1041
99/12
Vermerk von Jacobi:
e. den 11ten b. den 12–16 Febr. 1787.
13
Kgsb. den 30 Jänner 87.
14
Länger kann ich mich nicht halten, lieber HerzensJonathan! Den 3 d.
15
wurde ich durch
Dein
letztes Schreiben erfreuet und den 13 durch Deine Einl.
16
aus Münster getröstet. Je mehr ich die Standhaftigkeit Eurer Freundschaft
17
bewundere und fühle; desto mehr werd ich von meiner Unwürdigkeit
18
niedergedrückt. Kurz ich bin noch wo ich gewesen bin, und mit mir geht es nicht von
19
der Stelle. Ich habe nicht die Feder nach Berl. ansetzen können, und kann es
20
noch nicht, denn ich weiß nicht was, es mir kosten sollte. Aus Verzweifelung
21
des einen, gerieth ich auf das andere und nahm meine Handschrift vor,
22
worüber ich mich bis in die Hälfte dieses Monats wider eckel gearbeitet
23
habe und zuletzt alles aus dem Wege räumen mußte. Bey einem solchen
24
Gemüthszustande ist mir unmöglich gewesen, Dir zu schreiben. Wozu meine
25
Freunde, wie mich selbst qvälen. Für Deine Gesundheit war auch besorgt.
26
Ich glaubte daß Du auch mit Arbeit beschäftigt wärest, wozu
Deinen
beßern
27
Fortgang unterbrechen? und Dich durch meine Andenken stören. Ich glaube,
28
daß es Dir auch nicht an Unruhe fehlt. Was macht der gute Witzenmann?
29
Ich hoffe er lebt noch, und daß wir uns einander sehen werden – Bisweilen
30
möchte ich mich an seine Stelle wünschen so hatte ich wenigstens die
31
Beruhigung zu wißen, daß ich krank wäre. Nun aber ist in meiner Lage so
32
etwas lächerliches, und so etwas schauderndes, und alles läuft so
33
durcheinander – Vorigen Donnerstag lief ich nach der Stadt, besuche meinen kranken
S. 100
Freund Hennings, kam vergnügt auf meine Loge zurück, gehe zu Mittag nach
2
Hause, gerathe auf einmal in ein solches Labyrinth von Gedanken, daß ich
3
besorge von Sinnen zu kommen, setze mich ohne
Appetit
zu Tische. Man
4
giebt mir meinen letzten weißen Kohl zu eßen, aus meinem Garten, nebst
5
einem Stück Rindfleisch. Es schmeckt mir alles so gut, daß ich eben so ruhig
6
und gesund wieder werde, als ich mich vor einer Stunde in der grösten
7
Verzweifelung befand. Ich fahr den andern Tag zum ersten mal auf dem
8
Schlitten und besuche den Pf. Hippel zum ersten mal in seiner Pfarre. Ich eße mich
9
also bald gesund, bald krank. Mein
Appetit
ist
also
mir Gift so wohl als
10
Arzeney, bleibt sich immer gleich, wie mein Schlaf. Die Wellen gehen so hoch,
11
und sinken so tief, daß ich mir vornahm das Sonntags Evangelium von
12
Petri Schifflein recht andächtig zu feyern, und zum ersten mal ordentl. in
13
diesem Jahre in die Kirche zu gehen. Die Kälte war so fürchterlich, daß aus
14
der Andacht nichts als ein Schmaus wurde, von dem ich gestern den ganzen
15
Tag die Nachwehen gefühlt, und heute zu Hause bleiben muß, und diesen
16
Brief anfange, weil ich schlechterdings nicht länger mich enthalten kann, Dir,
17
mein lieber Jonathan zu schreiben.
18
Die Feyertage über habe mich nicht gerührt von meinem
Sterquilinio,
19
den 15 d. gieng zum ersten mal aus dem Hause, und habe seit dem immer
20
lavi
rt, sitze nun wider fest auf dem Strande. B. hat Recht, daß wir noch nicht
21
für einander reif sind, und wenn ich nicht eine Hand der Vorsehung ahnete,
22
die durch unsre Vorurtheile, Thorheiten und Schwachheiten regierete den
23
Gang der Dinge, und alles zur höchsten Ehre und der Menschen wahren
24
Besten lenkte: so würde ich vielleicht wirkl. in alles das Elend schon gerathen
25
seyn, das ich jetzt blos fürchte und mir einbilde. Also
manum de tabula!
