1057
146/23
Kgsb den 17 April 87.
24
Herzenslieber Jonathan, Sonnabends erhielte das Museum, war aber zu
25
müde und zerstreut mit Andacht zu lesen, behielt mir also daßelbe zum
26
Frühstück des
Quasimodog.
vor, welches ich wirklich im Bette genoß, mit einem
27
Geschmack, der sich schwerlich beschreiben läßt. Wie habe ich um den lieben
28
Wz. geweint, wie laut hab ich ihm für sein Testament gedankt. Ich bin gantz
29
von diesem Nachlaß und dem Geist Deines Freundes berauscht gewesen, und
30
habe an dem Verlust eines solchen Freundes und Gesellen erst rechte innigen
31
Antheil nehmen können. Er ist der Ruhe werth in die er eingegangen ist.
32
Nunmehr werd ich imstande seyn seine Res. zu lesen und zu verstehen, an
33
denen mir immer ich weiß nicht was? gefehlt und widerstanden hat. Ich bin
34
jetzt ein Geist und Seele mit ihm geworden, stimme gantz mit ihm und eben so
S. 147
halb wie Er mit Dir. Willenskraft und Verstand ist für mich einerley. Kant
2
soll ungemein zufrieden mit seinem Styl seyn – lächerlich und philosophisch!
3
Ich kann meinem Urtheil nicht mehr trauen, will doch meines
Crispus
seines
4
abwarten. Den ganzen Sontag war ich aus meiner Ruhe gestört. Gestern
5
habe an den Minister von Werder wegen meines Urlaubs geschrieben.
6
Lache, wenn Du kannst, ich war so müde und aufs Haupt geschlagen, daß
7
ich den ganzen Nachmittag auf dem Bette liegen muste und den Brief mir
8
aus den Augen schaffen, weil ich keine ruhige Stunde gehabt hatte ihn vor
9
mir liegen zu sehen. Diesen Morgen geht er ab, und ich finde soviel
pro
als
10
contra,
daß ich auf beides gefaßt seyn muß. Wo mögl.
lege eine
Copiam
bey.
11
Meine saure Arbeit war das Abschreiben; und nimm das hinzu, was
ich
12
nicht geschrieben
habe, um Dir einen Begriff zu machen, warum das
13
was ich geschrieben habe, nicht der Rede werth ist. Ich erhielte gestern die
14
Monatsschrift und mochte sie trotz meiner Neugierde nicht ansehen. Mein
15
guter
Genius
hat mich zurück gehalten, weil ich mir die Nacht darüber
16
verdorben hatte.
17
Das heutige Frühstück war sehr verschieden von vorgestern. Ich habe auch
18
gnug geheult und geweint, aber mit gantz verschiednen Empfindungen für die
19
Todten und die Lebendigen.
20
Ich besinne mich jetzt erst, warum ich nicht im stande war den Febr. des
21
Mus. anzusehen. Der Münzmeister Göschen, ein Verwandter Deines
22
Verlegers hatte Nicolais Schrift erhalten gegen Lavaters Rechtfertigung, die
23
mir Hippel auf 3 Stunden verschaffen muste. Ich hatte einen guten Mittag
24
bey Hippel gehabt der meinem Michael eine unerwartete Freude machte mit
25
einem
Stipendio,
von dem er ihm das erste Jahr auszahlte. Ich hatte also
26
am Januar des Museums u Nicolai eine so starke Einnahme gehabt, daß ich
27
des seel. lieben Testament für mich nur beriechen konnte. Wunder ist es für
28
mich gewesen, daß Du mir nicht diese Schrift gl. warm mitgetheilt hast.
29
Was wird aus dem Wirwar der Berliner und Schweitzer werden? Ich
30
habe wie ein Kind über Wz. geweint, und wie ein alt Weib von Crocodiel
31
über die Berl. Monatsschrift – und zugl. Gott gedankt für die Bande meiner
32
Unvermögenheit, womit er mich gefeßelt und zurück gehalten hat. Aus Deiner
33
Abschrift des Starkschen Briefs habe ich schon den falschen Gang dieses
34
verirrten und verlornen Manns voraus sehn können. Er ist mein Beichtvater
35
gewesen und hat mich von den hieroph. Briefen selbst
absolvirt
mit einem
36
Geist
, der nicht
sein
war. Vielleicht kann ich wie jene Maus dem
37
verstrickten Löwen erkentlich seyn. An meine Schrift läßt sich gar nicht denken.
S. 148
Zur guten Nachricht habe ich gestern erfahren daß unser
2
Departementsrath
von Köpken hier auf den May erwartet wird, das ich immer
in petto
3
gewünscht u gehofft habe. Ohne
Localität
laßen sich keine neuen
4
Veränderungen einführen.
5
Nun ist es Zeit lieber Bruder und Jonathan Etwas zu thun, und in Berlin
6
nachzuhelfen durch den Grafen von Schmettau, den Bruder der
7
Durchlauchtigen Fürstin, die bisher zu viel Gnade geäußert in unserer gemeinschaftl.
8
Angelegenheit. Ich bin
schlechterdings nicht im stande die
Feder zu
9
führen und einen vernünftigen Brief zu schreiben, und muß mich wie ein
10
Blinder
und
Lahmer
leiten laßen
11
Den 12 d. gieng meine
Lisette Reinette
ins 16te Jahr. Am
12
Palmsonntage hatte ich mich ihres Geburtstags lebhaft gnug erinnert; der Kopf war
13
mir von dem Briefe nach Berl. so voll daß ich gar nicht weiter daran
gedachte
14
hatte. Sie hatte ihre beyde jüngern Schwestern zu sich bitten laßen, und da
15
erfuhr ich erst die Ursache, begleitete also die beyde Mädchen und wollte
16
meinem
Crispus
ein klein Schrecken machen. Kants Bedienter begegnet mich und
17
erfuhr, daß die beyde Philosophen zusammen speisen seit dem
Osterdienstage.
18
Ich
ließ also
Crispum
sagen daß ich in seiner Stube auf ihn warten würde.
19
Seine alte
Gouvernante
oder Stubenwärterin hatte alles verschloßen, ich
20
schickte also die Kinder weiter, da mir Kants Bedienter begegnete, meine
21
Kinder aufgefangen hatte. Wir fanden also die beyden Junggesellen in einer
22
kalten Stube, gantz erfroren, und Kant ließ gl. eine
Bouteille
guten Wein
23
von seinem verschriebenen Frantz bringen, den er bisweilen mit einem rothen
24
Tischwein abwechselt. Wenn ich schon ein Glas trinken soll; so kann ich nicht
25
so bald wider aufhören. Kraus saß wie ein armer Sünder, hatte kaum die
26
Hälfte seiner kleinen
Portion
verzehrt – und ich trunk noch denselben Abend
27
mit meinem gantzen Hause eine Bowle
Punch,
weil ich denselben Tag einige
28
Citronen geschenkt bekommen und Jacobi mir vor einem halben Jahre und
29
länger eine
Bouteille
Frantzbrandwein geschenkt hatte, von der ich einem
30
guten Freunde bisweilen ein Schalchen abgegeben hatte.
31
Crispus Recension
über Meiners ist mit einem
Diplom
eines
32
Mitarbeiters
beantwortet worden, und wir haben herzl. darüber gelacht.
33
Heute speise ich bey Deinem Namensvetter, der ein wenig
nabali
sirt und ein
34
Vetter des
Nicolai
ist. Meine Besuche sind fast immer Geschäfte und Gott
35
wird meinen Hill zu versorgen wißen. Sonnabends war mir einen Brief von
36
Dir ge
g
wartig, der mit Gottes Hülfe morgen eintreffen wird. Ich bitte
37
Dich bey dem Geiste Wz. ruhig zu seyn und Dich von den Berl. Jägern
S. 149
entfernt zu halten. Laße mich nicht auf Deine
Spr
Gespräche und
neues
2
Buch
lange warten. Ich muß mich anziehen und meine Amtsstube
3
wenigstens in Augenschein nehmen, weil ich gestern einheimisch geblieben bin.
4
Morgen wills Gott weiter.
5
Noch diese Seite voll zu machen, will ich Dir etwas von meinen
6
Ebentheuern des Sonntags Qvasim erzählen. Ich begegne ganz zufallig Miltz mit
7
seiner Tochter auf
den
Gange nach der HospitalKirche, wolte Hippel das
8
Museum eingeben und versuche ob ich den Lieblingsprediger Fischer im stande
9
bin in irgend einem Winkel zu vernehmen. Versuchte also, und machte einen
10
Haufen Experimente; zum Text hatte er die Worte der Bergpredigt
VII.
1.
11
Richtet nicht heißt, seyd behutsam im Urtheilen.
Handlungen
, aber keine
12
Gesinnungen
laßen sich beurtheilen. Ich eilte zum Tempel hinaus, fand
13
auf dem Heimwege noch dies und jenes
ως εν παροδω
zu thun
und wurde
14
Vorleser meiner kleinen Gemeine aus Hahns Postille, habe aber seitdem Miltz
15
nicht gesehen, und Gelegenheit gehabt allerley über den Unterschied der
16
Moral
und
Casuistik
in meinen Begriffen zuberichtigen. Nun Gott
17
empfohlen bis aufs Wiedersehen. Heute will ich gehen. Der Sturm wird
18
mein Clavier mitbringen. Der Eisgang der Düna verzögert Hartknochs
19
Abreise u Ankunft.
20
den 18 –
21
Viel Glück und Willkommen in Pempelfort. Gott gebe Gesundheit und
22
Ruhe. An der bevorstehenden Hochzeitfreude nehme auch den herzlichsten
23
Antheil.
Bitte
auch für mich einige Brosamen vom Nachtische übrig zu
laßen
.
24
Die Nachricht von Dahlbergs Wahl hatte eben gelesen, wie Dein Brief
25
ankam. Ich kann die fahrende Post nicht abwarten vor Ungedult Dein Gespräch
26
zu lesen.
27
Gestern habe ziemlich geraset, vermuthlich vom Frühstück der Berl.
28
Monatsschrift. Jacobi den Verlust des Hills angekündigt im Hause unsers
29
Oberhofpredigers wohin er mich begleitete, der ein naher Blutsfreund des
30
Starke ist. Hartknochs Clavier von Meerbach aus Gotha ist angekommen,
31
und muß herhalten, daß mir die Ohren gellen. Ich habe meinem Hill das
32
Joch aufgelegt, an dem er 1½ Jahr gezogen; es war also meine
Pflicht
33
ihn wider auszuspannen. Er hat all mein Vermogen in Händen – Dein
34
Namens- und N. Blutsvetter – mag er sich rächen an mir, wie er will.
Fiat
35
iustitia, pereat mundus.
Gott wi
l
rd helfen.
36
Crispus liest jetzt Wz. Fragment und Testament für mich, wie ich es nenne
37
und ansehe. Ich bin recht neugierig von ihm und Hippel zu wißen, ob ich mich
S. 150
in meinem Urtheile getäuscht
habe
.
,
wie es ihm gegangen in Ansehung meiner.
2
Wir haben wohl beyde nicht die Absicht gehabt uns zu schmeicheln und zu
3
hintergehen. Mein einziger Brief an ihn war zurückstoßend und abhaltend,
4
weil ich mein Urtheil durchaus bis auf unsere Bekanntschaft zurückhalten
5
wollte
und muste. Die Resultate thaten mir kein Gnüge; aber in dem
6
Febr des Mus. habe ich einen ganz andern und ganzen Mann erkannt, und
7
mehr Dich lieber Jonathan, und mich selbst als ihn beweint. Gottlob! daß
8
seine Marter überstanden, und sein Lohn
gewiß
und nicht gemein seyn
9
wird. Er hat mit seinem Pfunde auch für mich gewuchert. Ich werde nur
10
nothig haben zu
schneiden
, was andere
gesäet
und
gearbeitet
11
haben. Daß Du so gleichgiltig gegen diese Reliquie gewesen bist, ist mir noch ein
12
Rätzel, von dem ich vielleicht den Schlüßel im Gespräch finden werde. Ich
13
bin wie der seel.
nur halb mit
Dir auf dem Wege,
quoad materiam
14
möchte ich sagen, aber
quoad formam
halte ich es mit den Berlinern, und
15
beydes gehört doch zusammen und macht das
Ganze
aus, wornach ich
16
strebe, wenn es möglich ist, oder mir zugedacht zu treffen.
17
Deine Zufriedenheit mit meiner Beyl. behagt mir eben so sehr als es mir
18
Unruhe macht und Deine Nachsicht verdächtig. Eile daher nicht mit der
19
Abschrift – Die erste möchte zieml. ins reine seyn aber die 3 Fortsetzungen sind
20
nichts als Lava, unreinere Schlacken. Weil die Sache noch nicht reif ist, kann
21
es auch meine Uebersicht derselben nicht seyn. Auf
Starkens Antwort
22
wird vieles ankommen. Wenn Du so gut seyn willst
, woran
23
ich nicht zweifele, und im
stande bist mir selbige ganz feucht
und
24
warm zu übermachen: so geschieht mir damit der gröste Dienst. Ich kann an
25
meine
Arbeit
kaum denken; sie
liegt
wie ein schwerer Stein auf dem
26
Kopf und auf dem Herzen. Antwort aus Berl. muß auch viel – kurz alles
27
hängt so zusammen, daß ich mich nicht vom Fleck rühren kann, sondern
28
beynahe
versteinert
bin, im eigentl. Wortverstande ein
Gebundener
29
und Gefeßelter des HErrn meines Schicksals
, das von ihm
30
allein entwickelt oder zerschnitten werden muß. Von meinem Helden und
31
Propheten Trenk hör ich hier gar nichts, als allgemeines Mistrauen und
32
beynahe Verachtung. Ich lese jetzt noch immer den Sophisten Isokrates, aber
33
alles wie im Traum. Weil sich meine älteste Tochter ein Buch gewünscht zum
34
Andenken ihres Geburtstages, schickte ich sogl. ihren Bruder nach Wielands
35
Damenbibliothek und habe die 3 ersten Theile hier gefunden – Es scheint
36
brauchbar gnug.
37
Doch ich muß eine Abschrift meines dritten Bettelbriefes um Urlaub
S. 151
beylegen. Ein abscheuliches verstümmeltes
Quidproquo
– aus lauter
2
Fragmenten und Trümmern meiner Gedanken und Empfindungen, die ich ersticken
3
muß.
4
Die Post kommt erst morgen früh, und ich möchte vor Ungedult – und
5
Verdruß über mich selbst
6
den 19 des Morgens im Bette.
7
Ich war gestern nicht im stande einen Buchstaben weiter zu schreiben
8
noch im Isokr. zu lesen. Fiel mir erst was
in
die Hände; da kam Brahl
9
das neue Clavier auszuprobiren, gieng aber bald wieder. Gegen 6 Uhr
10
Kraus im vollen Sprunge von Kant, mit dem er so lange bey Tische geseßen.
11
Meine erste Frage war in Ansehung des Wz. wie ihm das Fragment gefiel.
12
Nichts klar – aber schön geschrieben, man liest es mit Vergnügen. Er müßt
13
es sich erst in Gedanken übersetzen, um es zu verstehen. Er erbot sich sogar,
14
seine Meinung zu Papier zu bringen. Ich hielt ihn beym Wort und er
15
versprach es mir, weil diese Woche noch Ferien sind – und ich will ihn beym
16
Wort festhalten.
17
Wie mir aber zu Muht war, läßt sich nicht beschreiben. Mir wurde vor
18
meinem eigenen Urtheil Angst. Ich besorge, daß ich
Raptus
bisweilen
19
bekomme oder Visionen
habe
.
,
mich von lebhaften Eindrücken hinreißen laße,
20
ohne meiner mächtig zu seyn, an Dingen Antheil nehme, die mich nichts
21
angehen, und alles übersehe, was mir vor der Nase liegt, und vornemlich
22
meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte. Wie angst mir für mich selbst
23
ist! Ich habe gut geschlafen. Der neue Winter war mir angenehmer, als die
24
schwülen vorhergehenden Tage, jetzt fängt mir aber auch an die Kälte
25
empfindlicher zu werden. Vielleicht ist alles
eine
vorübergehender Einfluß von der
26
Wittrung. Die Geschichte des Beseßenen im Evangelio, der in Feuer und
27
Waßer fiel, ist immer ein trauriges Beyspiel meiner selbst gewesen; und die
28
Sorge für meine Gesundheit, der tägl. Gebrauch meiner Reisestiefel
29
unterhält meine Einbildungskraft – daß es schlechterdings unmögl. ist an Arbeit
30
zu denken, und im Zusammenhange mit mir selbst zu bleiben.
31
Wenn die
Fürstin
also jetzt durch einen Brief nach Berlin ein Werk
32
der Barmherzigkeit thun will, so laß sie schreiben nach Berlin – Sie wird Dir
33
diese Gnade für mich nicht abschlagen u B. wird auch nichts dagegen
34
einzuwenden haben. Melde mir doch alles von Starks Rechtfertigung, besonders
35
wo
sie gedruckt wird, und verschaff mir ein Exempl. Wenn Göschen Verleger
36
ist; so würdest Du auch mitten in der Arbeit eins erhalten, ob meine
37
Ahndungen von dem Gange dieser Sache eintreffen? nach dem mir mitgetheilten
S. 152
Briefe und dem von der Monathsschrift widerlegten Programm. Bin ich
2
blind? oder ist das Publicum mit Blindheit geschlagen? Diese Frage muß
3
entschieden seyn, ehe ich weiter gehen kann; Keiner hat Recht, aber
Einer
4
kann nur Recht behalten. Wenn dies Glück den Berlinern zufiele: so muß
5
man diesen Fall absehen, und darnach Maasreguln im voraus nehmen. Je
6
mehr jetzt darüber
debattirt
wird; desto beßer werde ich im stande seyn das
7
Thema
meiner kleinen Autorschaft,
Christentum und Luthertum
,
8
durchzuarbeiten. Dein Exemplar vom 2 Heft des Demarees wird wohl eher
9
ankommen, als das von mir 2 mal verschriebene und bisher mit
jeden
10
Posttag umsonst erwartete. Ach lieber Jonathan! Einige Stunden an Deiner
11
Seite verplaudert würden mehr fördern, als alles Geschmier. Hier habe ich
12
keine Seele
, mit der ich über diese Materie reden kann. Nichts als
13
gleichgiltige
oder –
Crispi Recension
über Meiners wirst Du wohl eher
14
zu lesen bekommen als ich – Weder Kant noch ich haben sie zu sehen
15
bekommen. Sag mir doch Deines Herzensgedanken. – Nun muß ich aufstehen. Ich
16
habe seit ein paar Tagen wieder in meinen Socken gehen können, und die
17
Geschwulst scheint wenigstens wo nicht ab- doch gewiß nicht zuzunehmen;
18
auch das Gefühl der Schwere und Spannung des Abends hat sich verloren.
19
Mein Sohn bringt nichts von der Post als dummes Zeug, daß er
20
nachmittags widerkommen soll, und es noch 8 Tage währen wird, weil die Posten
21
sehr unordentlich gehen. Ich bin gleichwol zu Hause geblieben, und will für
22
Ungedulte
alles so roh abschreiben, um Dir wenigstens den Gang meiner
23
Gedanken sehen zu laßen, die ich weder auffädeln noch in Zusammenhang
24
bringen kann, weil ich noch mehr
data
vom Fortgange der Händel brauche um
25
sie an dem rechten Ende zu faßen.
26
Den 2 Jul. wird also Geburts-Tag und Hochzeit Tag seyn. Gott laß Dir
27
viel Freude erleben. Ich möchte ihn lieber unterwegs als gegenwärtig feyern.
28
Miltz hat mich endlich zum erstenmal in dieser Woche besucht. Er verzehrt
29
sich wie ein Schatten,
gab
hat den Schlaf verloren, wegen der Unruhe
30
mit dem neuerkauften Hause, und wird aus Liebe des Zeitl. sich sein Leben
31
verkürzen, und aus großer Liebe zu seiner einzigen Tochter sie vielleicht zur
32
Wayse machen. Was ist Klugheit und Narrheit? Ist nicht alles ein Fladen?
33
wie ein Ey dem andern ähnlich? Was für ein leidiger Tröster ist ein Mensch
34
dem andern? Ich will noch bis auf den Abend die Post erwarten – Vergiß
35
doch nicht
Starkens Apologie
– oder wenigstens so viel Nachricht
36
darüber, als es Dir mögl. seyn wird aufzutreiben? wo sie gedruckt, wie stark
37
sie wird – Ich brauche das Ding zu
allerhand
.
S. 153
Nun erhalte zur letzten Nachricht, daß die fahrende Post schwerlich vor
2
Sonnabend erwartet wird; also muß ich mich wohl zufrieden geben
nolens
3
volens.
Ich werde heute so viel
crudem
materiam
als ich nur immer kann,
4
auszuschütten suchen. Laß Dir nicht grauen noch eckeln vor den
secretionibus
5
Deines lahmen Patienten und Nachtwandlers.
6
Wie geht es mit unsers Freundes
Tiro Antinomie?
Ist das wirklich sein
7
Tirocinium
oder die erste Blüthe seiner Autorschaft?
8
Des Abends bey Zapfenstreich.
9
Du must aus beyl.
Brouillon
ersehen, daß mein alter Kopf einem alten
10
Käse ähnlich ist, der von Maden wi
bb
mmelt und kribbelt. Streich aus,
11
und melde mir wenigstens was Du erhalten u ausgeführt wünschest.
Trahe
12
me post TE;
damit der
truncus
und
stipes
Dir näher kommt und so manches
13
was er auf dem Herzen hat, ins Ohr sagen kann. Nach vollbrachter Reise
14
wird es beßer und leichter gehen. Gott empfohlen u die lieben Deinigen nebst
15
meinem kleinen Gesindel.
16
JGH.
17
Dies ist ungefehr ⅓ Das zweyte muß beßer gehen, wenn ich erst auf die
18
rechte Spur kommen werde, die mir noch immer fehlt. Auf dem Postwagen
19
wird sich gut nachdenken und verdauen laßen.
20
Wenn es je zum Abschreiben kommt, laß es nicht gantz sondern blos das
21
abschreiben, das Du billigst, und damit ich die Verbindung einigermaaßen
22
sehn kann und den Zusammenhang oder Faden, den ich aus meinen Zeddeln
23
nicht zu erkennen oder wider zu finden im stande bin.
Incredibile, sed verum;
24
weil ich bey dem besten Willen ordentl. zu seyn das allerconfuseste Geschöpf
25
bin.
26
Es folgt auf den 3 übrigen Seiten des 2. Bogens die
Copia
seines Gesuchs, vgl.
27
HKB 1056
28
Am Schluß:
29
Es ist mir beym Abschreiben
übel und weh
geworden.
30
Vermerke von Jacobi auf einem gesonderten Blatt:
31
Koenigsberg den 17 u 18
ten
April 87.
32
J. G. Hamann –
33
empf den 29
ten
–
34
beantw den 30
ten
u. 1.
ten
May
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 334–337.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 479–487.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 6: Januar bis November 1787. Hg. von Jürgen Weyenschops, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2012, 80–90.
ZH VII 146–153, Nr. 1057.
Zusätze fremder Hand
|
153/31 –34
|
Friedrich Heinrich Jacobi |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
|
146/26 |
Quasimodog. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Quasimodog. |
|
147/10 |
lege eine ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: lege |
|
148/13 |
gedachte ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: gedacht |
|
148/17 |
Osterdienstage. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Osterdienstage; |
|
148/18 |
Ich ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: ich |
|
148/19 |
Gouvernante |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Gouvernante |
|
149/7 |
den ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: dem |
|
149/13 |
zu thun ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: zuthun |
|
149/23 |
laßen . |
Geändert nach der Handschrift; ZH: laßen. |
|
149/23 |
Bitte ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Bitt |
|
149/32 |
Pflicht ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Pflicht, |
|
150/1 |
habe . , ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: habe, |
|
150/25 |
liegt ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: liegt mir |
|
151/19 |
habe . , ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: habe, |
|
151/25 |
eine ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: ein |
|
152/9 |
jeden ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: jedem |
|
152/22 |
Ungedulte ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Ungedult |
|
153/3 |
materiam |
Geändert nach der Handschrift; ZH: materiam, |