1119
358/15
M. den 2
Xbr.
1
Adv.
87.
16
Vermerk von Jacobi:
17
empf den
8
ten
b.
den 21
ten
18
Sonderlicher, denn Frauenliebe
! werde auch an unserer
19
Freundschaft erfüllt, mein lieber HerzensFritz Jonathan! wie David in seiner Elegie
20
weißagte. Gottlob! daß Du Dich wider beßerst. Ich habe nur einmal in
21
meinem Leben schlimme Augen gehabt, die ich von meiner letzten Reise aus Liefl.
22
mitbrachte. Ich glaube daß ich damals eben an der Wortfügung der franz.
23
Sprache schrieb. Es war aber eine langweilige traurige Woche für mich –
24
und jetzt habe ich wieder Anlaß für mein Gesicht täglich besorgter zu werden.
25
Meine polypragmatische Martha hat weder an einem Gerichte noch Buche
26
gnug, und ihre komisch weinerliche Launen nehmen auch zu. Es sind mehr
27
Dank und Freuden-thränen für alle
Wohl
t
haten
, die ich auf meine alte Tage
28
genieße, als Bußthränen für die leider! unerkannten Sünden, die mit
29
unterlaufen – mehr arletitisches als attisches Saltz, und Lauge taugt nicht zum
30
Augenwaßer – Doch laß mich in der ungebundenen Form eines Journals
31
fortfahren, nach Maasgabe meines Almanachs.
32
Ich habe Dir gemeldt, mit welcher trunknen Schwärm
er
ey ich den 22
pr.
33
den Brief des
Lamezans
u die Beyl. des HE von Sturmfeder und Steudels
S. 359
Pis.
abschrieb für unsern
Crispus.
Frantz war so treuherzig mir die
Corresp.
2
seiner Manheimer Freunde mitzutheilen, womit ich mich
D
den gantzen
3
Abend beschäftigte. Den Morgen drauf weckte mich ein Durchfall, und hielt
4
zum erstenmal hier Mittagsschlaf. Den 24 wurde der erste vierteljahrige
5
Geburtstag der kleinen Trudchen gefeyert.
6
Der letzte Sonntag des Kirchenjahrs war Posttag der bis Uhr in einem
7
fortwährte. Nachdem die Post mit einem zieml. dicken Briefe an meine
8
Freundin
Courtan
abgegangen war mit offener Einl. an
Crispus,
ein paar
9
flüchtigen Zeilen an mein Mädchen, und einem versiegelten Hirtenbriefe an meinen
10
Hill, trunk ich
Caffé
und feyerte das Fest der Heil. Catharina in der
11
Minderbrüder- und
Dominicaner
Kirche. Wir waren bey einem Vetter
Giese,
12
einem Weinhändler eingeladen, aber unsere Häuslichkeit war uns lieber.
13
Der Herzog von Braunschw. war angekommen
.
Wir giengen das
14
Wirthshaus vorbey, sahen einen Auflauf von Menschen, erfuhren aber erst die
15
Ursache von
Dr. Druffel,
der seine Patientin besuchte. Die Fürstin hat ihn
16
zu Nacht bewirthet.
17
Montags bewillkommete ich den Anbruch des Winters, und gieng auf
18
meine eigene Hand zum ersten mal spatziren, fand glücklich den Weg wider
19
nach Hause. Die Fürstin mit ihrem Freunde waren zu Nacht, und da wurde
20
eine Wallfahrt nach Ihrer
Villa
verabredet. Den 27 wurde ein lang
21
aufgeschobener Besuch bey dem
Vicarius Conrad
zu
St.
Moritz abgelegt.
22
Marianne bekam Besuch und hatte schon einige Tage sich schlechter als bisher
23
befunden. Der
Artzt, der geliebte
(
Colos. IV.
