1071
230/13
den 9
Junii
87. Nachmittags.

14
I
Habe mich nach dem Eßen zum ersten mal aus dem Bette gemacht,

15
und fange liebster Jonathan, den letzten Brief an Dich
an
. Vielleicht über

16
8 Tage schon auf de
ß
r Post mit Gottes Hülfe, spätestens den 14
Jun.
Der

17
erste
Termin
ist meinen Wünschen der letzte meinen
Um
Kräften und

18
Umständen gemäßer. Bis hieher hat der Herr geholfen.

19
Gottlob! Das Magen und Flußfieber ist leichter als das letzte gewesen, und

20
eine wahre
Praeservatif
Cur zur Reise. Mein Hunger, den ich bisweilen einen

21
Seelenhunger nannte, hat jetzt andere Gegenstände. Alles schmeckt, aber ich

22
kann mich beßer enthalten. Habe diese ganze Woche weder Fleisch noch Suppe

23
angerührt. Pflaumen und ein Semmel mit Butter ist heute mein Mittag

24
gewesen. Schon Montags des Morgens muste ich meinen Brief abbrechen, weil

25
mir der Kopf weh that. Ein gantz ungewohntes Uebel für mich. Das Wetter

26
war schön, aber ein kalter starker Wind. Meine
Tour
sehr weit, bis ans Ende

27
der Stadt. Ich bestellte den Schneider des Abends mich zu besuchen, that noch

28
ein paar Nebenwege, und eilte zu
Me Dorow
wo ich ausruhen wollte und

29
Mittag halten, bey einem Stückchen Butterbrodt. Sie hatten Mandelmilch,

30
einen Schweinssauerbraten, ein Stückchen Pöckelfleisch. Ich trank ein groß

31
Glas kalt Waßer zum Willkom, und mir fieng an kalt zu werden; genoß von

32
allem mit Appetit, das
Ale
schmeckte mir zu süß und nicht so gut wie das

33
erste mal. Sie hatte ihr jüngstes Engelchen entwöhnt, auch an der Brust

S. 231
Schmerzen, und uns war beyden nicht recht wohl, sondern wir wurden

2
schläfrich, gehe zum Käufer meines Hauses, der nicht zu Hause war. Ein

3
altes gebücktes Mütterchen unterhielt mich, und ich freute mich über die

4
reinliche stille Wirthschaft, ohne Magd
p
.
Das Mutterchen wuste nicht was

5
sie mir vorsetzen wollte, ich muste 7 Aepfel aus ihrem Garten annehmen, bot

6
mir
Caffé
an. Mich fror und ich eilte fort, ohngeachtet sie nach ihrem Mann

7
geschickt hatte. Ich eilte um mich warm zu gehen, reichte 2 von meinen Aepfeln

8
der
Dorow
durchs Fenster, begegnete
Virchaux
und den Käufer meines

9
Hauses &
Comp.
fertigte alles im vorbeygehen ab, wollte mich ein

10
Viertelstündchen bey dem Grafen v Kayserling aus ruhen, der in Stunde war, man

11
bot mir den Garten an; ich eilte weiter – Mir wurde immer übler, trat in

12
eine
D.
Apotheke, um Nachrichten von
D.
Lindner zu haben. Man war aufs

13
Land gefahren u wußte von nichts. Ich hatte dem
Assessor Hopp
schon oft

14
versprochen ihn zu besuchen und meynte dieses abzumachen. Die Noth nach

15
Hause zu eilen wurde immer dringender. Endl. erreichte ich mit schwerem

16
Othem und bleiernen Lenden mein Revier. Ich besorgte umzufallen, muste

17
bey einem Häcker eintreten, die Stubenluft bekam mir auch nicht, die Frau

18
bat mich in ihren Garten richt über dem Hause zu treten; und mich dort einem

19
Canape
im Lustbüdchen zu bedienen. Auch das that ich; aber es half nichts

20
und ich taumelte weiter. Nach dem Sinken hör ich jemanden im
Galop
hinter

21
mir, ich kehrte mich um, und es war mein Junge, den die Leute mir

22
nachgeschickt hatten. Der kam wie ein Bote vom Himmel; denn ich konnte nicht mehr

