1056
143/10
Copia
einer Bittschrift von Joh. Georg Hamann,
11
Packhofverwalter in Königsberg, an Se. Excellenz den Herrn Minister von
12
Werder.
13
d.d.
Königsberg, den. 17. April 1787.
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Ew. Excellenz werden aus abschriftlicher Beylage zu ersehen geruhen, daß
15
ich bereits 2. Jahre nacheinander bey Einer Königlichen
General
16
Administration
um den Urlaub einer Reise zur Wiederherstellung meiner
17
Gesundheit und zu Abmachung einiger für mich wichtigen Angelegenheiten fruchtlos
18
angehalten habe, und mit Unglimpf abgewiesen worden bin, obgleich andere
19
eines ähnlichen Gesuchs bey mehreren Schwierigkeiten und größeren
20
Bedenklichkeiten
gewährt
worden sind.
21
Die Beschaffenheit meiner Gesundheit läßt sich auch ohne die Bescheinigung
22
eines Arztes aus meiner 20. jährigen Lage leicht ermessen. Ich habe seit dem
23
25
ten
May 67. unter der
Regie
gedient; das erste
Decennium
theils als
24
Uebersetzer ins Französische, theils als Copist mehr denn Uebersetzer eines
25
Deutschen
Provincial Directoris;
seit dem Juni 77 aber als
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Packhofverwalter des hiesigen Licents. Anfänglich bin ich mit so vieler Arbeit überladen
27
gewesen, daß ich derselben ohne die äußerste Anstrengung meiner Kräfte
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unmöglich ganz allenthalben Genüge thun können (weshalb ich mich auf die
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Erhöhung
meines
monathlichen Gehalts von 16. auf 30. Rthlr, die nach der
30
allgemeinen
Reduction
bey 25. stehen geblieben sind, und auf die Conduiten
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Listen seit 67. berufen darf); hernach aber nicht nur von häuslichen Sorgen,
32
sondern auch
vom
Mitgefühl öffentlicher und allgemeiner Misverständnisse
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und Drangsale, deren nächster Augenzeuge ich täglich seyn mußte, dergestalt
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niedergedrückt worden, daß mein ganzer Vorrath von Philosophie, an dem
S. 144
ich von Jugend auf durch Lectüre und Erfahrung gesammelt hatte, zu Ende
2
gieng.
3
Da eine schwere Aussprache, eine dadurch beförderte Neigung zu einer
4
sitzenden, stetigen Lebensart, geerbte und erworbene hypochondrische Wehen
5
mich von Geschäften sowohl als Gesellschaft entfernen, ich mich vollends zu
6
einem Invaliden und zu Schanden gearbeitet hatte, war mir das Gnadenbrod
7
meines jetzigen Postens die höchste Belohnung, und ich freute mich, das Ziel
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meiner Wünsche erreicht zu haben; weil ich die Beruhigung genoß in einen
9
alten
Posten versetzt zu seyn, der wenigstens sicherer und solider schien, als
10
das zufällige und beynahe lächerliche Schaarwerk eines Uebersetzers
aus
11
dem Deutschen ins Französische
, worinn meine
eigentliche
12
erste Bestimmung bestand.
13
Das unverantwortliche Verfahren der
Regie
mit den
Fooi-
oder
14
Trinkgeldern, die seit 1633. den Zöllnern als ein Theil ihres
Salarii
waren
15
angerechnet und durch wiederholte allerhöchste Gesetze bestätigt worden, übertrift
16
alle „Schelmereyen und Betrügereyen
“
, deren die
Employés
bey dem
17
Accise
und Zollwesen durch eine allergnädigste Cabinets Ordre
d. d.
18
Potsdam den 18
ten
October 82 beschuldigt
wurden
.
19
Auch ich wurde also der Gefahr ausgesetzt, entweder die bisherigen
20
Grundsätze meines Gewißens und Wandels zu verleugnen, oder mit meinen vier
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Kindern und ihrer Mutter umzukommen, wenn nicht die Göttliche Vorsehung
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durch ihre bis auf den heutigen Tag mir verborgene und unbekannte Wege
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das Herz eines ganz fremden entfernten Wohlthäters gerührt und mich in
24
den Stand gesetzt hätte, die Pflichten eines Vaters gegen meine Kinder und
25
Hausgenossen durch ihre Erhaltung und Erziehung ausüben zu können.
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Diesen großmüthigen Freund, meinen und der meinigen Versorger und
27
Pflegvater von Angesicht zu sehen, uns einander persönlich kennen zu lernen,
ihm
28
von der Anwendung des mir anvertrauten außerordentlichen
Depositi
29
Rechenschaft abzulegen und das übrige mündlich zu verabreden, war der
30
Hauptgegenstand meiner Reise nach Münster in Westphalen und das letzte
31
Bedürfniß meines nahe an 60. Jahre gränzenden grauen Alters, das nach nichts als
32
nach Ruhe im Grabe schmachtet.
33
Zwey Jahre lang sind diese
pia desideria
durch den grausamen
34
Despotismum
welscher Barbaren vereitelt worden, welche meinen ursprünglich
35
alten Posten durch ihre
willkührlichen
Verwirrungen so geschmälert und
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verstümmelt haben, daß derselbe beynahe von Arbeit und Verantwortung
37
entblößt ist, und folglich das allerhöchste Intereße des Königl.
Dienstes
Dienstes
durch die
S. 145
Abwesenheit meiner Reise nicht im geringsten beeinträchtigt werden konnte.
2
Dieser Umstand war zwar das größte Glück und Verdienst meines Amtes
3
in Rücksicht meiner hypochondrischen Imbecillität, vermehrte aber zugleich
4
desto stärker das Gewicht meines inneren Leidens und Creutzes, und ich bin
5
daher genöthigt den Schaden und die Blöße meines Postens aufzudecken.
6
Packhof und Licent gehören ihrer Natur und Lage nach unzertrennlich
7
zusammen. Mein Vorgänger hatte außer seinem Amte noch einen Sitz in
8
dem Admiralitäts Collegio mit dem
Character
eines Licentraths. Durch die
9
Regie
fällt dies von selbst weg, und ich tauge am wenigsten zween Herren zu
10
dienen. Weil er kein Französisches verstand, war man genöthigt einen ganz
11
modernen
poste de confiance
zur Aufsicht des Licents zu
creir
en mit einem
12
neuen stärkern Gehalt, verwandelte den ehemaligen Licent
Inspector
in
13
einen bloßen
Garde Magazin,
bis ihm das bereits geschmälerte Gehalt von
14
25.
Rthlr. nebst einigen
Emolumen
ten, z.E. in Ansehung der Lootsen
p.
um
15
deren eigentliche
Bewandniß
ich mich niemahls gekümmert habe, sondern mich
16
an dem ausdrücklich angewiesenen begnügen ließ. Dies bestand in dem Gehalt
17
von
25.
Rthlr, einer freyen Wohnung und einem Antheil der
Fooi
en, deren
18
Einziehung in den einträglichsten Jahren der Schiffahrt geschah, die Preußen
19
jemahls gehabt hat und schwerlich wieder erleben wird.
20
Mein ganzes Amt ist darauf eingeschränkt
worden:
1.) daß die Schlüßel des
21
Packhofs von dem Castellan und den 9. Licentträgern in meine Freywohnung
22
abgeliefert und daraus geholt werden müßen.
23
2.) das den Kaufleuten verhaßte Lagergeld
à
6. ggl. des Sommers, von
24
4 ggl des Winters p% ℔ von allen Waaren, die über 10. Tage, wenn sie
25
für die Stadt bestimmt sind, liegen bleiben; und über 14. Tage, wenn sie
26
auswärts gehen, einzunehmen. Waaren die zum bloßen
Transit
Handel erlaubt
27
sind, geben nur ⅙ = 1. ggl. p% ℔ ohne Unterschied der Waare. Da kein
28
Kaufmann ohne die größte Noth seine Waare liegen läßt, und des
29
Lagergeldes, wenn es nur immer möglich ist, gerne überhoben seyn mag: so ist mein
30
Depot
und Lagergeld Register eine sehr bequeme und müßige Arbeit.