14) stöhnte auch,
24
begleitete Frantzen und mich, holte sich aber die letzte Oelung aus einer
25
überheitzten Stube und der Gesellschaft dreyer Tobacksraucher, wie unser Wirth
26
pp waren. Seine Schwester die einen sehr guten
Caffé
für Marianne gemacht
27
hatte, verschwand auch. Frantz hatte sich mit mir vormittags über politische
28
Grundsätze gezankt u schickte mir des Abends ein kleines
Mst.
zu, welches den
29
Titel:
Impetus hypochondriacus
hatte, worinn ich einige Beziehung auf
30
unsern Wortwechsel zu finden meynte. Michel hatte denselben Abend den
31
Anfang im Tanzen gemacht, wird aber ein beßerer Reuter als Tänzer werden,
32
und scheint mit der neuen Methode des hiesigen
Gymnasiasten à la
33
Fu
r
stenberg
sehr zufrieden zu seyn. Ich habe einen andern
Weyrother
in Kgsb.
34
gekannt, der diesem Bruder oder Vetter nicht ähnlich, sondern ein
35
Ebentheurer war, und von einem eben so großen wo nicht größern ein Jahrlang
36
umso
n
st gefüttert wurde.
37
Den Tag drauf speiste hier die älteste Schwester der Marianne
S. 360
zusammen
nebst einer
Mlle
Grammer, deren Bruder u Bräutigam
D. Becker
2
wegen der Händel jener
Caecilien
Nacht,
zum ersten mal hier. Dein Brief
3
mit den beyden
remittirt
en Einl
. kam an. Mir lag aber ein
Cento
4
enthusiasticus
im Kopf, mit deßen Abschrift ich eilen muste. Es war
5
Nothwehr gegen den
impetum
des Hypochondristen und seine Politick.
6
Michel hat mit einem Buchhändler
Theissing
Bekanntschaft gemacht, der
7
ihm mit vieler Höflichkeit zuvorgekommen. Er kam den 29. des Morgens
8
mit einem großen Pack Bücher an, die ihm
Frantz
aufgegeben
9
auszunehmen. Für sich hatte er den 2ten Band des
Ardinghello
und für mich den
10
Thurm von Samarah
, eine
warnende Geschichte für
11
Astrologen, Zeichendeuter,
Magier
und alle Liebhaber geheimer
12
Wißenschaften mit
. Ich fiel wie ein hungriger Wolf auf dieses
13
arabische Feenmärchen, hätte beynahe das Mittagseßen drüber vergeßen,
14
las unter einem Ausbruch v
Exclamation
szeichen fort. Auf einmal finde ich
15
den Bogen J. doppelt und den
Defect
des Bogens K. Der Faden der
16
Erzählung wurde zurißen u zugl. meine Aufmerksamkeit, ich sah das übrige nur
17
mit flüchtigem Blicke an, und warf das Buch fort mit dem Auftrage es
18
zurück zu bringen. Mein Urtheil hatte sich auf einmal umgestimmt, ich fand
19
nicht mehr den
Pendant
zur Geschichte des goldenen Hahns
, das
20
Senfkorn meiner eigenen
φφ
ien darin, und war um so verdrüßlicher, weil dies
21
das einzige vorräthige Exemplar seyn sollte, das noch übrig wäre. Franz u
22
Marianne besuchten ihre
Tante
im Kloster Nießing, hatten 4 Stunden in einer
23
kalten Stube zugebracht; für deren beßere Pflege sie in einen verdrüßl.
24
Rechtshandel verwickelt sind, kamen daher verfroren u muthlos zu Hause.
25
Unser liebe Raphael hatte sich zwar wider erholt, machte sich auch Sorgen
26
und befürchtete ein
Recidiv,
und mit dem Verhalten der Patientin etwas
27
unzufriedener als gewöhnlich. Des Nachts wurde er aufgeweckt durch einen
28
Schmerz am Finger, an dem sich Marianne unter dem Nagel gestochen hatte.
29
Dr. Forkenberg
wurde zu rathe gezogen, und das zurückgehaltene Fieber
30
kam zum Ausbruche und wurde reif. Die Patientin wurde in der Bibl.