23
aus der Stelle und arbeitete wie im Sande – Gleich ins Bett, und in Schlaf,

24
in dem ich schon mehr wie ein Meisterstück abgelegt. Miltz kam, Kraus war

25
da,
der Schneider kam zum Maasnehmen. Niemand war zu Haus und das

26
in einem Zuge bis auf die 2 Zeilen die ich Dienstagsmorgens schrieb. Den

27
gantzen Tag lag ich ohne Kopfweh noch Schmerzen, als die Erschütterungen

28
des Hustens, war aber nicht im stande zu lesen noch mich aufzurichten. Wieder

29
eine gute Nacht; und zum Frühstück einen Brief mit einem großen Siegel

30
vom Geh. Rath
K.
kriechender
wie meiner, mit der wichtigen Nachricht

31
daß
NB
auf sein Bitten meine
Pension
mit 50
rth
vermehrt worden wäre,

32
dies schien ihm
hinlängl. mich für erst in meinem Schicksal,

33
welche
s
ihm nahe geht, beruhigen zu können
. Verspricht mir

34
in der
Folge zu weiterer Beförderung
im Dienste behülflich
zu

35
seyn u überläßt mir sogar
die Wahl. Schließl. hat er das Vertrauen

36
zu meiner Einsicht, daß meine
jetzige
Stelle (der Brief war vom 30 May

37
datirt) das dabey vermachte Gehalt nicht verdient hat u neben einer andern

S. 232
Bedienung gar wohl verwaltet werden kann. Ich steckte alle diese
Courtoisien

2
hinters Ohr und freute mich so krank wie ich war, den Mann auf ein Haar

3
getroffen zu haben.

4
Bald drauf kam ein neuer
Assessor
des neuen
Prov. Directorii
mit der

5
erhaltnen Zulage meiner
Pension,
und ich dankte Gott, und meine

6
Krankheit gieng ihren Schritt unter den angenehmsten Danksagungen fort. Unter

7
manchen Besuchen kam auch der gute Graf u entschuldigte sich nicht zu Hause

8
gewesen zu seyn.

9
Donnerstags des Morgens kam ein noch angenehmerer Brief von dem

10
ehrl. Reichardt, den ich gar nicht vermuthete, vom 2 d. Er billigte meine

11
Gleichgiltigkeit, der ich nicht recht traute, versprach mir alle Hülfe, wenn er

12
die Sache erst beßer wüste, weil meine Nachricht ihm nicht hinlängl. u
deutlich

13
gnug wäre, um darinn etwas zu thun.
Bette
u Stube warten auf mich u

14
meinen Sohn. Das allererfreulichste war
Lindners Aufenthalt in

15
Berl. und wenn ich bald käme, er mein Reisegefährte seyn würde auf eine

16
gute Strecke des Weges. Das war ein Balsam auf mein Haupt. Ich fuhr

17
vor Freuden auf, weil ich die paar Tage her immer an ihn gedacht hatte, wie

18
ich in Berl. etwas von ihm erfahren würde und wie ich nach Halle deshalb

19
einen Umweg machen müßte. Und nun war er da – und Reichardt macht mir

20
Hoffnung ihn zu
meinem
unserm
Rei
se
gefährten
zu haben. Kein größer

21
Glück für mich, und für meinen Sohn, hätte ich mir können träumen laßen.

22
Er würde weder uns, schreibt Reichardt, noch unsern

23
Freunden auf irgend eine Weise im Wege seyn
und ich hätte einen
so

24
guten sichern Vorsorger für meinen schwachen Körper
. So

25
viel schreibt er aus
Reminiscentz des vorigen Tages
wo
er mit

26
ihm
sie zusammen gespeist, um mir diese Hoffnung zu machen. Weder Dir,

27
lieber Jonathan noch weniger unserm A. B. dem ich immer diesen Artzt

28
gewünscht und
in petto
gehabt, wenigstens sein
consillium
wird es leyd

29
thun diesen einzigen Mann in seiner Art kennen zu lernen, auf den der

30
Seegen seiner frommen Mutter ruht, die er wie ein Held hier gepflegt und

31
sich ihr zu Liebe beynahe selbst aufgeopfert hat. Ich glaube Dir davon schon

32
geschrieben zu haben. Dieses außerordentl. Geschick der Vorsehung treibt mich

33
keinen Posttag zu versäumen, und die Freude dieser Nachricht hat die

34
Auflösung meiner Krankheit befördert und meine Widerherstellung versäumt.

35
Montags komt mein Schneider, dem ich zu Gefallen nicht aufstehen konnte.

36
Diese 8 Tage im Bette habe ich
mein Haus bestellt
, und alles darinn

37
bereitet. Nach einer gantz schlaflosen Nacht schrieb ich gestern ein
Billet doux

