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68/16
Dußeldorf den 20
ten
Nov 1786.


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Vermerk von Hamann mit roter Tinte:

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57.  den 2
Xbr

19
Erhalten den 2
Xbr.

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Geantw den 3. 4–7


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Du lieber guter treuer HerzensVater Du!

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Ich lag gestern in meinen großen Lehnstuhl gedrückt mit starken

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Zahnschmerzen, als der Bediente zum zweyten Mahl v der Post kam u Deinen

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Brief in der Hand hatte. Er kam mir gleich so schön dick entgegen dieser

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sehnlich erwartete Brief. Ich erbrach ihn im Zweifel, ob ich ihn unter meinen

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Schmerzen würde lesen können. Ich fieng an, las eine Seite, u noch eine, u

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wieder eine, bis zur letzten. Da sah ich mich nach meinen Zahnschmerzen um,

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die waren weg. Und siehe da, ich stand auf, u gieng zu Tische. – Lieber! wie

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mir alles so werth ist was von Dir kommt! Ich spreche so oft von Dir mit

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Witzenmann,
u meiner Schwester, u Schenk – aber es ist alles nichts. Heute

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Nachmittag, da ich dem so nachdachte, u Deinen Brief noch einmahl las –

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dann wieder fort träumte, wenn Du nun würklich kämest, u ich die Treppe

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hinunter stürzte Dir entgegen – es rann mir durch Adern u Nerven daß ich

S. 69
hätte weinen können, wenn ich es nicht lieber gelaßen hätte. – Lieber Vater,

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Du mußt nur alles leiden was ich thue wenn Du kommst – Du kommst doch

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gewiß? Nicht wahr?

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Mich verlangt sehr nach dem Ausschlag Deiner Sache in Berlin. Ich habe

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gute Hoffnung, wenn nur Deine Briefe zeitig genug abgehen. Da ich Dir

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über diesen letzten Punkt nicht recht traue, so besinne ich mich hin u her, wie

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man auf allen Fall Dir ein wenig vorgreifen könnte.

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Deine Nachricht vom entlarvten Moses Mendelssohn war mir sehr

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willkommen, denn der Titel des Buchs war mir zu Ohren gekommen, ohne

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weiteres. Die Zweydeutigkeit des Titels, wie er in der Berliner Zeitung

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gestanden haben soll, hat verursacht das man wegen der Worte: von Jacobi,

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womit er endigte, in Holland vermuthet
ha
ben
t
soll
,
die
es sey eine

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Schrift v mir. Dies erzählte mir Spalding. Dohm, bey dem ich Anfrage that,

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meldete mir, daß diese Schrift vom entzopften Prediger herrühren würde.

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Du weist doch daß Zedlitz Schultzen unter den Fuß gegeben hat, dem neuen

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Könige mit dem Opfer seines Zopfs zu huldigen. Das Buch selbst erhielt

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ich gestern Abend aus Leipzig durch meinen Verleger Goeschen. Wir haben

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uns beynah gewälzt vor Lachen beym Durchlesen. Das ganze ist ein wahrer

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goldener Spiegel für die Berliner, wenn sie nur recht hinein sehen wollten.

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Doch übertrifft sie Schultz noch sehr an Ehrlichkeit. Ich bin neugierig ob man

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diese Erscheinung nicht zu einer neuen Gelegenheit machen wird, mich zu

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mißhandeln.


23
den 21
ten

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Witzenmann rief mich gestern Abend ab zu einer Parthie Biljar
t
d. Ich

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habe mich anheischig gemacht alle Tage 2 Mahl, jedesmahl eine halbe

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Stunde vor Tische dieses Spiel mit ihm zu treiben. Eigentlich ist unser Accord

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auf eine ganze Stunde geschloßen. Mich wundert daß er itzt noch nicht da ist,

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denn es hat lang 12 Uhr geschlagen … Da höre ich ihn die Treppe herunter

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kommen.


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Nach Tische

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Der ganze Morgen ist mir unter allerhand Geschäfften u Hindernißen

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verstrichen. Ich begreiffe nicht wie andre Leute die mehr zu thun haben als ich

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mit ihrer Zeit auskommen, u noch Mittel brauchen sie zu vertreiben. –

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Witzenmann hat mir seit 14 Tagen von neuem viel Sorge gemacht. Nun geht es

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wieder etwas beßer. Ich zweifle daß ich ihn aufbringe.

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Die Vorläufige Darstellung des Jesuitismus ist mir schon vor einigen

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Wochen zu Gesicht gekommen, u es wundert mich daß ich Dir nicht davon

S. 70
geschrieben habe. Jakobs Prüfung erhielt ich doppelt; von jedem meiner

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beyden Verleger ein Exempl. Ich habe dieses Buchs wenn ich nicht irre in

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meinem jüngsten Briefe an Dich gedacht. – Die Enthüllung des

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WeltbürgerSystems habe ich ganz u mit
ziemlichen
Bedacht gelesen; am Ende aber

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nicht recht gewußt, was ich vom Verfaßer u seiner eigentlichen Absicht denken

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sollte. Um mehr darüber zu sagen müßte ich das Buch noch einmahl lesen.

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Du hast mir mit den Auszügen aus
Mirabeau’s
Schreiben an Brahl ein

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sehr angenehmes Geschenk gemacht. Was dieser Franzose nur mit Reichardt

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anfangen wird? Der Landgraf v Heßen Homburg hat ja auch eine Antwort

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an
Mirabeau
drucken laßen, in französischer Sprache. Noch ist sie mir nicht

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zu Gesicht gekommen. – Vergiß
nicht
im
October
August des Merkurs

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die Resultate der Kantischen Philosophie zu lesen. Du wirst auch hier finden,

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daß Kant das Heil ist das in die Welt hat kommen sollen. Ich muß keinen

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MenschenVerstand haben, wenn die Leute nicht toll sind. Garvens Antwort

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an Nikolai war Dir wahrscheinlich auch noch nicht in die Hände gefallen. Es

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ist komisch wie Nikolai so schnell war dem Eindruck dieser Schrift durch eine

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Nachricht in den Hamburger Zeitungen zuvor zu kommen. Sie war kaum

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aus der Preße, so waren schon so viele Fragen bey ihm eingelaufen, ob er sie

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nicht beantworten werde, daß er ihrer Anhäufung u Widerholung durch eine

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öffentliche Anzeige
zuvor kommen
steuren mußte. Solche Pinseleyen darf

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man wagen, u wagt sie mit Erfolg. Die auffallendsten Inconsequenzen u

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Widersprüche, die durchsichtigste u boshafteste Gleisnerey, das eckelhafteste

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patelinage!
alles geht durch; alles gedeiht.

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Grüße
Crispus,
u vor allen Dingen meinen lieben Joh. Michael, der Dich

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öfter spazieren führen soll.

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Hast Du noch keine Lavaters Schriften durch Göeschen erhalten? Sie sind

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in der vorigen Meße an Dich abgegangen.

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Lebe recht Wohl. Ich drücke Dich an mein Herz.

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Dein Fritz Jonathan.

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 313–315.

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 430–431.

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 413–415.

ZH VII 68–70, Nr. 1033.

Zusätze fremder Hand

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–20
Johann Georg Hamann

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
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Xbr
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Geändert nach der Handschrift; ZH:
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Witzenmann,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Witzenmann
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habent […] eine]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
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ben soll
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die
es sey eine
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ziemlichen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ziemlichem
70/11
nicht
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
nicht,