1123
S. 375
Welbergen den 10
Decbr.
87.
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Herzens lieber Franz! Meine erste Arbeit ist hier gewesen das mir
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anvertraute papirne Kästchen mit Briefen durchzulesen – Wie sehr haben Sie den
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seeligen Freund verkannt, und wie unwürdig erscheint der unschlachtige
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Windbeutel mit seiner Klaue, die kaum buchstabiren kann, Ihres Vertrauens –
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Gottlob! daß nach dem gestern erhaltenen Bericht meines Joh. Mich.
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alles dort nach Wunsch geht. Ich bin mit der ersten Wahl meines Zimmers
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so zufrieden, als überhaupt mit
meinem
dem glücklich ausgeführten
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Entschluße meiner ganzen Wallfahrt. Auch an meinem Bette ist eine Schelle,
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und wir sind uns hier zu allem näher bey Hand. Der Ofen ist nunmehr in
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gutem Stande und zieht vortreflich; habe aber dort schon bemerkt, daß mein
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Kopf sich noch erst an die eiserne Heitzung gewöhnen muß.
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Die Witterung ist sehr niederschlagend. Freytags habe ich zum erstenmal
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aus dem Hause gehen können, und heute wieder einen kleinen Spatziergang
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nach dem Wiesenbusche gethan, und den
Blick
nach der Welberger Kirche
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und der Abtey Langenhorst ein paar Minuten genoßen. Die Luft ist aber so
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schwül, daß alles davon ermattet.
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Unserm
D. Coerman
habe das Lesen wacker abgerathen; das ihm
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nachtheiliger als mir zu seyn scheint. Des gemeinschaftlichen Bestens willen,
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bitte ich Sie, Herzenslieber Franz, hierinn einstimmig mit mir zu handeln.
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Ich hoffe daß meine Reise nicht umsonst und fruchtlos seyn wird, und daß
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ich wenigstens Ihnen einige Materialien sammlen und mitbringen werde,
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um Ihre Ideale zu berichtigen, zu ergänzen, oder auch wenigstens näher zu
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prüfen.
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Mit Briefen wollen wir uns beyde einander verschonen. Seyn Sie
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meinetwegen unbesorgt. Zum Ueberfluß will ich wegen meiner Hypochondrischen
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Uebel
wegen
ein paar Zeilen für unsern Artzt den geliebten beylegen. Es
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fehlt mir weder an Gesellschaft, noch Pflege, noch Beschäftigung, und ich habe
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alles, was ich nur wünschen
kann
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Wir haben den 7 hier auch gefeyert. Die kleine Gertrud, welche den 7 May
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zur Welt gekommen, erfreute uns hier mit dem Ausbruche ihres ersten Zahns,
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und wir haben der jüngeren Namensschwester gute Nachfolge gewünscht.
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Gott laße
Mariannens
Cur ferner wohl gedeyen, daß wir uns bald in
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Welbergen einander widersehen und hier genießen können. Ich umarme Sie,
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Herzens lieber Franz, mit den herzlichsten Wünschen von uns allen und bin,
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wie Sie, gantz und ewig Ihr treuer alter
Johann Georg H.
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Lessing-Sammlung Nr. 1841 ee.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 406 f.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 592 f.
Ludwig Schmitz-Kallenberg (Hg.): Aus dem Briefwechsel des Magus im Norden. Johann Georg Hamann an Franz Kaspar Bucholtz 1784–1788. Münster 1917, 147 f.
ZH VII 375, Nr. 1123.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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kann ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: kann . |