1066
200/3
Hochwolgeborner Herr,

4
Sr. Königl. Majestät wirklich geheimer Finanzrath,

5
Hochzuverehrender HErr,

6
Ew. Hochwolgebornen sind schon längst durch meinen Landsmann und

7
Freund
HE.
Kapellmeister Reichard zur Theilnehmung meines Schicksals

8
bewogen worden, und die Verschlimmerung deßelben durch meine eigene

9
Schuld wird Ihnen, Hochzuverehrender Herr, dort eher und näher als mir

10
selbst bekannt geworden seyn.
Ich begreife es nicht, wie
Es hat mir
anders

11
als
nur in einem schweren Anfall der höchsten Hypochondrie
hat
einfallen

12
und gelüsten können, an des dirigirenden HErrn
Etats
minister von
Werder

13
Excellenz
eine
Supplique
zu schreiben, die mir deßelben Ungnade und zur

14
Strafe meiner Unbesonnenheit eine
Resolution
zugezogen hat,
welche
die

15
ich den 9 d. erhalten und
durch solche
dadurch dergestalt
be
übertäubt

16
und erschüttert
worden bin, daß ich
erst
nach einem harten Zweykampfe,

17
mich nicht eher als gestern frühe nach einer schlaflosen Nacht mich zu erholen

18
vermocht habe. Ich erkenne freylich die verdiente Züchtigung
u küße die

19
durch
und küße mit kindlicher Ehrfurcht die Hand durch welche ich treulich

20
gedemüthigt worden bin, getröste mich aber
gleichwohl
durch eben dieselbe

21
Hand,
welche ich mit kindlicher Ehrerbietung küße,
von meinem
schweren

22
tiefen Fall
wider
aufgerichtet und von meinen geschlagen Wunden geheilt

23
zu werden. Mit Reue und Leid bekenne ich mein Vergehen, flehe
aber

24
zugleich um Vergebung und Erlaßung der schmählichen Todesstrafe
an
, zu

25
der ich
mich
durch einen
völligen
plötzlichen Abschied verurtheilt
worden

26
bin
worden bin, mit meinem ganzen Hause umzukommen und zu

27
verhungern,
weil ich mich nimmermehr entblößen werde mich an dem
Depot
eines

28
Wohlthäters, ohne ihn erst persönlich zu kennen, vergreifen werde und die

29
bloße Zinsen hauptsächl. zur nothdürftigen Erziehung meiner vier Kinder

30
angewandt habe.

31
Ew. Hochwohlgeboren
werden daher
geruhen in geneigte und ernstliche

32
Erwägung zu ziehen 1
o
daß mein Verbrechen im
Grunde
Innersten des

33
Herzens ein blinder ungedultiger Diensteifer gewesen,
der mein Leiden

34
vermehrt,
in dem ich mir selbst immer selbst am stärksten die
vorgeworfene

35
Wenigkeit
und (zum Theil)
Unnützlichkeit
meiner

S. 201
bestallungsgemäßen Geschäfte vorgeworfen und zu Gemüthe gezogen habe,
ohngeachtet

2
trotz des verhältnismäßigen Gehalts, wobey
während
meiner 20 jezt

3
unerkannten Dienstjahre leider! den Rest meines schwächlichen Vermögens

4
zugesetzt habe, und beynahe
dadurch
zum Bettler geworden bin.

5
2
o
daß ich nicht aus
Mangel
Dürftigkeit meines guten und beßern

6
Willens, sondern
eigentlich
vielmehr durch die von dort
aus
her

7
erhaltene Bestallung, in meiner jetzigen Packhofverwalter Stelle
zu meiner

8
ärgsten Folter so
dergestalt eingeschränkt worden bin und mir die zweyjährige

9
Weigerung eines rechtmäßigen
Uebels
zur
Erneurung
meiner

10
geschwächten Gesundheit und zur Abmachung meiner
letzten
und einzigen Privat-

11
und Familien Angelegenheiten
desto
so empfindlich
er
werden mußte

12
nahe gegangen, indem ich diese doppelte Nothreise am füglichsten
bey
und

13
sehr gern während de
r
s mir zur Last gelegten
wenigen und unnützen

14
Geschäfte
Stillstandes u Müßigganges
gern
zurückgelegt hätte,
und

15
wegen der
um zu den neuen bevorstehenden Veränderungen
eben am

16
meisten beunruhigt worden bin,
desto gerüsteter u wackerer zu seyn.