S. 233
an Deinen Namensvetter, der mich Nachmittags besuchte. Er hat all mein

2
Vermögen in Händen, und ich traue ihm – Uns war beyde ein wenig vor

3
Erläuterungen angst; es gieng alles nach Wunsch ab. Heute habe ich ihm die

4
1000 erhaltenen oder ausgezahlten fl. auf das verkaufte Haus zugeschickt.

5
Wie er fort war, kam die Reihe an Hill, den ich an meine Stelle in mein

6
Haus aufnehmen will, und ich hoffe, daß auch dies Mittel ihm und mir

7
gelingen wird den
SchuhKnecht
abzulegen, den er bisher gespielt. Dergl.

8
Scenen sind ein wenig stark und wirken ärger als
Ipecacuanha,
aber

9
wohlthätig für mein Gemüth, das dadurch erleichtert wird, und für den Körper

10
zugl. Bey Gelegenheit der
Ipecac.
muß ich noch eine Kleinigkeit
nachholen,

11
die Du einem Patienten verzeihen wirst.
Rhabarb
und
Cremor Tartari

12
machten meine Natur Dienstags nicht williger. Mitwochs gieng es von oben,

13
aber erfolgte auch nichts. Ich entschloß mich kurz u gut zum
Lavement,
mit

14
dem mir
faeces
wie Kieselsteine abgiengen. Seitdem ist mein unterleib in

15
ziemlicher Ordnung und auf gutem Wege. Miltz hat mich angerathen morgen

16
auszugehen aber scharf eingebunden, mäßig zu seyn und
corrobaranti
en

17
widerrathen. Vielleicht speise ich seit vielen Jahren bey
Motherby
mit Kant,

18
um von diesem Hause
Courtans
Schwester u Nachbarin u unserm
φφ
en

19
Abschied zu nehmen.
Crispus
hat einen Gegner seiner
Recensio
an Eberhard

20
gefunden, nach der wir beyde sehr neugierig sind. In Berl. weiß man noch

21
nichts von Hartknoch der mit seinem Sohn erwartet wird u mir H.

22
Gespräche hoffentl. mitbringt.
Jacobi
hat mir guten Rath gegeben zu meinen

23
Reiseanstalten
.
Ich gehe so leicht als mögl. Im
Charivari
beyde, die mir

24
schon ehmals wohlgethan haben. Ein guter Schlafpeltz, so gut ich nur

25
bekommen und bezahlen kann, ein
Redingotte
und einen Rock, mit einem halb

26
Dutzend Hemden. Der Käufer meines Hauses ist ein Sattler
emeritus
und

27
beschlägt meinen alten
Coffre,
den letzten den ich zum Glück übrig behalten

28
habe. Auf einen Vorspannpaß vom Minister werde nicht warten. Nicht blos

29
aus Sparsamkeit wäre er mir lieb. Meine einzige Angelegenheit in Berlin

30
besteht darinn, daß meine
Leute nicht in ihrer Freywohnung

31
während meiner Abwesenheit gestört werden
.
Diese

32
Kleinigkeit hoffe ich zu erhalten auch
Zeitlebens
. Aber auf den Gegenfall wär

33
Hill der einzige Freund, der im
stände
wäre sich meiner armen Bücher u

34
Papiere, die in der grösten Verwirrung liegen, anzunehmen. Also muß er in

35
mein Haus, oder wir sind
ewig geschieden
, und
ich dabey
am ärgsten

36
geprellt. Dieser Hauptpunct muß also in den ersten Tagen der Woche ins

37
reine gebracht seyn. Mehr kann ich heute nicht.


