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P. den 16
Sept. Dom XV.
87.
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Lieber Freund Hill, warum nennen Sie mich nicht auch so? Ihren Brief
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vom 20
pr.
habe den 30 erhalten. Die Antwort auf Einl. bat HE Gomm
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vorzulesen, wie auch die Beyl. an meine
Lisette Reinette.
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Auf Ihr
Billet
u Einschluß von Freund Hartknoch wurde den gantzen
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Donnerstag von 11 Uhr des Morgens an bis in die Nacht gewartet, weil
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der
Alexis
nach Leipzig zur Meße abgeschickt werden sollte. Wie alle
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Hoffnung aus war, und ich mir
nolens volens
zu Frieden geben mußte, erhielte ich
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Freytags um 10 Uhr alles nach Wunsch und über Erwartung. HE Geh. r.
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antwortet selbst nach Riga, und ich hoffe, daß es nicht umsonst seyn wird in
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dieser Angelegenheit meine Wünsche nicht nur befriedigt
sdn
auch
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übertroffen zu haben.
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Erlauben Sie den Mädchen nicht meine Briefe an Sie zu erbrechen, den
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einzigen Fall ausgenommen, daß Sie auf die hohen Berge und in die
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Wüsteneyen unsers Vaterlandes sich vor den Verfolgungen der Hypochondrie
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hatten flüchten müßen. Wer kann denn meine Briefe der Mutter u den
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Kindern vorlesen? Ist Lehnchen schon im Schreiben so weit?
S. 289
Was aus Hans Michel geworden ist, weiß ich nicht. Er hat mir lauter
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Confusion
u Unordnung nachgelaßen, die mich auf ihn verdrüßlich macht.
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Weder aus Frankf. am Mayn, wie ihm aufgetragen worden, noch aus
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Aschaffenburg geschrieben, wo nicht mit der heutigen Post noch etwas
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ankommt.
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Ich habe heute den Pyrmonter ausgesetzt, um ein paar Zeilen schreiben zu
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können. Zeit und Weile bey allem Ueberfluß und Genuß wird mir lang, um
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nur etwas arbeiten zu können, da ich mit
Materialien
von allen Seiten
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umgeben bin.
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Tausend Dank Ihrem gütigen
Oncle
und
Me Courtan,
daß sie auch für
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das Vergnügen meiner lieben Waysen sorgen. Ich bin nicht einmal im stande
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nach Münster noch nach Berl. zu schreiben, wo ich so viel Gutes genoßen.
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HE Secr. Dorow und seine Frau werden die Freundschaft haben das
Rätzel
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meines Stillschweigens
zum Besten bey meinem liebreichen Wirth
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und der heil. Familie auszulegen, bis ich im stande seyn werde mich selbst und
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meine flüchtigen Reisegefährten zu rechtfertigen, und das Siegel zu erbrechen,
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warum ich wenig zu schreiben habe, als was man dort beßer weiß, als ich es
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erzählen kann, und warum es mir beynahe unmögl. fällt, die geringste
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Thätigkeit meines Kopfs zu äußern.
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Ist nichts von dem
Päckl.
angekommen, daß ich von hier aus schon in
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Kgsb erhalten sollte? Es wird deshalb wider nach Leipz. geschrieben. Ich
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habe HE Einnehmer gebeten deshalb im Hart. Buchladen wachsam zu seyn.
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Wenn die Mutter Geld hat, oder den 27 d. zur
Pension
etwas erhällt:
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so bitte für meine
Lisette
das
Journal
einer Reise nach Frankr. von
Me de
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la Roche
einzukaufen und halb einbinden zu laßen. HE Kanter nimmt nichts
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mehr als 15 gl. für so einen Band, und Sie können ihm den Band der
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Schweitzerreise
aufzeigen um diesen darnach einbinden zu laßen. Man
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erwartet auch das Journal ihrer Reise nach Engl. nebst einem Roman unter
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dem Titel:
der schöne Bund
, den man hier schon in der Handschrift
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gehabt. Das Kupfer der Verf. hoffe ich auch zu erhalten u Lieschen
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mitzubringen.
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Meinem Hans habe ich allenfalls wenn er auf Grünstadt kommen sollte,
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das Empfehlungsschreiben unsers
J.
an seine Eltern mitgegeben um mich
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anzumelden, wenn es mir
mögl.
seyn wird auf der Rückreise, wie ich
gewiß
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willens
bin, anzusprechen und die mündl. Aufträge zu bestellen. Meine
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freundschaftl. Grüße an das ganze Haus –
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Ist von HE
Bengels engl. Sammlung nicht
der zweite Theil
S. 290
angekommen? und die Vertheilung geschehen. Freund
Nicolovius
wird
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Ihnen dabey hülfreiche Hand geleistet haben.
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Mein eigener Zustand ist mir die beste Erklärung Ihres
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Mischmaschgefühls, wie es Pestalozzi nennt im letzten Theil seines schönen Buchs. Was
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in meines Sohns Seele vorgeht, kann ich mir ebenso wenig erklären. Ich
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habe mehr, da ich gestern u heute in seinen Papieren gewühlt, als 30 u 40
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Anfänge gefunden, besonders von Briefen an seinen Raphael. Bey seiner
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Rückkunft werde ich ernstlicher darauf dringen müßen, daß er sich wenigstens
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darüber erklärt, warum er mit keinem seiner Briefe fertig werden kann. Mit
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meinen Füßen scheint es beßer zu gehn, als mit meinen Eingeweiden.
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Werden Sie noch diesen Winter aushalten in meinem Hause? Ist etwas,
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dem ich abzuhelfen im stande bin. Ist meine liebe Hausmutter mit einer
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andern Dienstbotin versorgt, und macht ihr diese nicht das Leben vor ihrem
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Abschiede sauer? Haben Sie auch Vertrauen gnug, was fehlt, deutsch heraus
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zu sagen, und mir Ihre Noth zu klagen mit dem Vertrauen, daß ich mit aller
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mögl. Vorsicht dabey zu Werk gehen werde?
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den 17 –
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Hemsterhuis Diotima, unsere Diaphane Aspasia ist heute spät
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angekommen, habe einen doppelten Mittag gehalten und diesen Abend gefastet. Die
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Fürstin hat einen fürchterl. Husten mitgebracht und begab sich früh zur Ruhe
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nach dem ihr zur Natur gewordenen Gebrauch des Opiums. Sie werden
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nächstens auch ein Exemplar des übersetzten Alexis erhalten.
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Komt HE Prof. auch bisweilen in unser Haus. Er hat mir doch nicht übel
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genommen, daß ich offen an ihn geschrieben habe. Ich wollte ihm blos die
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Nachricht in Ansehung seines Schwaben mittheilen und so bald ich von
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Antwort höre, ihm die Fortsetzung mittheilen. Ich habe den Gebrauch des
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Pyrmonters gestern und heute wegen der elenden Witterung ausgesetzt werde es
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auch wohl morgen thun müßen, bis unsere Gäste abgereiset sind. Kleuker
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wird auch diese Woche hier erwartet. Morgen freue ich mich den Abend
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gantz allein mit meinem Jonathan zuzubringen, wenn die Krankheit der
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Fürstin nicht ihren Aufenthalt und einen Familienball für die Aachener Gäste
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stören wird.
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den 18 –
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Der erste Theil von Starks Apol. ist diesen Morgen angekommen. Die
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Pr. ist wegen ihrer schlimmen Nacht verhindert worden heute abzureisen und
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wird es morgen in aller Früh thun. Seyn Sie auch so gut der Lieschen Beyl.
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vorzulesen, weil sie allein nicht wird fortkommen können. Geben Sie ihr zugl.
S. 291
einen Wink dem Bruder deshalb nicht Vorwürfe zu machen. Schreib doch
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fleißig! hilft ebenso wenig als: Vater iß nicht so viel! Es wird ihn mehr
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beschämen u aufmuntern, wenn sie desto öfterer an ihn schreibt, und uns beyde
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entschuldigt.
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Ich habe so viel angefangene Briefe an seine Schwester u Freunde
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gefunden, daß ihn vielleicht der Ueberfluß an Materialien und der gute Wille ein
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Journal u förml. Reisebeschreibung zu liefern verwirrt. Der Stoltz keine
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Fehler zu begehen mag auch an seiner Stätigkeit schuld seyn. Ich wollte gerne
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diesen Mangel an seine Freunde ersetzen, wenn ich nur auch könnte. Wir
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müßen schon mit einander Gedult haben, und einer des andern Last tragen.
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Der erste Theil von Starks Apologie ist heute angekommen. Mein Kopf
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ist heute so schwer und so schwach – Grüßen Sie alle unsere Freunde und die
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Ihrigen, die Sie besuchen, Ihren
Oncle
und alle bereits angeführten. Ich
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kann nicht mehr und werde von meinem JJ. zum
Caffé
eingeladen. Bald
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mehr und beßer. Herzl. Gruß und Kuß an die liebe Mutter meiner lieben
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Kinder. Raphael wird unser Andenken bey HE G R. erneuren und alles zum
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Besten kehren. Schreiben Sie bald umständlicher und lieben Sie
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Ihren alten Freund JGH.
Provenienz
Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2606.
Bisherige Drucke
ZH VII 288–291, Nr. 1098.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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sdn ]
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Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: sondern |
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Päckl. ]
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Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: Päckch. |