26
Unser Gevatter Claudius hat mir denselben Morgen, da seine Rebecca
27
entbunden und er mit seinem
Henrich
erfreut worden es gemeldet; ich wünschte
28
ihm noch dieselbe Stunde Glück, und bat ihn bey einer so glückl. Entbindung
29
desto sorgfältiger für die Kindbetterin zu seyn, die bisweilen dadurch sicher
30
gemacht werden, und sich weniger in Acht nehmen. Gott erhalte ihm u Dir den
31
kleinen Knaben und laß ihn wohl gerathen!
Ich
Es ist mir lieb seinen
32
Namen zu wißen, warum ich ihn gebeten.
33
Eben schickt mir mein kranker Freund Hennings eine Rehkeule ins Haus.
34
Er hat
se
einen Verdruß gehabt einen Adjuncten bey seinem Dienst zu
35
bekommen, dem er viel abgeben muß, wodurch seine Umstände geschmälert
36
werden. Hartknoch hat mir nicht nur Caviar geschickt zu Ende des Jahrs,
37
sondern auch vorige Woche Haselhüner, von denen ich nicht nur meinem
S. 101
Beichtvater sondern auch
die
P
f
legmutter meiner Tochter abgeben können,
2
sondern auch vorigen Sontag einen Schmauß gab, Miltz mit seiner Tochter,
3
Crispus,
dem neuen Prof.
Hasse
und meine
Lisette
zu Gast bat.
Hasse
brachte
4
mir seine
Disput. de Orthographia Ebraeorum,
die morgen
ventili
rt
5
werden wird und eine Einl. an Herder, der sich um unsere
Academie
durch diesen
6
würdigen Mann sehr verdient gemacht hat. Mein Sohn u seine Freunde
7
haben nun Gelegenheit
Syrisch,
arabi
sch
p
und
latei
nisch zu lernen. Ich hatte
8
auf diese Einl. lange gewartet um einmal wider nach Weimar schreiben zu
9
können. Gestern war mir so elend zu Muth, daß ich aufhören muste, um nur
10
den Brief aus dem Gesichte zu bekommen.
11
So leb ich, lieber Jonathan! herrlich und in Freuden, trotz einem reichen
12
Mann, und zugl. wie ein Lazarus, der vor seiner Thür liegt und auf Engel
13
wartet, die ihn forttragen sollen, weil er weder Hand noch Fuß rühren kann.
14
Da meine Hoffnung von Post zu Posttage vereitelt ist, Etwas beyzulegen,
15
und Neues zu berichten – so begnüge Dich mit der Nachricht, daß ich noch
16
lebe, und noch immer Lust habe zu leben, so sauer es mir auch wird, weder
17
eins
noch das
andere
aufgegeben habe, weder ein wankend Rohr in der
18
Wüste, noch ein Höfling in weichen Kleidern bin, sondern sich wie ein weicher
19
Thon den Fingern seines Töpfers überläst, was er für ein Gefäß aus ihm
20
machen will – und hierinn sind wir alle
al pari
– Der Ruffer hat seine
21
Stimme in seiner Gewalt, wie ein guter Virtuos seiner Leyer mächtig ist.
22
den 17 schrieb mir Hartknoch, dem ich Deinen Extract mitgetheilt:
Da
23
die Anschaffung des
Swed.
so viel Mühe macht, so stehe ich
24
von dieser
Entrepri
se ab, um so mehr, da auch Sie
25
widerrathen. Jedoch schreiben Sie, falls er schon gekauft ist, so
26
werd ich ihn behalten
. Du kannst also ruhig seyn, lieber JJ. in
27
Ansehung dieser verdrüßl. Commission; aber die übrigen Bücher erwartet er.
28
Vielleicht wär es am besten, wenn selbige gegen die Ostermeße in Leipzig
29
sind, damit er das Geld dort expediren u das Gut zugl. in Empfang nehmen
30
kann. Du sollst künftig mit dergl. Aufträgen verschont bleiben.
31
Mit dem Ende des vorigen Jahres hatte ich einen Vorfall den ich Dir
32
umständl. mittheilen muß, weil er unsern Lavater mit angeht. Den 19
Xbr.
