1054
134/23
Ostern! den 8 Apr 87. im Bette

24
Gottlob! daß Du gesund bist, Herzenslieber Bruder Jonathan! Ich

25
erwartete mit dem lezten März eben die Freude, welche ich den letzten Febr.

26
erlebt hatte, und war deswegen besorgt theils Deine
r
Gesundheit wegen,

27
theils meiner selbst wegen, daß ich Deine Zufriedenheit gestört haben möchte,

28
und Dich in Verlegenheit gesetzt hätte. Aber die Treue und Gedult meiner

29
Freunde mit meinen Thorheiten und Unbesonnenheiten ist mir selbst

30
unbegreiflich. Ich richtete mich damit auf, daß Du mit Arbeit überhäuft wärest;

31
aber auch dieser Trost war mit einem unangenehmen Gefühl meiner eigenen

32
Unthätigkeit vermischt. Ich warte noch immer auf unsern neuen
Etat.
Man

33
hört eben so wenig Gutes als vom neuen
Tarif.

S. 135
Von meinem geschwollenen linken Fuß habe ich bisher weiter keine

2
Unbeqvemlichkeit gehabt, als daß ich in meinen weiten Reisestiefeln, die mir

3
Hartknoch schon vorige Ostern gab, habe herumtappen müßen wie ein Tantzbär.

4
Scheffner hat mich weidlich ausgelacht. Ich speiste vorigen Dienstag mit ihm

5
– Man vermuthet sich eine Fortsetzung der Lebensläufe. Wie mir alles ein

6
Wunder ist: so auch dies ein Geheimnis, wie Hippel bey seinen Geschäften

7
an solchen Nebendingen denken kann, und wo er Augenblicke und Kräfte

8
hernimmt alles zu
bestreiten
,
Er ist Bürgermeister
Policey
director,

9
Ober
criminal
richter, nimmt an allen Gesellschaften, Journalen Antheil, pflanzt

10
Gärten, hat einen Baugeist, sammelt Kupfer, Gemälde – weiß
luxum
u

11
Oeconomie
wie Weisheit und Thorheit zu vereinigen. Scheffner giebt sich

12
auf dem Lande als Kirchenvorsteher mit Projecten
à la Rochow
ab, wird von

13
seinem Freunde deshalb geschroben und geneckt, lacht selbst darüber mit. Der

14
Gang dieser Leute ist eben so sonderbar als ihr Ton. Was ich für eine Figur

15
zwischen ihnen vorstelle, weiß ich selbst nicht. Es scheint, daß wir uns einander

16
lieben und schätzen, ohne uns recht zu trauen. Sie scheinen gefunden zu haben,

17
was ich noch suche. Mit allem Kopfbrechen geht es mir wie dem
Sancho

18
Pancha,
daß ich mich endlich mit seinem
Epiphonem
beruhigen muß: Gott

19
versteht mich!

20
Gestern habe ich bey aller Freude über Deinen Brief in Schmerzen

21
zugebracht, weil ich meinen Fuß durch zu enge und zu dicke Bekleidung gereizt

22
hatte, zu der mich Artzt und meine Freunde anriethen, wegen eines

23
Durchfalls, den ich über acht Tage gehabt, und wegen meiner weiten Stiefel. An

24
einem waßersüchtigen Uebel ist nicht zu denken. Die Schwulst ist blos im

25
Gelenke des einen Fußes. Eine Frühlingscur wird alles heben. Miltz weyht

26
heute seine neue Wohnung ein, und hat mein ganzes Haus dazu eingeladen. –

27
Ich wollte schon gestern antworten. Dein erwünschter Brief fand mich

28
aber über eine Arbeit, die ich gern los seyn wollte, ohne daß es mir möglich

29
war abzubrechen. Die ganze Grille besteht darinn,
Mori
zweyte Ausgabe von

30
des
Isocratis Panegyr.
mit der alten zu vergleichen, diese besitze ich selbst,

31
jene hatte mein Sohn geliehen. Es wurde schon finster, und zum Glück muste

32
ich Feyerabend machen, weil Brahl kam. Er hatte mir kurz nach Empfang

33
Deines Briefes den Nathanael von unserm lieben Lavater zugeschickt. Ein

34
paar Abend vorher erhielt ich das 2 Heft seiner Rechenschaft nebst der

35
verzweifelten Metaphysik des Oberreits, wo ich schon auf das
Museum

36
aufmerksam gemacht wurde, und es mir
ad notam
nahm. Wer ist der alte

37
Schweitzer oder
Herausgeber?

S. 136
Lavaters Rechenschaft ist ein Meisterstückseiner Beredsamkeit und vollen

2
Herzens – bis auf einige wenige Stellen, wo er leider! in meinen Fehler fällt

3
mehr zu sagen, als nöthig und nützlich ist für seine Freunde und Feinde.

4
Ich habe es zehnmal auf der Spitze meiner Feder gehabt Dich um

5
Verzeihung zu bitten wegen meines Misverständnißes
in puncto
des Philemons.

6
Ich habe schon längst Deinen Brief deshalb nachgesehen, und gefunden, daß

7
die Schuld an mir liegt etwas gelesen zu haben, woran Du nicht gedacht hast.

8
Aber herzlich lieb ist mir dies
Geschenk von Deiner Hand
; und ich

9
wünschte nur auch einmal ein nützlicher Onesimus Dir zu werden. Gott wird

10
meine tägl. Wünsche deshalb erhören; denn es ist eine traurige Lage, ein

11
unnützer Knecht zu seyn bey einem guten Willen keine Kraft, keinen Einfluß der

12
Lebensgeister zu fühlen, und die Seeligkeit der Armen am Geist zu glauben

13
und zu hoffen. Es schlägt 8 Uhr und ich will aufstehen – Herausfahren kann

14
ich nicht mehr – – – ich weiß nicht, wie mirs heut wird gehen –


15
den 9 im Bette

16
Bunter, wie ein Osterey, wurde der gestrige Tag für mich. Mutter und

17
Sohn giengen jeder in ihre Kirche, jene den Oberhof – dieser den

18
Hospitalprediger
Fischer
zu hören. Ich las meinen kleinen Mädchen. Im May 77

19
schenkte mir Lavater Hahns Postille, an der ich 10 Jahre unermüdet fortlese

20
und dem Geber bisweilen laut danke, weil ich dieser kleinen Postille wirkl. viel

21
zu verdanken habe, ungeachtet ich weder die Uebersetzung noch übrige
theol.

22
Grillen und Schwärmereyen mit genauer Noth aushalten kann. Aber in

23
gewißen Grundideen – Doch in unsern Urtheilen über Bücher, fließt das was

24
man dabey
denkt und fühlt
, mit dem was man lieset, so ineinander,

25
daß man nicht im stande ist eins vom andern abzusondern – und daher so

26
mancher Bock in meinen schwärmerischen Urtheilen. Hast Du schon den

27
güldenen Hahn
gelesen? von dem ich Dir einmal geschrieben habe? Wenn Du

28
den Autor erfährst, melde ihn doch. Das Buch ist in der Schweitz gedruckt.

29
Eben so bin ich noch immer nach dem Verf. der
Weltbürger
neugierig.

30
Nach verrichteter Hausandacht in beliebter Kürze, die meinen beyden

31
Mädchen sehr langweilig vorkam, begieng ich einen dummen Streich, und

32
wollte versuchen, ob ich meine gemächlichsten Stiefel von weichem Leder

33
anziehen konnte. Ich muste auf halbem Wege eilen den kranken Fuß

34
zurückzuziehen, und mit meinen schweren weiten Reisestiefel wanderte ich nach der

35
Stadt durch die Halle der Altstädtschen Kirche – wo der Kirchenrath sich

36
überschreyt und kein Ende finden kann – nach meinem kranken Freunde

S. 137
Hennings, der über eine dicke Postill munterer, wie ich dachte saß und eben eine

2
Predigt des ihm erbaul.
Gisecke
angefangen hatte, den ich nur dem Namen

3
nach kenne. Sein Wirth und nächster Blutsfreund, ein aus einem

4
verunglückten Kaufmann reich gewordener Mäckler, kam auch in die Stube ziemlich

5
genesen von einer schweren Krankheit. Es war von einem jungen Menschen

6
die Rede, der nach Memel abgereiset war dort als Kaufmann auszulernen.

