1111
333/2
Dußeldorf den 16
ten
Nov 1787.
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Der Winter ist da, aber die Leute hören noch nicht auf zu reisen. Heute
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vor 8 Tagen, da ich eben das Packet an Buchholtz gesiegelt hatte, trat
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Neßelrode, der v Aschaffenburg zurück kam, mit allen seinen politischen
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Angelegenheiten in mein Zimmer. Damalen kündigte er mir einen
Cavaliere
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Landriani
aus
Pavia
an, der die Reise mit ihm gemacht hätte, bey ihm
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logieren u noch ein besondres dringendes Empfelungsschreiben an mich hätte.
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Beyde kamen den Abend zu mir, u da ich am folgenden Morgen meinen
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Gegenbesuch, etwas spät, machte; mußte ich zum Mittagseßen bleiben.
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Landriani ist ein guter angenehmer Mann, der viel weiß u sich emsig um noch
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mehr Kenntniße bewirbt; übrigens ganz ein Philosoph nach der heutigen
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Art, voll Eroberungsbegierde
der Qualität aus der Quantität
.
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Mir kam der Gedanke, ob die Leute nicht einmahl auf den Versuch gerathen
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würden, das Reden so weit zu vervollkommnen, durch Analyse der Töne u
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ihrer
Verhaltniße
, daß ein Verständniß ohne Gedanken dadurch möglich
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würde. Größere Vollkommenheit d Rede erleichtert ja Aufmerksamkeit,
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Combination, u.s.w: warum sollte nicht eine Vollkommenheit möglich seyn,
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die vollends alle Thätigkeit des Geistes unnöthig machte. – Mir war
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sonderbar dabey zu Muth, dies einmahl wieder so
ganz rein
vor mir zu haben:
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diese Forschungs Art, u diesen Geist der großen Welt; beydes zwey Mahl,
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oder daßelbige doppelt, aber der Proportion nach im umgekehrten
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Verhältniß. Bey dem lebhaften Gefühl dieser Consonanz, erschien mir meine
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Dißonanz daß ich sie wie mit Händen greiffen konnte. Wie einem unter solchen
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Umständen zu Muth ist, hast Du wohl ofter u stärker gefühlt als sonst ein
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Mensch auf Erden. Alles lief doch ganz erträglich ab, u ich behauptete
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unter andern die Absurdität, daß Lavater eins der größten Genies v Europa
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sey, u bewies, daß es keinen schreckli
en
eren u gefährlichern Aberglauben
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gäbe, als das Vertrauen auf die gesunde Vernunft. In Absicht
des
letzteren
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that mir die Geschichte des Illuminatismus so treffliche Dienste, daß ich
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fühlte, wie mir der Lorbeer rund um den Kopf hervor wuchs. – Ich erzehle
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so viel v Landriani, weil er noch immer hier ist. Gestern kam er v einer
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Excursion nach Elberfeld zurück, u heute speist er zum 2
ten
Mahl bey mir.
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Nach Tische muß ich der Marschallinn
DeMuy
aufwarten, die auch
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angekommen ist, u zwar schon vor drey Tagen.
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Daß ich von Dir weiter gar nichts erfahre, ist weder schön noch gut. Ich
S. 334
habe seit dem 3 Briefe erhalten die Dich mit angehen, u die ich Dir deswegen
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schicke. Du bist so gut u sorgst daß ich sie bald zurück erhalte. – Ganz v
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ohngefähr höre ich, daß unter den Sachen die Du hier zurück gelaßen hast,
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Dein unentbehrliches grünes Camisol, u Dein Schlafpelz ist. Ich laße
sie
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beydes heute Nachmittag, mit den Schuhen etc einpacken u auf den
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Postwagen geben; damit es nicht wieder versäumt werde wie am Mitwoch. –
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V Mama Lene die herzlichsten Grüße. – Lebe wohl, Lieber, u bleibe mein
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Vater! Ich bleibe, so lang ich Etwas bin u bleiben kann
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Dein ehrlicher Jonathan.
10
Im
8
ber
des Museums steht ein trefflicher Aufsatz v D. Albers in Bremen,
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u eine schöne Erzählung:
der Geburtstag
; aber auch ein Brief v
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Schloßer an mich, der keine gute Folgen haben wird. Biester hat sich im Nov
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des Museums schon geregt, u Schloßern in einem Stück, Cagliostro betitelt,
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angegeifert.
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Ich grüße u küße Euch alle, meinen lieben J. Michael ja nicht
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ausgeschloßen! Ich danke diesem herzlich für den Brief an Max.
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Vermerk von Hamann:
18
Erhalten
den
17 9ber Geantw
eod.
remittirt
den Brief v Gevatterin H. aus
19
Weimar vom 2
Nov.
an
Tante
Lotte, den Frantz den 10 erhielt –
20
nebst
einem
dem Briefe von Hartknoch
dd
den 13
Oct. Riga.
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von
Reichardt dd
den 10
Nov.
Berl.
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Häfeli den 31
Oct.
Wörlitz bey Deßau.
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noch beygelegt Herders Brief vom 28 8br. Weimar
24
und Kleukers vom 12
Nov.
Osnabrück.
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Widergeschrieben den 19 bis zum 24 nebst unsern ersten
Resultaten
über
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p.
7. des Spinozabüchleins.
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 382 f.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 564 f.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 7: November 1787 bis Juni 1788. Hg. von Jürgen Weyenschops, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2012, 12 f.
ZH VII 333 f., Nr. 1111.
Zusätze fremder Hand
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334/18 –26
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Johann Georg Hamann |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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333/2 |
Dußeldorf […] 1787.] |
Neben dem Datum von fremder Hand notiert: NB . Landriani… |
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333/16 |
Verhaltniße ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Verhältniße |
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333/29 |
des ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: der |
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334/10 |
8 ber |
Geändert nach der Handschrift; ZH: 8 ber |
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334/18 |
remittirt |
Geändert nach der Handschrift; ZH: remittirt |
|
334/18 |
den ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: d |
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334/19 |
Nov. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Nov. |