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P. den 28
Aug.
87.

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Mein erwünschter Franz;
Heil
und
Freude
Ihnen und Mariannen

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zu Ihrer kleinen lieben Johanna, Maria, Gertrudis, die Gott erhalten und

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seegnen wolle mit reichen Wohlthaten des Lebens in Zeit und Ewigkeit. Gleich

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nach Empfang der guten Nachricht wurde ich von den beyden
Tanten
hier

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mit einem Angebinde zu meinem 58sten Jahre überrascht, das mir desto

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rührender und auffallender war, weil ich mir denselben Morgen einen

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Schlafpeltz
in petto
gewünscht hatte und wenig Wahrscheinlichkeit vor mir sahe in

S. 282
diesen Gegenden zu einer solchen Beqvemlichkeit. Alle
Wünsche
, alle

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Begierden meines Herzens und meiner Seele
sind
und
werden
täglich erfüllt.

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Trotz dieser lebendigen Erkenntnis, die ich mit dem Munde bekenne, kann ich

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das
Schema
eines traurigen Ritters und die äußere Gestalt deßelben nicht

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abwerfen, und mich selbst aus einem kriechenden in ein fliegendes Insect

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verwandeln – zu meinem eigenen und anderer unvermeidlichen Aergerniße.
Der

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alle Dinge weiß, Herzen und Nieren prüft
, wird sein Spiel

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mit den Menschenkindern entwickeln und rechtfertigen – auch mich von dem

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Leibe dieses Todes und den Banden der Eitelkeit los machen, mit denen ich

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mich schleppen muß.

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Der Brunnen scheint recht gute Wirkung zu thun, und ich werde mit

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demselben so lang es nur möglich seyn wird fortfahren. Bald werde ich aufhören

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ein
Oedipus
zu seyn und wider geschuht und gestiefelt einher gehen

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können.

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Von meines Freundes
Raphael
guten
Gesinnungen
Ihnen

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erkenntlich, gefällig und nützlich zu seyn (an meiner Stelle) werde ich täglich

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mehr und mehr überzeugt. Er wird alles eingehen, was in seinen Umständen

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und Vermögen steht, und Gott wird seinen guten Willen seegnen. Ohne

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Seinen Seegen taugt weder
Wille
noch
Werk
, und nichts ist gut ohne

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diesen Einfluß.

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An Lust und Materie zu arbeiten fehlt es mir hier nicht; aber mein Lesen

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und Schreiben wird mir durch meine Cur ziemlich eingeschränkt, daß ich kaum

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aus der Stelle und vom Fleck kommen kann.

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Ich danke Ihnen recht sehr, mein
erwün
auserwählter Frantz, daß Sie

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das Geschäfte der Verabredung mit
D. L.
unserm Jonathan

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überlaßen haben.

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Mehr zu schreiben, erlaubt mir der Pyrmonter nicht. Gott erhöre unser

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gemeinschaftliches Gebet für Eltern und Tochter, die ich aufs herzlichste im

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Geist und Sinn grüße und küße. Erfreuen Sie uns mit der Fortsetzung guter

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Nachrichten und Zeitungen –

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Freund Ernst bringt mir wohl das Stammbuch meiner
Lisette Reinette

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mit, an die ich gestern Abend die ersten Zeilen zu schreiben anfieng, als die

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doppelte Geburtsfeyer des neuen und alten Menschen durch Abendeßen und

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Punschtrinken auf einmal unterbrochen wurde.

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Nochmals die besten Wünsche, Grüße und Küße von

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Ihrem

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Alten und
Comp

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Lessing-Sammlung Nr. 1841 z.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 373 f.

Ludwig Schmitz-Kallenberg (Hg.): Aus dem Briefwechsel des Magus im Norden. Johann Georg Hamann an Franz Kaspar Bucholtz 1784–1788. Münster 1917, 135 f.

ZH VII 281 f., Nr. 1095.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
282/6
Der
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Der
282/25
D. L.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
D. L
indner