33
komt ein Mensch zu mir, der mir einen kleinen Brief von
unsern
Lavater mit
34
einer bescheidnen Blödigkeit überreicht, und einem Bettler ähnlich sahe. Es
35
war eine dringende Empfehlung eines
Caspar Hottingers
, sich dieses
36
Menschen anzunehmen, an alle Freunde die ihn kennten, namentl. an
37
Hartknoch in Riga, an Füeßli Freunde, wenn er selbst nicht mehr in Petersb.
S. 102
wäre, an mich in Kgsb. u an Pastor Brunner in Moskau. Ich frug ihn,
2
wie er in eine solche unglückl. Lage gekommen wäre. Er gab sich für einen
3
Sattlergesellen aus, der aus Pohlen käme, wo er durch die Treulosigkeit eines
4
pollnischen Fuhrmanns all das seinige verloren hatte, und besonders seine
5
Kundschaft, ohne die er nicht fortkommen könnte; daher er genöthigt worden
6
wäre sich mit einer andern zu versehen, welche ihm ein Freymeister, der selbige
7
nicht brauchte, gegeben hätte. Er wies mir eine aus Anspach, wo der Name
8
glaub ich Müller lautete. Die Jahreszahl war darinn radirt u geändert.
9
Lavaters kleiner Brief war Charfreytagmorgens den 14 April 86 datirt und
10
mit einer innigen Herzlichkeit geschrieben. Seine Hand so wohl als sein
11
beredtes Herz war gar nicht zu verkennen. Er gab vor 3 Jahre abwesend zu
12
seyn und nach 2 Jahren auf sein Gesuch diese Empfehlung durch seine
13
Mutter erhalten zu haben. Da ich eben so mistrauisch gegen meine eigene
14
Schwäche bin, als gegen Bettler: so war es mir nicht
mögl.
meine gewöhnl.
15
Rauhigkeit anzunehmen, sondern der Nachsatz wurde in meinem Munde
16
umgestimmt, daß der Zusammenhang mit dem Vordersatze verloren gieng und
17
meinem Sohn auffiel, der mich darnach daran erinnerte, daß ich den
18
Menschen hätte anfahren wollen. Ich bot dem Menschen ein Frühstück an, gab
19
aus meiner Armencasse, so viel selbige entbehren konnte, um wenigstens der
20
ersten Nothdurft abzuhelfen. und überlies mich gantz dem Mitleiden für
21
einen Unglückl.
Raphael
war eben bey meinen Kindern, dem ich den Brief u
22
die falsche Kundschaft mitgab, und besonders in Ansehung
dieses Punctes
23
ihm Rath zu schaffen überlies. Den Tag drauf wurde ich zu Hippel auf den
24
Mittag gebeten, glaubte blos wegen dieses Menschen, von dem er aber gantz
25
gleichgiltig sprach, mehr mit einer Mine, die mir gewaltig auffiel, als mündl.
26
sich darüber auslies, sich aber zu allem mögl. erbot. Ohne diesen Anlaß wär
27
ich gar nicht ausgegangen. Mir war nichts aufgefallen als sein schmutziges
28
Gesicht und ein Geruch von Unreinlichkeit. Ich entschuldigte dies wegen der
29
starken Källte, die ein so übel bedeckter Mensch hatte aushalten müßen, und
30
daß er aus Pollen kam, wo Wirthshäuser so elend bestellt sind, und daß ein
31
Mensch der all das Seinige verloren hätte auch gegen seinen Leib gleichgültig
32
werden könnte. Ich war so unruhig ihm einige Erleichterung zu verschaffen,
33
daß ich noch denselben Tag da ich ihn gesehen, selbst ausgehen und die
34
Herberge aufsuchen wollte um ihm wenigstens reine Wäsche zu verschaffen.
35
Meine Leute hatten Mühe mir das auszureden. Den Morgen drauf kam er
36
wider, ich hatte einige Wäsche zusammen gebracht, woran ihn wenig gelegen
37
zu seyn schien, und die er sich Zeit lies erst des Abends abzuholen. Bestellte
S. 103
ihn den Tag drauf au
s
fs Rathhaus, um dort verhört zu werden
.