S. 234
den 10.
Dom I. p Tr.

2
Ich habe noch gestern die 3 Blätter Beyl.
abgeschmiert
um die Acten zu

3
completi
ren. Eben da ich fertig war, tratt Brahl herein mit einem

4
Unbekannten, der mich versicherte längstens gekannt zu haben. Es war
la Garde

5
aus Berl. der seinen neuen Laden in Libau
revidi
ren geht. Der Besuch war

6
mir sehr gleichgiltig, ich bat mir daher die Erlaubnis aus einen Heering der

7
neben mir stand zum Abendtbrodt eßen zu können; und mich befiehl eine

8
ungemeine Lustigkeit. Für Brahl ließ ich auch einen schlachten, und
la Garde

9
trank ein Glas Bier. Ich war so zerstreut sorglos daß ich nicht einmal nach

10
Mirabeaus
Mendelssohn zu fragen neugierig war. Brahl hätte ihn wohl

11
mitgebracht, oder daran gedacht, wenn was
Z
zu lesen oder anzusehen

12
da gewesen wäre. Erschöpft mehr von außen als innen eilte ich zu Bette.

13
Gegen 5 Uhr wurde mir die Zeit zu lang und ich weckte mein Haus,

14
genoß mein Frühstück im Bette, wollte meinen Brief fortsetzen, wie ich in

15
einen sanften Schweiß gerieth, den ich abwarten muste, und gegen 8

16
aufstehen konnte mit erneuerten Kräften und gestärktem Vorsatz den 18

17
aufzubrechen.

18
Beyl. sind blos für Dich
u
B. Ich wollte nicht gern, daß etwas nach B.

19
witterte, und habe keine Lust mich mit den dortigen
Circumforaneis

20
abzugeben, weiß ihnen Dank, daß bisher verschont geblieben. Will ihnen gern

21
selbst aller Mühe überheben mich zu verdammen oder seelig zu sprechen, kann

22
alles selbst thun.

23
Habe mich in meiner Krankheit an
Agricola
Sprichwörter erqvickt, und

24
gestern die Ausgabe des
Heynii
von
Apollodor
zum ersten mal ansehen

25
können; alle 4 Theilchen durchgelaufen. Vielleicht finde ich in Deiner Bibl. um

26
ihn zu lesen. Aber ein Gericht wünschte ich bey Dir zu genießen; das ist
Reid

27
oder
Ried’s Essays.
Ich habe mich fast geärgert sie blos nach einer deutschen

28
Recension
von Dir angeführt zu finden. So ein Werk must Du
haben
,

29
und in diesem Punct will ich mir noch immer ein wenig philosophische

30
Neugierde erlauben: so wenig ich auch hier in der Zeit eine Auflösung der Frage

31
erwarte:
was ist der Mensch
? Da fällt mir ein Sprichwort aus

32
Agricola
ein: Was sollten wir von Gott wißen und niemand weiß, was seine

33
Seele thut, wenn er schläft?

34
Herders Gespräche wünschte ich unterwegs. Ich erwarte Hartknoch diese

35
Woche und vermuthe daß er sich in Weimar aufhält. Sein Sohn soll meinem

36
ähnl. seyn, wie
la Garde
sagt.

37
Der Junge
liest mir vorvorige Woche, da er die Gnomiker des

S. 235
Bruncks
las einen Spruch des
Solons.
Ich habe ihn die letzte ziemlich

2
einweyhen müßen. Der Vers gefiel mir selbst daß ich ihn behalten habe


3
Ἁμα γαρ αελπτα συν Θεοισιν ηνυσα

4
Αμα δ’ ου ματην ερδον.


5
Gott gebe daß er wahr werden mag; aber meine Leute werden froh seyn

6
mich aus dem Hause zu haben; ich, wenn ich nur erst den Hill als meinen

7
Statthalter drin hätte. Es wird aber noch ein wenig Arbeit kosten den

8
bereisten Handwerksburschen u SchuhKnecht ihm auszuziehen. Daß ich es gut

9
mit ihm gemeynt habe, wird er zeitig gnug erfahren. Der Versuch mit seinem

10
gewesenen Patron war kein bloßer Spaß, sondern im rechten Ernst gemeynt.

