1130
385/28
Herzlichgeliebtester.

29
Ich war bey meinem vorgestrigen Schreiben zu übereilt, weil ich zu

30
besorgt für An- und Fortschaffung des Erforderlichen war, um Ihnen meine

31
Meinung über Ihren Zufall und meinen Rath vollständiger geben zu

32
können. Gewisse Krankheiten, deren Saamen tief in der Constitution des

33
Körpers liegt, pflegen, wenn sie gleich auf Jahre weichen u radical gehoben zu

34
seyn scheinen, durch starke Revolutionen der Gesundheit, die durch wichtige

S. 386
Krankheiten, wie Ihre letztere, oder plötzliche große Veränderung in der Diät

2
veranlaßt worden, gerne wieder aufzuleben. Beydes trift bey Ihnen

3
zusammen, u der neue Ausbruch der Flechte läßt aus gleichen Gründen auf ihren

4
ehemaligen Gefährten, die Gicht schließen, die, wie es ihrer Natur sehr gemäß

5
ist, ietzt nur ihren Sitz verändert hat. Bey diesen Umständen muß unsre

6
Sorgfalt hauptsächlich dahin gerichtet seyn, den Körper durch keine zu starken

7
Ausleerungen zu schwächen, die das Uebel leicht auf
innre
edle Theile ziehen

8
können. Daher keine Aderläße, die nur eine Art der Gicht, die

9
entzündungsartige, u doch behutsam
erfodert
, keine heftigen Purganzen. Durch

10
beständige gleichförmige Unterhaltung der Ausdünstung, u angemeßene

11
diaphoretische Mittel allein, muß der Gefahr vorgebeugt, u durch diese u zugleich die

12
Säfte, oder die
solida
,
wie man will, verbessernde Mittel das Uebel

13
bestritten werden. Auch Ihre Diät sey nicht schwächend, aber auch nicht scharf,

14
zu reitzend, süchtig und den Magen durch Unverdaulichkeit oder Uebermaaß

15
zu lästig, dabey beständig unterhaltene gelinde Oefnung, täglich 1–2
mal
. Ich

16
habe in Jena eine Frau gekannt, die eine alte Gicht durch den blossen

17
Gebrauch von Fliederthee, wovon sie Morgens u Abends iedesmal ein Maaß

18
trank, u dabey ohngefehr eine gute Messerspitze
Cremor
🜿
ri
nahm, glücklich

19
hob.

20
Heute haben wir vergebens auf neue Nachrichten von Ihnen, oder unserm

21
lieben
Cormann
gehoft. Ich erwarte nur die Antwort auf mein letzteres, um

22
Ihnen eine völlig angemeßne Kur zu verordnen. Hauptsächl. laßen Sie

23
mich wißen, ob Sie nichts fieberhaftes spüren, u wie’s mit der Brust steht.

24
Unsere liebe Marianne fängt morgen die dritte Periode ihrer

25
Chinaabkochung an. Sie hat sich die ganze Zeit her vorzügl. gut gehalten, trotz der

26
elendesten Witterung. Die Tanzstunde ist fast die einzige Bewegung, die sie

27
sich machen kann. Hinderten mich diese Umstände nicht, ich hätte satteln laßen

28
u mich zu Ihnen durchgeklopft. Nun die nächste Nachricht von Ihnen soll

29
mich bestimmen. Tägl. sprechen wir von unserer Fahrt nach Welbergen. Der

30
heutige kürzeste Tag scheint mit seinen Schlacken auf Frost zu
praeludi
ren.

31
Melden Sie mir
doch,
ob ihr Schmerz sich sehr auf einen Fleck
concentri
r
t
,

32
oder mehr verbreitet, u wie sonst Schlaf u Appetit ist.

33
Gott empfohlen, er bringe uns bald wieder zusammen,

34
mit ganzem Herzen

35
Ihr

36
Münster den 21.
Xbr
87.
treuergebener Freund u Diener

37
G E Lindner.


S. 387
Zettel:

2
Sollte es wirkl. Gichtanfall seyn so kann das Reiben nichts helfen.


3
Die Nachricht von Ihrer Krankheit, liebster Vater! war für uns alle

4
äußerst traurig. Von der Geringfügigkeit derselben, mit der uns, unser

5
D. Raphael beruhigt und
seiner
unermüdeten Vorsorge, hoffen wir

6
baldige Beßerung. Erfreuen Sie uns bald, mit der Erfüllung aller Wünsche

7
und Hofnungen, die wir für Sie haben!

8
Ich habe Ihnen nichts zu melden, als daß alles hier unverändert in gutem

9
Zustande ist und weder Briefe noch sonst etwas für Sie angekommen sind.

10
Unsere Tanzstunden gehen in ein paar Tagen zu Ende und es ist noch nicht

11
ausgemacht ob wir noch einen zweyten Monat zulegen.

12
Die Fürstinn ist gestern in die Stadt gekommen, ohne Ihre Kinder u wird

13
sich zur Erholung ein paar Tage hier aufgehalten. Mitris Geburtstag wird

14
nicht eher gefeyert, als bis sie völlig nach der Stadt gezogen ist, welches nach

15
Heil. Drey
K.
geschehen soll.

16
An eine Reise zu Ihnen habe ich nicht denken wollen, weil ich Ihre

17
Gesinnungen darüber weiß u zugleich einsah wie wenig ich Ihnen bey diesen

18
Umständen behülflich seyn könnte. Jezt trage ich mich mit der Hofnung, auf

19
die kommenden Feyertage meinem Verlangen Sie und Ihr W. zu sehen auf

20
eine bequemere Art u ohne meinem Nachtheil Gnüge thun zu können. Die

21
Ausführung überlaße ich günstigen Umständen

22
Mit welcher Freude wird Sie dann umarmen

23
Ihr

24
Hans!


25
Sollen wir Ihnen Starks Apologie schicken?

26
Hippel soll mehrmals angeführt seyn.


27
Adresse mit rotem Lacksiegel:

28
HErrn / HErrn Johann, George, Hamann / zu /
Welbergen
. /


29
Vermerk von Hamann:

30
den 23
Xbr.
Geantw den 24 –

Provenienz

Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 27.

Bisherige Drucke

ZH VII 385–387, Nr. 1130.

Zusätze fremder Hand

387/30
Johann Georg Hamann

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
386/7
innre
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
innere
386/9
erfodert
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
erfordert
386/12
solida
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
Solida
386/30
praeludi
ren.
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
praeludiren.
386/31
concentri
r
t
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
concentrirt
386/31
doch,
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
doch
386/36
Xbr
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
Xbr
387/15
K.
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
K
önigen
387/30
Xbr.
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
Xbr.