Ich
2
wartete vom Morgen bis in den späten Abend, voller Ungedult, wie das
3
Verhör abgelaufen war. Er kam nicht. Endl. sah ich ihn Freytags, mit ein wenig
4
Gleichgiltigkeit. Er sagte mir daß er bis gegen 1 Uhr auf dem Rathhause
5
hätte warten müßen, und den gantzen Nachmittag bey einem Freund aus
6
Berl. hätte zubringen müßen. Der Geh. Rath hatte ihm gesagt, daß er durch
7
mich den Bescheid des Raths ihm zufertigen sollte. Sonnabends kam er wider,
8
ich hatte nicht Herz ihn zu sehen u ließ ihm sagen daß ich nichts bekommen
9
und er nach den Feyertagen vorsprechen sollte. Hill mit meinem Sohn hatte
10
ich in die Herberge geschickt, wo er auch hatte räumen müßen, wegen seiner
11
Unreinlichkeit wo er mit der Bezahlung groß gethan und von 2
12
Reisegefährten kein gutes Zeugnis mitgebracht hatte. Hill wollte nicht mit der Sprache
13
heraus, mein Sohn war draußen stehen geblieben. Ich konnte den
14
ungewaschnen
p
Menschen nicht mit dem Zeugniße des Lavaters räumen. Was
15
uns allen auffiel, war daß seine Aussprache gar nicht schweitzerisch war, und
16
selbige doch so schwer zu verleugnen ist. Hill der ihn in dieser Mundart
17
anredete erfuhr nur daß er in Zürich gewesen seyn müste. Den 27 sah ich ihn
18
zum letztenmal, wo er mir meldete einen Paß u Kundschaft nebst 2 rth zum
19
Reisepfennig erhalten zu haben. Weil ich nicht ausgehen konnte, war es mir
20
nicht mögl. selbst Erkundigung seinetwegen einzuziehen. Er sagte mir daß
21
er nach Danzig gehen wollte; ich rieth
ihn
vorsichtiger zu seyn, und
22
vermuthete ihn noch einmal wieder zu sehen, wo ich ihm den Zedel von Lavater
23
abgenommen haben würde. Am Neujahrstage besuchten mich Hippel u
24
Scheffner. Ich dankte dem ersten und klagte ihm meinen Verdacht, und wie
25
sehr ich wünschte, daß dieser Betrüger wenigstens den Brief von Lavater
26
auszuliefern genöthigt würde. Er wollte deshalb bey dem Gewerke, und bis
27
nach Danzig Vorkehrungen treffen, da er viel Mühe gehabt eine Kundschaft
28
für ihn aus zu wirken. Ich habe seit dem nichts mehr gehört, nach Riga
29
deshalb geschrieben wenn er sich bey Hartknoch melden sollte, und bin eben nicht
30
so bekümmert wegen der Kleinigkeiten die ich meinen Freunden abgelungert
31
und wegen der Luftschlößer, die ich auf diesen Betrüger gebaut, als wegen
32
des Misbrauchs, dem Lavaters Name ausgesetzt ist, und weil ich nicht wißen
33
kann, wie der Kerl zu dem Briefe gekommen. Das
Falsum
mit der
34
Kundschaft fiel mir ebenso gut als Hippel auf, aber an dem andern
Falso
hat
35
keiner von uns beiden gedacht, und daß der Brief auf diesen Menschen nicht
36
gestellt gewesen seyn kann. Schreiben Sie doch bey Gelegenheit an Lavater,
37
ob er nichts von
diesem
seinem
Hottinger
weiß, und ob er auch wirklich
S. 104
ein Sattlergesell gewesen. Kaum war ich diesen Menschen loß, so besucht
2
mich ein
getaufter Jude, der ehemals
Elkana
hieß, einer der besten Zuhörer
3
von Kant war, und rasend wurde.
Die Nation schaffte ihn nach Berlin. Er
4
kam nach Holland, wo ein Prediger der sich auch einen Freund des Lavaters
5
nannte, seinetwegen an mich schrieb, ohne daß ich nöthig fand darauf zu
6
antworten. Dieser unglückl. Mensch komt jetzt aus Engl. zurück. Ich wurde
7
ihn aber bald los und habe ihn seit dem nicht gesehen noch viel Guts von ihm
8
gehört. Er hat sich damals bey seiner Krankheit meiner nicht erinnert, so
9
manche er auch durch seine Besuche erschreckt; und ich hoffe, daß er mich auch
10
jetzt vergeßen wird,
weil mir sein neuer Glaube so verdächtig, als seine
11
widererlangte Gesundheit vorkommt.
