viel von seinem Bruder,
32
von der gänzlichen Veränderung seiner Denkungsart, welche in der
33
Umarbeitung seiner Geschichte merklich seyn würde. Diese neue Ausgabe ist mir
34
noch nicht zu Gesicht gekommen. Der Aufenthalt in Berlin schien ihn damals
35
gantz
impraegni
rt zu haben. Ich genieße nur ein Buch, so lang ich es in der
36
Hand habe; so bald ich es weglege, bleibt mir nichts als ein wahres Gespenst
37
übrig.
S. 28
So bald ich nur kann, werde ich an die Abschrift meiner Umarbeitung
2
Hand anlegen. Novembr u Decbr ist bestimmt Deine Bücher, Spinoza’s
3
Moral
und Hemsterhuis und die Resulltate von neuen zu lesen. Vielleicht bitte
4
ich mir im Nothfall Erläuterungen über dasjenige aus, was ich nicht zu
5
verstehen im stande bin.
6
Man erwartet hier mit jeder Post die neuen Veränderungen im
Militair,
7
womit der Anfang gemacht werden soll. Biester soll wirkl. ein
Monitorium
8
wegen St. erhalten haben, und man zweifelt hier gar an der Erscheinung des
9
Novb. welches mir unwahrscheinl. vorkommt. Daß seine Schrift mit dem
10
neuen Jahr aufhören würde, hat sich B. immer selbst prophezeyt. Auch sagt
11
man, daß nichts ins Cabinet kommen sondern alles an seine Behörde sogl.
12
gewiesen werden soll. Hippel hat auch mit dieser Post sein Geh. Raths
13
Diplom
bekommen
.
14
Hast Du des alten
Cartesi
aners sein
Cogito
erhalten. Ich vermuthe nicht,
15
daß er mit seinem
Sum
nicht fertig geworden ist. Den Meßkatalog habe auch
16
diesmal nicht selbst gelesen; mein Sohn muste mir Rechenschaft geben einen
17
Abend, da ich noch zu schwach war, selbst zu lesen. Was ich selbst sehe u lese,
18
verschlägt nicht viel bey mir, geschweige was ich blos höre.
19
Ich muß aufhören, lieber Fritz, und kann nicht mehr. Hab Gedult mit
20
meinem Geschmier, und zerstümmelten Brocken. Du wirst das fehlende
21
ergänzen, und das übrige errathen können, auch alles zum besten auslegen.
22
Ich muß schlechterdings aufhören; so erschöpft bin ich. So bald ich kann,
23
schreib ich wieder. Wenn ich auch nicht arbeiten kann, bin ich nicht müßig,
24
und ungeachtet aller Zerstreuungen, hoff ich meinen Endzweck nicht aus dem
25
Gesichte zu verlieren. Der liebe B. wird auch mein Stillschweigen recht
26
auszulegen wißen. Gott erhalte Dich gesund und alle die lieben Deinigen
Wzm
u
27
unsern
Tiro.
Mein Junge freut sich Deines geneigten Andenkens. Wir
28
werden uns mit Gottes Hülfe einander sehen – Im Schweiß Deines Angesichts
29
heißt es auch wohl; desto schmackhafter wird es seyn, und desto gedeylicher so
30
Gott will. Siehe Er ists, der die Berge macht, den Wind schafft und
zeigt
31
dem Menschen, was er reden soll
! stand heute in meinem
32
Morgenseegen und gehörte zu meinem Frühstück Amos
IV.
12. Gott sey mit uns
33
allen! Dein alter
34
απορουμενος, αλλ’ ουκ εξαπορουμενος
2
Cor. IV,
8.
35
Hans Ge. H.
36
Adresse:
37
Herrn / HErrn Geheimen Rath
Jacobi
/ zu /
Düßeldorf
. /
F
co
Wesel.
38
Vermerk von Jacobi:
S. 29
Koenigsberg den 5
ten
– 28 Oct 1786
2
J. G. Hamann
3
empf den 5
ten
Nov –
4
beantw den 10
ten
u 14
ten
–
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 288–296.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 400–408.
Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 135.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 366–373.
ZH VII 21–29, Nr. 1022.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
|
21/18 |
acerbum |
Geändert nach der Handschrift; in ZH ohne Versabsatz dahinter. |
|
21/20 |
No |
Geändert nach der Handschrift; ZH: No. |
|
21/30 |
zugenommen ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: zugenommen, |
|
21/35 |
inpraticable |
Geändert nach der Handschrift; ZH: impraticable |
|
22/23 |
seyn ohne ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: ein ohne |
|
22/29 |
Schlaf e , ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Schlaf, |
|
23/14 |
muste ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: muste, |
|
27/21 |
Witz ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Witz, |
|
28/13 |
bekommen . |
Geändert nach der Handschrift; ZH: bekommen. |