31
gebettet – und ich gerieth auf den plötzl. Einfall nach Wellbergen zu flüchten,
32
um als ein Kranker nicht der Pflege näherer im Wege zu seyn und meine
33
Hypochondrie nicht zu einem Ausbruch zu reitzen. Des Morgens kam mein
34
Sohn mit dem vermißten Bogen
K
angestrichen, weil sich wider Vermuthen
35
noch ein Exemplar gefunden hatte. Ich hielt es der Mühe werth die
36
weggeworfene Schrift noch einmal durchzugehen und kam auf mein erstes
37
günstiges Urtheil wider zurück, überredete Franz es zu behalten, las es noch zur
S. 361
Warnung des alten Magus in Norden
, und wurde von neuem
2
Ueberzeugt, daß sich alle
Zeichendeuter
menschl. Gesichter und
3
Handlungen, Anschläge, Projecte und ihrer Bewegungsgründe eben so sehr an dem
4
tragischen Ausgange spiegeln können. Die Moral komt zieml mit der göttl im
5
Drama des Hiobs überein
XXXIX
34. u
XLII.
1–6 überein. Der
6
übermüthige Kalife wurde erst toll, hernach krank und fuhr zuletzt lebendig ins
7
Reich des alten
φφ
en und schönen Geistes
Eblis
;
der niedrige, verachtete
8
Zwerg
Gulchenruz
verlebte Jahrhunderte in der süßen Ruhe u in dem Glücke
9
einer ewigen Kindheit und guten Gesellschaft von Märtyrern – Ich wünschte
10
sehr, wenn ein guter freygebiger Freund mir die
Geschichte des goldnen
11
Hahns
und des
Thurms von Samarah
in einem Bändchen
12
gebunden schlecht und recht verehren
mochte,
zum Andenken der breiten Randgloßen
13
und gewißer besondren Ansichten u Ahndungen, womit ich zur Schande
14
meines ästhetischen u metaphysischen Urtheils verschlungen und
geschmekt
15
habe. Kaum war ich mit dem Thurm fertig; so konnte ich der Versuchung
16
nicht widerstehen in dem zweyten Band des
Arthingello
zu naschen, und
17
dem
Leckerbißen
des jugendl. Lesers vorzugreifen. Gegen Abend kam eine
18
Erinnerung und neue Einladung, den ersten des Christmonats unsere
19
verabredete Wallfahrt nach Angelmodde an der Werse zu vollziehen. Marianne
20
hatte sich durch den Schlaf schon ziemlich erholt und der letzte Sonnabend
21
oder Sabbath des Kirchenjahrs, der letzte Monath des bürgerl. Jahrs stellte
22
sich gleich einem geschmückten Bräutigam ein. Ich wurde mit meinem
23
Ardinghello, dem Virtuosen und Metaphysiker, dem Gesetzgeber der neusten
24
Colonie des verblichnen Jahrhunderts fix u fertig, genoß des seltenen
beneficium
25
eines
automati
schen
Stuhlgangs ohne Vermittelung meiner Chinapillen,
26
und machte in Deinem Feyerpeltze die Morgen
cour
unserer lieben Marianne,
27
welche dem Himmel sey Dank!
sans comparaison
wie eine Ratze geschlafen
28
hatte, und uns ihren Seegen zu unserer Wallfahrt ertheilte. Ich stieg eine kl.
29
Viertelstunde eher in die Kutsche zum Empfange unsers
Franzen
30
ausstaffirt, und wir fuhren wie ein
paar
Platzmeister oder filii
Tartari
mit 4.
31
Pferden hinter vier Spielfenstern mit 4 grünen seidnen Vorhängen – halb
32
unter platonischen Gesprächen, halb unter einem
Silentio pythagorico
sehr
33
frölich
unserer
Straße. Der Weg war so holperich und hart, daß ich
34
Erschütterungen des Gehirns davon fühlte. Mein Nebensitzer befand sich beßer dabey
35
als ich. Je weiter, je ebener schien mir die Bahn; dennoch kamen wir erst um
36
1 Uhr an. Die Hausgöttin war mit 2 Jägern ausgegangen und ich lösete den
37
HE
Miquel
ohne ihn zu kennen, weil ich
ihn
für einen
maitre d’hotel
S. 362
ansahe bey der kleinen lieben Amalie ab, als ein alter Schulmeister, der das
2
Handwerk gewohnt wäre. Die Aufmerksamkeit meiner Schülerin machte
3
mir viel Freude. HE
Miquel
war verschwunden und eilte nach der Stadt. Die
4
Fürstin kam und wollte mir einen Vorschmack der schönen Gegend geben, bis
5
an den Zusammenfluß der beyden Bäche. Ich lief, daß mir der Othem
6
vergieng. Der Weg gieng über eine lange hohe Brücke; ich entschuldigte mich mit
7
meinem Schwindel, ohne des leeren Magens zu erwähnen. Man schlug mir
8
den Weg unten vor – aber wie es darauf ankam die Brücke zu erklettern; da
9
war Noth am Mann und der steife Philolog hob sich und hob sich ohne die
10
Höhe erreichen zu können – Die Knie thaten mir so weh, daß mir das Weinen
11
so nah als das Lachen war. Das Schwingen war mir alten Mann unmögl.
12
Ich rutschte also mit vieler Mühe und Wehen auf die schmale Brücke hinauf
13
und kroch an der Lehne glücklich hinüber, that meine beide Augen so weit als
14
mögl. auf, und sahe die Gränze des Waßers – Darauf gieng es zur Tafel im
15
vollen Trabe, den ich nicht Zeit hatte selbst zu bemerken. Die Gerichte standen
16
wie eine kleine Flotte ausgerüstet. Meine hungrige Muse ist nicht im stande
17
einen genauen
Catalogum
davon anzufertigen, sondern wählte sich wie der
18
Vogel des Apolls die heilige neuner Zahl. Eine
pommersche
19
Mandelsuppe
stand neben
Sauerkraut
, wie ein paar Zwillingsschwestern. Ich
20
nahm dazu einen Schnitt
Rindfleisch
mit Weißbrodt und Pfeffer
21
gepudert; durfte nicht mehr aus Achtsamkeit des auf mich wartenden
22
Sauerbratens
. Hier trank ich einer alten Sitte der
Diät
zufolge zwey Gläser
23
kräftiges Biers. Mein katholischer Magen ließ sich auch gelüsten 2 Löffel
24
eingerührter Eyer
zu schmecken. Ein fetter
Kurren oder
25
Puten
braten hatte allen Reitz einer
sanften
schmachtenden Blonden in meinen
26
Augen. Ein
Pudding
schwam im rothen Wein. Ein
Mandelkuchen
27
des vorigen Tages; eine
Apfeltorte
, die erst gebacken war. Wären wir
28
heute gekommen; so war das dritte Gebacknis schon bestellt. Ein Glas
29
Bordeaux
und 2 oder 3 Gläser Tokayer, wovon der eine trüber und
Georgii
30
Ausbruch
, der andere klarer und feuriger war. Alles wurde mit einem
31
Schnittchen
schwarzbrot
und
Butter
beschloßen, und man stand
32
von der Tafel auf. Auf 2 Schälchen
Caffé
zu einer Pfeife Knaster trank ich
33
noch ein großes Glas mit Salzerwaßer. So wurde der 1. des Christm. gefeyert
34
und das alte Kirchenjahr zurückgelegt. Ich saß schon in der Kutsche, wie das
35
ganze Dorf über meinen Namen ein
Gelächter
erhub. Weil es schon
36
über 6 und der Mond noch nicht aufgegangen war, wurde uns ein Wegweiser
37
mitgegeben, und unser Hans ist auf den Freytag zur Geburtsfeyer der
S. 363
Amalchen
Pr.
Mimi
eingeladen worden. Ich sang vor Freuden unterwegs
2
einige Lieder vor, mit denen ich gewöhnl. den Sabbath jeder Woche zu weyhen
3
gewohnt bin, so heiser wie ein Rabe. Marianne war aufgestanden und ich
4
erschien in der Bibl. u dem jetzigen Krankenzimmer mit Deinem letzten Briefe
5
in der Hand.
