1113
339/27
M. den 19 9br 87.
28
Herzenslieber Jonathan; Ich fühlte ein so starkes Rupfen an meinem
29
Ohr von meinem Schutzgeist, daß ich vorgestern des Abends meinen Brief
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abbrechen muste,
ex abrupto.
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Heute bin durch einen Bedienten der
Diotime
erinnert worden alle
32
Schriften des
Hemst.
auszuliefern, um eins das Dir gehörte auszusuchen – Ich
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habe gleich bey meiner Ankunft mich selbst daran erinnert Dein Exemplar
34
des
Simon
noch zurückbehalten zu haben, und bat meinen Hans auf der
S. 340
Stelle die Durchsicht mit dem meinigen gemeinschaftl. zu übernehmen. Der
2
Procrastinator
und
Cunctator
kam mit seinen gewöhnlichen Exceptionen,
3
die mich aufbrachten; und ich nahm es mir vor, diese Arbeit mit einem:
Coge
4
intrare
auf der Stelle und ehsten Tags abzumachen. Ich habe es heute
5
gethan und habe nichts als das
Avertissement
nöthig gehabt eigenhändig
6
abzuschreiben; das übrige mit meinem gelehrten Handlanger durchgelaufen,
7
und keine Lücke wahrnehmen können. Also die Hauptsache ist nun abgemacht,
8
und Dank nebst Entschuldigung folgen zugleich.
9
Durch den Bedienten ließ ich sagen, daß meine
ursprüngliche
10
Gemüthsart
zum Nehmen williger wäre, als zum
Geben
und daß ich
11
alle diese Schriften nicht so leichtsinnig auf
Discretion
ausliefern könnte;
12
versprach, das
Deinige
noch heute einzuliefern, weil es erst morgen mit
13
Miquel
nach
A
ll
ngelmodde
abgehen wird, und wenn es noch mehr
14
Misverständniße beträfe, selbige mündl. mit Ihr. Durchlauchten
15
abzumachen. Denn die gnädige
Diaphane Aspasie
hat mir wirkl. einige verehrt,
16
andere blos geliehen, und darüber mag Sie Selbst
entscheiden
weil ich
17
meinem Gedächtniße nicht traue.
18
Den 13 d. haben wir die ersten nächtl. Vorlesungen über Dein Spinoza
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büchl. gehalten. Frantz fechtet für Dich, als wenn es sein eigen Fell
beträfe,
20
und ich spiel mit eben der Heftigkeit den
Advocatum diaboli
im Namen
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der Berliner. Wenn Dir also die Ohren gellen, lieber Jonathan: so weist Du
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die Ursache, und kannst wegen des Ausganges gantz ruhig für Dich selbst und
23
für uns seyn.
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Ich habe Dich diesen Morgen mehr wie zehnmal in Gedanken geküßt für
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die Begeisterung, womit ich die Widerlegung des Galiani von dem wackern
26
Morellet
lese, der meine Waffen gegen Dich wetzt. Beynahe zweifele ich, daß
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Du die Gedult gehabt das Werk gantz durchzugehen, denn ein
Bogen
28
w
Blatt war noch nicht aufgeschnitten. Du kannst es aber roh gelesen haben.
29
Meine Zufriedenheit mit diese
m
n
Buche
Dialogues
gieng niemals auf
30
die
Form
Materie, sondern blos auf die
platonische
Form, die ich
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leider! kenne und der ich eben so wenig
kenne
traue als der peripatetischen.
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Ich schäme mich niemals meine Urtheile zu reformiren; aber ist nicht einmal
33
der Fall dazu.
34
Ein eben so sonderbares Vergnügen macht mir der gesetzte reife Ton
35
seiner ersten Schrift
della Moneta,
die so
gesetzt
sittsam so
gesetzt
36
andächtig geschrieben ist,
daß
als man in den
Dialog
en den witzigen
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Kleinmeister und Schöngeist und mercurialischen Leichtsinn der auf dem fremden
S. 341
Boden ausgeartet ist, poßierlich findt, nach der Widerlegung eines gründlichen
2
und leutseeligen Mannes – Von meinen Sachen ist noch nichts angekommen.
3
Bey uns ist alles gut und wie wir es
dort
wünschen.