31
3.) Mein drittes Register betrifft die noch
seltenern
Beschläge, welche
32
für die
Direction
oder das
Attributions
Gericht in einer besondern dazu
33
bestimmten Niederlage Kammer aufgehoben werden müßen.
34
Außer dieser Einschränkung meines Dienstes – – – – – – – –
35
Auf solche Art ist mein ursprünglich alter Posten nicht nur unkenntlich
36
gemacht, sondern beynahe ganz verschlungen worden durch das
Interim
des
37
neuen Französischen Systems.
S. 146
Ich würde selbst meine Gesundheit, statt selbige wieder herzustellen, durch
2
eine Winterreise aufgeopfert haben, wenn ich es nicht für meine Schuldigkeit
3
angesehen hätte den Ausgang der durch die neue Regierungs Epoche
4
veranlaßten Veränderungen in ehrerbietiger Enthaltsamkeit abzuwarten.
5
Da aber die Ausführung des neuen Etats bevorsteht: so habe mich
6
unterwinden müßen, die eben so dringenden als wahren Bewegungsgründe meiner
7
Reise und die mich von allen Seiten drückende Verlegenheit mit einer mir
8
selbst ekeln Umständlichkeit zu eröffnen.
9
Ew. Exc. werden die Erhaltung eines ehrlichen Mannes zu Herzen
10
nehmen, gnädigst und zuvörderst geruhen, mir für diesen Sommer einen Urlaub
11
zu einer Reise nach Westphalen zu ertheilen. Ich habe reinen Wein
12
eingeschenkt, und stelle es Ew. Exc. höheren Einsichten und Gesinnungen für das
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allerhöchste Interesse und das allgemeine Beste unterthänigst anheim, die
14
Billigkeit meiner Ansprüche auf den mir bisher entzogenen Besitz und Genuß
15
meiner rechtmäßigen Anwartschaft näher untersuchen und mir dero
16
höchstkräftigen Schutz gegen alle heimtückische Eingriffe meiner Ruhe und
17
Genügsamkeit bey dem verwickelten Knoten meines Schicksals angedeyhen zu laßen,
18
weil ich nichts so sehr wünsche,
als
neu geschöpften Kräften und
19
verjüngtem Diensteifer Ew. Exc. mehr mit Früchten als mit Worten die dankbare
20
Ehrfurcht beweisen zu können, mit welcher
p.p.
21
Die Beylagen bestanden in 2. Bittschriften vom 1
ten
Juni 1785 und 27.
22
April 1786.
Provenienz
Universitäts- und Landesbibliothek Münster, Signatur: Nachlass Gallitzin, 20, 3. Zeitgenössische Abschrift von unbekannter Hand.
Bisherige Drucke
ZH VII 143–146, Nr. 1056.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
|
143/20 |
gewährt ]
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Geändert nach der Copia aus Münster; gewährt |
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143/29 |
meines ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: eines |
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143/32 |
vom ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: von |
|
144/11 |
eigentliche ]
|
Geändert nach der Copia aus Münster; eigentliche und |
|
144/17 |
d. d. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: d. d. |
|
144/18 |
wurden ]
|
Geändert nach der Copia aus Münster; worden |
|
144/27 |
ihm ]
|
Geändert nach der Copia aus Münster; ihn |
|
144/35 |
willkührlichen ]
|
Geändert nach der Copia aus Münster; willkürliche |
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144/37 |
Dienstes Dienstes ]
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Geändert nach der Copia aus Münster; Dienstes |
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145/8 |
Character ]
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Geändert nach der Copia aus Münster; Charakter |
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145/12 |
Inspector |
Geändert nach der Handschrift; ZH: In spector |
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145/14 |
25. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: 25 |
|
145/15 |
Bewandniß ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Bewandnis |
|
145/17 |
25. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: 25 |
|
145/20 |
worden: ]
|
In ZH mit Absatz dahinter. |
|
145/31 |
seltenern ]
|
Geändert nach der Copia aus Münster; selteneren |
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146/18 |
als ]
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Geändert nach der Copia aus Münster; als mit |