11
Ich hatte mein ganzes
Capital
ihm aufgesagt, mich in die gröste Verlegenheit

12
setzen können und vielleicht mein Geld in die hiesige Bank geben müßen oder

13
– – Es ist alles gut abgelaufen und unsere Freundschaft wird hoffe ich desto

14
fester und gründlicher werden. Er ist übrigens ein treuer und kluger

15
Verwalter im Zeitlichen, und fühlt es daß es kein bloßer Titel ist,
Freund
und

16
Gevatter
zu heißen und zu seyn. Ich muß Hill gegen ihn und
vice versa

17
rechtfertigen, das ich auch noch zu erleben hoffe, und gegen
beide
recht

18
gehandelt zu
haben

19
Mein
Valet
mit Kant bey Motherby ist erst heute über 8 Tage. Die

20
Witterung ist so kalt, der Nord so stark daß ich erst die Erlaubnis meines

21
Artztes abwarten will, um aus zu gehen. Ich halte meinen Mittag zu Hause,

22
und meine Leute haben zum Glück Kohl.

23
Wenn ich aus gehe, so geschieht es von dem Oberhofprediger Schultz

24
Abschied zu nehmen, mit dem ich den Anfang machen und
Turretin

25
Hermeneutic
auch
Telleri Exc.
abgeben will. Er giebt jetzt eine
populaire
Dogmatik

26
in Druck. Ich vermuthe
Crispum
und sein
Jacobchen
bey ihm zu

27
überraschen. Letzteres Diminutiv ist der Eckelnahme des Namensvetters, der sein

28
Nachbar u peripatetischer Layen u Logenbruder ist. Kraus und Kant haben

29
ohne zu wißen das kleine
Billet-doux
mir zugespitzt.

30
Mein ältester Freund Hennings ist vorgestern des Abends entschlafen.

31
Gottlob für ihn u seine lachenden Erben! Er ist 5 Jahre älter wie ich

32
geworden. Ich habe sein Gemälde vom seel. Lindner geerbt, u seine
Silhouette
von

33
ihm zum
d
Andenken erhalten. Er gab mir einmal ein kleines engl.

34
Praesentir
tellerchen, das schon verbogen u zerbrochen ist, auf dem noch

35
immer meine
Tasse,
mein Bierglas und mein Tintenfäschen steht, und ohne

36
das mir immer etwas fehlt; wie des Grafen Kayserlings Qvispeldoor mir

S. 236
unentbehrl. geworden ist, das ich besonders am Anfang auch bey andern

2
Leuten vermiste.

3
Du mein lieber Jonathan Du wirst einen verwöhnten alten Kerl an mir

4
finden, den Du viel zu gut halten wirst müßen – und wirst dem Himmel

5
danken das wider los zu seyn, was Du Dir gewünscht hast. Wenn es nicht

6
gut wäre, uns einander zu sehen, würde es uns allen nicht so sauer geworden

7
seyn. Der äußerliche Mensch hat kein Warum? Gottes Wille hat auch kein

8
Warum?
Agricola
hat beyde Sprichwörter gut auszulegen gewußt.

9
Widersprüche zu verdauen, ist noch immer eine
pica
meines alten Magens, der des

10
Spiels nicht satt werden kann.

11
Noch eins, be
s
ter Jonathan, nenne mich wie Du willst; aber dutzen kann

12
ich mich unmöglich, als unter 4 Augen. Nach einem Gelehrten, nach einem

13
Philosophen suche auch nicht bey mir; Du findest wahrhaftig nichts von

14
allen dem, was Du mir zutraust. – –


15
den 11 –

16
Gestern war für mich ein saurer Tag. Ich wurde wegen der schlaflosen

17
Nacht nach der ersten Mittagsmahlzeit schläfrig, hatte den guten Willen

18
noch die letzte Vesper von meinem Beichtvater zu hören, wenn ich auch spät

19
gekommen wäre, wie der
Asessor
des
Directorii
mich besucht und mich

20
neugierig macht, ihn mit einer Pfeife Toback u
Bouteille
Bier zu bewirthen, auf

21
die er sich selbst gebeten hatte. Er erzählte mir so viel, daß ich nicht wuste wo