Mimi
u
Mitri
waren sehr liebenswürdig und haben mir
6
außerordentl. und beßer gefallen als damals wie wir unsern Verdacht einander
7
mittheilten. Letzteren habe erst das uns vertraute Dintenfaß eigenhandig
8
abgeliefert u meinen nachläßigen Michel entschuldigt, der für seine
9
Vergeßenheit mehr als einmal ausgescholten worden.
10
Bey meiner Ankunft stellte sich ein zweites
Beneficium
meiner verstockten
11
u überstopften Natur ein. Anstatt des Aben
d
brodts begnügte mich an einer
12
Pfeife mit einer
Bouteille
von Marianens Bier. Ich las noch in des
St.
13
Pierre Voyage
einige Blätter;
aber
mit meinen Füßen sah es beßer aus,
14
wie ich dachte. Der linke war nur ein wenig dicke in den Stiefeln geworden.
15
Aber wie ich in mein Bette steigen sollte, gieng es noch härter wie bey der
16
Brücke – Ich fühlte die steife Ungemächlichkeit des Alters so stark, wie vor
17
meiner Abreise aus Kgsberg.
18
Ich habe das neue Jahr mit einem Posttage angefangen und so vergnügt
19
geeßen, wie ich das ganze Jahr die Sonntage zu feyern wünschte, die
20
Fastarbeit ausgenommen. Marianne speiste wieder mit uns, und ich in meinem
21
grünen Wams u meiner Schlafmütze. Nach dem Eßen fiel es mir ein, in die
22
Capuciner Kirche zu gehen. Wir kamen aber für die Predigt zu früh, und
23
eilten nach Hause zu unserm
Caffé.
Mit meiner ersten
Dosi
von Pillen bin
24
ich heute fertig geworden, und erwarte noch die zweite diesen Abend. In
25
meiner Diät habe ich weiter nichts geändert, als daß ich das weiße Brodt
26
abgeschafft und mich seit länger als eine Woche mit dem Pumpernickel beßer
27
befinde. Den alten Rheinwein habe auch abgeschafft und diesen Mittag einen
28
Anfang mit dem
Bordeaux
gemacht, der mir eben so gut schmeckt, wie
29
Anfangs der erstere, an dem ich den Geschmack ich weiß nicht wie auf einmal
30
verloren habe.
31
Sollte ich meine Idee ausführen als Vorläufer nach Welbergen zu gehen:
32
so wird Michael das
Mst
von
Simon,
den Theil von
la Harpe
und die
33
Voyage
des
St. Pierre,
die mir mehr Vergnügen
giebt
als ich erwartete, je
34
weiter ich komme, aufs beste durch unsern Franz befördern. Vielleicht geht
35
dieser Brief nicht eher ab, bis ich meine Idee ausgebrütet habe. Ich muß nach
36
W. schreiben und habe die
III
Samml. noch nicht ansehen können, auch nach
37
Osnabrück. Das Stillschweigen meiner Leute daheim macht mir auch
S. 364
Sorgen. Gott schenke Dir, lieber Jonathan Gesundheit und verbrenne lieber
2
diesen Brief, ehe Du Deine Augen an meine mikroskopischen Buchstaben
3
verdirbst. Mit meinem Journal will ich schließen und Deinen letzten Brief so
4
bald ich kann, beantworten. Was meynst Du vom 2ten Bande des
5
Ardinghello
.
Ich gehöre leider! auch zu den Armseel. die keinen Begriff von Leben
6
und Freyheit und
Virtus
haben, noch von Großheit des Characters.
L
Der
7
geliebte Arzt ist auch nicht der vernünftigen Meinung daß der Mensch die
8
beste Kost für den Menschen sey, und daß wir
Cannibal
en die eigentl.
9
Verklärung des 1000jährigen Reichs zu verdanken haben werden, ist für mich ein
10
altes Glaubensgeheimnis; aber dieser Fisch ist nicht jedermanns Ding – und
11
weder für einen welschen noch Capernaitischen
Gaumen.