4
Deine lieben Kinder, Deine würdigen Schwestern
alteram Ego
und
5
Tante
und das □ empfiehl mich bestens. Frantz
hofft
und
glaubt
6
nächstens mit mir oder ohne mich zu schreiben. Behalt uns in gutem Andenken,
7
wie wir es thun. Mit
Morell
et hat es doch wohl auch Zeit, weil Frantz u
8
Raphael vielleicht auch Michel von meiner Begeisterung
angestekt
, auch
9
neugierig sind, sich daraus zu erbauen. Den
Gmelin
habe Dir bereits
10
empfohlen; wie
Winhold
ankommt, bitten wir uns auch Theil nehmen zu
11
laßen, wie an allen dem Guten, womit der Himmel Euch eher heimsucht wie
12
uns. Mit
Marianne
geht es Gottlob! recht gut. Ich ersterbe Dein alter
13
treuer Freund u
Jonathan.
reciproce in secula seculorum
– Amen! Muß
14
erst diesen Brief abgeben und hernach erst
schwarze Grütze
trinken.
15
den 20 –
16
Diesen Morgen hab ich den
Simon
zurückerhalten mit der Nachricht, daß
17
das gesuchte Buch sich gefunden hätte und nicht von der Handschrift des
18
Simon
die Rede gewesen wäre. Ich hatte Dir es gern mit einer so guten
19
Gelegenheit wider geliefert; HE
Miquel
war aber schon abgereiset. Das
Mst
20
bleibt also aufgehoben, bis sich eine anderweitige sichere findet; und werde wie
21
für mein eigenes sorgen.
22
Von der allgem.
Litteratur
-Zeitung ist nichts als der
Sept.
hier und zum
23
Unglück fängt sich die
Recension
des
Crispus
mit dem 1
Oct.
an. Es ist eine
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große Gährung in meinem Kopf, aus der aber nichts als Schaum heraus
25
komt. Ich habe noch gegenwärtig gnug mit
Gagliani della Moneta
und
26
Morellet
zu thun, mit meinem zu- und abnehmenden linken Fuß, mit der
27
Reitzbarkeit meines
Stomachi
und dem Krampf des
Sphinc
ters, der sich nach
28
D
drey und 4
Dosen
des Schwefelpulvers nicht entspannen will. Mein
29
D. Raphael
meynt, daß ich die Eisenartige Mittel mit Pillen nun nöthig
30
habe abzuwechseln.
Que sais-je?
sagte der alte
Montagne.
Jetzt will ich
31
abbrechen, und auf Gelegenheit warten fortzufahren oder dieses Blatt
in
32
statu quo
an die Behörde laufen zu laßen mit dem ersten dem besten Anlaße,
33
der mir in den Weg kommen wird.
34
den 21. um 7 Uhr 20 M. des Abends
35
Der Kasten ist diesen Augenblick angekommen mit unsern Sachen für den
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alten Hans und den jungen Michel, der ein Herrmanns mythologisches
S. 342
Handbuch vermißt, das er noch nicht durchgelesen und ich kaum ansehen
2
können. Tausend Dank für gütige Besorgung. Habe heute in Gesellschaft des
3
Raph.
die Post besucht und den Brief nebst Gruß und
Gr
Kuß von
Alc.
B.
4
richtig erhalten, welches alles hiemit bescheinige. Mit dem
Morellet
bin ich
5
heute fertig geworden und lese jetzt mit weniger Sympathie
Tom.
III.
des
6
la Harpe. Pericles
habe
hat
ich
uns heute besucht, ich war auf dem
7
Wege zu ihm, wurde durch ein
impromptu
meines
alui
gestört. Gestern
8
Nacht haben wir
Punch
getrunken, der mir wohlthätiger gewesen als alle
9
seit 2 Tagen verschluckte Schwefelpulver. Heute mit Pillen den Anfang
10
gemacht, und diesen Nachmittag Erdbeeren aus Welbergen eingenommen.
11
den 22.
12
Meine Schuh mit Bändern fehlen mir. Ich vermiße selbige eben da ich
13
mich anziehn wollte um auszugehen. Die Witterung ist aber so schlecht, daß
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nichts daraus geworden.
15
Wir haben heute, lieber Jonathan, ein schönes Frühstück erhalten und
16
ich bin eben mit der Abschrift zweyer Briefe fertig, womit ich meinen Freund
17
Crispum
beseeligen will mit nächster Post. Einer von dem würdigen
18
Lamezan,
und der andere von einem HE von
Sturmfeder
, der zu dem seltenen
19
Geschlechte der
Oncle Toby
und
Bramble
gehört. Beyde betreffen einen
20
gewißen Schwaben
Steudel
der des
Crispi
Jonathan ist. Diese
21
Abschriften sollen mit nächster Post nach Kgsb. gehen unter meiner Gevatterin
22
Courtan
Einschluß, offen, damit sie selbige auch zu lesen bekommt. Die Pillen
23
haben gestern
schön
gewürkt und mein linker
oedipus
ist diesen Morgen ist
24
von dem rechten kaum zu unterscheiden gewesen; habe leider! aber zu viel
25
von einer gebratenen Gans geeßen
in memoriam
aller unbekannten
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Märtyrer, die von der argen Welt noch bis auf den heutigen Tag sich vor dem
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Feuer und der Küche zu fürchten haben. Da ist die schwarze Stunde des
28
Caffés!