Unser Mathematikus der Hofprediger
12
Schultz und seine Frau soll sich dieses Proselyten desto eifriger annehmen,
13
daß also für ihn gesorgt ist. Vorige Woche hatte ich eine eben so unerwartete
14
Erscheinung von meinem gewesenen
Pensionair
Lindner, der aus seinem
15
Gefängniße losgekommen, seine Jugend verloren und nur auf Erlaubnis seines
16
Vaters wartet um Soldat oder Husar zu werden. Leider witziger aber nicht
17
ein Haar beßer geworden durch eben so traurige als schändl. Erfahrungen,
18
wie es mir scheint. Gott gebe, daß ich irren möge!
19
Durch dergl. Auftritte werde ich immer gerüttelt und geschüttelt, daß ich
20
Zeit nöthig habe mich wider zu sammlen und ins Gleichgewicht zu kommen,
21
weil ich mich in Allem spiegele u vor mir selbst erschrecke.
Mit Kr. Deutsch
22
habe bey Hippel gespeist, und die Klage des Stark erhalten, die er beym
23
Kammerger. in Berl. eingegeben. Sie war lang und weitläuftig gnug. Den
24
10 d. soll das Urtheil ergangen seyn, welches ich auch zu erhalten hoffe.
25
Beym Namensvetter Jacobi habe ich mit Kant gespeist, der seine eigene
26
Haushaltung anlegen will und damit den Kopf voll hat.
Crispus
wird sein
27
Gesellschafter seyn. Das drittemal bin in meinem eigenen Hause zu Gast
28
gewesen, und bin immer mit verdorbnen Magen aber unermüdeten Appetit
29
davon gekommen. Scheffner ist seit Weynachten u Neujahr wider hier
30
gewesen. Ich habe ihm meinen Gegenbesuch einen Morgen abgelegt, weiter
31
haben wir uns einander nicht gesehen. Mit meinem Sohn lese alle Tage im
32
Quintilian
u
Telemaque.
Wir sind in beyden bis auf die Hälfte, und eilen
33
zu Ende zu kommen. Semlers Unterhaltungen mit Lavater habe zweymal
34
nach einander durchgelesen
35
Bey meinem ersten Ausgange in diesem Jahre sprach ich auch bey Kant
36
an, der eben an seiner neuen Ausgabe der Kritik arbeitete und sich beklagte,
37
daß ihm selbige schwer würde. Die Woche drauf ist die Handschrift
S. 105
abgegangen. Aus den Zeitungen habe ersehen, daß selbige mit einer Kritik der
2
practischen Vernunft vermehrt werden wird.
Daß Born an einer lateinschen
3
Uebersetzung arbeitet werde ich wohl schon gemeldet haben.
Ich habe nichts
4
als eine Vorrede zu
Riccii Epist. Homer.
gelesen, die in einem sehr guten
5
Ton geschrieben war und seine
Disp. de Notione
Existentiae
von 85
6
die mir Kant mitgetheilt, u von der ich auch schon werde geschrieben haben.
7
Aus Riga hörte, daß Reichardt zu Weynachten in Weimar gewesen
8
wäre
.
Er schrieb mir früher bey Dir zu seyn, wo er nichts von mir
9
gefunden. Er hat alles von seiner Seiten gethan; daß ich nichts habe thun können
10
– Da es mir unmögl. fiel nach Berl. zu schreiben, nahm ich das
11
Spinozabüchlein vor, kam bis auf das Gleichnis des Tief- und Scharfsinns, zerbrach
12
mir den Kopf über die Sennen und Halbmeßer, muste abbrechen und konnte
13
nicht weiter kommen, geschweige meinen übrigen Plan bis auf
Hemsterhuys
14
u
Spinoza
ausführen – machte mich an meine Arbeit, wo es nicht beßer
15
gieng, sondern ärger – – Das ist meine ganze Geschichte, worüber
1
/
12
dieses
16
Jahres bereits überstanden, doch wie ich hoffe, nicht ganz verloren ist. Bleibt
17
mir also nichts übrig als warten, bis der Wind aus dem rechten Ende blasen
18
wird. – –
19
den letzten Jänner Gottlob!
20
Ich bekam einen Besuch, ohne geraucht noch mitgetrunken zu haben, weil
21
ich ordentl. erst mit 8 meine Abendpfeife u
Bouteille
– überfiel mich eine
22
unwiderstehliche Schläfrichkeit, daß ich was ich konnte zu Bett eilen muste.
23
Dafür desto früher aufgestanden, das
VI.
