1082
253/10
Auf einem Himmelbette in Münster den 22
Jul. Dom VII.
87.

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Marianne
theilte uns schon vorgestern Abend ihren Plan mit, Dich,

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Herzenslieber Fritz nebst der schwesterlichen Gesellschaft aufzunehmen und einen

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Platz auszumitteln in dem Hause, vor deßen Thür Du gerade anzufahren

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willens bist. Wenn Du also herkomst, wirst Du keine Mühe haben die Stube

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und das Himmelbette zu finden, und Deinen Dich eben so sehnlich

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erwartenden Freund. Mit meiner Krankheit hat es weiter nicht
s
auf sich, weil ich

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Gottlob! ohne die geringste Schmerzen und mit der höchsten Zufriedenheit und

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Pflege das Bett hüten kann. Mein linker Fuß ist noch im Enkel etwas

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geschwollen, und leidet bey einer veränderten Lage; der rechte scheint völlig

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hergestellt und scheint das Gehen und Sitzen beßer vertragen zu können. Ich

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denke noch heute der großen Kräuterküßen loßzuwerden und meiner

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monströsen Schuhe, mit denen ich mich bisher habe placken müßen.

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Den ersten Abend lernte ich nichts als die Bibliothek u den Speisesaal

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meiner jetzigen Heimath kennen. Den Tag drauf zog ich in mein Himmelbett,

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und kenne also nichts mehr weder von den Gelegenheiten des Hauses noch des

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Orts. Der schlaue Alcibiades, da er nach Münster Dich eingeladen hat,

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dachte sich also die ganze große Stadt nach meinem engen Gesichtspunct, den

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ich selbst davon habe und eben nicht sehr zu erweitern wünsche, wenn ich

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wegen meines guten Appetits nicht mehr Bewegung nöthig fände. Frantz

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macht es also wie Fritz, und beyden geht es wie es leider allen Philosophen

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geht, die was sie voraussetzen, nicht nöthig finden erst zu beweisen, und

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dadurch öfters zu kleinen Misverständnißen Anlaß geben.

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Dienstags, den Tag nach meiner Ankunft, lernte ich Freund
Druffel

S. 254
kennen. Mittwochs überraschte mich die Fürstin
Aspasia in
praesepio,
mein

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Michael begleitete Alcib. zu ihr und er kam voller Entzückung nach Hause,

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weißagte mir auch viel Genuß, und hatte den würdigen
Exm. Pericles
auch

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näher kennen gelernt – Donnerstags brachte die Fürstin Ihre Familie zu B.

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– und heute ist Hans Mich. nach Angelmodde gegangen.

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Mein Gemüth scheint sich merklich zu erholen und zu erheitern, daß ich

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gute Hoffnung habe zu einem kleinen Rückwege in meine Jugend. Mir ist

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wohl
, und beßer als ich und meine Freunde mir es zugetraut haben. An

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Fähigkeit zum Genuß scheint es mir noch gar nicht zu fehlen. Der Mangel

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an Nahrungsmitteln ist meiner Humanität nachtheilig gewesen, und hat der

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Animalität das Uebergewicht gegeben, von der ich wider zu genesen hoffe,

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unter so guten Augen und Händen –

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Komm also, lieber Fritz, so bald
d
Du
kannst – mit Deiner Uebersetzung des

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Alexis,
die ich sehr zu sehen verlange. Ich habe Weickhardts philosophischen

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Artzt mit Vergnügen durchgelesen, und heute 2 mal des seel. W. erste

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Entwickelung
.
Deine
Einwürfe
gegen seine Erklärung haben mir am besten

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gefallen und kommen mir gründlich vor. Von dem mir zugedachten Päcklein

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weiß noch nichts, und ich erwarte mit Ungedult auf Nachricht von Ankunft

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deßelben aus Kgsb. wohin ich noch gar nicht schreiben können, und wo man

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nach eigenhändigen Nachrichten von mir auch ein wenig ungedultig seyn

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wird.

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Ich hoffe Dich also, mein lieber Jonathan, noch diese Woche von Angesicht

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zu sehen und zu umarmen – glückliche Ankunft und gut Reisewetter nebst den

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herzl. Grüßen von Deinem alten
Georg u
Comp.


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Adresse:

26
Herrn /
Geheimten
Rath
Jacobi
/ in /
Pempelfort
.


27
Vermerk von Jacobi:

28
Münster den 22
ten
Juli 1787.

29
J. G.
Hamann
.

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 380 f.

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 559–561.

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 6: Januar bis November 1787. Hg. von Jürgen Weyenschops, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2012, 217–219.

ZH VII 253 f., Nr. 1082.

Zusätze fremder Hand

254/28
–29
Friedrich Heinrich Jacobi

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
254/1
Aspasia in
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Aspasia in
254/13
d
Du
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Du
254/16
Einwürfe
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Entwürfe
254/26
Geheimten
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Geheimen
254/29
Hamann
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Hamann