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Herzlichgeliebtester.
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Ich war bey meinem vorgestrigen Schreiben zu übereilt, weil ich zu
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besorgt für An- und Fortschaffung des Erforderlichen war, um Ihnen meine
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Meinung über Ihren Zufall und meinen Rath vollständiger geben zu
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können. Gewisse Krankheiten, deren Saamen tief in der Constitution des
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Körpers liegt, pflegen, wenn sie gleich auf Jahre weichen u radical gehoben zu
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seyn scheinen, durch starke Revolutionen der Gesundheit, die durch wichtige
S. 386
Krankheiten, wie Ihre letztere, oder plötzliche große Veränderung in der Diät
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veranlaßt worden, gerne wieder aufzuleben. Beydes trift bey Ihnen
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zusammen, u der neue Ausbruch der Flechte läßt aus gleichen Gründen auf ihren
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ehemaligen Gefährten, die Gicht schließen, die, wie es ihrer Natur sehr gemäß
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ist, ietzt nur ihren Sitz verändert hat. Bey diesen Umständen muß unsre
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Sorgfalt hauptsächlich dahin gerichtet seyn, den Körper durch keine zu starken
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Ausleerungen zu schwächen, die das Uebel leicht auf
innre
edle Theile ziehen
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können. Daher keine Aderläße, die nur eine Art der Gicht, die
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entzündungsartige, u doch behutsam
erfodert
, keine heftigen Purganzen. Durch
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beständige gleichförmige Unterhaltung der Ausdünstung, u angemeßene
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diaphoretische Mittel allein, muß der Gefahr vorgebeugt, u durch diese u zugleich die
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Säfte, oder die
solida
,
wie man will, verbessernde Mittel das Uebel
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bestritten werden. Auch Ihre Diät sey nicht schwächend, aber auch nicht scharf,
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zu reitzend, süchtig und den Magen durch Unverdaulichkeit oder Uebermaaß
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zu lästig, dabey beständig unterhaltene gelinde Oefnung, täglich 1–2
mal
. Ich
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habe in Jena eine Frau gekannt, die eine alte Gicht durch den blossen
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Gebrauch von Fliederthee, wovon sie Morgens u Abends iedesmal ein Maaß
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trank, u dabey ohngefehr eine gute Messerspitze
Cremor
🜿
ri
nahm, glücklich
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hob.
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Heute haben wir vergebens auf neue Nachrichten von Ihnen, oder unserm
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lieben
Cormann
gehoft. Ich erwarte nur die Antwort auf mein letzteres, um
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Ihnen eine völlig angemeßne Kur zu verordnen. Hauptsächl. laßen Sie
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mich wißen, ob Sie nichts fieberhaftes spüren, u wie’s mit der Brust steht.
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Unsere liebe Marianne fängt morgen die dritte Periode ihrer
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Chinaabkochung an. Sie hat sich die ganze Zeit her vorzügl. gut gehalten, trotz der
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elendesten Witterung. Die Tanzstunde ist fast die einzige Bewegung, die sie
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sich machen kann. Hinderten mich diese Umstände nicht, ich hätte satteln laßen
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u mich zu Ihnen durchgeklopft. Nun die nächste Nachricht von Ihnen soll
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mich bestimmen. Tägl. sprechen wir von unserer Fahrt nach Welbergen. Der
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heutige kürzeste Tag scheint mit seinen Schlacken auf Frost zu
praeludi
ren.
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Melden Sie mir
doch,
ob ihr Schmerz sich sehr auf einen Fleck
concentri
r
t
,
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oder mehr verbreitet, u wie sonst Schlaf u Appetit ist.
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Gott empfohlen, er bringe uns bald wieder zusammen,
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mit ganzem Herzen
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Ihr
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Münster den 21.
Xbr
87.
treuergebener Freund u Diener
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G E Lindner.
S. 387
Zettel:
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Sollte es wirkl. Gichtanfall seyn so kann das Reiben nichts helfen.
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Die Nachricht von Ihrer Krankheit, liebster Vater! war für uns alle
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äußerst traurig. Von der Geringfügigkeit derselben, mit der uns, unser
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D. Raphael beruhigt und
seiner
unermüdeten Vorsorge, hoffen wir
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baldige Beßerung. Erfreuen Sie uns bald, mit der Erfüllung aller Wünsche
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und Hofnungen, die wir für Sie haben!
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Ich habe Ihnen nichts zu melden, als daß alles hier unverändert in gutem
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Zustande ist und weder Briefe noch sonst etwas für Sie angekommen sind.
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Unsere Tanzstunden gehen in ein paar Tagen zu Ende und es ist noch nicht
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ausgemacht ob wir noch einen zweyten Monat zulegen.
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Die Fürstinn ist gestern in die Stadt gekommen, ohne Ihre Kinder u wird
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sich zur Erholung ein paar Tage hier aufgehalten. Mitris Geburtstag wird
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nicht eher gefeyert, als bis sie völlig nach der Stadt gezogen ist, welches nach
15
Heil. Drey
K.
geschehen soll.
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An eine Reise zu Ihnen habe ich nicht denken wollen, weil ich Ihre
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Gesinnungen darüber weiß u zugleich einsah wie wenig ich Ihnen bey diesen
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Umständen behülflich seyn könnte. Jezt trage ich mich mit der Hofnung, auf
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die kommenden Feyertage meinem Verlangen Sie und Ihr W. zu sehen auf
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eine bequemere Art u ohne meinem Nachtheil Gnüge thun zu können. Die
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Ausführung überlaße ich günstigen Umständen
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Mit welcher Freude wird Sie dann umarmen
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Ihr
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Hans!
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Sollen wir Ihnen Starks Apologie schicken?
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Hippel soll mehrmals angeführt seyn.
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Adresse mit rotem Lacksiegel:
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HErrn / HErrn Johann, George, Hamann / zu /
Welbergen
. /
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Vermerk von Hamann:
30
den 23
Xbr.
Geantw den 24 –
Provenienz
Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 27.
Bisherige Drucke
ZH VII 385–387, Nr. 1130.
Zusätze fremder Hand
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387/30 |
Johann Georg Hamann |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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386/7 |
innre ]
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Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: innere |
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386/9 |
erfodert ]
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Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: erfordert |
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386/12 |
solida |
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: Solida |
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386/30 |
praeludi ren. ]
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Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: praeludiren. |
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386/31 |
concentri r t |
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: concentrirt |
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386/31 |
doch, ]
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Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: doch |
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386/36 |
Xbr |
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: Xbr |
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387/15 |
K. ]
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Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: K önigen |
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387/30 |
Xbr. |
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: Xbr. |