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Meine herzlich geliebte Tochter

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Am Palmensonntage habe ich gnug an Deinen Geburtstag gedacht, aber

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der 12 April war mir beynahe entfallen, und muste erst durch die Einladung

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Deiner Schwestern daran erinnert werden. Ich schreibe nach Berlin, und

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hoffe daß der Brief diesen Sontag Quasimodogeniti abgehen, und endlich

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einmal aus meinem Urlaube und Reise Ernst werden wird. Du kanst Dir

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also leicht vorstellen, wie mir der Kopf steht und wie mir dabey zu Muthe

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seyn muß. Ein Buch zum Andenken ist eben von mir bestellt, und Du wirst es

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bey Deinen nächsten Besuch wohl eingebunden und fertig finden. Nimm

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damit für lieb. Gott wird mir gnädig seyn und mich in den Stand setzen Dir

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und Deinem Geschwister länger und nochmehr Guts zu thun, als ich jetzt

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Euch zu wünschen im stande bin. Er wird Dich mein liebes Kind fromm und

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gesund erhalten, und es Euch allen in Zeit und Ewigkeit wohl gehen laßen,

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und vornehmlich Dich zum guten Vorbilde und Muster Deiner jüngeren

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Schwester machen durch Aufmerksamkeit und Gehorsam, d
ie
en Du den

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Lehren und Beyspiele Deiner Wohlthäterinn schuldig bist. Laß Deine

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Erkenntlichkeit niemals aufhören
und
oder abnehmen und befleißige Dich

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immer würdiger zu werden der besten Wünsche Deines alten Vaters und

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ersten Freundes. Ich umarme Dich, und empfehle Dich göttlicher Obhut

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und Vorsorge –

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Johann Georg Hamann

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den 12 April 87.

Provenienz

Universitätsbibliothek Basel, Autographensammlung Karl Geigy-Hagenbach, 1027.

Bisherige Drucke

ZH VII 142 f., Nr. 1055.