1145
439/2
Ddorf den 25
ten
März 1788


3
Vermerk von Hamann:

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Erhalten den 26 –

5
Geantw. am Sonntage
Quasimodogeniti
den 30 –


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lieber Herzens Vater!

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Ich bin heute mit einem argen Swindel aufgewacht, u darf nicht

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schreiben, wenn nicht gewiß ein heftiges Kopfweh folgen soll. Gestern vormittag

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kam mein Fritz aus Aachen, u gleich nach Tische Dohm. Sie hatten

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zusammen eine Reise nach Creyfeld u Duisburg
üb
unternommen. Fritz gieng

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alsdann auf einen Tag nach
Eßen;
u hier wollten sie wieder

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zusammenstoßen u 2 Tage bleiben. Der Besuch war mir angenehm; wäre ich nur

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gesund. Um nicht leer vor Dir zu erscheinen, schicke ich Dir 1) eine Antwort

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v Boie, auf eine
Anfrage
wegen Dohm, zu
der Du mich veranlaßtest
. 2) ein

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nachheriges Schreiben v mir an Boie. 3) Eine
Replick
auf den Artickel über

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Anonymität im Febr der B. MthsSchrift. Bey dieser Gelegenheit habe ich

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Dich, nach meiner Gewohnheit nicht allein beraubt oder geplündert, sondern

18
auch, gegen meine Art,
bestohlen
. – – Eben erhalte ich Deinen Brief, mit

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vier andern. Ich habe mich nicht bändigen können, sondern versuchen müßen

20
in Deinem Briefe
hie
u da zu lesen. Du Lieber, Lieber Lieber Du! – – Ich

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habe Dir vornehmlich wegen meiner Reise mit Mama u Tante schreiben

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wollen. Mama kann nicht mitkommen wenn sie nicht auch Max u Clärchen

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mitbringen darf. Da solltest Du
anstelliger
Mann nun überlegen u

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rathen, ob das geschehen könnte. Clärchen könnte mit Martha u Maria in

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einem Bette schlafen, wenn das Bette etwas groß wäre. Max u George auf

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einer Matratze auf der Erde in meinem Zimmer. Wir hatten an den beyden

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Zimmern, wovon ich das vörderste vorigen Sommer eingenommen für uns

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alle genug. Von Dir bin ich überzeugt daß Du Mariannen nichts wirst

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aufbürden laßen, was ihr zu schwer fällt, zu mahl da sie, wie ich höre, wieder

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guter Hoffnung ist. – Grüße Buchholtz u die Prinzeßinn, u entschuldige mich

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besonders bey der letzteren daß ich ihr heute nicht schreibe. Ich danke Gott daß

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Du so wohl bist. Auch mit mir wirds bald beßer werden. Am Freytag

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schreibe ich wieder. – Mich freuet daß Du an
Sheridan
so viel Genuß findest

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als ich daran gefunden habe. Das
Hypocrite reversed,
glaubte ich, kanntest

35
Du aus der
Briefsammlung
hinter Popes Werken. – Ich bin nicht ohne

S. 440
Hoffnung Dir das neue Buch v Necker zu bringen, welches würklich heraus seyn

2
soll
u ein
Deus ex machina
seyn soll, wie die Starkische Ortho
do
xie.

3
Das Stück Volkerkunde über Hume ist mir unbekannt, u kenne ich den Prof

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Quanz nicht den
Mad Courtan
bey dieser gelegenheit nannte – Kants neuem

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Buche sehe ich mit Verlangen entgegen. Er erklärt darin, daß wenn man

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seinen transc. nicht annehme, der Spinozismus das bündigere System sey. –

7
Die Rec v Ardinghello, u v Herders Gott in der Allg. L.
Zeitung
, sind v Einem

8
Manne,
Rehberg
in Hanover. – Ich muß durchaus aufhören zu

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schreiben. Grüße Raphael u Joh. Michael. – Ich herze Dich! –

10
Dein Fritz Jonathan

Friedrich Heinrich Jacobi an Heinrich Christian Boie, 31. januar 1788, Abschrift; Provenienz: Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

552/13
Düßeldorf den 31
ten
Jan. 1788.

14
Ihr so schön vertrauliches Schreiben

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Meldorf
vom 26
ten
Nov. hätte eine frühere Antwort verdient,

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und würde sie erhalten haben, wenn ich nicht der kränkliche

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Mann, und dabey der so unsäglich beschäftigte Müßiggänger

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wäre, der ich bin. Für die Freyheit, die Sie mir gestatten,

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Beyträge zum Museum unmittelbar an Severin nach Weißenfels zu

20
schicken, bin ich Ihnen recht sehr verbunden, und ich hoffe Sie

21
sollen nie Ursache haben zu bereuen, mir diesen Beweis Ihrer

22
Hochachtung und Ihrer Freundschaft gegeben zu haben. Den

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Aufsatz von Schloßer im Januar werden Sie nun schon haben.

24
Zum Februar habe ich zwey Beyträge geschickt, die dem Museum

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gewiß sehr gut, und mir vielleicht sehr übelbekommen werden. Aber

26
man muß diese schlechte Menschen, die sich nicht beßern können,

27
dahin bringen, daß sie das ärgste thun. Ich weiß daß ichs mit

28
ihnen aushalten werde, und kann deutlich genug sehen was ich

29
schon gewürkt habe. – Für den Merz habe ich wieder einen

30
Aufsatz von Schloßer geschickt, der aber nicht den Stempel des vom

31
Januar hat. Schade daß sich in diesem ein paar heßliche

32
Druckfehler befinden. Besonders der gleich zu Anfange, wo anstatt

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„jedes Genie
benagen
“ – bewegen gesetzt ist. Dieses Stück des

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Museums erhielt ich vorgestern Abend, und muß Ihnen nur gleich

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sagen, mein lieber Boie, daß ich darüber wieder
in
einen

36
gewaltigen Aerger gerathen bin. Diesen Aerger verursachte mir die

S. 553
Einrückung der Auszüge aus den Protocollen der geh. Ges. zu

2
Erhaltung der reinen Lehre. Da meine eigene Lehre nichts weniger

3
als rein ist, und ich auf keine Weise mit den Gliedern dieser

4
Gesellschaft etwas zu schaffen haben kann, so bin ich an der Sache

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selbst ohne alles Interesse. Oeffentliche Sicherheit aber ist ein

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allgemeines Interesse, und Diebstahl ist der öffentlichen Sicherheit

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zuwider. Daß der Epitomator dieser Protocolle ein Dieb ist, hat

8
er selbst die Frechheit zu gestehen; und nach den Umständen zu

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urtheilen, muß er ein Dieb von der verächtlichsten Gattung seyn,

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der durch Heucheley und mißbrauchtes Vertrauen zum Schlage kommt.

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Und Sie, mein lieber Boie, helfen eine solche That

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vollbringen! Sie laßen unter Ihrem Nahmen geschehen, was der

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Schurke unter seinem eigenen nicht wagen durfte! – Wer steht

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nun denen, die Sie nicht kennen, dafür, daß Sie nicht selbst der

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Epitomator sind? – Möchten Sie es seyn für irgendeinen Preis?

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– Verzeihen Sie, liebster Boie, daß ich so gerade heraus mit

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Ihnen
rede,
aber ich müßte aufhören Ihr Freund zu seyn, wenn

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ich das nicht dürfte. – – Vor etwas länger als 4 Jahren bekam

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ich im Vertrauen einige Bände einer Circular Correspondenz zu

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sehen, wovon, wenn ich nicht irre, Hahn der Stifter war. Es

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stand viel albernes und manches recht tolles Zeug darinn. Und

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unter dem allen stand auch ein langer Brief von Herder, der an

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Eins von den Gliedern dieser Gesellschaft geschrieben war, ich

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glaube über das Verdienst Christi als Versöhner. Nun stellen Sie

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sich vor, daß auch über diese Sammlung ein Epitomator

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gekommen wäre, hätte gerade alles schwache und lächerliche ausgezogen,

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und Herders Brief mit eingeflickt: was würden Sie dazu sagen?

28
Und gewiß ist der ehrwürdige Geistreiche De Marees gerade auf

29
eine solche Weise in jene Protocolle gekommen. – Teller soll ihm

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so tiefe Wunden geschlagen haben, daß er sich nun unter solche

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Leute begiebt! – Hat De Marees Tellern denn nicht geantwortet?