7
Ich war so desorientirt, daß ich mich gar nicht besinnen konnte, daß des vor

8
mir sitzenden
Sohns
Wirths Sohn gemeynt war. Wie ich mit der Nase

9
drauf gestoßen wurde, fiel mir der junge Mensch so lebhaft ein und so manche

10
Scene, von der ich Zeuge gewesen war, daß ich in ein solches Gedränge von

11
associirt
en
Ideen gerieth. Erziehung ist das Steckenpferd meines Freundes,

12
der zu seinem Glück vielleicht keine LeibesErben hat. Philanthropie, der

13
Deßausche Hof und der Himmel weiß, was mir nicht alles einfiel. Ich redte

14
einige Minuten durch
ein ander
, und eilte beschämt aus dem Hause. Zufällig

15
hatte erfahren daß Lilienthal, der sein altes Haus sehr vortheilhaft verkauft

16
hatte, bereits eine neue Wohnung bezogen hätte in der Nachbarschaft meines

17
guten lieben
Crispus,
wo ich gute Freunde fand, ihn selbst in neuen

18
Plackereyen, was mit dem angekommenen Geschenk der 2000 rth für die Akademie

19
anzufangen wäre. Lilienthal wohnt dicht neben
ihn
, und ich wurde

20
hingewiesen. Er empfieng mich mit alter unveränderlicher Vertraulichkeit. Er hat

21
das Bau
Departement
bey der Kammer. Die Lampe stand da; es fehlten

22
aber noch einige Stücke, welche noch im Packhofe liegen sollten. Er klagte

23
über den Dampf der Lampe, die er blos mit feinem Baumöl unterhält und

24
denkt diesem Uebel durch einen Schwamm abzuhelfen. Ob ihm das
Sperma

25
ceti
zu kostbar ist, weiß ich nicht. Von dem
Mechanismo
war er sehr

26
eingenommen, und glaubte daß die berlinsche
Reverberes,
mit denen ein Freund

27
des Miltz sehr unzufrieden ist wegen des schlechten Lichts
und des
woran

28
es der Argantschen Lampe nicht fehlen soll, und des abscheul. Dampfs.

29
Unterdeßen wünschte er einige Beobachtungen in Ansehung dieses Punctes

30
von einem
experto,
und bist Du imstande mir eine Abschrift oder irgend

31
etwas zu diesem Behuf mit zu theilen. Er erinnerte sich, daß ich ihn vor

32
einigen Jahren schon gebeten hatte sich meines eingefallnen Holtzstalls

33
anzunehmen, weil kein
fonds
dazu ausgemittelt werden konnte, weder Kammer noch

34
Admiralität
hier und in Berl. das
General Directorium
u die
R
Regie

35
mit einander einig werden konnten, die Kosten –

36
Ich hinkte also vergnügt zu meinem Artzt und Wirth mit der guten

37
Nachricht eines neuen Holtzstalls, weil dieser Mangel meiner gantzen Haus

S. 138
Haltung bisher sehr nachtheilig gewesen, und ich keinen Schritt deshalb weiter

2
habe thun mögen – Mein ganzes Haus war da bis auf den Michael, der

3
erwartet werden muste, weil die Magd sich Zeit gelaßen hatte

4
zurückzukommen. Mein Artzt warnte mich vor einem äußerl. Schaden, hatte mir schon

5
das Eindrücken mit dem Finger verboten um nicht die lymphatische Gefäße

6
zu verletzen, und ich werde dieser Vorschrift hinführo genau nachleben.

