1118
356/2
Düßeldorf den 29
sten
Nov 1787.


3
Vermerk von Hamann:

4
Erhalten den 1
Xbr.
bey der Heimkunft von Angelmodde
.

5
Geantw den 10
Xbr.
in Welbergen. Abgegangen den 12.


6
lieber Herzens Vater! Ich habe Deinen den 24
sten
abgeschickten Brief, der

7
vorgestern hätte ankommen sollen, u auch vermuthl angekommen ist, erst

8
heute Morgen von der Post, oder aus der Tasche meines Kutschers, der die

9
Briefe abzuholen pflegt, erhalten. Ich hatte allerhand Bedenken dabey die

10
Sache förmlich zu untersuchen, vornehml diese, daß man in Zukunft, es sey

11
auf der Post oder in meinem Hause, einen solchen zurückgehaltenen
B
Brief

12
lieber verbrennen, als zu spät überreichen möchte.

13
Mein Blättchen v Dienstag wirst Du erhalten haben. Ich befinde mich

14
etwas beßer, aber nicht viel. Seit einigen Tagen habe ich empfindliche

15
Schmerzen an den Augen, u das
A
rechte ist geschwollen. Die
Sy
n
dicatsWahl

16
verursacht viel Geräusch in meiner Einsideley, so daß
es
sie oft mehr

17
einem Conclav als einer Zelle gleicht. Schenk hätte wahrscheinlich die

18
mehrsten Stimmen noch erhalten, aber er wollte schlechterdings mit der Sache

19
nichts mehr zu schaffen haben. Schücking scheitert, weil das Jülichsche

20
Ritterschafts Collegium ihm das Indigenat
weigert
. Ein Abtrünniger sagte zu

21
ihm: Ja, er hätte ihm zwar seine Stimme versprochen, aber er hätte nicht

22
gewußt, daß es für das Indigenat wäre; das gäbe man keinem Fremden. –

23
Da tritt Schücking eben herein. Er war schon vorhin da, und ist wieder

24
gekommen um mit mir zu Nacht zu eßen. Ich soll Dich u Euch alle herzlich v

25
ihm grüßen. Sein guter Muth bey seinem Schifbruche freut mich. – Eine

26
wichtige Begebenheit, u nicht ohne alle Beziehung auf mich, ist die

27
Zurückberufung des Ministers v Hompesch auf seinen alten Posten nach München.

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Sie haben sich dort so fest gefahren, daß kein andrer Rath mehr war, als

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bittend zu dem Manne zurück zu kehren, der sich im Jahr 1779, daß

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Vertrauen der Nation in einem so hohen Grade erworben hatte. Gott gebe nur

31
daß er sich aussehe, ohne meiner zu bedürfen, u ich habe mehrere Gründe es

32
zu hoffen.


33
den
30
ten

34
Schücking ist nicht zum Nachteßen geblieben, u war nur gekommen um

35
sein Wort zurück zu nehmen, welches er nicht eher sagte, als da man zu

S. 357
Tische rief. Ich habe nicht zum besten geschlafen, ohne mich darum heute

2
schlimmer zu befinden. Mit den Augen hat es sich so gar etwas gebeßert.

3
Nim
, lieber Vater, meinen innigen,
tief
,
tief
,
tief
! empfundenen

4
Dank, für den
Ueberschickten
Auszug an. Ich habe keine Worte für das,

5
was an meiner Seite ist, zwischen Dir u mir. – Danke auch Buchholtzen.

6
Der Fortsetzung Eurer Debatten sehe ich mit Sehnsucht entgegen.

7
Mit meiner Revision der Briefe über Spinoza, bin ich noch nicht weit

8
gekommen, u vor ohngefähr 8 Tagen wurde ich durch einen Strohm anderer

9
Ideen, ganz davon weg gerißen. Aber diese
I
Unterbrechung, wird im

10
Grunde nichts unterbrechen, sondern vielmehr meine Arbeit fördern und

11
abkürzen.