22
ich meinen Kopf laßen sollte. Der Schlaf war wenigstens verflogen, aber

23
alles was ich nach Berl. geschrieben, wurde mir eckel und zu Waßer. Ich

24
gieng zum Oberhofprediger meinen ersten Abschied zu
nehmen
und er

25
begleitete mich mit seinem hohenpriesterl. Seegen, der mir wohl that. Darauf

26
kam ein Stück Arbeit mit Hill, auch mit diesem
Coge intrare
bin ich

27
Gottlob fertig geworden. Er zieht heute ein. Ich muß schlechterdings eine

28
Mannsperson der meine u meines Sohns Stelle vertritt im Hause haben,

29
weil lauter Weibsleute allein sich nicht helfen können, besonders bey meinen

30
vermischten Angelegenheiten,
Bücher
p
und
Hill
ist der einzige Mensch

31
u Freund, der dazu taugt. Er that mir also die
gröste Wohlthat
,

32
woran er gar nicht glauben konnte; und ich hoffe, daß der Aufenthalt in meinem

33
Hause ihm eben so wohlthätig seyn wird. Nach einem abscheul. Mittelgericht

34
kam ein gewißer
Bötticher
, wie ein Bothe Gottes in mein Haus, an den

35
ich von selbst nicht gedacht haben würde. Es ist einer der außerordentl.

36
Menschen, der seit seines Hierseyns an mich wie eine Klette gehangen hat, trotz

37
meiner Gleichgiltigket u Entfernung. Ist
famulus
des Cantzler Seegners

S. 237
gewesen also sein Lieblingsstudium die Mathematik, hat sich verheirathet mit

2
einer Person von etwas Vermögen, die er herzl. liebt, und eine außerordentl.

3
Neigung und
Talent
zu Kindern, hat dummes Zeug in diesem
Fache

4
geschrieben ist aber in der Practik der geschickteste u glücklichste Mann. Hat ein

5
Institut angelegt, mit dem die Eltern außerordentl. zufrieden sind, und seine

6
Schule die aus 6 jungen Leuten besteht, ist ein Muster
u.
kl. Wunder. Er hat

7
jetzt eine Art von Spinnrocken erfunden, das eine ansehnl.
Praemie
verdiente

8
und die Probe ausgehalten hat, wo ein armes Mensch wenigstens noch

9
einmal bis viermal so viel wie bisher verdienen kann, mit 2 oder 4 Spindeln,

10
wovon 2 sich selbst zwirnen u die übrigen zu Baumwolle oder Flockseide

11
gebraucht werden können. Diesem Menschen fehlt ein Gehülfe zu seinem

12
ErziehungsInstitut und dazu wäre Hill ein auserlesener Mensch. Mit diesem

13
Project muß ich heute oder morgen fertig werden und bring es zum Stande:

14
so habe ich noch ein gutes gemeinnütziges Werk zu Wege gebracht, wo
durch
zu

15
mein eigen Bedürfnis eines Hausfreundes u Eleasers Gelegenheit gegeben.

16
Mein
Coffre
ist da und wir kommen mit einem Rock und einem Gott

17
wenigstens Vater u Sohn. Des dritten wegen habe ich auch die beste Hofnung.

18
Ich hoffe vor Freuden gesund zu werden,
w
so bald ich auf dem Postwagen

19
einen Platz haben werde. Heute über 8 Tage, so der HErr des Lebens will,

20
daß wir uns einander sehen u genießen sollen.


21
Vermerk von Jacobi auf gesondertem Blatt:

22
Koenigsberg den 10
ten
Au
Juni 1787.

23
J. G. Hamann

24
empf den 21
ten

25
beantw den
22
ten

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 373–376.

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 547–556.

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 6: Januar bis November 1787. Hg. von Jürgen Weyenschops, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2012, 179–190.

ZH VII 230–237, Nr. 1071.

Zusätze fremder Hand

237/22
–25
Friedrich Heinrich Jacobi

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
231/25
da,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
da;
232/12
deutlich
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
deutl.
232/13
Bette
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Bett
232/20
Rei
se
gefährten
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Reisegefährten
233/10
nachholen,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
nachholen
233/33
stände
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
stande
234/2
abgeschmiert
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
abgeschmiert,
234/18
u
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
und
235/18
haben
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
haben.
236/24
nehmen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
nehmen,
237/3
Fache
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Fach
237/6
u.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
u
237/25
22
ten
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
22.
ten