7
Sauerkraut, Sauerbraten, Suppe von Sauerampf, Osterschinken, Kuchen

8
und Bischoff, kurz alles hatte herrlich geschmeckt. Müde und schläfrich hinkte

9
ich nach der nächsten Kirche um einen neuen
Diacon
en zum erstenmal zu

10
hören, den ich als einen genauen Freund des Oberhofpredigers u seines

11
Jacobchen kenne, wie er Deinen hiesigen Namensvetter nennt, mit dem ich

12
auch in einer verdriesl. Verwickelung stehe wegen Hills, der mit dem Ende

13
des Mays seine Schul
fasces
und Haus verlaßen will.

14
Miltzen thut der Verkauf seines alten Hauses und der neue Ankauf leid.

15
Dort wohnte er in Ruhe, hier ist Garten neu anzulegen – ein Haufen an

16
Nebengebäuden zu
repari
ren. Am Palmsontage kam es gantz zufällig, daß

17
Jacobi mich bis in Miltzen Haus begleitete, und sich diese beyde Leute ein

18
ander von Person kennen lernten, die in der Sparsamkeit um das gelindeste

19
Wort zu sagen, sich einander sehr ähnlich sind und im Schein von Grosmuth

20
und in ihren Grillen über die Erziehung, wo Geitz und Eitelkeit auch die

21
stärksten Triebfedern sind.

22
Hills beyde Schwestern, deren Mutter eine Schwester Miltzen ist, waren

23
auch gebeten, aber an dem armen Bruder nicht gedacht. Jene sind wenigstens

24
leichtsinnig und habe
n
beynahe ihren guten Namen verscherzt. Der Vater ist

25
vor Hochmuth und Dummheit halb gestört, ein Tyrann und Geck in seinem

26
Hause. Miltz liebt seine Schwester, die Mitleiden und Antheil verdient. Das

27
übrige kann man sich leicht vorstellen.

28
Miltz hat eine einzige Tochter, ein Mädchen von recht guten Anlagen.

29
Jedermann der ihre seel. Mutter gekannt hat, spricht mit der herzlichsten

30
Bewunderung von ihr. Ihre Gutherzigkeit muß aber bis zur Schwäche und

31
Schwärmerey gegangen
ist
. Diesem einzigen Kinde zu Gefallen, zog er

32
vom Lande nach der Stadt, gab sie in
Pension,
und wollte sie bey der

33
Baroneße anbringen. 400 fl war ihm zu viel. Alles was er thun kann, besteht in

34
einer genauen Ehrlichkeit. Aus meiner Unterhandlung wurde also nichts, und

35
ein Haupthindernis war die Grille des Vaters, jede Woche einen Tag u eine

36
Nacht wenigstens sein Kind um und bey sich zu haben.

37
Nach dem Eßen wurden noch ein paar Kinder aus der Nachbarschaft

S. 139
abgeholt, ein munterer abgefeimter Knabe, ein Liebling beider Eltern eines

2
verschwenderischen Vaters und geitzigen Mutter, die aber ein Muster

3
ehelicher Verträglichkeit seyn sollen. Das Mädchen gefiel mir gleich beym ersten

4
Anblick und ich erstaunte, daß sie von beyden unterdrückt und fast verachtet

5
seyn soll.

