1049
128/2
den 22 März 87.
3
Nun mein Herzenslieber Jonathan! Noch ein paar Zeilen nebst einer
4
kleinen Beyl. von der noch mehr gilt als von der vorigen, daß
f
alles noch
5
roh ist. Ich habe das Ende des letzten nicht auffinden können, und weiß nicht,
6
ob Zusammenhang seyn wird.
7
Ich hoffe nun bald den Hügel erstiegen zu haben, und wünsche durch Deine
8
Erinnerungen
Hülfe
. In meinem armen Kopfe sind so viel
9
Bienenschwärme. Auf die Woche denke wider auszugehen, und Luft zu schöpfen. Ich
10
schmachte nach guten Nachrichten von Dir u den Deinigen. Den gantzen
11
Nachmittag Besuche gehabt, endl. einmal von meinem lieben
Crispus,
unserm
12
gewesenen und wahrscheinlich neuen Buchhändler Wagner mit dem Auftrage
13
aus dem Kayserlingschen Hause eine Münzen
inscription
zu machen. Was die
14
Leute sich für wunderl. Grillen von meinem
Savoir faire
machen. Ich
15
verstehe nicht ein lebendiges Wort von allem dem, was
man
mir zumuthet.
16
Darnach kam HE Mayer, der am Sonntage mit wenig Beyfall gepredigt
17
hat, und zu einer sehr dürftigen
P
Dorfpfarre künftige Woche eingeweyht
18
werden wird.
19
Gestern kam die Brahlsche Familie zum Besuch, und was ich in 20 Jahren
20
nicht gethan, es gelüstete mich Lombre zu spielen, und hatte das seltene Glück
21
einige Groschen zu gewinnen. Ich aß zum ersten mal während meiner
22
Krankheit Abendbrodt mit eben so wackerm
Appetit,
als wenn ich keinen reichen
23
Mittag gehabt hätte, und habe eine recht gute Nacht darauf gehabt.
24
Heute bekomme einen
Aviso
Brief aus Lübeck, daß das von Hartknoch für
25
meine mittelste Tochter bestellte
Clavier
wirkl. schon unterwegs ist, ohne daß
26
ich aus dem ganzen Handel klug werden kann.
27
Das Lesen wird mir schon bey Licht ein wenig sauer, geschweige zu
28
schreiben. Wenn ich mit dem ersten Drittel meines Geschmiers fertig bin, mache ich
29
Pause. Lohnt es
Deiner Mühe
, und
thut es Dir
Gnüge
;
so muß
30
ich schon so unverschämt seyn um eine Abschrift Dich zu bitten, weil es mir
31
nicht möglich ist, aus meinem eigenen Wust klug zu werden. Jedesmal wenn
32
ich abschreibe, ist was zu ändern, und das geht
in secula seculorum;
daß ich
33
zuletzt nicht mehr aus noch ein weiß. Aber an eine
Abschrift
wird nicht
34
eher gemacht, als
bis
punctum
mache
, und wenigstens mit dem Titel
35
meiner Autorschaft fertig bin.
Crispus
lacht auch mit Eckel über seine
S. 129
Meinersche Recension, die ihm so sauer geworden ist. Darinn besteht aller Lohn
2
unsrer Arbeit, daß man zulezt über sich selbst lacht.
3
Vielleicht schicke ich Dir bald das
Final
des ersten Theils – und arbeite an
4
dem zweiten, während Du Dich mit der Durchsicht qvälst. Gott gebe, daß ich
5
selbige dort unter Deinen Augen vollenden kann, und unter Deinem Dache p
6
in der leeren Stube des seel. Freywilligen.
7
Gott gebe Dir Gesundheit und Muße mir bald zu schreiben. Mein
8
Vorrath zum Briefe ist kümmerlich und von keinem Belange. Dein alter treuer
9
Johann Georg unter tausend Grüßen und Wünschen.
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 467 f.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 6: Januar bis November 1787. Hg. von Jürgen Weyenschops, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2012, 49 f.
ZH VII 128 f., Nr. 1049.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
|
128/29 |
Gnüge ; ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Gnüge : |