1031
60/13
Düßeldorf den 14
ten
Nov.
1786.
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Vermerk von Hamann mit roter Tinte:
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Erhalten den 25 Nov.
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Geantw den 3. 4
Xbr
– 7.
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Lieber HerzensVater, Ich habe eben eine kleine Epistel an Kleucker, u ein
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Brieflein an Buchholtz abgefertigt, u mögte mich nun herzlich gern mit Dir
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etwas beßer als am vergangenen Posttage abfinden. Da bin ich aber heute
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Morgen wieder so krank aufgestanden, daß ich nur herum gehen u da sitzen
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kann, wie ein Traum. Spalding ist gestern
übrigens
abgereist. Am
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Sonntag besuchte mich Stolz aus Bremen bey seiner Durchreise, u speiste den
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Mittag bey mir. Er kam von Zürich u brachte mir gute Nachrichten v
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Lavaters Gesundheit u seiner bald geendigten Rechtfertigung. Von diesem Stoltz
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ist jüngst ein Buch, Joseph, erschienen, das ich lesen sollte u auch zu lesen
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anfieng; es widerstund mir aber so gewaltig, daß ich gleich im Anfang
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verschiedene Mahl absetzen, u es endlich ganz weg thun mußte. Das kann
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Lavater nicht begreifen, u hält den Joseph für ein Buch aller Bücher. Ich
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bitte, sieh Du Doch auch einmahl hinein. An dem Verfaßer bin ich nichts v
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dem gewahr geworden, was mir an seinem Buch so sehr mißfällt; mir war
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recht wohl in seinem Umgange.
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Ich habe angefangen
vertrauliche Gespräche
zu entwerfen. Nach
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vielem hin u her Sinnen, u ein paar andern Versuchen, habe ich mich endlich
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zu dieser Form entschloßen. Wahrscheinlich werde ich des jüngsten Ausfalls in
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der Berliner Bibl gar nicht erwähnen. Das Ding ist zu abscheulich lügenhaft
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u verläumderisch. Die Kantisten werden mir es bald nicht beßer machen. Mir
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eckelt vor alle dem Wesen unaussprechlich. Aber ich
hoffe
der Muth soll mir
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nicht sinken, u
Ruhe
mich belohnen.
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Daß mich Dein Brief sehr erfreut hat, habe ich Dir am Freytag schon
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gesagt, aber ich muß es Dir noch einmahl sagen. Er hat mich gelabt u
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erquickt. Das Versprechen welches ich Dir vorgehalten habe, u worauf ich Dich
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nun mit der Nase stoßen soll, habe ich in Deinen Briefen aufgesucht, aber die
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Stelle die ich im Sinn hatte nicht gefunden. Ich muß die Epoche noch einmahl
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durchgehen. Es mag wohl seyn daß ich damals unrecht verstanden habe, u
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Dir nun meine Auslegung anstat Deines Sinnes anführte.
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Es ist mir ein wahrer Jammer daß Deine weite Entfernung es mir nicht
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zuläßt, Dich bey dem was ich über die Kantische Philosophie zu sagen habe,
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zu Rath zu ziehen. Mich ärgert an seinen Auslegern das geflißentliche
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Verstecken des Idealismus, der doch die Seele des Systems ist. Erh
a
ielten
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wir
d
mit den Affectionen der Sinnlichkeit, Vorstellungen von Etwas als
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einem Realen, so hätten wir zugleich damit Vorstellungen von Ursache u
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Würkung, Erklärung von Raum u von Zeit, u das ganze Gerüst v
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objectivisierten Subjectivitäten, bliebe ohne Anwendung weil das Bedürfnis
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hinweg fiel. Sage mir doch, ob Dir das nicht auch handgreiflich scheint. Nach
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meiner Einsicht sagt die Vernunft nie mehr als
idem
u
non idem.
Ihr
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principium
ist Bewußtseyn; die Dinge u der Lauf der Dinge construiren
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unsere Begriffe. Ein Turm der in den Himmel reichte, wird aber auf diese
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Weise nicht erbaut. Auch ist
ihr
das natürliche
s
Bedürfniß der Vernunft,
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nicht einen Gott zu finden, sondern ihn entbehren zu können.
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Ich weiß nicht was ich dazu sagen soll, daß Schoenborn mich u Dich ohne
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Nachricht wegen des Schwedenborgs für Hartknoch läßt. Spalding sagte, er
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hätte Bedenken getragen, ungeachtet meines ausdrückl Befehls, so viel dafür
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zu geben. Ich habe nun von neuem an ihn geschrieben. Den Auftrag wegen
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der andren Bücher habe ich meinem Freunde Schlabrendorf gegeben. Dieser
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aber hat mit 2 Freunden eine Reise ins Land bis nach Schottland
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unternommen; muß aber doch nun wieder zu Haus seyn.
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Das
Cogito
des alten Cartesianers habe ich nicht erhalten, u seitdem
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immer versäumt, mich anderwärts darnach umzuhören. Morgen will ich von
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neuem darum schreiben.
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Ich sehe mit großem Verlangen Deinem Nächsten Briefe entgegen, Deiner
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Gesundheit, Deiner Autorschaft, und der unpartheyischen Rechenschaft in der
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All. Bibl. wegen. – Die Rebekka unseres Claudius soll mit Ende dieses
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Monaths wieder in Wochen kommen, u liegt mir beständig in Gedanken.
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Lebe wohl Du Lieber. Gott mit uns!
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Dein Fritz Jonathan.
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 312 f.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 430.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 411 f.
ZH VII 60–62, Nr. 1031.
Zusätze fremder Hand
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Johann Georg Hamann |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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hoffe ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: hoffe, |