6
Die Kinder und Weibsleute waren in einer andern Stube und ich mit Miltz

7
u Michel allein; wie es meinem Wirth einfiel mir etwas merken zu laßen,

8
was er lange schien auf dem Herzen gehabt zu haben. Er misbilligte den

9
ganzen Plan oder Unplan meiner Erziehung, und ließ sich nichts gutes ahnden

10
von meiner ältesten, die auf einem zu großen Fuß erzogen würde, und daß ich

11
groß Unrecht thäte meine Kinder nicht selbst zu erziehen und mehr an meinen

12
Jungen zu verwenden. Das Frühstück bey Hennings, die Lage Hills bey

13
Jacobi lag mir so in den Gliedern. Die Gegenwart meines Sohns war mir

14
auch im Wege. Ich war von meiner Materie so voll, daß ich weder Anfang

15
noch Ende wußte. Muste allso zu einem mystischen
Persiflage
meine

16
Zuflucht nehmen, das leider! beyden anstößig ist. „Reden Sie daß ich sie

17
verstehen kann – Verstehen
Sie ihren
Vater“! Nein, mein Sohn versteht mich am

18
wenigsten. Ich verschanzte mich also so gut ich konnte. Da kam der Nachbar

19
und Vater der beyden Kinder, mit dem ich schon einen Mittag zugebracht

20
hatte, aber in ziemlicher Entfernung. Wir wurden auf einmal vertrauter und

21
ließen uns zum theil in dem Ton nicht stören, worein wir gerathen waren,

22
ohngeachtet die Materie abgebrochen wurde. HE Melzer ist ein Mann von

23
einem sehr vortheilhaften Ansehen, von vieler Suade. Er hat ein ansehnl

24
Vermögen durchgebracht, das seiner Frau gehört hat, und einen der reichsten Posten

25
hier in Berlin erhascht bey der Holtzkammerey durch einen
Canal,
dafür ihm

26
die Kammer hier u dort das General-
Directorium
alles mögl. in den Weg zu

27
legen sucht. Dem allen ohngeachtet ist sein Schade
incurable,
von innen und

28
außen. Ich gerieth also in eine
ungewöhnliche
lebhafte Laune, aß wieder mein

29
Vorsatz ein wenig Abentbrodt und die kalte Küche schmeckte mir so gut, als

30
wenn ich keinen Mittag gehalten hatte. Hinkte also vergnügt nach Hause,

31
wo Scheffner mich verfehlt hatte, mir von Hippel Deines HE Bruders

32
Naßir u Zulima u Lav Rechtfertigung zurück u Campens Vorschläge, die ich

33
noch nicht gesehen u die hier gefehlt, zum Ansehen mitgebracht. Mein Fuß

34
war theils von dem Experiment, theils von der starken Bewegung stärker

35
geschwollen, aber auf dem Blatt mehr als am Enkel. Die halbe Nacht war

36
schlaflos – Ich bleibe also diesen Morgen im Bette, weil durch eine solche

37
Pflege die Geschwulst die Nacht über etwas schlingt, und getraue mir nicht

S. 140
mehr meine Socken anzuziehen, weil selbige auch schon zu enge sind, will mich

2
also meiner weiten Reisestiefel sowohl zu Hause als beym Ausgehen bedienen,

3
wenigstens so lange bis der neue
Etat
ankommt; der mit jeder Post erwartet

4
wird und spätestens im May hier seyn muß.

5
Es war schon gegen Mittag, ich lag noch in meinem
Praesepio.
Der

6
pollnisch reformirte Prediger
Wanowski
besuchte und sein würdiger
Neveu

7
ist nun Sprachmeister meines Michaels. Ich habe ihn lange, sehr lange nicht

8
gesehen. Als er eben aus der Thüre geht, kommt meine
Lisette Reinette
zur

9
andern herein, an die ich nicht mehr gedacht hatte. Der Tisch wird auch

10
gedeckt, und es ist Zeit aufzustehen.

11
Verzeih einem alten kranken alten
Oedipus
sein
radotage,
Herzenslieber

12
Bruder Jonathan! Wie herrlich mir der Hecht und die Rehkäule meines

13
kranken Freundes geschmeckt hat. Auch in der Küche sind die Götter, und was

14
Cartes
von seinem
Cogito
sagt, davon überführt mich die Thätigkeit meines

15
Magens. Der
Caffé
ist auch schon
absolvirt,
und ich kehre zu meinem

16
Schreibtisch, bald hätt ich gesagt vom Tisch zum Wisch. Ich mach mir Vorwürfe

17
gnug, wegen meiner Maculatur – auch wegen der letzten vier Blätter
in folio

18
4
o
und 8
o
die ich Dir geschickt habe. Jetzt erhältst Du nichts als diesen langen

