1106
314/28
Vermerk von Hamann:

29
Erhalten den 10
Novbr
87.


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Lieber alter Freund,

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Ich erröthe über mein langes Stillschweigen; aber ich kann mir nicht

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helfen. Auch jetzt bin ich so müde u. matt von Predigt, Kirchen Rechnungen,

S. 315
Briefen, u. andern Amtsschreibereien, daß ich nur diese zerst. Bl. mit einem

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kleinen Lebenszeichen begleiten kann. Denn ich wollte doch nicht gern, daß Sie

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solche aus einer fremden Hand empfingen. Alles ist eitel, liebster H., schreiben

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u. mühen; insonderheit wenn man ewig getrieben wie ein Mühlenpferd in die

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Runde gehet. Auch Sie haben des Lebens Ueberdruß
geschmeckt;
möge es

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Ihnen jetzt in der Fremde wohl u. Ihr
hospitium
Ihnen die stärkendste

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Erholung seyn.

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Meine Fr. empfielt sich Ihnen aufs freundschaftlichste: sie ist ziemlich

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wohl bei ihren Umständen, nur trägt sie auch wie ich die Last des
Lebens
.
,
da

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bald diesem bald jenem ihrer Kleinen etwas fehlt. Fürchten Sie sich nicht,

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liebster H., es soll Ihnen bei uns so wohl werden, als es Ihnen war, da Sie

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mich in Riga hinter der Rußischen Kirche besuchten. Auch hier ists hinter der

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Kirche u. mein Haus liegt wie eine
Kloster-Einöde
, wo wir uns auch wie zwei

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Klosterbrüder nach einer langen Pilgrimschaft wieder sehen werden. Meine

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Schwester ist sehr krank; oder wohl gar schon todt. Vorige Woche empfange

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ich einen Br. von ihr, den 1. Mai datirt, u. in einem Br. ihres Mannes,

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vom 3. Sept. datirt, liegend. Ihre klagende, seufzende Stimme darinn geht

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mir an Herz u. Seele: ich habe an sie, an ihren Mann u. an Trescho

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geschrieben, um nur Gewißheit über Leben u. Tod zu erhalten.

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An Jacobi schicke ich kein besonders Ex. der zerstr. Bl., weil ich leider

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keins habe. Sie sind mir alle aus den Händen gerißen; u. ich glaube auch, daß

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ihm am Inhalt dieses Theiles nicht so gar viel liegt. Grüßen Sie ihn aufs

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beste u. entschuldigen es, daß ich das Päckchen an ihn couvertire; ich thue es,

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weil er die Post frei hat. Was er lesen will, wird er wohl aus Ihrem Ex.

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lesen.

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Leben Sie wohl, lieber Alter. Viel Freude u. Gesundheit sei mit Ihnen

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u. Ihrem Sohn. Herzlich wird es mich freuen, Sie wieder zu sehen; vielleicht

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schmecke auch ich einen Tropfen Jugend wieder. Viel Grüße ans ganze

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Jakobische Haus. Ich kann nicht mehr schreiben; ich weiß kaum, wo mir

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der Kopf stehet.
Vale, Veranni mi, vale.

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Herder.

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W.
28.
Okt. 87

Auf der dritten Seite des Briefes befindet sich Hamanns Abschrift eines Briefes von Caroline Herder an Lotte Jacobi vom 2. November 1787:

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Liebe Lotte, ich habe beykommendes Päckchen schon einen

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Posttag liegen laßen, um Dir einen langen Brief schreiben zu können.

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Ich bin aber auch heute verhindert und kann Dir nur danken für

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Deinen lieben Brief, für die Mittheilung des häusl. glückl. Festes.

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Glück u. Seegen begleite das junge Paar! und der Br. Fritz möge

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an Kindeskind sein Wohlgefallen erleben.

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Daß Ihr unsern H. so pfleget, wartet erheitert und
wider

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gesund macht vergelte Euch Eure eigene Freude
herüber

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hierüber. Es ist mir doppelt lieb, daß er nicht in diesen dunkeln Tagen

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zu uns kommt. Ich hoffe an Weynachten auf meine Niederkunft

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und so wird er im neuen Jahr unser Häuslein vermehrt finden.

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An Ostern kommt Goethe wieder. Er muß ihn bey uns kennen

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lernen; er verdient
auch
daß man von Norden nach Süden reiset,

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um ihn kennen zu
lernen

S. 545
Er lebt in Rom ununterbrochen glückl. Gott sey gedankt daß

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er ihm nun seine gute Stunde schenkt. Trotz der Alpen sind wir

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ungetrennt von ihm und theilen sein Glück mit ihm.

4
Mein Mann ist
wider
wohl, die Kinder und ich auch, und es

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geht so leidlich hin das liebe Leben, und es thut einem wohl, wenn

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man einmal etwas von Gesundheit athmet.

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Gott erhalte Euch das unschätzbare Kleinod und gebe Euch

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Freude. Ich sage Dir viel herzlich Gutes, liebste Lotte. Lebe wohl,

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grüße Bruder und Schwester.

10
Deine alte

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C. H.

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In Eil
den 2
Nov.

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 310–311.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 383 f.

Herders Briefe an Joh. Georg Hamann. Im Originaltext hg. von Otto Hoffmann. Berlin 1889, 230 f.

ZH VII 314 f., Nr. 1106.

Zusätze fremder Hand

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Johann Georg Hamann

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
315/5
geschmeckt;
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
geschmeckt,
315/9
Lebens
.
,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Lebens,
315/13
Kloster-Einöde
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Kloster Einöde
315/32
28.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
28
544/30
wider
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
wieder
544/36
auch
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
auch,
544/37
lernen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
lernen.
545/4
wider
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
wieder
545/12
In Eil
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
In Eil