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Und mit welcher Würde und Ueberlegenheit? – Das verschwieg

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Biester im Aprill der Monaths-Schrift; das verschweigt auch Ihr

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Anonymus:
Pfuy“
, der niederträchtigen Verfolger! – Ich bitte

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Sie, liebster Boie, was ich bitten kann, laßen Sie doch Ihr

36
Museum nicht auch ein Dickicht für Meuchelmörder und

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Taschendiebe werden! Sie sehen, wie es Bi
e
stern und Gediken

S. 554
bekommen ist, die gewiß jetzt ihre
Anonymen
Mitarbeiter und den

2
Taumel ihrer eigenen Leidenschaft verwünschen und verfluchen.

3
Daß eine jede Parthey alle die nicht mit ihnen sind für vogelfreye

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Menschen halte, kann unmöglich lange geduldet werden, sondern

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muß bald eine allgemeine Ahndung nach sich ziehen.

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Voßen betreffend antworte ich Ihnen, was Hermann dem Horst

7
antwortete, da dieser sich des Katwald annahm: „Seit wenn hat man

8
einen Geist wie Katwald, und täuscht sich wie ein Thor?“ – Sie

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wißen, wie sehr ich Voßen immer geliebt und hochgeschätzt habe.

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Die Gründe, die ich dazu hatte, habe ich noch, außer daß ich ihm

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einen freyen Geist, einen geraden männlichen Sinn zutraute, und

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nun erfahre daß ihm beydes fehlt. Uebrigens mag er gut genug seyn.

13
Ueber Nicolai zu reden halte ich nicht der Mühe werth. Wenn

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mir auch weiter nichts als seine letzte öffentliche Handlung, die

15
Antwort an den Profeßor Andres in Würzburg (im
Janaer

16
Intelligenz Blatt) von ihm bekannt wäre, so hätte ich daran

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allein schon genug, um ihn für einen niederträchtigen Spitzbuben,

18
einen Jesuiten im häßlichsten Verstande zu erklären. Und das ist

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in seinem unendlichen Sündenregister denn doch nur eine

20
Peccadelle, Staub in der Wage. Nein, lieber Boie, mit einem Manne

21
wie dieser werde ich nie in meinem Leben etwas gemein haben,

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und fliehe wie die Pest jene lüderliche Tolleranz, die alles sittliche

23
Gefühl
stumpf und schaal macht. Ich habe einmahl in meinem

24
Leben Gelegenheit gehabt, über die Erschlaffung des Gewißens,

25
die man auf diesem Wege holt, sehr ernsthafte Betrachtungen

26
anzustellen, und es mir seitdem zum Gesetze gemacht, lieber zu streng

27
als zu milde im urtheilen über sittliche Dinge zu seyn. Wer

28
entschieden schlechte Handlungen thut, der ist ein schlechter Mensch,

29
und damit Punctum. Verrichtet er ein andermahl gute, oder gar

30
edle Handlungen; so halte ich ihn doppelt für einen schlechten

31
Menschen; so wie ich denjenigen Querkopf für den ärgsten halte,

32
der es mit sehr viel Verstande ist.

33
Meine Erläuterungen den Idealismus betreffend halte ich zurück,

34
bis die Jenaer mich recensiert haben. Ich verspreche Ihnen außer

35
diesem noch andere Beyträge, und will auch Müllern, der mir so

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leicht nichts abschlägt, anspornen, daß er meinen Wunsch, das

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Museum in die Höhe zu bringen, befördern helfe. Sie, mein

S. 555
Lieber, müßen aber schlechterdings Sorge tragen, daß das

2
Museum ein ehrlicher Ort sey und keine Kneipschenke.

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 7: November 1787 bis Juni 1788. Hg. von Jürgen Weyenschops, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2012, 149–155.

ZH VII 439 f., Nr. 1145.

Zusätze fremder Hand

/
Unbekannt
439/4
–5
Johann Georg Hamann

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
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Eßen;
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Geändert nach der Handschrift; ZH:
Eßen,
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der […] veranlaßtest]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
der Du mich veranlaßtest
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Anfrage
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Geändert nach der Handschrift; ZH:
Anfrage
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Replick
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Geändert nach der Handschrift; ZH:
Replik
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hier
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Briefsammlung
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Geändert nach der Handschrift; ZH:
Briefsamml
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Zeitung
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Zeit
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in
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
in
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rede,
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Geändert nach der Handschrift; ZH:
rede;
553/34
Pfuy“
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
„Pfuy“
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Anonymen
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Geändert nach der Handschrift; ZH:
Anonymus
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Janaer
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Januar
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Gefühl
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Gefüge