– Euer Düßeldorfer Leder scheint dem Schreib- das hiesige dem
29
Druckpapier ähnlich zu seyn
ceteris paribus;
daher wünsche ich mir das
30
zurückgelaßene –
31
den 23 –
32
Diese Nacht ist der Heil.
Cäcilie
zu Ehren ein Ständchen gebracht worden,
33
das mit einer blutigen Schlägerey mit der Wache aufgehört. Unter den
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lustigen Burschen sind 2
Vicarii
u
ein junger
Doct. Juris
gewesen. Ich
35
habe nichts von beyden gehört, ohngeachtet der Vorfall in unserer
36
Nachbarschaft gewesen, und wurde dafür durch einen Tumult in meinen Gedärmen
S. 343
aufgeweckt worden, der mir aber sehr heilsam gewesen, weil mein linker Fuß
2
auf einmal so geschlungen, daß er nicht mehr vom rechten zu unterscheiden
3
ist. Das war eine
perturbatio critica
und ein sehr guter Aspect für meinen
4
Freund
Raphael,
und der Patient findt sich durch diese außerordentl. Ausgabe
5
ungemein erleichtert.
6
den 24 9br.
7
Wir feyern heute das erste Vierteljahr der
k
leinen
, lieben, allerliebsten
8
Gertrud, die gegen den alten kranken Mann sehr artig thut und überhaupt
9
ein erwünschtes gutartiges Kind ist. Ich habe die ganze Woche an
Commere
10
Courtan
und Freund
Crispus
geschrieben, habe noch an Hill und meine 3
11
Mädchen zu schreiben. Morgen soll das ganze Pack abgehen.
12
Da ist ein
vidimir
tes
Protocoll
unserer ersten
Session.
Die zweite
13
geschah den 19
huj.
in einer langen nicht so
auspiciö
sen Morgenstunde. Der
14
Text war der
kleine
Roman
des ungenannten Autors vom pollnischen
15
Rocke
von
p.
8
und das
Praeludium
bis auf den Bilderkram
p.
10.
16
Durch den bevorstehenden Mittag kam es zu keinem Schluß, wie bey
17
einem zerrißenen pollnischen Reichstage. Wir werden uns des gegenwärtigen
18
Vollmonds zu Nutze machen zu einer neuen
Conferenz
über die angedeutete
19
Parasche
des Grundtextes. Das darüber ausgefertigte
Protocoll
soll zu
20
seiner Zeit unserm Jonathan in gehöriger Form ausgefertigt und
21
mitgetheilt werden, von dem die Fortsetzung unserer
Session
en abhängen wird.
22
Die herzlichsten Grüße von uns allen an Dich und alle die Deinigen dort,
23
von den Deinigen hier
cet.
24
Johann Georg H
25
Geht es gut mit der
Revision
der neuen Ausgabe? Gott laße alles zu
26
Seiner Ehre, und dem gemeinen Besten gereichen, dem wir alles unsrige gern
27
aufopfern wollen.
Amen!
28
Adresse:
29
HErrn / Geheimen Rath Jacobi / Wolgeboren / zu /
Düßeldorf
/
30
Nebst einer franz. Handschrift
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 388 f.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 571–576.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 7: November 1787 bis Juni 1788. Hg. von Jürgen Weyenschops, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2012, 19–22.
ZH VII 339–343, Nr. 1113.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
|
340/16 |
entscheiden ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: entscheiden; |
|
340/19 |
beträfe, ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: beträfe; |
|
341/8 |
angestekt ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: angesteckt |
|
341/13 |
Jonathan. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Jonathan |
|
342/5 |
III. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: III |
|
342/20 |
Steudel |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Steudel , |
|
342/23 |
schön ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: schon |
|
342/32 |
Cäcilie ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Cäcili e |
|
342/34 |
u ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: und |
|
343/7 |
k leinen |
Hinzugefügt wegen Defekts in der Handschrift. |
|
343/14 |
Roman |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Roman |
|
343/15 |
und das ]
|
Zunächst gestrichen und „bi“ darüber geschrieben, dann „bi“ und „und das“ mit Restitutionspunkten versehen. |
|
343/15 |
von p. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: von p |
|
343/15 |
Praeludium |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Praeludium |
|
343/29 |
Düßeldorf |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Düßeldorf |