19
eckeln verwirrten Brief. Ich glaube, daß die Umarbeitung eben so wenig

20
taugt, als der erste Versuch. Als wenn eine Art von Zauberey dabey zu Werk

21
geht, kann ich aus meinen eignen Zedeln nicht klug werden, die ich hier zurück

22
behalte. Ich glaube auch wirklich daß Verbindung un
d
Zusammenhang

23
schlechterdings noch
fehlt, und wenn alles auf die Hälfte verkürzt und

24
so eng wie möglich zusammengezogen wird, desto beßer. Ich kann nicht anders

25
in meiner gegenwärtigen Lage, Zerstreuung und Ohnmacht meines Gemüths

26
arbeiten als
à bâtons rompus.
Mein Urtheil versagt mir eben so als mein

27
Gedächtnis. Wenn Du nur in der Hälfte etwas Brauchbares findest, das des

28
Erhaltens würdig ist. Allen natürl. Autorwind abgerechnet und allen Zoll

29
der Menschlichkeit, bleibe ich noch immer bey meinem alten Resultat und

30
würde mich weder
schämen
noch fürchten oder scheuen selbiges zu

31
widerruffen, daß mir noch
immer selbst daran gelegen
ist meine Arbeit

32
zu Ende zu bringen, und daß ich alle meine Mühe nicht für unnütz und

33
vergeblich halte. Ich habe schon fast so gut wie, den Hügel überstiegen. Aber

34
auf einmal findt sich ein
unüberwindlicher Eckel
und bald eine eben

35
so unwiderstehliche Lüsternheit, und ich will, kann und soll nicht eilen, übereile

36
ich trotz diesem festen Vorsatz, ehe ichs mich versehe.

37
Mein Thema ist in der That so küzlich und ich hoffe mehr Klarheit im

S. 141
zweiten und lezten Theile anzubringen. Aber von künftigen Dingen muß

2
freyl. alles hypothetisch verstanden werden.

3
Da kamen ein paar Brüder, deren Besuch ich erst am Ende der Woche

4
erwartete. Der älteste ist des Kants
amanuensis,
und sein Vertrauter

5
beynahe; auch beyde
Schumachers
Söhne, wie Hill, dem Wuchs nach

6
Potsdamer. Der jüngste ist
Respondens
den nächsten Freytag unter einem

7
Pörschke,
der
magistri
ret. Sie waren vorgestern bey mir eine
Disputation

8
einzureichen. Mein Fuß machte mich so unmuthig, daß ich mich gegen ihren

9
Besuch entschuldigte. Ich habe mich in des jüngsten feinen Anstand gantz

10
verliebt und ihn im Ernst gebeten mich öfterer zu besuchen. Der älteste ist

11
öfters bey
Courtan,
seinen Bruder habe aber heute zum ersten mal gesehen,

12
aber immer eine gute Meinung von seinen Fähigkeiten gehabt. Eben

13
überrascht mich Kraus und beunruhigte mich mit der Zurückhaltung, womit er

14
mir eine üble Nachricht mittheilen wollte, die ich garnicht dafür ansehen kann.

15
Brahl hat erfahren daß die
Licent Inspector
stelle an einen
Secretair
der

16
Direction
übergeben, der
Aune
heißt. Ich gönne ihm selbige vor allen andern

17
Competent
en und habe ihm schon vor 3 Wochen Glück dazu gewünscht. Er

18
ist ein gefährlicher Mensch, und trägt davon die Merkmale in seinem

19
Gesichte, das er immer im Reden garstig verzieht. Es ist mir gnug daß alle meine

20
Collegen
mir diese Stelle zugedacht und gewünscht haben. Er hat ein

21
Häuflein Kinder zu ernähren, und es hat ihm nicht an
Industrie
dazu gefehlt. Er

22
hat eine doppelte Zunge, die er sehr unbehutsam von beyden Seiten

23
misbraucht. Sehr übel zufrieden mit dem
Director,
begegnete er mir vor

24
8 Tagen und redt auf einmal von einem Plan der
Direction,
als wenn die

25
Weisheit ihn eingegeben hätte. Ich wurde dadurch außerordentl. aufmerksam

26
gemacht; merkte gleich, daß etwas in der Mache seyn müste. Es heißt zugl.