12
Deine Schuhe sind mit großer Mühe herbey geschafft worden. Niemand

13
wollte davon wißen, u Peter bewie
ß
s aus Gründen
a priori,
daß sie nicht

14
gefunden werden könnten, weil sie ein unmögliches Wesen, ein Unding wären;

15
denn Du hättest nur 1 paar Schuhe gehabt; diese wären jüngst nach Münster

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geschickt worden; u da es nun unmöglich sey, das 1 paar Schuhe zugleich

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2 paar Schuhe wären, so sey das reclamierte paar Schuhe ein Hirngespinst.

18
Allen diesen Argumenten setzte Mama Lene weiter nichts als ein

19
nachdrückliches:
suche er nur überall
, u sehe er
nur
einmahl recht unter dem

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Bette zu. Da fanden sie sich dann, u, nach Peters aussage, ganz hinten an der

21
Mauer. Was Du aber von dem Düßeldorfer Leder sagst, kann schwerlich v

22
diesen Schuhen hergenommen seyn, denn es sind allem Anscheine nach

23
Koenigsberger, u meine Leute versichern hoch u theuer, es wären hier keine

24
für Dich gemacht worden.

25
Den
Morellet
kannst Du fürs erste noch behalten. Es freut mich Deine

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anhaltende Zufriedenheit mit diesem Buche um so mehr, da es unter die Zahl

27
derjenigen Bücher gehört, die ich mehr als einmahl zu lesen, u mehr als

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einmahl zu verschenken pflege, welches letztere ich mir beynah zur Pflicht mache,

29
wenn entgegengesetzte Sophistereien, von wichtigen Rezensenten, welche mehr

30
auf den Vortrag als die Sache sehen, dringend empfolen worden, u in einem

31
summarischen Begriffe dem Leser dergestalt insinuirt u eingegeben worden

32
sind, daß Männer wie
Morellet
dabey als Schriftsteller erscheinen,
welche

33
sich nur das Ansehn geben der
Sachen
kundig zu seyn
, da sie

34
doch in einem Mißverstande der Vernunft u Erfahrung; in einem

35
Aberglauben an übel verdaute Grundsätze u unschickliche Beyspiele, im Mißbrauche

36
der Anwendung
&cet. &cetera. &cetera,
auf das jämmerlichste begraben liegen.

37
Ich sage daß ich es beynah für Pflicht ansehe, in
s
dergleichen Fällen

S. 358
gutmüthige Leser zu ermuntern, sich durch den Augenschein zu überführen, daß

2
was man ihnen als Fleuretten verbuhlter Schöngeisterey
über

3
astronomische u optische Theorien vorgespiegelt, etwas beßeres, u v weit

4
gemeinnützigern Inhalt seyen, als jene Sophistereyen, die man sie ermahnt hatte,

5
den Schaumünzen des ehrwürdigen Alterthums gleich zu schätzen. – Und

6
hiemit wäre dann das im
Morellet
nicht aufgeschnitten gewesene Blat
im

7
Morellet
gebührend aufgeschnitten, u die etwa dadurch verursachte

8
Ungeduld nothdürftig u abbittend
entschuldigt.

9
Die Hefte v Lav für Buchholtz sind am Mitwoch auf den Postwagen zu

10
geben versäumt worden. Ohnfehlbar kommen sie mit dem nächsten, u ich

11
werde Wienholts Beytrag beylegen. – Es schlagt 11 Uhr. – Ade!
Ade! – mit

12
Herz u Seele

13
Dein Jonathan

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 389–391.

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 576 f.

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 7: November 1787 bis Juni 1788. Hg. von Jürgen Weyenschops, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2012, 28–30.

ZH VII 356–358, Nr. 1118.

Zusätze fremder Hand

356/4
–5
Johann Georg Hamann

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
356/15
Sy
n
dicatsWahl
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
SyndicatsWahl
356/20
weigert
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
verweigert
356/33
30
ten
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
30
ten
. –
357/3
Nim
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Nimm
357/4
Ueberschickten
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Uebergeschickten
357/36
&cet. […] &cetera,]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
et cet. et cet. et cet.,
358/2
über
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
über das
358/8
entschuldigt.
]
Am Ende des Absatzes: Anmerkung mit Bleistift von unbekannter Hand (vmtl. zeitgenössisch):

„S. Hamanns Lobpreisung des Gespraches v
Gagliani
in der Königsberger Zeitung.“
358/11
Ade! – mit
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Ade! mit