1148
444/18
Münster
den 2 April 88 um 4 Uhr Nachmittags.
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Herzenslieber Fritz Jonathan, nach einem doppelten Fußbade mit kaltem
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Waßer, das meinen schwachen Füßen sehr wohlthätig zu seyn und zu werden
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scheint, lag ich noch im Bette, und Franz
lag
saß neben mir, als Marianne
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wie ein Engel Gottes mit Deinem Päckchen erschien. Franz erhielte die
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Erlaubnis es zu erbrechen, ich ließ ihm das Buch und hielt mich an Deinen
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Brief und die geschriebene Beyl. die ich mit mannigfaltigem Vergnügen
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überschaut habe; abe
y
r
y
o
n
ist mir ein unauflöslicher
Chiffre.
Der
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meinige betrift die von mir noch nicht gelesene Schriften des
Ex-illuminat
en
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und
Illuminant
en
Weisshaupt
=
Weisshauptiana.
Sein Realismus und
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das reformirte System des unterirrdischen Lichtordens.
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Ich bin mit den ersten
IV
Kap des
Necker
schen Buchs fertig, und möchte
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Dich vor Liebeshunger freßen, daß Du Dir selbst den Genuß entzogen und
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mir denselben gegönnt hast. Ich war schon gantz auf
Calonne
Seite und Du
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hast das Urtheil meiner schwankenden Seele wieder zum Gleich- oder
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vielmehr Uebergewicht gebracht. Mein Kopf ist so erschüttert von dem Inhalt
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und dem Ton dieses Neckerschen Meisterstücks, daß ich ein paar Zeilen
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schreiben muß, um nicht in meinem Laufe zu stürzen. Hier ist schon alles auf
2
Em
Euren Empfang eingerichtet, und Ihr werdet mit offenen Armen von uns
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allen erwartet, unter denen ich nicht der letzte noch unterste seyn will noch
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seyn kann.
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Mein lieber
Raphael
hat bereits die Post auf den Sonnabend bestellt
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und wird also dem Fest Eurer Erscheinung nicht beywohnen, als dem Geiste
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nach. Gottes reicher Seegen begleite Ihn wie meine Wünsche, die mit der
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Abnahme meines Lebens zunehmen und niemals aufhören werden. Fast möchte
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ich schwören, daß Seine Abwesenheit mir vortheilhafter seyn wird, als Seine
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Gegenwart – wie es den guten Wittwen mit ihren seel Männern geht. Er
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ist spatzieren gegangen und kann also mir weder persönlich, noch mündlich
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seine Gesinnungen auftragen, für die ich aber
Bürge
bin vermöge der
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Gemeinschaft unter
guten Menschen
und
ehrlichen Freunden
durch
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den
Geist
,
für den es keinen Unterschied der Sprachen und Zungen giebt
–
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Wir speiseten
Dom. Quasimodogen.
bey unserer frommen Fürstin, die
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ich liebe
r
Philotea
als
oder Jelänger jelieber nennen möchte als
Diotime
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mit dem Haagschen
Platon.
Ich habe heute des seel. Franciscus
d
von
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Sales Schrift die
S
iegelstücke
angefangen, und erbaue mich alle Morgen
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aus Sailers vollständigem Lese und Gebetbuch, in das ich arger als unser
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Johann
ver
liebt
bin, nachdem ich seine
Glückseeligkeitslehre
kennen
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gelernt habe.
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Ich mache mir ein Gewißen draus, diese Woche auszugehen – Das
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Gewißen liegt aber an meinen Füßen, die eine Unvermögenheit noch haben,
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welche mir unerklärlich
(irreparable)
scheint. Kopf ist heiter, der Puls
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schlägt gut, wird alle Tage stärker und freyer. Ob
otium
und
cibus alienus
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eine solche Wirkung thun können, daß ich mich zu den
Quasimodogenitis
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rechnen kann, weiß ich nicht. Was ist am wißen gelegen, wenn man genießen kann.