27
daß an einem neuen
Tarif
gearbeitet wird. Wenigstens einen Schritt weiter.

28
Bleibt mein alter Posten; so kann ich mit desto beßerm Gewißen reisen und

29
um meinen Urlaub anhalten. Nur besorge ich, daß die Ankunft des
Etats

30
durch die Veränderung des
Tarifs
verzögert werden
dörfte
.
,
welches mir nicht

31
lieb wäre. Doch alles sey der väterl. Vorsorge anheim gestellt.

32
Also unser liebe Schenk ist also auch wie unser einer geworden. Die Wahl

33
seiner Materie ist reichhaltig und gut gewählt. Er wird doch wohl nicht

34
Doctor
werden, weil Du es eine
Diss.
nennst? für mein Exemplar wirst Du

35
sorgen, wenn er nicht von selbst dran denken sollte. Doch ich habe ihm Mühe

36
gnug gemacht im festen Andenken zu stehen.

37
Aber Deine Gespräche werden mir recht willkommen seyn. Laß mich nicht

S. 142
drauf warten. Vielleicht werd ich dadurch aufgemuntert dasjenige endl.

2
auszuführen, was ich so lange willens gewesen bin. Der Geist ist willig, aber das

3
Fleisch ist schwach.

4
Hartknoch erwarte diese Woche, nebst seinem Clavier. Vielleicht kommt

5
beydes zu gl. Zeit an. Was macht mein Namensbruder Georg. Geht es

6
beßer? Die Gedanken vergehen mir, wenn ich an alles denke, was ich gern

7
schreiben möchte; und nicht zu schreiben vermögend bin. Und hiemit Gott

8
empfohlen, der Sein Werk nicht im Stich laßen wird. Er heist ja
Α
und
Ω
!

9
Ich umarme Dich und alle die Deinigen. B. denkt an mich wie ich an Ihn!

10
Sobald mir
immer
mögl,
mehr von

11
Deinem alten treuen
Oedipus.


12
Adresse:

13
An / HErrn Geheimen Rath
Jacobi
/ zu /
Düßeldorf
. /
F
rco


14
Vermerk von Jacobi:

15
Koenigsberg den 8
ten
April / 1787.

16
J. G. Hamann

17
empf den
19
ten
.

18
beantw den
30
ten
/ u 1sten May.

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 329–333.

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 470–479.

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 6: Januar bis November 1787. Hg. von Jürgen Weyenschops, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2012, 66–73.

ZH VII 134–142, Nr. 1054.

Zusätze fremder Hand

142/15
–18
Friedrich Heinrich Jacobi

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
135/8
bestreiten
,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
bestreiten –
135/8
Policey
director,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Policeydirector,
135/37
Herausgeber?
]
Geändert nach der Handschrift; in ZH kein Absatz.
136/21
theol.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
theolog.
137/11
associirt
en
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
associirten
137/14
ein ander
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
einander
137/19
ihn
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ihm
138/31
ist
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
sein
138/32
Pension,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Pension
139/17
Sie ihren
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
sie Ihren
139/28
ungewöhnliche
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ungewöhnlich
140/15
absolvirt,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
absolvirt;
141/5
Schumachers
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Schuhmachers
141/23
Director,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
d
Director,
141/30
dörfte
.
,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
dörfte,
142/10
mögl,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
mögl.
142/10
Sobald mir
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Sobald mir nur
142/13
F
rco
]
Hinzugefügt nach der Handschrift.
142/17
19
ten
.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
19
ten
142/18
30
ten
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
30
ten