1045
114/5
Düßeldorf den 27
ten
Febr
1787
.
6
Vermerk von Hamann (Erhalten-Vermerk und Nummerierung mit roter Tinte, Antwort-Vermerke mit schwarzer):
7
den 10
Martii
No
60
8
Geantw.
eod.
11, 12 –
in folio
9
widergeschrieben den 15, 16 – in 4
to
19 – in 8
o
27 – d
o
10
Unser Wizenmann hat ausgelitten. Er starb am 22
ten
, Nachmittags
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zwischen 3 u 4 Uhr. Ich verlies ihn den 20
ten
, um die Fürstinn v Gallitzin u
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unsern Buchholz, die um unsern Wizenmann noch einmahl zu sehen, u um
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mich aufzurichten (letzteres war vornehml Buchholzens Absicht) nach
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Mühlheim gekommen waren, bis in mein Haus zurück zu begleiten. Witzenmann
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war schon so gut als todt, aber nicht ohne ein tiefes
allein Leiden
, das
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einem durch die Seele gieng. – Ich weiß nicht mehr was ich Dir am Freytag
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vor 8 Tagen geschrieben oder nicht geschrieben habe. Könnte heute auch nichts
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nachholen. – Ich habe eine tiefe tiefe Schwermuth an diesem Sterbebette
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geholt. – Meine Schwester Helene blieb bey meinem sterbenden Freunde.
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Er konnte sie keinen Augenblick in diesen letzten Tagen entbehren. Dienstag
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Nachmittag um 3 Uhr gab sie ihm zum letzten Mahl zu trinken u höhte ihm
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die Küßen. Darauf gieng sie ins Neben Zimmer um an einem offenen Fenster
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sich die frische Luft anwehen zu laßen. Nach etlichen Minuten trat sie wieder
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zum Bette, u fand ihren Freund in derselben Stellung wie sie ihn verlaßen
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hatte, todt. Etwas Athem schwebte noch um seine Lippen, u nun drückte er die
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Augen vollends zu.
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Einliegend sein letzter Wille, mit einem Umschlage, wie er mirs den 17
ten
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da ich bey ihm war versiegelt zustellte. Er gab mir damahls auch einen Brief
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v seinem Vater einem Tuchwürker zu lesen, den ich Dir ebenfalls in
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Abschrift schicke.
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Wie der Arme gerungen hat! – O daß ich dies Ringen, das vergeblich
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Ringen
ohne nachzulaßen
nicht gesehen hätte!
S. 115
Buchholz ist den ganzen Donnerstag hier bey mir geblieben. Wir werden
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uns einander gegenseitig immer lieber. Seine Begierde daß Du kommen
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mögest ist unaussprechlich.
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So bald ich kann schreibe ich wieder. Behalte mich lieb.
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Dein Fritz Jonathan
Dem Brief lagen bei, bzw. sind bei der Sammlung des Hamann-Jacobi-Briefwechsels wieder beigefügt worden:
1. Das Testament Thomas Wizenmanns, Original; Provenienz: ebd.
S. 525
Mein letzter Wille
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Mein letzter Wille hienieden, besteht kurz darinn,
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1 Hr. Fr. Jacobi ist der Erbe aller meiner schriftlichen Sachen,
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worunter besonders und vorzüglich
a
)
der Entwurf über
5
Matthäus,
b
)
die biblische Geschichte, wovon Hofmann Bericht geben
6
kann,
c
)
die Schriftchen über die Triebe des Menschen
d
)
und
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ein unvollendeter Aufsatz über Kants Orientiren begriffen sind.
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Es kann und soll aber nichts davon gedruckt werden, so lange
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die groben und vielen Fehler in allen diesen Schriften nicht
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sorgfältig ausgemerzt sind. Doch bitte ich diese Schriften, auf
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Verlangen, meinen Freunden zu leihen.
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2 Meine Freunde HE. Schenk und Hofmann, ersuche ich besonders,
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meine Bücher, die theils hier, theils in Barmen sind, zu
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verauktioniren, und das Geld, wenn etwas übrig bleibt, meinem armen
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Vater zu übermachen.
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3 Meine Kleider und Wäsche bitte ich gelegentlich,
so wie sie
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sind
, meinem Vater zu übermachen, weil er sie viel vortheilhafter
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brauchen kann, als wenn sie um Geld verkauft würden. Die
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übrigen Sachen, z. E. Uhr, Schnallen etc. gehen gleichfalls an
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meinen Vater und an meine Geschwister
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4 Von meinem Tode wird Hr. M. Hausleutner in Stuttgard
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sogleich Nachricht gegeben, der es dann meinem tief verwundeten
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und trostlosen Vater berichten, und überhaupt gern der
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Unterhändler in meinen Angelegenheiten seyn wird.
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Düßeldorf am 17
ten
Dec. 1786
26
Thomas Witzenmann
27
Magister der Philosophie.
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Auf der Rückseite:
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Nach meinem Tode von dem geh. R. Fr. Hr.
Jacobi,
in Gegenwart
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Meiner Freunde Schenk und Hofmann zu erbrechen.
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Darunter von Hamann:
ad No 60a.