Buch des
Quintil
zu Ende gebracht
24
u das
XV.
u
XVI
des
Telemaque.
Dies Buch ist mir in meiner frühsten
25
Jugend so vereckelt worden, daß ich
es
erst jetzt zum ersten mal gantz lese.
26
Mein Vorleser, dem Homer und Sophokles noch warm ist, hat Vortheile
27
für mich, die mir damals fehlten, und eben so jetzt verraucht sind. Dem
28
ohngeachtet hat mich die Erzählung des
Philoctetes
bis zu kindischen
29
Thränen gerührt und das ehrwürdige Licht, in dem Ulysses sich zeigt bey allen
30
seinen Betrügereien. Ohngeachtet ich keinen Brief von Dir erwarten darf,
31
wird er bey Fischer ansprechen.
32
Gott gebe, daß Du dies Jahr so beschließen mögst, wie ich es angefangen
33
habe. Mein jüngstes Mädchen Marianne Sophie hatte des Morgens den
34
ganz unerwarteten einzigen und eigenen Einfall mir eine glückl. Reise zum
35
Neujahr zu wünschen. Ich frug sie, ob sie mich gern aus dem Hause haben
36
wollte – Sie meynte aber nicht, daß diese Ursache den Wunsch ihr eingegeben
37
hätte.
S. 106
Erfreue mich bald mit guten Nachrichten von Deiner eigenen Gesundheit
2
und der Deinigen, die Gott erhalten u seegnen wolle. Mein herzliches
3
Andenken an Deinen kranken Freund und Hausgenoßen. Unserm
Tiro
hätte
4
gern wider ein wenig in seine müßigen Stunden Eingriff gethan. Aber dem
5
Himmel sey Dank, daß es nicht geschehen ist, so nahe ich auch einem
Recidiv
6
war. Das Autorfieber ist leichter zu vertreiben, als von Grund aus zu heilen.
7
Wie geht es mit der Ausgabe des
Alexis?
Möchte Dir Gösche nicht den
8
Verf. des Weltbürgersystems verrathen; ich verspreche mit diesem
9
Geheimnis sehr vorsichtig umzugehen. Hippel ist viel dran gelegen, aber er soll es
10
nicht erfahren, wenn Du es nicht erlaubst. Unter allen Urtheilen die ich
11
gelesen und gehört, stimmt keines mit meinem.
Der goldene Hahn
hat mir
12
den Kopf eben so warm gemacht, trotz der Blasphemien u
pp
an denen sich
13
die
böse und ehebrecherische Art
unseres Zeitalters so sehr ärgert.
14
– Es wird Dir leichter seyn als mir selbst dem Alcibiades meine Schande und
15
den
infandum dolorem
darüber ihm
selbst
mitzutheilen. Ich habe Dir
16
treue Rechenschaft gegeben, und werde kaum imstande seyn noch nöthig haben
17
ein neues Blatt anzufangen. Habe Gedult mit Deinem alten schwachen
18
aber treuen
19
Johann Jürgen –
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 318–321.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 445–454.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 6: Januar bis November 1787. Hg. von Jürgen Weyenschops, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2012, 10–17.
ZH VII 99–106, Nr. 1041.
Zusätze fremder Hand
|
99/12 |
Friedrich Heinrich Jacobi |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
|
99/12 |
e. […] 1787.] |
Hinzugefügt nach der Handschrift. |
|
99/15 |
Dein ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: dein |
|
99/26 |
Deinen ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: deinen |
|
101/1 |
die ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: der |
|
101/3 |
Crispus, |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Crispus, |
|
101/3 |
Lisette |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Lisette |
|
101/3 |
Hasse |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Hasse |
|
101/3 |
Hasse |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Hasse |
|
101/7 |
Syrisch, ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Syrisch |
|
101/11 –13
|
So […] kann.] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
|
101/14 –21
|
Da […] ist.] |
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert; Z. 20–21 „Der Ruffer […] mächtig ist.“ zusätzlich unterstrichen. |
|
101/23 |
Swed. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Swed. |
|
101/33 |
unsern ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: unserm |
|
102/14 |
mögl. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: möglich |
|
103/21 |
ihn ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: ihm |
|
104/2 –3
|
getaufter […] wurde.] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
|
104/10 –11
|
weil […] vorkommt.] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
|
104/19 –21
|
Durch […] erschrecke.] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
|
105/2 –3
|
Daß […] haben.] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |