1060
161/22
Castor den 27
Apr.
87.

23
Vous etes malin!
– Machst Du eben
so große
Augen, mein lieber Pollux!

24
– als damals zum ersten mal über dies Zeugnis. Glaubst Du – oder

25
verlangst Du außer den Empfindungen, klare Beweisgründe. – Geschichte ist

26
Anfang
und
Ende
. Wenn wir
eins
sagen, versteht sich
beides
, weil

27
eins das andere in sich schliest, wie
essentia
u
existentia.

28
Den 20 erhielt ich Dein ängstlich erwartetes Geschenk. Ich verschlung das

29
Büchlein, und es war mir nicht wohl darnach.
Crispinus
überraschte wie ein

30
angelus ex machina,
bemächtigte sich, wieder seine Art, des Büchleins, und

31
that mir einen großen Gefallen; weil ich nicht so bald meine dunklen

S. 162
Empfindungen zu entwickeln im stande war, und wegen der Ursache ungewiß war.

2
Mistrauisch gegen mich, wie Pollux – und ungewiß, ob Witterung, Unterleib

3
oder
anticipatio
des Gefühls Vernunftgründe vermuthen ließ. – Den Tag

4
drauf kam Hartknoch, und ich laß Deinen Woldemar durch einen
Zufall,
der

5
auch auf mich wirkte und neue Empfindungen nebst parallelen Ideen oder

6
Begriffen in mir hervorbrachte. Die Geschichte des Sonntags weist Du – Die

7
Witterung war schlechter und mein herkulischer Appetit ärger, wie jemals.

8
Montags nahm Hartknoch Abschied, Witterung trübe, der Kopf
sub tutela,

9
ich schrieb fort an Dich und blieb den ganzen Tag zu Hause. Dienstags bey

10
Hippel zu Gaste mit neuem Appetit.
Crispinus
wohnt in der Nähe, ich

11
brannte vor Neugierde ihn zu sehn.
Er gab mir Deinen
Hume
traurig

12
wider, beklagte sich am Mangel der
Einheit
(den zu finden
ich
und zu

13
empfinden ich schnell und übereilt zu lesen genöthigt bin) machte mir aber

14
von neuem Hoffnung zu einem Aufsatz über Wz. Fragment, mit dem er
sehr

15
zufrieden
war bis auf
aber
, die ich noch nicht weiß, und die mir vielleicht

16
so gleichgiltig seyn werden, als das
fehlende positive
Von Kant

17
versicherte er eben das, der den Tod dieses Mannes sehr bedauert und sich

18
gewünscht hätte, auch Lust gehabt hatte sich näher mit ihm einzulaßen.

19
Ich fiel erst über das Fragment, weil ich es für nöthig u nützlich hielt mein

20
eigen Urtheil zu
verifici
ren. Es fielen mir Striche dabey auf, die ich zu

21
erklären glaubte und zu verstehen schien. Mittw. vorgestern fieng ich Deinen

22
Hume an
zu lesen
und legte einen halben Bogen zum Aufschreiben ins Buch.

23
Der
Titel
ist mir das Gesicht, und die
Vorrede
der Kopf, bey denen ich

24
mich immer am längsten aufhalte und beynahe physiognomisire. Da fiel mir

25
manches ein. Mein Sohn hatte Zeichen zuerst bemerkt vom Kraus, auf die

26
ich mich freute. Sie fangen aber erst mit S. 93 an. Mir ist immer mehr,

27
wie Dir am
Anfange
mehr als
Ende
gelegen. Dies ist der Anfang der

28
Analysis, und jenes das Ende der Synthetik, beyde gehören zusammen und

29
beziehen sich auf einander, wie Vernunft und Glaube. Das Subject ist mir

30
entfallen: vielleicht meine Urtheilskraft.

31
Im besten Lesen kommt mir ein Qveerstrich im Wurf, und ich f
inde
and

32
mich gedrungen Deinen Hume fortzulegen, weil ich von meinem Gefühl

33
hingerißen wurde, und meine hinkende Vernunft ein
artifex mille artium
trotz

34
dem Vulkan ist. Es geht mir mit der Kritik, wie Dir mit der Philosophie.

35
Ich habe ein
kunstrichterliches Mistrauen
, das eben so arg ist, als

36
mein kritischer
Pruritus.
Es geht mir mit Büchern, wie mit Menschen.

37
Leidenschaft – Leidenschaft – Leidenschaft wie des Demosthenis
Actio.
Ich schrieb

S. 163
Dir von dem electrischen Eindrucke, den der
Beytrag
zur Kirchenhistorie in

2
der poetischen Geschichte und arabischen Märchen vom güldnen Hahn auf

3
mich gemacht hatte, und hab mich durch das Buch beynahe
prostitu
irt. Man

4
konnte gar nicht begreifen, wie ich die in dem Buche enthaltene
Blasphemi
en

5
und
Obscenität
en hatte verdauen können. Ich hatte einen Kampf beynahe

6
darüber, die
Brochu
re zu kaufen. Der Uebersetzer des
Grecourt
schickte es

7
zurück dem Mann, der es ihm verschrieben hatte. Ich machte mir ein

8
Gewißen daraus Geld dafür auszugeben, und suchte es bey den Juden

9
anzubringen –
Es hat mir 10 mal leid gethan, ich habe darnach geschickt und

10
gelungert über 6 Wochen umsonst –; je saurer es mir wurde wider in meine

11
Klauen zu bekommen: desto mehr nahm der Appetit zu dieser verbotenen

12
Frucht zu. Ich schämte mich meiner selbst, und gab schon alle Hofnung auf,

13
suchte meine Lüsternheit zu unterdrücken. Dem ohngeachtet war mir daran

14
gelegen, meine Urtheile (die
Phoenomene
u
Meteore
) doch zu untersuchen.

15
Ich sollte Deine Schrift beurtheilen: und hatte die hypochondrische Furcht

16
und Besorgnis auf meinem Herzen, daß ich gar nicht mehr zu urtheilen im

17
stande wäre – hatte das Buch Deinem Namensvetter, Pr. Haße und was

18
noch ärger ist dem Kritiker der reinen Vernunft, der im Kayserlingschen

19
Hause und bey Hippel von meinem enthusiastischen Geschmack gehört, und

20
mit dem ich selbst darüber im
lachenden Muthe
gesprochen hatte. Dein

21
Hume wurde weggelegt, und ich machte eine neue Probe meines Urtheils

22
und Geschmacks, mit einem
Ναφε
– Es ist mir unmögl meine widerholte

23
Empfindung zu verleugnen, und ich finde so viel Beziehungen auf meine

24
Ideen mit denen ich schwanger gehe, so viele
αρθρα των φρενων
zu meinem

25
fliegenden Briefe. Ich erholte mich von dem
Paroxysmo
meiner kritischen

26
Muthlosigkeit, und traute mir etwas mehr zu auch bey Deiner neuen Schrift

27
mitreden
zu können, was für unsere beyderseitige Freundschaft keinen

28
nachtheiligen Einfluß haben wird. Ich lies vieles in dem Buche übrig, um

29
allmählich näher zu prüfen und
explicable
zu machen – entschloß mich

30
Mittwochs zu Mittag den Miltz zu besuchen, den ich seit einigen Tagen nicht

31
gesehen hatte. Er war nicht zu Hause, weil er alle Tage spatziren gehn muß.

32
Ich erwartete ihn und er kam eher als ich es vermuthete. Ich hatte mit Fleiß

33
gl
eich
nach dem Eßen
Caffé
getrunken um noch eine Pfeife rauchen zu

34
können ein paar Stunden hernach. Binnen der Zeit bekommt mein jüngstes

35
Mädchen einen Anfall vom kalten Fieber; auch diese Kleinigkeit hatte auf

36
meinen Besuch und die Dauer deßelben Einfluß. Wider meine Gewohnheit

37
rauchte ich 2 Pfeifen und lies mir das Bier schmecken, da ich sonst nur des

S. 164
Abends trinke. Der arme Mann ist gantz trostlos geht mit Todesgedanken

2
schwanger und kann seiner starken Vernunft den unüberlegten Verkauf

3
seines alten u Ankauf des neuen Hauses nicht vergeben

4
Gestern speise ich bey
Jacobi,
bring ihm den
goldenen Hahn
, eße

5
Sauerkraut, das mir die Base verwahrt hatte und eingeschnittnen

6
Kalbsbraten und vom Nachtisch mit solchem Hunger, der
Sensation
machte auf

7
Wirth und die übrige Gesellschaft
vtriusque generis,
unterdeßen ich mich

8
meiner selbst schämte und über mich ärgerte. Wir sitzen bey Tische, wie Kraus

9
gl. einem Mittagsgespenst erscheint. Er hatte allein geeßen, weil Kant

10
Dienstags bey Kayserlings oft speißt. Er hatte mir vor ein paar Stunden die 3

11
Stücke seiner
Recension
zugeschickt, die ich in der Tasche trug nebst Deinem

12
Buche.
Jacobi
giebt eine kleine
Bouteille
in 16
o
Pedro Ximenes
zum besten.

13
– Kraus bekam Lust zu einem Semmel den er kaum halb verzehren konnte.

14
Wirth u er schlürfen den Wein, wie Claudius Keuchel.
Crispinus
begleitete

15
mich nach Hause, gab mir zu verstehen, daß
Kant
nicht recht
mit seiner

16
Recension
zufrieden wäre
, hatte die außerordentl. Freundschaft, die

17
ich nicht Herz hatte ihm zuzumuthen, nicht nur die allgem. Litter. Zeitung

18
von selbst anzubieten, sondern versprach mir sie zu
corrigi
ren und alles

19
widerherzustellen wie ers gemeynt u gesagt oder geschrieben hatte. Sonntags soll

20
ichs haben, spätestens, samt dem Aufsatz
des
über Witzenmann. Ich wollte

21
mi
ch
r seine Laune zu nutze machen und Erklärungen seiner Anstriche

22
ausholen; aber sein Kopf war mit andern Grillen voll, und ich konnte ihn zu

23
nichts bringen. Das meiste sind Striche; wenig Lautbuchstaben seines Sinns.

24
S. 94 hatte er dazugeschrieben
Cf.
Wz
in D. M.
S. 111 beym letzten

25
Abschnitt:
Subrept
.
S. 118 beym Er.
O viel
! S. 123. beym d.i.
nicht

26
doch
! S. 131 bey Sp u Rec.
oder umgekehrt
. S. 142 die
Dinge

27
wahrnehmen
: Nun S. 152. bey der letzten Zeile:
πρ. ψ
S. 159

28
eingegliedertes Glied:
σκοτος
S. 172 bey mat. fac.
p.
126
Beyla
In der

29
Beylage fand er lauter Misverständnis S. 224. bey der untersten Zeile

30
πρ. ψ
Kurz S. 93 ist der erste Strich seiner Bleyfeder; je weiter er gelesen,

31
je mehr werden ihrer – bald schräg, horizontal und perpendicular.

32
Ich will erst Dein Urtheil der
Recension
wißen und nachher weiter gehen,

33
wenn Dir an seiner Denkungs- und Prüfungsart etwas gelegen ist. Ich

34
verstehe seine Recension noch nicht, aber
politisch
ist sie und
Sapienti sat.
Er

35
hat seine Empfindungen
mit
und Vernunftgründe mit
factis
belegt – und

36
ich halte
Materie
und
Form
meines Beyfalls und eines
genauen

37
Studiums
von beyden würdig.

S. 165
Nun mein lieber Jonathan
J
Pollux
über Deinen
Vorbericht
.

2
Das
sollte
wäre freylich beßer gewesen, ich
meyn
meyne 3 Gespräche

3
statt eines. Die
Dosis
ist zu stark für einen Patienten mit nüchternem Magen,

4
der
Galle
verräth – auch die Personen nicht gut gewählt oder glücklich

5
bezeichnet. Das
Er
zu sehr nach dem Zuschnitte des
Ichs
.
Glaube,

6
Vernunft = Idealismus
; Realismus. Hume: Kant: Leibnitz:
Spinoza

7
Glaube hat Vernunft
eben so nöthig: als diese jenen hat.

8
Philosophie
ist aus Idealismo u Realismo: wie unser
e
Natur
aus Leib u

9
Seele zusammenge
setzt
.
Qui bene distinguit, optime definire potest –

10
und beydes gehört zum eignen Unterricht und ein Lehrer anderer zu seyn.

11
Mir komt es nicht vor, daß Realismus und Idealismus den Inhalt der

12
Vernunft, als der Schul u künstl. u sectirischen ihren
füglich mit
befaßen

13
konnten; sondern eher umgekehrt. Die
Schulvernunft
theilt sich nur in

14
Idealismum u Realismus. Die rechte u ächte weiß nichts von diesem

15
erdichteten Unterscheid, der nicht in der
Natur der Sache
gegründet ist, und

16
der
Einheit
widerspricht, die allen unsern Begriffen zum Grunde liegt,

17
oder wenigstens liegen
sollte
.

18
Das
Oder
der Verbindungsart hinter der
Aufschrift
läßt sich nach

19
deinem eignen Urtheil nicht gantz rechtfertigen und hat Verzeihung nöthig.

20
Die
Beylage
ist auf ein
disjunctiv
es
aut, aut
gebauet
und vielleicht

21
beruht selbiges am Ende des Vorberichts eben so gut auf einem
error calculi.

22
Scimus
et hanc veniam
– – Ein allgemeines Bedürfnis
jeder

23
Philosophie, ohne Unterscheid ist
petitio
principii
und nichts eher zu nehmen,

24
als was uns eingeräumt wird, nicht über das Terrain die Richtung zu

25
verlieren

26
Was ist die
gemeine Art
des Wortgebrauchs? Zeugniße. Sind

27
Verhältniße keine
Dinge
, die
Eigenschaften
haben? – und ist wol ein

28
wirkliches Daseyn ohne Dinge, Eigenschaften und Verhältniße möglich oder

29
denkbar?

30
Sollte die sinnliche Erkenntnis nicht apodictischer seyn als die

31
Vernunfterkenntnis? Hat
ungewiße
Erkenntnis nicht Vernunftgründe nöthig;

32
wozu braucht
gewiße
Erkenntnis dergl.

33
Jede Philosophie besteht aus gewißer und ungewißer Erkenntnis = aus

34
Idealismo und Realismo = aus Sinnlichkeit und Schlüßen. Wozu soll blos

35
die ungewiße Glaube genannt werden – Was sind nicht –

36
Vernunftgründe
? Ist Erkenntnis ohne Vernunftgründe mögl. eben so wenig als

37
sensus
sine intellectu.
Zusammengesetzte Wesen sind keiner einfachen

S. 166
Empfindung, noch weniger Erkenntnis fähig. Empfindung kann in der

2
menschl. Natur eben so wenig von Vernunft, als diese von der Sinnlichkeit

3
geschieden werden. Die Bejahung identischer Sätze schliest zugleich die

4
Verneinung widersprechender Sätze in sich. Identität und Widerspruch sind von

5
gantz gleicher Gewisheit, beruhen aber oft auf einem optischen oder

6
transcendentellen schein, Gedanken-Schatten
auf
und Wortspiele. Die

7
Sprache
ist die wächserne Nase, die Du Dir selbst angedreht, der Pappeldeckel,

8
den Du deinem
Spinoz.
vorhängst, und in Deiner gantzen Denkungsart oben

9
schwimmt, wie geronnen Fett.

10
Empfindung muß durch Vernunftgründe eingeschränkt werden. Erkenntnis

11
aus dem Glauben ist im Grunde identisch mit dem:
Nil in intellectu
– Also

12
ein ewiges und fortgesetztes
Διαλληλων λογος
und
τροπος
liegt allen deinen

13
Schlüßen zum Fundament oder ist das
Centrum,
welches Dich ohn Dein

14
Wißen fortreißt und an sich zieht, Dich selbst und Deine Leser schwindlich

15
macht, daß alles auf
Identität
und
Contradiction
immer läuft

16
in einer neuen Gestalt, der alter Sauerteig gährt, und der Knäuel unter

17
Deinen Händen zunimmt, anstatt
entwickelt
zu werden. Das ist das

18
Qvecksilber
Deiner
Philosophie
, welches Du umsonst zu
figi
ren

19
bemüht bist. – Bejahung des
Daseyns an sich
– Das abstracteste

20
Verhältnis, das nicht verdient zu den
Dingen
, geschweige als ein

21
besonderes
Ding
angesehen und gerechnet zu werden; gleichwol der

22
Talisman
Deiner Philosophie und Dein
Aberglaube
an
verba praetereaque

23
nihil
sind die Götzen Deiner Begriffe, wie
Spinoza
den Buchstaben zum

24
Wort und Werkmeister sich einbildete … so leichtsinnig
ist die
E
thik
,

25
daß mir davor eckelt, und ich begreife nicht, wie es mögl. ist die Juno diese

26
cartesianisch-kabbalistische Juno für eine Göttin anzusehen, wenn die Berl.

27
Philosophen nicht eben so schwärmerisch von Jerusalem und eben so

28
lächerlich ehrerbietig geurtheilt hätten. Bald wird alles verraucht seyn, und sich

29
verblutet haben.

30
Dein
Er
ist der
Schatten
, das
Echo
Deines Ichs, verstümmelt und

31
schwankend. –
Freundschaft der Wahrheit, gutes inneres

32
Bewustseyn
Verleugnung – der Wahrheit oder des innern Bewustseyns?

33
Ich finde allenthalben ein
Oder
wie hinter der Aufschrift, eine willkührl.

34
Verknüpfungsart, die Deinem eigenen System nachtheilig und Deinen

35
Gegnern günstig ist,
gewesen
und seyn wird.

36
Gestern Abend schlug ich die
Citata
der 1. Erinnerung auf, und erstaunte

37
nichts in Absicht der
Lehrbegriffe
(Ideal. u Real.) geäußert zu finden.

S. 167
Ich will gleich noch einmal diese Stellen aufschlagen und sie bey Tage, bey

2
hellen Tage lesen. – –

3
Welcher Jude und Philosoph kann sich vorstellen daß S. 162–164 von

4
Humens Glauben
die Rede seyn kann. Ist Offenbarung der Natur mit

5
Hume so nahe verwandt, daß man von selbst darauf fallen kann und ist der

6
Uebergang auf die Religion der Christen
nicht eine

7
Gräuelsuppe für den Juden durch eine
Verknüpfsart
, die Verzeihung und bald

8
möchte ich sagen Abbitte von Deiner Seite
verdient.

9
Ich war von
Hume voll
, wie ich die Sokr. Denkw. schrieb, und darauf

10
bezieht sich S. 49 meines Büchleins.
Unser eigen Daseyn u die

11
Existenz
außer uns muß
geglaubt
und kann auf keine andere Art bewiesen

12
werden. Kennst Du des Hume
Treatise on human Nature Vol. I.
vom

13
Verstande
Vol. II.
von den Leidenschaften
III.
von der Sittenlehre die 739

14
ausgekommen sind, sein erstes Werk?
Crispin
dankt mir immer dafür, wenn

15
er daran denkt, daß er das Buch durch mich hat zuerst kennen lernen. Da

16
erscheint Hume in so roher Natur, ihrer Blöße u Stärke.
Er
Crispin
kann

17
sich wirkl. rühmen, den Hume beynahe auswendig zu kennen. Ich habe nichts

18
als ein Gespenst im Kopf u Auszüge, die ich weder lesen noch mich daraus

19
finden kann. Spinoza ist Dein Hauptschlüßel und seine Gläser für Deine

20
Augen vielleicht geschliffen, aber unrein und gefärbtes Glas. Wie kannst Du

21
S. 23 beschuldigen daß M. ohne
die geringste Veranlaßung
Dir

22
christl. Gesinnungen aufgebürdet, die weder christl. noch die Deinigen waren.

23
Im Glauben
b
geboren werden
ist das Humisch oder

24
philosophisch oder – ? Jetzt setzt Du nicht christliche sondern selbst
jüdische

25
Autoritäten eines Hume und Spinoza entgegen und wilst die Dir beschuldigten

26
gänzl. verleugnen durch den
Dialect
, der Dir geläufig ist, und den kein

27
Leser fest zu halten im stande seyn wird, weil er wie ein
Aal schlüpfrich

28
ist. –
Vorsichtigkeit
und
Ton
der Äußerung – verdient Erwiederung

29
der
Vorsicht
und
des Tons
! Wahrheit kehrt sich nicht an Vorsicht noch

30
Ton; ist vierschrötig.

31
Du setzest zum voraus, daß die transsc. Idealisten Dich
gnug

32
verstanden haben
. Sie selbst leugnen es – Ist die Schuld Dein Glaube, oder ein

33
Mangel ihrer Selbsterkenntnis? S. 8. Sich selbst verstehen – und nicht

34
ungedultig werden. Die Menschen, Er, Du und ich suchen was sie wißen, und

35
wißen nicht was sie suchen S. 54.

36
Es ist gar keine Unmöglichkeit, sondern eine Unvermeidlichkeit, den transsc.

37
Ideal.
unrecht zu faßen
.
Daseyn ist Realismus muß geglaubt

S. 168
werden
. Verhältniße sind Idealismus, beruht auf Verknüpfungs- und

2
Unterscheidungsart.

3
Hume’s
Essays
ein
lustiges Buch
– nicht
Er
, sondern
jeder Leser

4
versteht Dein
Lächeln
. Aber S. 3. verstehe ich die Worte gar nicht.
Gut,

5
daß ich es erfahre
– Hier kann ich den
hiatum
oder das

6
Beziehungswort
es
nicht erklären.

7
Il y a des mysteres imprimés et publiés comme il y a des mensonges

8
imprimés.
Der Buchstabe mag immerhin gedruckt seyn, der Verstand u Sinn

9
läßt sich nicht drucken. Wilst Du mir nicht die Stelle im Sextus Empirikus

10
u Aristoteles mittheilen. Sind es nicht Aussprüche einer menschl. Autorität,

11
wenn es Dir um
Hume
,
Reid
und Spinoza mehr als um die Sachen

12
selbst zu thun ist, und Deine Rechtfertigung durch ihre Lehrsätze

13
rechtfertigst
,
beschönigst
und – Wenn Du im Glauben geboren bist: so

14
konnte nicht von solchen späten,
wurmstichigen
und verdächtigen Autoritäten

15
die Rede seyn, und der
christl. Glaube
wäre immer allem philosophischen

16
Laut vorzuziehen – Aber der christl. ist wieder eine bloße Hinterthür zum

17
Abzuge, ein
pallium
der nackten Wahrheit.

18
S. 79. Das Seyn ist keine Eigenschaft! – ist die Fähigkeit alle

19
Eigenschaften zu tragen, keine Eigenschaft? Ist es keine Ungereimtheit diese

20
Fähigkeit und Möglichkeit als das
Erste
zu se
yn
tzen –

21
Ach mein lieber Jonathan Pollux! Du
verstehst Dich selbst nicht
,

22
und bist
zu übereilt Dich
andern verständlich zu machen und Deine

23
kranke Philosophie andern mitzutheilen, aus einem Principio des
guten

24
Willens
– Ich will der erste seyn, Dich auf die Ausfälle vorzubereiten, die

25
du dir zuziehen wirst. – Auch Deiner Arbeit hab ich manchen Aufschluß

26
meiner eigenen zu danken; ich bin auch in vielen
D
Bagatellen und Hauptzügen

27
Deiner Idiosynkrasie ähnlich und Dir dem Blute nach anverwandt. –

28
Schön geschrieben
! sagt jedermann, wenn man mit den Sachen nicht

29
recht einstimmen kann. Ein solches Lob ist die ärgste Beleidigung für mich.

30
Nein Vernunft ist unsichtbar, ohne Sprache: aber freylich ist sie der
einzige

31
Ausdruck
der Seele und des Herzens zur Offenbarung und Mittheilung

32
unsers Innersten. Das Bewußtseyn der Schönheit verdirbt ihren Werth

33
und Eindruck. Die äsopische und sokratische Sprache verschönert sich, als

34
ein Organon ächter, lebendiger, verhältnismäßiger Vernunft. Schönheit ist

35
ein mimischer Engel des Lichts, deßen Nachahmung i
st
ch zum Muster

36
nehme, so sehr ich den Sinn verabscheue.

37
Hättest Du Deinem
Hume
ohne Schnupfen und Flußfieber, bey einer

S. 169
Flasche Wein und nach einem guten
Pudding
aufgeführt: so hätte ich mit

2
mehr gesellschaftl. Antheil und
S
sympathetischem Appetit gelesen; aber

3
Dein grämliches Lächeln, Dein trauriges Fasten, Deine Schlaflosigkeit

4
machen mir unangenehme Eindrücke. – Der unbarmherzige Er giebt Deinen

5
Leidenschaften
Köder
, die Dir nachtheilig sind –

6
Dein Beyspiel warnt mich noch mehr meinem Autorküzel Zaum und Gebiß

7
anzulegen –. Hättest Du Dich damals weniger anstößig für einen

8
philosophischen Judenmagen erklärt: so hattest Du keine Rechtfertigung und

9
keine Nachrede nöthig gehabt. Wenn man sich nicht einander verstehen will

10
noch kann: so hilft alles Reden nichts, sondern macht nur das Uebel ärger.

11
Je
mehr Worte
, desto mehr Stoff zu Misverständnißen; Worte ohne

12
Begriffe und Begriffe ohne wirkliche Gegenstände? Z.E. Seyn, u die
VIII

13
Defin.
der
Ethica.
Ist das
Seyn
und das
Seyn an sich
ein wirklicher

14
Gegenstand! nein sondern das allgemeinste
Verhältnis
, deßen
Daseyn

15
und deßen
Eigenschaften
geglaubt werden müßen, und ohne

16
Instrumente
weder deutlicher, noch näher, noch größer
ex-
und
intensiue
den

17
Einsichten des Dritten gebracht und gemacht werden können – Statt

18
Fußsalbe
ist für den ungeneigten blindgläubigen Leser
nicht so
am nöthigsten

19
Augensalbe
Hic oculis ego
nigra
meis
collyria lippus Inlinere – –

20
Hat man mit Roß und Mäulern zu thun
kann
, so muß man die
collyria

21
aus der
Medicina Veterinaria
brauchen. Verstehst Du nun HerzensPollux

22
mein
Sprach-
principium
der
Vernunft
und daß ich mit Luther die

23
ganze
φφ
ie zu einer
Grammatik
mache, zu einem Elementarbuch unserer

24
Erkenntnis, zu einer Algebra und Construction nach
Äquatio
nen und

25
abstracten Zeichen, die
per se
nichts
und
per analogiam
alles mögl. u wirkl.

26
bedeuten. Kennst Du Wachters
Spinozismum
im Judentum Amst.
699

27
Er hat sich einige Wochen auf meinem Tische umgetrieben. Bey dem Beschluß

28
meines letzten Briefes an Dich fiel er mir in die Hände. Ein langweiliges

29
eckles Buch, wo
Spinoza
nicht um ein Haar beßer als
Machiavel

30
widerlegt wird. Eben dieses Autors
Elucidarium Cabalisticum Rom.
706 habe

31
ich vor mehr als 20 Jahren in Curl. gelesen und Auszüge gemacht ohne sie zu

32
verstehen nebst seiner eben so kleinen
Diss. amica de haeresi circa mensas.

33
Dogmatismus
u
Scepticismus
haben für mich die vollkommenste Identität

34
wie Natur und Vernunft, und wie ich Dir schon gesagt,
faire et confondre

35
ist ein ebenso
homogenes
oder
relatives
Werk.
Analysis
u
Synthesis
muß

36
nach gantz ähnlichen Gesetzen geschehen.
Analysis
nicht
v
zerstören
, sondern

S. 170
zergliedern.
Synthesis
nicht vermischen, sondern zusammensetzen. Beydes nach

2
den Kennzeichen und Gesetzen der Natur u ihrer
Generation,
deren

3
Nachahmung und
Composition
sich die
Nat
Kunst zum Muster nehmen muß.

4
Ich verstehe zum Theil beßer als
Crispinus
die gegliederte Glieder – aber ins

5
Unendliche theilbare
und
wirkl. getheilte Materie ist
auch

6
für mich
σκοτος
und beruht auf kabbalistischen, kartesianischen oder

7
leibnitzianischen
Teufelchen, Monaden u Engelchen, der ich, meine Vernunft u
φφ
ie

8
ziemlich entbehren kann. Werd ich mit meinen Nachwehen fertig: so erlaub ich

9
Dir auch, mich zu zerschneiden und
escalpi
ren nach Herzenslust und

10
Wohlgefallen. Vielleicht bekomm ich morgen von Dir Briefe, schwerl. aus Berlin.

11
Ich habe gestern die Apologie durchblättert das erste Heft, wo über Kant

12
pro
und
contra
und Sailers Mährchen steht. Vergiß nicht lieber Jonathan-

13
Pollux!
Starkens Rechtfertigung
und Deinen

14
Castor Oedipus.


15
den 29 Jubilate.

16
Ich war vorgestern mit meinem Briefe eher fertig, als ich dachte; und

17
gieng zu Miltz um ihm zu melden, daß das Fieber bey meiner Marianne

18
zum dritten mal ausgeblieben war. Darauf besuchte ich
Crisp.
der bey

19
Hippel geschmauset hatte, trostlos und hungrig war. Er hatte den Abend vorher

20
einen Gast gehabt und ihn mit einem Gerichte Fische bewirthet, ohne selbst

21
geeßen zu haben. Ich schalt ihn, weil seine Schlaflosigkeit vielleicht vom leeren

22
Magen hergekommen war – und sich Abendbrodt nach 10 Gerichten bestellte,

23
die für ihn blos Schaugerichte gewesen seyn müßen. Läst sich ein solcher

24
Wiedersinn denken?

25
Mein Sohn gieng gestern in aller früh auf der
Nicolovius
Gut Sperling,

26
schlief also die Nacht bey ihnen. Ich muste daher selbst bey
Fischer
gehen,

27
fand nichts von Dir, mein lieber Jonathan. War willens
Me Courtan
zu

28
besuchen, sie ließ mir aber den Tod ihrer Stiefmutter melden, der
Commerc.-

29
räthin
Toussaint.
Kam gleich von der Loge zu Hause, muste Nachmittags

30
schlafen. Meine Kinder waren alle ausgeflogen, die Leute arbeiteten im

31
Garten. Ich nahm die
Recension
vor, welche ich den Abend vorher von
Crispus

32
corrigirt erhalten hatte. Es sind häsliche Druckfehler darinn z.E. S. 32.

33
und die Zahl anstatt aus der Zahl S. 39 zu heller Vernunfteinsicht, nicht

34
halber S. 40 Aussprüche, nicht Ansprüche. War eben im Begriff Dich zu

35
lesen oder was ich geschrieben hatte, darüber anzusehen. Kommt Wagner

36
und bringt mir das
ausführl. Lehrgebäude der Religion
, von dem

S. 171
neulich bey Hippel die Rede war – wuste aber von allem nichts mehr. Mit

2
der
ersten Zeile
der Vorrede stößt mir ein Geruch von Bahrdt in die

3
Nase, an dem ich mich satt und überdrüßig gelesen habe. Wir speisen bey

4
Hippel
mehrentheils zusammen, im Kayserlingschen Hause ist er auch

5
accreditirt, sonst der Haß u Verachtung des ganzen
Publici,
als Buchhändler

6
u Nachfolger des Kanters. Wollte ein Lombard anlegen, und wird

7
wahrscheinlich die
Rudera
des Kanterschen Ladens wider an sich kaufen. Ich

8
studiere das Original, und finde den Mann brauchbar, wie jedermann, der sonst

9
mit Abscheu von ihm redte. Kraus u Brahl überraschen mich, der erste kann

10
bey aller seiner Politik u Moral meinen Gast nicht ausstehen, kam blos das

11
Museum
abzuholen um sein Versprechen erfüllen zu können – ich hatte

12
mein geliehenes Exemplar auch verliehen. Kraus fand kein Waßer im Hause

13
wegen der
Gartenarbeit
, nach dem Buch konnt ich auch nicht schicken

14
wegen der
Gartenarbeit
. Er setzt sich an das Clavier, springt eine zweite

15
Saite. Sein erstes Wort ist immer Waßer, er würdigte kaum mein edles Bier

16
des Schmeckens; und meine Gäste giengen im grösten Regen weg – Weil ich

17
keinen mehr genießen konnte; so war es mir lieb ihrer los und jeden für

18
seinen Eigensinn bestraft zu sehen. Meine Kinder kamen gut nach Haus; ich

19
trieb Hans zu Bette der 5 Meilen gegangen war, weckte ihn vor 6 Uhr auf,

20
wegen des
Museums
, das Kraus diesen Morgen erhalten hat. Ich

21
dorfte also in meiner jetzigen
Diät
keine Ausnahme machen, wie ich

22
entschloßen war im äußersten Nothfall. Ich trink meinen
Caffé
im Bett und

23
mein Frühstück war das
ausführl. Religionslehrgebäude
. Ich

24
lese
wach, aufmerk
s
am
und
ungläubig
und mit einem gantz

25
besondern Gemisch des Wohlgefallens und Mistrauens,
medicinische
,

26
transcendentelle
und paradoxe
pp
über Bonnet, Jerusalem, der mit

27
Spinoza verglichen wird S. 167. citirt der leibhafte Bahrdt sich selbst,

28
erkenne in dem Abschnitt: Menschen
beurtheilung
meine eigene
Theorie

29
mir das vor mir liegende
Phaenoma
zu erklären, und kann nicht eher als

30
über die Hälfte des Buchs
XXXV.
Vom Gewißen S. 212, mich mit Gewalt

31
los reißen. Mit diesem Wunder der Conformität mit dem Irrlehrer Bahrdt

32
stand ich auf, las die Predigt aus meinem Hahn, gieng mit Mutter und

33
Kindern zum ersten mal im Garten herum, und habe Dir diese
Relationem

34
curiosam
nicht vorenthalten wollen. Mein Urtheil geht wie meine Kenntnis

35
bis S. 211. wohl zu merken.

36
Ich war willens meinen vorgestern geschriebnen Brief in Ordnung zu

37
bringen, ich fürchte, Du wirst so wenig lesen als verstehen können. Du wirst

S. 172
aber, Herzenslieber Jonathan noch
ecklere gedruckte Sachen und

2
Urtheile
zu lesen bekommen, als mein geschriebenes ist. Laß Dir vor der

3
Qvelle
des meinigen daher nicht grauen. Es fließt wenigstens aus einem

4
vollen Herzen
– Prüfe und entschuldige das scharfe und stumpfe meines

5
Urtheils an den beyden Gegenständen, von denen die Rede ist. Lies den

6
goldnen Hahn
deßen Autor ich so gern wißen möchte und am
ausführl
.

7
Lehrgebäude der Religion
bis S. 211.

8
Ich habe meinen Mittag und
Caffé
zu Leibe – und habe mittlerweile bis

9
zur S. 259 gelesen, empfehle Dir sehr den
Beschluß über das Recht

10
zu denken und zu urtheilen
. Laß Dir das Buch empfohlen seyn, und

11
prüfe meinen Beyfall den ich
heute Bahrdt
gebe
en gros
.,
denn zum

12
Detail
habe ich weder Zeit noch Lust, möchte beynahe das Buch selbst kaufen,

13
wenigstens mit
guten Gewißen
empfehlen, weil mir der Mann mit

14
Licht
und
Leben
von der Liebe redt. Ach! noch ist nichts aus Berlin zu

15
vermuthen. Vielleicht erhalte ich
E
etwas diese Woche zwischen
Jubilate

16
und
Cantate
.

17
Meine Briefe sind ein lebendiges Gemälde meiner wüsten Lebens- und

18
Denkungsart, daß ich zu keiner Ruhe kommen kann, immer von innen und

19
außen, von vorn und hinten hin und her geworfen werde. Ueberhaupt finde

20
ich es für nöthig Dich vorzubereiten auf die neuen Unruhen, welche die

21
Fortsetzung Deiner Autorschaft Dir zuziehen wird, eine reiche Erndte neuer

22
Logomachien besorge ich, vielleicht mehr aus Freundschaft als
mit Grunde
.

23
Desto beßer, wenn ich mich irre!

24
Deine Materie hängt allerdings mit meiner zusammen; ich bin aber noch

25
lange nicht so weit, daß ich davon reden kann, geschweige schreiben mag.

26
Vernunft ist für mich ein
Ideal
, deßen Daseyn ich voraussetze, aber nicht

27
beweisen kann durch das Gespenst oder die Erscheinung der
Sprache
und

28
ihrer
Wörter
. Durch diesen Talismann hat mein Landsmann das Schloß

29
seiner Kritik aufgeführt, und durch diesen allein kann der Zauberbau

30
aufgelöst werden.
Es lohnt nicht ein Wort weiter zu verlieren, bis man einig

31
darüber ist, was jeder durch Vernunft und Glauben versteht, nicht was Hume,

32
Du und ich und er verstehn, sondern was die
Sache
ist, und ob es eine ist.

33
Ein allgemeines Wort ist ein
leerer Schlauch
, der alle Augenblick anders

34
modificirt, und überspannt platzt und gar nicht mehr Luft in sich behalten

35
kann; und lohnt es wol sich um ein tummes Saltz, und einen
Balg
zu

36
zanken der ohne Innhalt ist? Vernunft ist die Qvelle aller Wahrheiten und aller

37
Irrthümer. Sie ist der Baum des Erkentnißes Gutes und Böses. Allso haben

S. 173
beide Theile Recht, beide Unrecht, die selbige vergöttern und selbige lästern.

2
Glaube eben so die Qvelle des Un- wie des Aberglaubens. Aus einem Munde

3
geht
Loben
und
Fluchen
Jac.
III.
Das
Adiutorium
der Sprache ist die

4
Verführerin unsers Verstandes, und wird es immer bleiben, bis wir auf den

5
Anfang und Ursprung und das
olim
wider zurück und zu Hause kommen.

6
Petitio principii
ist das Gegengift des unächten Misbrauchs der Dinge, und

7
ihres Misverständnißes.

8
Seyn, Glaube, Vernunft
sind lauter Verhältniße, die sich nicht

9
absolut behandeln laßen, sind keine Dinge sondern reine Schulbegriffe,

10
Zeichen
zum Verstehn, nicht Bewundern, Hülfsmittel unsere Aufmerksamkeit

11
zu erwecken, nicht zu feßeln, wie die Natur
Offenbarung
ist nicht ihrer

12
selbst, sondern eines hoheren Gegenstandes, nicht ihrer Eitelkeit,
sondern

13
Seiner Herrlichkeit, die ohne erleuchtete und bewaffnete Augen nicht sichtbar

14
ist, noch sichtbar gemacht werden kann, als unter neuen Bedingungen,

15
Werkzeugen und Anstalten, Abstractionen und Constructionen, die eben so gut

16
gegeben werden müßen und nicht aus der Luft geschöpft werden können als die

17
alten Elemente.

18
Deine Theorie ist ein wirkliches Flickwerk philosophischer und menschlicher

19
Autoritäten – Fühlst Du das nicht, lieber Jonathan, und daß es Dir am

20
Ende Deiner Arbeit geht nach der Weiber Weise, die aus Buhl- Betschwestern

21
werden. So weiland, so jetzt.


22
den 30.

23
Kraus kam ohne Aufsatz. Die Miethsleute unten hatten einen Nachtag

24
zu feyern, weil die Tochter vorige Woche Hochzeit gegeben hatten. Er war um

25
seinen Saal ersucht worden, und es sollte die ganze Nacht gespielt u getanzt

26
werden. Daher er sich Nachtlager bey Deinem Namensvetter bestellt und

27
den ganzen Nachmittag bey mir blieb. Das Schreiben bey Licht greift meine

28
Augen an; ich setzte also meinen Bahrdt fort, und hab ihn diesen Morgen im

29
Bette zu Ende gebracht. Aus eigener Erfahrung und Mitgefühl kann ich den

30
Eindruck mir vorstellen, den dies Buch auf die
Pharisäer unsers

31
Jahrhunderts
und dieser Welt machen wird. Der Einfluß seines medicinischen

32
Studii
ist sichtbar.
Mens sana in corpore sano
ist das Problem seiner

33
Moral; die sich auf eine
moralische Heilkunde
auflöst und mit der Kunst

34
zu sterben schliest dieser Theil; der immer nachläßiger und gewißenloser

35
ausgearbeitet ist, je weiter er fortgeht. Ich habe von neuen bemerkt, wie meine

36
Hitze im Lesen mich in Affect und
Leidenschaft
setzt, die mich

37
fortreißen

S. 174
In Deinem Vorberichte finde ich, liebster Jonathan! alles was Deine

2
Feinde oder Gegner sich zu Nutze machen werden, und warum ich auch nicht

3
einig mit Dir seyn kann. Warum setzst Du
Deine eigene Philosophie

4
entgegen? Sollte dieser Unterscheid nicht durch die Einheit der allgemeinen

5
Vernunft und des
Sensus communis
wegfallen. Der Zusammenhang u die

6
Identität Deiner Grundsätze u ihrer Resultate ist von der einen Seite so

7
natürl. wie von der andern. Du hättest Dir ihre Philosophie zu eigen machen

8
sollen, und ihre Misstimmung augenscheinlich machen. Das wirkliche

9
Daseyn ist nichts als ein
ens rationis.
Empfindung und Vernunfterkenntnis

10
beruhen beiderseits auf Verhältnißen der Dinge ihrer Eigenschaften mit

11
unsern Werkzeugen ihrer Empfänglichkeit, wie auf die Verhältniße unserer

12
Vorstellungen. Es ist reiner Idealismus
Glauben
und
Empfinden

13
vom
Denken
abzusondern.
Geselligkeit
ist das wahre
Principium
der

14
Vernunft und Sprache, durch welche unsere Empfindungen und

15
Vorstellungen modificirt werden. Diese und jene Philosophie sondert immer Dinge ab,

16
die gar nicht geschieden werden können. Dinge ohne Verhältniße,

17
Verhältniße ohne Dinge
.
Es giebt keine absolute Geschöpfe, und eben so wenig

18
absolute Gewisheit. Allenthalben stoß ich auf
identische Sätze
, deren

19
Identität unter neuen Ausdrücken, Gleichungen, und Formeln von Dir nicht

20
gemerkt wird, und daher bald bejaht, bald verneint wird, weil die Begriffe in

21
einer andern Uniform erscheinen. Wenn wir unsern Empfindungen, unsern

22
Vorstellungen
glauben
;
dann hört freylich aller Unterscheid auf. Wir

23
können für uns dieser Zeugen nicht entbehren, aber niemanden durch ihre

24
Uebereinstimmung widerlegen. Was war es denn für ein großes Vergehen,

25
Dir
christl. Gesinnungen
aufzubürden? – Wozu Dein Christentum

26
wie Deine Philosophie unterscheiden – Wenn M. nichts als
jüdische

27
Gesinnungen entgegenzusetzen hatte; so war
sein
Beyfall auf
Ansehen
das

28
weder Gründe noch eigene Einsicht ausschließt, gestützt. Gegen alle Deine

29
Erklärungen ist eben so viel als gegen Ms seine einzuwenden. Die Streitigkeit

30
läuft also auf einen
religiösen Wortstreit
hinaus von beiden Seiten.

31
Wenn man bekent eine andere Philosophie und Religion in
petto
zu haben.

32
Hume würde Dich eben so gut beschuldigen, daß Du ihm
christl.

33
Gesinnungen
aufbürden wolltest, die eben
so
wenig die seinigen sind, als

34
die jüdischen Dir anstehen können. Durch alle diese Nebendinge wird die

35
Hauptsache mehr verdunkelt als aufgeklärt. Was Dir aus Leidenschaft

36
wiederfährt, werden deine Gegner mit kaltem Blute und daher auch beßer und

37
absichtlicher thun, als Du im stande bist. Meine beide Autoritäten hier Kant

S. 175
u Kr. klagen beyde über Deine Dunkelheit und daß Du den ersten nicht recht

2
gefaßt, noch verstanden hast. Beyde sind desto mehr mit der
Sprache
des

3
Freywilligen zufrieden, und bewundern die Kunst
seiner
ihrer Deutlichkeit.

4
Niemand kann Dir verbieten, was andere Vernunft nennen, Wahn zu wißen,

5
wie Dir niemand verbieten kann das strittige Ding Glauben zu nennen. Bey

6
einer andern Philosophie, bey einer andern Religion, ist eine andere Sprache

7
unvermeidlich, andere Vorstellungen, andere Namen für dieselbe

8
Gegenstände, die jeder aus dem Gesichtspunct seiner Nothwendigkeit oder

9
Freywilligkeit bezeichnet. Da jeder an der Analysi des andern und an der

10
Synthesi seiner eignen Begriffe arbeitet, so ist keine
Stätigkeit
möglich

11
von beyden Seiten, sondern ein ewiges Drehen und
We
ein unvermeidlicher

12
Wechsel – Dein Buch ist sehr lehrreich für mich und die Wirkungen, die es

13
hervorbringen wird, werden es noch mehr seyn – aber die
Offenbarung

14
dieses Misverständnißes ist ein Wunderwerk, das ich noch gar nicht zu leisten

15
im stande bin, und die Zeit wird den Zauber die optische Täuschung von

16
selbst aufheben. Jeder wünscht die
Umschaffung
der bisherigen

17
Philosophie, hofft sie, arbeitet daran, trägt sein Scherflein dazu bey. Was in

18
Deiner Sprache das
Seyn
ist, möchte ich lieber das
Wort
nennen. Moses

19
und Johannes, Christentum und Judentum, die Lebendigen und Todten

20
zu vereinigen – die durch den
Thurmbau
sich verwildern, in gesellschaftl.

21
Zerstreuung, durch die Taubeneinfalt des Geistes ohne tyrannische Feßeln

22
gleichgesinnt, und aus
gemeinschaftl. Sündern
übereinstimmende

23
Brüder des Sinns zu machen. Wenn Du ein blindgläubiges und harthöriges

24
Publicum
voraussetzt
oder glaubst; so muß man nicht durch Gründe,

25
noch
vernünftige Discourse
S. 191. die Fortpflanzung seines

26
Glaubens zu bewirken suchen.

27
Herzenslieber Pollux und Jonathan. Es thut mir wehe, daß Du noch

28
immer am Spinoza kauest, und den armen Schelm von cartesianischem

29
Diabolo
und kabbalistischem Somnambulisten, dem Leibnitz seine
Harm.

30
praestab.
entwandt haben soll, noch immer wie einen Stein im Magen mit

31
Dir herumträgst. Giebt es wohl einen denkbaren Unterscheid zwischen
Essenz

32
u Existenz? läst sich eine
Causa
ohne
Effect
und dieser ohne jene denken?

33
Giebt es für relative Begriffe, absolute Dinge?
Ναφε και μιμνας απιστειν

34
an alle dergl. Hirngespinste, Wort und
Zeichen
de mauvaises

35
plaisanteries
mathematischer Erdichtungen zu willkührlichen Constructionen

36
philosophischer Fibeln und Bibeln, welche dürftige Elemente sind das geoffenbarte

37
Wort zu verstehen,
aber so wenig Schlüßel des Sinns, des Begriffs als

S. 176
Charaden Definitio
nen eines Wortes sind
. Den kleinsten Satz von

2
Zweideutigkeit zu befreyen ist keine leichte sondern die schwerste Arbeit – das kleinste

3
Flickwort zu bestimmen, ist keine leichte, aber eckle Arbeit. Noch weiß ich

4
weder was Hume noch was wir beide unter Glauben verstehen – und je mehr

5
wie darüber reden oder schreiben würden, je weniger wird uns gelingen

6
diesen Qvecksilber fest zu halten –
Sat prata biberunt.
Glaube ist nicht

7
jedermanns Ding, und auch nicht
communicable,
wie eine Waare, sondern das

8
Himmelreich und die Hölle in uns. Glauben daß ein Gott sey und Glauben,

9
daß keiner sey ist ein
identi
scher
Widerspruch. Zwischen Seyn und Glauben

10
ist eben so wenig Zusammenhang als zwischen Ursache und Wirkung, wenn

11
ich das
Band der Natur
entzwey geschnitten habe –
Incredibile, sed

12
verum.


13
den 1 May

14
Der Brief ist liegen geblieben durch einen eignen Zusammenhang der Dinge.

15
Ich war verdrüslich auf mich selbst, Dir lauter leere, unverständliche,

16
unangenehme
Sottisen
zu schreiben. Ich hatte mich wider an einem Gericht Fische

17
überladen; fällt mir der April der Berl. Monatsschrift in die Hände; weil ich

18
alles gleich vergeße, und in der ersten Brunst selbst nicht weis: so fiel mir das

19
Stück gantz neu auf und ich fühlte Deine Mishandlung vielleicht ärger, als

20
Du sie empfinden magst, aber noch mehr Deine
Schuld
daß Du nicht treu

21
gnug in Deiner Rechtfertigung mit der Sache umgegangen, und

22
Vertraulichkeiten eingemischt, die weder das Publicum, nach Deinem eigenen Maasstabe,

23
noch die eiteln Gegner verdienen. Du und Lav. thun ein sehr überflüßig

24
Werk, euch gegen eure Freunde zu rechtfertigen. Auch die Bundeslade des

25
christl. Glaubens hat keinen Usas nöthig. Mendelssohn u seine Freunde

26
ärgern sich an dem
Losungsworte
, das Du durch
Auctoritäten

27
rechtfertigst, die in meinen Augen auch keine Vernunftgründe und eben so

28
zweydeutig sind. Ich wollte alles zerreißen, um Dich nicht noch mehr zu

29
betrüben; muste wenigstens abstehen, zu schreiben, und hatte einen sehr
finstern

30
Nachmittag
und
unruhigen Abend
, in Rücksicht auf meine eigene

31
Autorschaft, an der ich zugl. mit verzweifelte.
Deine geheime Geschichte läuft

32
mit meiner ziemlich parallel, und ist die Parabel jedes Suchers, Nicodemus

33
und Nathanaels.
Ich fieng die Kritik zu lesen an, las noch einmal die in der

34
Beyl. angeführte Stelle. Glaube: Vernunft = Realismus: Idealismus.

35
Nichts als reine Worte, reine Vorstellungen, von denen das Ding nirgends

36
ist, noch bewiesen werden kann. Ich lies mir die
metaphysischen

37
Anfangsgründe der Naturwißenschaft
geben
, die ich noch nicht

S. 177
gelesen hatte, weil ich durch die lange Note der Vorrede abgeschreckt worden

2
war, und die ich mir seit 4 Wochen vorgenommen mit Kraus durchzugehen,

3
weil ich mir nicht Stärke gnug in der Mathematik zutraute. Es gieng wie

4
geschmiert, und ich konnte nicht eher aufhören bis ich mit dem Buche fertig

5
war. Du kanst Dir leicht vorstellen, wie muthlos ich zu Bette gieng, über

6
Deine und meine eigenen vereitelten
molimina
des guten Willens, und über

7
die neue Triumpfe reiner Eitelkeit. Mein einziger Trost bestand darinn, daß

8
ich mit meiner kleinen Autorschaft noch
in saluo
war und wenigstens sagen

9
konnte; wie oftmals:
Periissem, nisi periissem!
Langsam und klug zu

10
Werke zu gehen – nicht eher die Feder anzusetzen, bis ich
mich selbst

11
verstehe – und
gedultig auszuharren
– das Schicksal meiner
Reise

12
und meiner
Autorschaft
einer höheren Hand und Leitung ohne mich zu

13
beunruhigen, zu überlaßen. Ich sehe in diesem
Wirwarr
einen beßern

14
Plan, als ich mir selbst entwerfen könnte, und finde Ehre und Vortheile

15
darinn ihn zu meinem eigenen zu machen, wie man
Unsinn
zum
vehiculo

16
des Verstandes anwenden kann. Ich habe ein schweres Exempel und Problem

17
zu
berechnen
, und über ein
Thema
zu reden, zu deßen Behandlung ich

18
jedes Wort
abwägen
muß; kann mich also nicht übereilen, wozu meine

19
Natur
immer geneigter ist und d
er
ie Hand des Willens immer beßer seyn,

20
als die Vernunft zu dictiren im stande ist. So viel Hoffnung ich selbst habe,

21
theile ich Dir brüderlich mit, auch den
Grund
meines
Glaubens
nicht
in

22
mir, sondern
außer
mir, der allein durch die
That
sich rechtfertigen und

23
sich selbst beweisen muß. Alle übrige Beredsamkeit ist Sophisterey, die sich

24
durch reine gute Worte nicht widerlegen läßt, sondern durch die Kraft der

25
Sachen und Dinge. Fehlt mir die, so will ich lieber Schweigen und dadurch

26
zu Schanden werden, als durch misliches Reden und Schreiben. Gestern

27
Abend war ich so verzagt, daß ich nicht daran dachte diesen Morgen so

28
ruhmräthig meinen Brief schließen zu können. Die 1.
Definition
hat mir des

29
Spinoza
Ethik so vereckelt, daß ich nicht im stande bin weiter fortzufahren, und

30
ich kann mir Deinen Geschmack Deinen aushaltenden Geschmack und Leßings

31
seinen an einem solchen Straßenräuber und Mörder der gesunden Vernunft

32
und Wißenschaft nicht erklären. Komme ich nach Pempelfort: so will ich ihn

33
entführen, wenn Du mich auch eines Kirchenraubs und
Sacrilegii
deshalb

34
öffentl. anklagen solltest.
Philosophi – credula natio.
Mahl Dir ein
NB.

35
in Deinem
Seneca Nat Quaest. Lib VI. c.
26.

36
Iß Dein Brodt mit Freuden und Deinen Wein mit gutem Muthe und

37
verdirb nicht die Freude, die Hochzeitfreude Deines Sohns durch

S. 178
αλλοτριοφρονια
. – Laß die Berliner fortqvacken, und die Vögel pfeifen und schnattern;

2
bleibe daheim, stecke Dein Schwert in die Scheide, und mach
punctum
mit

3
Kreuzzügen und Ritterfahrten für eine
Dulcinee.
Sey ein Philosoph, das

4
heist ein unbefangener Zuschauer und hör auf ein olympischer Klopffechter

5
zu seyn. Folge meinem guten
Rathe
Beyspiele
Tace et esto

6
Philosophus!
und bleibe mein Freund wie ich Dein
Hans Jörgele.


7
Bußtag den 2 May

8
Σιγα και μιμνας πιστευειν
. Mein Herzenslieber Jonathan! Ich leg ein

9
Geschmier bey, das ich Dir kaum anrathen kann zu lesen. Meine

10
impertinente
Lage von außen und innen verbietet mir alles Urtheilen. Ich weiß

11
selbst nicht, wie mir zu Muthe ist, und bin noch weniger im stande anderer

12
Sinn zu ergründen. Wenigstens weiß ich jetzt kein Haar weniger und mehr,

13
was Vernunft und Glaube, Idealismus und Realismus ist. Je mehr

14
darüber geredt und geschrieben wird, desto verwirrter werden die Begriffe. Wäre

15
ich auch im stande zu urtheilen – Aus dem eckeln
Detail
meines Lebenslaufes

16
erhellt sattsam meine Unfähigkeit im geringsten Zusammenhange. Innwendig

17
sind Magen, Herz und Kopf im ewigen Zwiespalt. Auswendig gehts nicht

18
beßer. Gestern Abend verfiel ich so mit meinem Hans, das ich mir vornahm

19
allein zu reisen, wenn ich heute Antwort aus Berlin erhielte. Wird wohl

20
nichts kommen, so wenig als von Deiner Hand. Bisweilen ärgere ich mich

21
über Deine freundschaftl. Gedult und Nachsicht, einen so abgeschmackten

22
Briefwechsel, wie ich den meinigen erkenne und empfinde, nicht längst

23
abgebrochen zu haben. Ohne Eckel läst sich meine Faust nicht errathen – und aus

24
der Klaue ist die Bestialität meiner Gedanken- und Fühllosigkeit

25
augenscheinlich und handgreiflich.

26
Ich tappte heute einmal nach der Vesper, hörte statt meines Beichtvaters

27
einen Candidaten, dem es nicht an Gaben des äußerl. Vortrages fehlte, über

28
Jerem. XXIX.
11. und muste wieder nach Hause eilen
lente,
weil mir das

29
Gehen sauer wird. Wenn Du so aufrichtig als ich seyn willst und Deine

30
Eindrücke für Urtheile verrathen: so wirst Du an den
Cruditäten,
die ich Dir

31
mitgetheilt, gnug haben, und ich bescheide mich selbst, daß jetzt die Zeit

32
aufzuhören entschieden ist, und ich so wenig als ein Verschnittener mir eine

33
Schäferstunde weiter vermuthen kann. Zum Reisen taug ich vielleicht noch weniger

34
– Ich weiß von allem nichts mehr, und habe auch wenig Lust mich darum zu

35
bekümmern. –

36
Was ich thun kann, hab ich lieber J.J. gethan, Dich auf mehr Kunstrichter

S. 179
meines Gelichters, die nicht beßer verstehen, aber ärger misverstehen, Dich

2
zubereiten wollen.
Unter meinen Umständen wäre Beyfall und Tadel kein

3
opus bonae fidei.
Was ich verstehe, beruhigt mich nicht in Ansehung des

4
übrigen – ich bin aber eben so wenig im stande Dich eines beßern zu belehren,

5
als den Knoten aufzulösen.
Also
manum de tabula
– Erreichst Du Deine

6
Absicht, für die Du geschrieben hast: so sey ruhig. Im Gegenfall bleib es

7
auch, und bekümmere Dich um kein ärgeres Gänsegeschrey, noch

8
Hundegebell. Deine Erscheinung im Gespräch muß Deinen
Feinden und

9
Gegnern
angenehmer seyn, als Deinen Freunden, die Dir Schlaf, Appetit, und

10
nicht eine so lustige Mine über Hume’s
Essays
wünschen, als der falsche Er

11
Dir beylegt, der kein guter Gesellschafter für unpartheyische Leser ist, noch

12
für Patienten, sondern wie Woldemar ein Selbstpeiniger und

13
Menschenqväler, wie wir alle sind, theils aus Dummheit, theils aus Schalkheit der

14
schönen erworbnen Natur auf Kosten der Einfalt und Güte.

15
Ich habe heute
Beichte und Bekehrung eines

16
Erzlavaterianers
gelesen und beßer gefunden,
so wenig
ich auch davon verstanden

17
habe, weil es sich auf ein ander Buch bezieht, das ich mir auch bestellt. Ich

18
dis
pensire Dich aber Dich um das
Bahrdtsche Lehrgebäude der

19
Religion
zu bekümmern, deßen Anfang mich vorigen Sonntag so täuschte,

20
daß ich auch beynahe eine Beichte u Bekehrung dieses Pharisäers vermuthete.

21
Von dem Erzlavaterianer wünsche ich mehr zu lesen, wie er verspricht.

22
Diac.
Mayer besuchte mich zum ersten mal in seinen
Pontificalibus
eines

23
Abbé
mit frisirten Haar. Er, der in einer eigenen Lage ist, beschwerte sich

24
auch kein Buch mehr verstehen zu können, und bat sich dem ohngeachtet recht

25
dringend Deinen neben mir liegenden Hume aus. Er ist des bekannten

26
Mathematikers Sohn in Gryphswalde, hat Mathematik auch zu seinem

27
Leibstudio gemacht, und der speculative Geschmack machte ihn so lüstern. Er ist ein

28
Schüler des Kants hier gewesen und war also neugierig über Idealismum

29
und Realismum sein Gehörtes u selbstgedachtes zu vergleichen. Ob was

30
herauskommen wird, weiß ich nicht. Kraus hat mir nichts gebracht, und der

31
älteste
Nicolouius
meldt mir daß die Berl. Post diesen Abend noch nicht hier

32
wäre. Mein Hans hat den ganzen Tag eine so traurige Gestalt in meinen

33
Augen gehabt, daß ich seine Liebe daraus wenigstens schließen muß.

34
Ohngeachtet ich an meiner Reise für dies Jahr zweifele; so wollte ich doch nicht gern

35
einen Minister Polonius statt eines folgsamen Gefährten und Freundes, um

36
und neben mir haben. Er war vielleicht unschuldiger als ich selbst, und die

37
Sache ist keiner Erklärung fähig. Es war Eifersucht auf den Credit der

S. 180
Mutter und seiner Freunde, und auf die Rechte sein Vater, ältester und

2
nächster Vertrauter zu seyn. Allzulieb ist Haß: wie allzuklug dumm.


3
den 3 –

4
Nach einer ruhigen Nacht bin ich mit gutem Muthe aufgewacht. Außer

5
Deinem Hume hab ich mir ein paar Tage mit dem goldnen Hahn und der

6
reinen Vernunft den Kopf zerbrochen, und nach dem gemeinschaftl. Grunde

7
drey so verschiedener Menschlichkeiten gesucht, aber so wenig gefunden, das

8
nicht der Rede werth ist.
Ueberall ist meine Weide
. Mir schmeckt

9
auch alles. Ist es
pica
oder Hunger – aber ich muß in beyden Fällen büßen.

10
Das
Thema
und
Problema
meiner kl. Autorschaft wird mir blutsauer; ich

11
kann es nicht aufgeben, so lang ich noch Hoffnung habe, die von Glauben und

12
Vernunft unterstützt wird. Solltest Du es, lieber Jonathan, der Mühe

13
werth finden mein
Chaos copir
en zu laßen:
so nimm ohne Gewißenhaftigkeit

14
Dir die Mühe, alles was Dir
impassable
fällt getrost auszustreichen, damit

15
ich einen Faden behalte zur Fortsetzung. Lese ich selbst das dumme Zeug;

16
so schlägt es mich nieder und macht mich Muthlos. Die
Kunst Geister

17
zu beschwören
besteht in
Worten
. Man soll mir nicht umsonst den

18
Namen eines Magus gegeben haben; ich will ihn wenigstens so gut

19
behaupten wie weiland unser Salomo. Verdient eine solche Pralerey nicht

20
Knuten und Faustschläge? ich mach mich auch darauf gefaßt. Meine

21
ursprüngl. Grille war, durch das Ende meine
s
r Autorschaft den Urlaub selbst

22
zu bewürken. Ich gab selbige auf, aus einer Art von Selbstbescheidenheit und

23
Menschengefälligkeit, weil ich gegen meinen Eigensinn mistrauisch gemacht

24
worden bin. Meine Hypochondrie ist ein Bucephalus, der auf seinen Reiter

25
wartet. – –

26
Vergiß nicht des
Starkes Apologie
– aber bekümmere Dich um

27
nichts, das in Deinen Schlaf, Appetit und Gemüthsruhe Eingriff thun kann,

28
womit Du an den väterlichen Freuden und des Bräutigams Glück Antheil

29
zu nehmen schuldig bist. Ja leider giebt es mehr reine Vernunft und leeren

30
Glauben, und mehr
Rationes
als
portiones
,
wie ein pollnischer

31
Edelmann mit einem Wortspiel seiner Sprache scherzte, und einen

32
Proviantcommissair
abwie
ß
s
.

33
Ich schreib nicht eher nach M. bis ich Bescheid erhalte – und vielleicht nicht

34
eher nach Pempelfort als beym Empfang der starken Apol. und übrigen

35
Gaben, die wohl nicht eher als mit dem Meßgut ankommen werden. Gott sey

36
mit Dir und mit den Deinigen. Meine beste Wünsche für das glückliche junge

37
Paar!

S. 181
Die
Salbe
vom Fisch ist gut für die Augen und
Recipe
ein Stück von

2
dem
Herzen
und der
Leber
, leg es auf glühende Kohlen, und
der
Engel

3
Raphael nehme den Eh- und Dintenteufel gefangen und binde ihn in die

4
Wüste ferne
in Egypten
. Eine lachende
Leber
ohn
Herzen
thut keine

5
Wirkung. Hume’s Herz verlang ich nicht. Er ist ein guter Rabbulist, aber ein

6
elender Paraklet, noch immer beßer als der jüdische
Schwätzer

7
Mückenfänger und cartesianische Teufel im Gewande des mathematischen Lichtes.

8
Es schlägt 9 Uhr und ich eile auf meine Amtsstube
mit dem N.T. in der

9
Tasche und dem goldnen Hahn unterm Arm.
Lebe recht wohl und schreibe

10
wenn
und
wie
Du willt. Nur vor allen Dingen leb zufrieden mit Gott,

11
Seiner großen um und kleinen Welt in Dir. Laß Ihn in beyden schalten und

12
walten, als Herr, Vater und Bräutigam – eifersüchtigen Nebenbulers des

13
Ich – Du und Er ist im
Singulari
und
Plurali
– Lebwohl bis aufs

14
Widersehen. Die Grüße der Meinigen verstehen sich von selbst. Des Bräutigams

15
würdige
Tante,
meinen Namensvetter Georg, Freund
Tiro
– Eben erhalt

16
ein
Entrée-Billet
zur
Cantate Sulamith
und
Eusebia
auf den 9 May. von

17
den Juden oder eigentl. der
Friedländerschen Familie
. Eine mir

18
unerwartete Galanterie; denn die Juden meiden beynahe mein Haus nach der Fehde

19
mit Mendelssohn. Ich habe mich wie Bersillie entschuldigt, und meine Kinder

20
samt der Mutter
substituirt. – Vale et faue!


21
Adresse:

22
An / HErrn Geheimen Rath
Jacobi
/ zu /
Düßeldorf
. /
F
co
Wesel.


23
Vermerk von Jacobi:

24
Koenigsberg den 27
ten
Apr bis 2
ten
May 1787

25
J. G. Hamann

26
empf den 13
ten

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 346–362.

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 499–523.

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 6: Januar bis November 1787. Hg. von Jürgen Weyenschops, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2012, 110–129.

ZH VII 161–181, Nr. 1060.

Zusätze fremder Hand

181/24
–26
Friedrich Heinrich Jacobi

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
161/22
Apr.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Apr.
161/23
so große
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
sogroße
161/29
Crispinus
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Crispinius
162/4
Zufall,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Zufall
162/11
–12
Er […] Einheit]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
162/16
–18
Von […] einzulaßen.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
162/22
zu lesen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
zulesen
163/9
anzubringen –
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
anzubringen. –
164/15
nicht recht
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
nicht
164/28
p.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
p.
164/35
factis
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
factis
165/1
–17
Nun […] sollte.]
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert.
165/1
Pollux
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Pollux,
165/5
–6
Glaube, Vernunft […] Idealismus]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Glaube, Vernunft-Idealismus
165/6
Spinoza
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Spinoza.
165/20
gebauet
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
gebauet,
165/33
–168/6
Jede […] erklären.]
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert.
166/15
Identität
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Idealität
166/24
E
thik
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Ethik
167/8
verdient.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
verdient?
167/37
–168/2
Daseyn […] und Unterscheidungsart.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
168/14
wurmstichigen
]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
168/30
–36
Nein […] verabscheue.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
169/13
–19
Ist […] nöthigsten Augensalbe]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
169/19
Augensalbe
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Augensalbe
.
169/22
Sprach-
principium
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Sprach
principium
169/36
v
zerstören
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
zerstören
170/7
leibnitzianischen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
leibnitzidnischen
171/24
und
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
und
171/26
pp
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
φφ
172/11
en gros
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
engros
172/24
–173/17
Deine […] Elemente.]
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert.
172/26
–30
Vernunft […] werden.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
172/33
leerer Schlauch
]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
173/12
–17
sondern Seiner […] Elemente.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
174/22
glauben
;
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
glauben
:
174/27
sein
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
seyn
175/33
Giebt […] Dinge?]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
175/37
–176/1
aber […] sind]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
176/6
–12
Glaube […] sed verum.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
176/9
identi
scher
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
identischer
176/31
–33
Deine […] Nathanaels.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
176/37
geben
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
geben
177/21
Glaubens
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Glaubens,
177/28
Definition
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Definition
178/5
–6
RatheBeyspieleTace […] esto Philosophus!]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Rathe
,
Beyspiele
Tace et esto Philosophus!
179/2
–5
Unter […] aufzulösen.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
179/16
so wenig
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
sowenig
180/13
–17
so […] Worten]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
180/32
Proviantcommissair
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Proviantcommisair
181/4
in Egypten
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Egypten
181/8
–9
mit […] Arm.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
181/22
F
co
Wesel.
]
Hinzugefügt nach der Handschrift.