Vale.
12
Ich will noch einige Zeilen anhängen, ehe ichs vergeße. Wienholt habe
13
diesen Morgen erhalten u morgen wills Gott zu lesen anfangen; also den
14
brauchen wir nicht. Aber an Neuigkeiten ist hier Theurung, aber zu meiner
15
intellectuellen Diät höchst nöthig. Von
Spinoza II.
wünschte ich wenigstens
16
etwas zu erfahren. An
Stark
, der
Litteratur
zeitung
ist hier kaum
17
in diesem Jahr zu denken. Hast Du noch keine Antwort von Schönborn?
18
An
Berkleys
Schriften und vorzügl an seinen
Principles
wäre
19
mir sehr gelegen. Vielleicht sehen wir uns in Welbergen, das Du noch
20
kennst? Die Erscheinung wäre mir höchst angenehm. Franz ist so besorgt,
21
daß mir die Zeit lang währen wird, und daß ich der Bücher nicht entbehren
22
kann.
Wenn
er wüste, wie mir vor dieser
losen Speise
eckelte, und daß
23
eine Enthaltsamkeit davon weit nöthiger ist, als im leibl. Eßen und Trinken.
24
Ach wen Du wüstest, wie mir
Gagliani
schmeckt
della Moneta.
Ich bin
25
kaum auf die Hälfte des Werks u
Pericles
hat mir zu seinen übrigen
26
Werken Hoffnung gemacht. Er führt in dieser Schrift eine noch ältere an über
27
die
Arte del Governo
,
die mir bisher gantz unbekannt geblieben.
28
Michael bringt mir eben die Uebersetzung der Vorrede, die ein Meisterstück
29
ist.
Pericles
sagt:
sie „sie
schmeckte ihm nach dem goldnen
Zeitalter der
30
Schreibart
– aber der Geist des Alterthums ist noch köstlicher in
31
Gedanken und ihrer Composition für den Sinn, als für den stoltzen
Rythmu
m
32
des Gehörs. Wenn die Arbeit gut gerathen ist und ich selbige nachfeilen kann,
33
schicke ich vielleicht seine Abschrift davon zu. Ich habe eine engl. Uebersetzung
34
des
Camoens
bey der Fürstin gefunden, von der ich mir viel verspreche. Aus
35
Mangel eines portugiesischen Wörterbuchs habe ich das
Original
das ich
36
selbst besitze, bisher nicht lesen können. Hier ist eine starke Vorrede und reiche
37
Noten
.
Die Uebersetzung ist in Versen by
Will
Julius Mickle Oxf.
76.
4
o
S. 365
den 3
Xbr.
2
Nach einem tiefen stätigen Schlafe wurde ich heute durch die Früharbeit
3
der Schornsteinfeger aufgeweckt, und ich besann mich daß ich im Geiste, ohne
4
Bewußtsein den Geburtstag meiner mittelsten Tochter Käthe gefeyert hatte,
5
oder wahrscheinlich meine Leute denselben
bey
Milzens und seiner
Louise
6
ihren in dreyfacher Freude sich der abwesenden erinnert hatten. Es that mir
7
also nicht leid, daß mein Becher auch übergelaufen und ich mehr wie meine
8
Gesellen mit Oel gesalbt worden war.
9
Noch zwey Hauptbegebenheiten muß ich nachholen zur Geschichte des
10
verfloßnen Tages.