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Meine Lüsternheit bey meinem Rückwege Dein Elysium widerzusehen,
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wenn es auch nur auf Einen Mittag als ein Gespenst seyn sollte, ist mir schon
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lange vor Deiner Einladung in den Sinn und zum Entschluß gekommen. Ich
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kann mir aus der alten Leere keinen Begriff von der neuesten Fülle machen –
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Du hast Recht, mit der Gevatterschaft sieht es sehr mißlich aus. Ich mag
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lieber Gast, als Wirth seyn und bin zu letztem gar nicht gemacht, weil ich
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selbst Koch spielen
müste
muß.
Laß
alles thun; das Spiel ist in guten
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Händen, und Du wirst Deine lange Weile wohl beßer anzuwenden wißen.
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Gottlob! daß ich harthörig bin und es von Tag zu Tag mehr werde. Ich
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werde zu all Deinen Scheltworten den Kopf nicken und lachen, ohne in meiner
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Philosophie,
mi
ihren Stoicismo und Cynismo mich irre machen zu
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laßen
. Auch Zusehen ist eine Arbeit.
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Pericles
hielte mir eine schöne Vesper vorigen Sonntag und schenkte mir
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seine Schulverordnung, die Sprickmann eingekleidet, und er entworfen hat.
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Von seinen Gedanken uber das
Gefühl der Wahrheit
bekante er sich
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selbst als Verfaßer. Ich habe beide Montag zum Frühstück durchgelesen u
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Necker p.
79 in meinem Exemplar
noti
rt.
8
E
Von
dem Einfluß
der Religion in das Finantzwesen
kann
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freylich ein
Necker
schreiben; aber ich kenne einen abgedankten Zöllner, und
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vielleicht mehr als Einen – aber ein solches
Sujet
wie ein Hofmann zu
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behandeln, dazu ist nur ein
Necker
geschaffen oder ausgebildet.
Hic Rhodus hic
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salta.
Laß mich weiter lesen – oder den Blutygel sich vollends dick saugen,
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biß das Buch aufhört.
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Ach lieber Herzens Jonathan Gott seegne Dich und bringe Dich mit Deiner
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ganzen völligen Reisegesellschaft unter Begleitung des Ritters St. Georg
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glücklich und gesund in unser Haus und in unsere Arme.
Dein alter ewiger
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Jude. Hamann
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Zusatz Gottlob Immanuel Lindners:
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Ohne es gelesen zu haben, sage ich hier Amen zu dem, was Hamann geschrieben,
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um zugleich ein dürftiges, aber herzliches
vale et fave
für den anzuschließen, dessen
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Bild meine Seele immer u allenthalben hegen und pflegen wird.
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G E Lindner.
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Ich erwarte nichts mehr mit
der Post
, sondern Dich selbst, etwa noch
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wenn es angeht die chinesischen Sachen, die ich noch ansehen wollte. im
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Deguignes.
Das übrige, so Gott will, mündlich. Ich muß
pausi
ren –
DEVS
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nobiscum omnibus!
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Adresse:
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An / Herrn Geheimen Rath,
Jacobi
/
zu
/ Düßeldorf.
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 405 f.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 632–634.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 7: November 1787 bis Juni 1788. Hg. von Jürgen Weyenschops, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2012, 164–166.
ZH VII 444–446, Nr. 1148.
Zusätze fremder Hand
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446/19 –22
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Gottlob Immanuel Lindner |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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445/14 |
für […] giebt] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
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445/16 |
Philotea |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Philotea |
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445/18 |
S iegelstücke |
Textverlust durch Defekt am rechten Rand des Blattes. |
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445/20 |
ver liebt ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: verliebt |
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446/8 |
E Von ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Von |
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446/28 |
An […] Düßeldorf.] |
Hinzugefügt nach der Handschrift. |