17
3
o
daß der in der allerhöchsten
Resolution
vom
24
Apr. angeführte

18
ausdrückliche allerhöchste Befehl
dem ächten
ursprünglichen
von

19
Friedrich Wilhelm
glorr. And.
günstig ist
herstammenden

20
Pakhofverwalter
günstiger
sey,
und selbigen in seine erste vorige
Activität
hätte

21
restituirt
und dabey erhalten werden, hingegen der neuerdings mit
fast

22
doppeltem
zweymahl höherem
Gehalt von den Franzosen
von der

23
einge
flickte
sezte und
jetzt ganz
nunmehr überflüßig
e
gewordene

24
Inspecteur,
deßen Amtsverrichtung mit meiner
Pakhofverwaltung
verbunden war,

25
füglicher eingezogen und
annuli
rt werden soll.

26
4
o
daß
mir
der
Wunsch
durch die eröffnete und gewiesene Thür des

27
Abschiedes zur Ruhe zu gelangen mir weder in
meinen Sinn
noch
Gedanken

28
gekommen war, sondern im Gegentheil nach
überstandner
Reise mit

29
erneuerten Kräften und völlig erleichtertem Herzen mich
mehreren
,
nützlichen und

30
wichtigen Geschäften aufzuopfern entschloßen, und mir just die bey der jetzigen

31
verstümmelten Packhofverwalter Stelle leere und lange Weile zur schwersten

32
Last und Schande geworden war

33
3
o
daß der in der allerhöchsten
Resolution
vom
26?
Apr.
angeführte

34
ausdrückliche allerhöchste Befehl dem ächten von
Friedr. Wilh.
glorr.

35
Andenkens herstammenden und festgesezten Packhofverwalter günstiger sey,

36
dieser also in seine alte, erste, eigenthümliche Activität hätte restituirt,

37
hingegen der neuerdings von den Franzosen, mit fast doppeltem Gehalte

S. 202
eingeflikte u jezt ganz überflüßige
Inspecteur
füglicher eingezogen u
annulirt

2
werden soll, als ein zur Amtsverrichtung des Phv. natürlich gehöriger Theil

3
u Zweig, der durch
willkührl.
eigenmächtige Gewalt abgetrennt worden war.

4
4. daß der
Wunsch
durch die
ge
eröfnete u gewiesene Thür des

5
Abschiedes zur Reise zu gelangen, mir weder in meinen Sinn noch Gedanken

6
gekommen war, sondern just die bey der iezigen verstümmelten

7
Pakhofverwalterstelle
leere u lange Weile zur schwersten Last u Schande gereichte, u ich

8
vielmehr im Gegentheil gesonnen
war
u entschloßen war, nach

9
überstandener Reise mit erneuerten Kräften u erleichtertem Herzen mich mehreren u

10
nüzlichern Geschäften aufzuopfern.

11
5. glaubte ich
oder bildete mir ausdrücklich
zu dieser einzigen Bedienung

12
ihrer Art
tüchtig und
vorzüglich bestimmt u gebildet zu seyn,
weil nichts als

13
und mich durch Treue und Uneigennüzigkeit
zu ihren Geschäften nothwendig sind, als dem

14
als den Hauptbedingungen eines solchen Amts nicht nur dazu qualificirt, sondern

15
auch 10 Jahre
und weil ich
mich mit dem Gerippe eines Packhofverwalters
ganze

16
10 Jahre mich
hatte begnügen laßen,
und daher
folglich die nächsten
und

17
rechtmäßigsten u ältesten Ansprüche auf das ganze und völlige
Loos
habe

18
meines unmittelbaren Vorgängers u seiner Vorfahren für mich hatte.

19
6. In dieser Rücksicht
sah ich die war es mir nur möglich, mit
war es mir

20
nur möglich, mit so vieler Gleichgültigkeit die jezt täglich zunehmende

21
Beförderung
so mancher
jüngerer Leute zuzusehen, die lange nach mir und
einst

22
theils unter mir gedient hatten
die
bey noch weit
wenigeren

23
unbestimmten
und
weit
entbehrlichen
Geschäften, als die meinigen je

24
gewesen mit desto freygebigerem Gehalt ausgestattet worden
sind
und

25
noch hinfort
werden.