2. Thomas Wizenmann (Vater) an Thomas Wizenmann (Sohn), 9. Januar 1787, Abschrift Hamanns; Provenienz: Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035:
525/33
Mein theurer lieber Sohn
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Mich jammern Deine Umstände, weil es aber Gottes Sachen
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sind und wir nicht in den Rathschluß Gottes hineinsehen, so wollen
S. 526
wir als die wahren Streiter dem HErrn Jesu nachahmen, unser
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Kreuz auf uns nehmen, im leben, leiden und sterben; und wenn
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wir einander in dieser Welt nicht mehr sehen, so werden wir doch
4
einander in der Ewigkeit antreffen, wiewohl ich wünschte Dich
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noch einmal zu sehen. Halte Dich eben an Jesum, so wirst Du
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wahres Vergnügen zu Deiner seeligen Ruhe bekommen. Du
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darfst glauben, daß Deine Mutter und Geschwister so geweint
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haben, daß mans nicht mehr hat trösten können, bis sie
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ausgeweint haben. Wann es Dir recht ist, daß ich Dich noch besuchen
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soll, will ich zu Dir kommen. Sag mir auch was ich mit Deinen
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Büchern machen soll. Jedermann läßt Dich grüßen, und wünschet
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Dir ein langes Leben. Was mich anbetrifft, bist Du mir immer
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ein Jonathan gewesen, und bists
noch.
Ich behalte Dich lieb bis
im
mein
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Grab, und ich wollte gerne, ich könnte mein Leben ums Deine geben.
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Doch was wäre es? Etliche Jahren wären bald verloffen, dann käme die
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Reihe doch an Dich. Ich nehme also Abschied über Leben und Tod; laß es
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Dir nicht bang seyn aufs sterben; es ist eine kleine Uebergab, so
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sind wir daheim.
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Ich verbleibe
Dein getreuer Vater
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Ludwigsburg, 9
ten
Jan 1787.
Thomas
Wizenmann
.
21
Aus unserm Gebet kommst Du
nicht
3. Thomas Wizenmann an Friedrich Heinrich Jacobi: 26. Januar 1787, Provenienz: Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
526/31
Mühlheim am Rhein den 26
ten
Jan. 1787
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Also das letzte Lebewohl, lieber Fritz und Ihr, meine
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Schwestern! Wie sehen uns wieder!
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Ich habe weiter nichts, gar nichts zu sagen, als
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1) daß wenn etwas von meinen Sachen gedruckt werden sollte,
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in Ansehung des Ertrags, ja auf meinen armen Vater mit
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sechs Kindern, die er kaum ernähren kann, Rücksicht
S. 527
genommen werden möge. Hausleutner übernimmt alle
2
Correspondenz.
3
2) Diesem meinem ältesten Freund Hausleutner, wünschte ich,
4
daß mein Englisches Federmeßer, daß ich hier habe, die
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Englischen Bleystifte und Lottchens Schreibtafel überschickt
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würde.
7
3) Sie, und Ihr Schwestern! ich kann euch nichts anbieten.
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Aber nehmt Euch ein Andenken, wenn ihr eins findet.
9
4) Hofmann und Schenk wählen sich auch eins
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Wie oft habe ich dem Tod mit Freuden entgegengesehen!
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Aber die langsame Abtilgung meines Lebens – ach, ich habe oft
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fürchterlich gerungen!
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Umarmung an alle: Fürstenberg, Prinzeßin, Aachen,
14
Spalding – und wie soll ich sie alle nennen können?
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Und Du HerzensFritz, lebe muthig vor Gott und in Gott. Es
16
ist eine andere Welt!!!
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Ewig, Ewig
18
Euer
19
Thomas Witzenmann
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Du berichtigst doch alles was ich schuldig bin.
21
Auf der Rückseite:
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In einer verworrenen Stunde
geschrieben
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Nach meinem Tode von meinem Ewig-Geliebten und verehrten
24
Jacobi zu
erbrechen.
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Vermerk von Hamann mit roter Tinte:
ad No
60
c.
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 323.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 455.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 6: Januar bis November 1787. Hg. von Jürgen Weyenschops, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2012, 35 f.
ZH VII 114–115, Nr. 1045.
Zusätze fremder Hand
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/ |
Johann Georg Hamann |
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/ |
Johann Georg Hamann |
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114/7 –9
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Johann Georg Hamann |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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114/5 |
1787 ]
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Neben dem Datum von fremder Hand notiert: Witzenmanns Tod |
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114/7 |
Martii |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Martii |
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525/4 |
a ) ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: a) |
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525/5 |
b ) ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: b) |
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525/6 |
c ) ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: c) |
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525/6 |
d ) ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: d) |
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525/29 |
Jacobi, |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Jacobi, |
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526/13 |
noch. ]
|
Geändert nach der Handschrift; in ZH Absatz. |
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526/13 |
im ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: in |
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526/20 |
Wizenmann ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Witzenmann |
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526/21 |
nicht ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: nicht. |
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527/22 |
geschrieben ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: geschrieben. |
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527/24 |
erbrechen. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: erbrechen. – |
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527/25 |
ad No 60 |
Geändert nach der Handschrift; ZH: (ad N: 60) |