M.
hat ein
Billet
gestern Morgen aus Angelmodde erhalten,
11
aus dem wir sahen, daß unsere freygebige
Dea hospita
mit ihren hungrigen
12
u durstigen Gästen nicht unzufrieden zu seyn schien. Weil sich dies
Billet
auf
13
einen
halben
Brief aus Göttingen bezog: so war
M.
auch
so gütig und
14
freundschaftl. mir die zurückgeschickte Hälfte auch mitzutheilen. Ich las ihn
15
vielleicht mit der Aufmerksamkeit eines eifersüchtigen Nebenbulers, und
16
bewunderte den systematischen Geist des Briefstellers; wurde deshalb von
17
unserm Frantz laut und herzlich ausgelacht, der obenein die Uebereilung sich
18
für einen größeren Systematiker
als
zu halten, und seinem Busen und
19
Hausfreunde zu viel Ehre anthäte. Zu meinem Glück enthielt ich mich
20
ernsthaft darauf zu antworten in Gegenwart der unschuldig beunruhigten
21
Marianne, die mich in Verdacht hat, daß ich auf
Dr.
böse geworden wäre, weil
22
er nicht nach P. gekommen wäre. Wie falsch ich hierinn von der lieben
23
Patientin beurtheilt werde – und wie unmögl. es mir ist, ihr dies Vorurtheil zu
24
benehmen. Ich hätte ihn freylich gern dort gesehen, aber nicht meinet, sondern
25
seinet
und
Mariannens
willen. Auch Deine Gleichgiltigkeit war mir
26
recht nach Wunsch, und ich dankte Gott daß ich dieser schweren Lection
27
überhoben war wie
glühend Eisen
anzufaßen, ohne hinlängl. Werkzeuge und
28
Gefahr laufen muste mich selbst zu verbrennen, so lieb ich auch meine weiche
29
Haut habe. Ich habe mich sogar gefürcht einen Brief bisher von ihm zu
30
erhalten, den ich aus mehr als Einer Ursache nicht zu beantworten
wüßte
.
31
Wie nöthig ist es dem
pius Aeneas
gewesen, durch ein
didicisse
32
fideliter artes
sich ein wenig zu zerstreuen, oder noch mehr, seine Sitten reifer
33
zu machen und die Hörner wilder Leidenschaften u Einbildungen abzustoßen
34
– das
erste
Gebot der
zweyten
Tafel und großen Verheißung kennen
35
zu lernen, die Pflichten der Selbstliebe und
Bescheidenheit
gegen seinen
36
Nächsten
vtriusque sexus
zu studieren. Irre ich
mir
und thue dem irrenden
37
Ritter unrecht oder zu viel – so sauer mir das Knien wird, will ich von Grund
S. 366
des Herzens gern Abbitte thun. Es sieht heute nach Thauwetter aus und mein
2
Entschluß ist befestigt nach W. zu flüchten, so bald ich kann. Giebt Gott nur
3
Gesundheit, soll es mir an Arbeit und Zerstreuung dort nicht fehlen. Also bald
4
mehr und näher zum Text. Es fehlt mir an
Raum
u
Zeit
.
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 391–395.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 577–586.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 7: November 1787 bis Juni 1788. Hg. von Jürgen Weyenschops, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2012, 32–39.
ZH VII 358–366, Nr. 1119.
Zusätze fremder Hand
|
358/17 |
Friedrich Heinrich Jacobi |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
|
358/15 |
Adv. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Adv. |
|
358/17 |
8 ten b. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: 8 ten – b. |
|
358/27 |
Wohl t haten ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Wohlthaten |
|
360/2 |
Nacht, ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Nacht |
|
360/11 |
Magier ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Magier, |
|
361/12 |
mochte, ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: möchte, |
|
361/14 |
geschmekt ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: geschmeckt |
|
361/25 |
automati schen ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: automatischen |
|
361/30 |
paar ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Paar |
|
361/33 |
unserer ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: unsere |
|
362/31 |
schwarzbrot |
Geändert nach der Handschrift; ZH: schwarzbrodt |
|
363/36 |
III |
Geändert nach der Handschrift; ZH: giebt, |
|
364/5 |
Ardinghello . |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Ardinghello. |
|
364/16 |
Litteratur zeitung |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Litteraturzeitung |
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364/22 |
Wenn ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Wen |
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364/29 |
sie „sie ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: sie |
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364/37 |
Will |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Will |
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364/37 |
4 o |
Geändert nach der Handschrift; ZH: 4 o . |
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364/37 |
Noten . |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Noten. |
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365/1 |
Xbr. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Xbr. |