26
7. Es ist mir daher unbegreiflich, wie ich wegen meiner
wenigen theils

27
unnützen theils übrigen Geschäfte
Wenigkeit und Unbrauchbarkeit so
hart

28
strenge bestraft werden soll, unterdeßen der jetzige Nachfolger des

29
eingeschobnen französischen
Inspecteur,
der
eigentl. eingeführt wurde
blos dazu

30
diente den alten preuß. von
Könige
Friedrich Wilhelm constituirten

31
Packhofverwalter seines Ansehens u Einflußes
in Geschäfte
zu berauben

32
und
weiter nichts als
monathl.
Etats
u
Rapports
in seiner Muttersprache

33
dort einzuschicken durch die jezige
Administration
zu vollkommenerer
zu

34
einer solchen
Ruhe
gelangt, die
als mir
selbst
gegönnt worden ist
und

35
bey der ich der schon überflüßig beschäftigten Buchhalterey geschämt hätte

36
überlästig zu werden
gelangen soll, auf Kosten der schon überladenen u

37
überflüßig beschwerten Buchhaltung –

38
8.
Habe ich in einer fast übertrieben unerkannten Bescheidenheit und theils

39
aus ängstl. Bedenklichkeit wegen
daß ich bey allen nur mir möglichen

40
mißlichen Folgen des neuen Operationsplans und meiner zunehmenden

41
Erschöpfung und Sorgen, wenigstens die Erhaltung des Packhofverwalters, und die

42
Landesväterliche Nachsicht und Vorsorge aller ohne ihre Schuld außer

43
Activität gesezten Bedienten vermuthet und gehofft habe.

44
Ew. Hochwolgeb. geruhen demnach zum Merkmahl meiner Verzeihung u

45
zur
Milderung,
des nicht nur über mich selbst, sondern über mein ganzes Haus,

S. 203
welches aus vier Kindern, ihrer armen Mutter u einer einzigen
Dienstbothin

2
besteht, ergangene Urtheil, dero guten Rath u Beystand angedeyen zu

3
laßen

4
1. ob ich mich bey Ihro
Excellence
dem dirigirenden StaatsMinister

5
abermalen melden, und wegen meines gut gemeinten, aber zu heftig

6
ausgelaßenen Diensteifers Gnade hoffen darf?

7
2.
ob
und
wie
mir aus der Grube wieder helfen kann, in die ich gefallen

8
oder gestürzt worden bin, damit ich nicht durch gröbere u ärgere

9
Verzweifelungsmittel in noch tieferes Elend gerathe, wenn sich ein grausameres denken

10
läßt, als die Noth mit den Seinigen zu verhungern, und die gewünschte Ruhe

11
und Erndte zwanzig mühseeliger kümmerlicher Jahre, durch einen einzigen

12
Fehltritt mit Schimpf u Hohn zu verlieren?

13
Hierüber
erflehe
eine baldige Antwort, u ersterbe mit der tiefsten

14
Ehrerbietung

15
Ew. Hochwolgeboren

16
ganz unterthäniger

17
Diener.

Provenienz

Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 21. – Die zahlreichen Abweichungen in ZH resultieren aus einer ebenfalls überlieferten fehlerhaften Abschrift von Wardas Abschrift, die von ZH als Druckvorlage verwendet wurde.

Anmerkung von ZH: Undatierter Entwurf.

Bisherige Drucke

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, III 281 f.

ZH VII 200–203, Nr. 1066.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
200/3
Hochwolgeborner […] Herr,]
Geändert nach der Abschrift Wardas; in der Zeile darüber in ZH:
Sonntag Exaudi
200/7
HE.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
HE
200/10
anders
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ander
200/20
gleichwohl
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
gleich wohl
200/21
Hand,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Hand
200/22
wider
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
wieder
201/9
Uebels
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Urlaubs
201/9
Erneurung
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Erneuerung
201/17
24
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
26
201/17
vom
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
von
201/20
Pakhofverwalter
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Packhofverwalter
201/20
hätte
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
hatte
201/20
sey,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
sey
201/24
Pakhofverwaltung
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Packhofverwaltung
201/26
Wunsch
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Wunsch
201/27
noch
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
und
201/27
meinen Sinn
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
meine Sinne
201/28
überstandner
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
überstandener
201/29
mehreren
,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
mehreren
201/33
26?
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
26
202/3
willkührl.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
willkürl.
202/7
Pakhofverwalterstelle […] Pakhofverwalterstelle]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Packhofverwalterstelle
202/11
–18
5. […] hatte.]
Hinzugefügt nach der Abschrift Wardas.
202/23
weit
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
weit
202/33
Administration
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Administration
202/45
Milderung,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Milderung
203/1
Dienstbothin
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Dienstbotin
203/13
erflehe
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
erflehe ich