1152
451/9
M. den 27 Apr.
Rogate
88
10
Vermerk von Jacobi:
11
empf den 28
ten
Apr beantw den 29
ten
12
Liebster Fritz-Jonathan-Gamaliel!
13
Gottlob! daß Du wider
wider
hergestellt bist. Ich bin heute so kraftlos
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aus dem Bette aufgestanden, daß ich mich kaum zu rühren im stande bin. Ich
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habe mir die ganze vorige Woche ziemlich angegriffen mit stätiger Arbeit
.
16
Den 21 d kam
D.
Arnold K. hier und reiset morgen früh ab. Den 23 erhielte
17
Dein erstes, eine Stunde drauf die Beyl. der fahrenden Post, als ich eben
18
Einl. beantwortete. Das Gespräch muste erst verschlungen werden. Mein
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guter Wille war Dir noch den selben Mittwoch zu schreiben; es wurde mir
20
aber unmögl. Gestern kam Dein
zweites
mit einem noch dickeren Pack an.
21
Ich habe die Allg. Litt. Zeitung gleich gelesen und diesen Morgen im Bette
22
widerholt
aber eben so wenig verstanden, als Franz. Vielleicht hat mir
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dieses Frühstück den Magen verdorben oder die Flügel gelähmt. Nach dem
24
Grunde Deines neuen Namens habe in der Qvelle gesucht ohne ihn deutlich
25
finden zu können; es wäre denn daß Deine Gesinnungen für die
schalen und
26
seichten
auf ihre Unwißenheit und Gedankenlosigkeit stoltzen Schriftsteller,
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mit Gamaliels für die Jünger u Apostel ähnlich wären. Melde mir, ob ich
28
dies recht verstanden habe. Ob es lohnt gegen das
unüberwindliche
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Aergernis verwirrter Köpfe
länger zu kämpfen? Es macht mich
30
traurig und schlägt mich nieder, nur daran zu denken. Durch einen
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speculativen Geist und eine attische Beredsamkeit läßt sich die taube Otter nicht
32
beschwören. Simsons Füchse und sein Eselskinnbacken – die euklidis
ch
e
33
Demonstration und platonische Mausfalle ist auch nicht mein Geschmack und
S. 452
in Ansehung der letzteren mag Dein Recensent nicht gantz Unrecht haben, daß
2
die Kunst sich selbst schadt; gegen Sophisten aber brauchbar ist.
Mein
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Vorurtheil für Monarchie ist Dir bekannt, liebster Gamaliel. Bey aller
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Verschiedenheit der Formen giebt es eine Einheit ihres guten und bösen Geistes von
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denen sie getrieben werden gleich den Wunderthieren und Rade im Ezechiel.
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Ich bin aber nicht im
stande
ein vernünftiges Wort heute zu schreiben und
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den Knäuel meiner
implicit
en Begriffe oder Ahndungen, wie Du es nennst
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zu entwickeln. Eine vollkommene Republick ist ein Mährchen wie das von der
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Atlantis. Viel Köpfe, viel Sinnen.
Bey aller optischen Mannigfaltigkeit, ist
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eine physische Einheit, und bey aller optischen Einheit eine physische
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Mannigfaltigkeit. Die Nacht hat viele Sonnen nöthig, der Tag an einer gnug.
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Distingue tempora et concordabit Natura et Scriptura.
Der Schlüßel von
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beyden fehlt und liegt im Brunnen der
Wahrheit
. Was ist Wahrheit?
14
und dennoch ist die
Bestimmung
des
Monarchen
nichts als ein
15
Zeugnis derselben – – zu dem man geboren und gesalbt seyn muß.
Conf
Joh.
16
XVIII.
37. Die ganz offenbare Unordnung und Verwüstung der
urs
p
rüngl.
17
Vernunftanlagen durch die äußern Weltumstände ist aber ein unauflösliches
18
Räthsel, (wenn man nicht mit Simsons oder Kants Kalbe pflügt) des göttl
19
= vernunftähnlichen Ursprungs, und nur die Kritik und deren
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transcendentelles Bestreben alle andern Erkenntnis Kräfte der Natur zu beherrschen,
21
zeuget als die
Königin Metaphysik
von der reinen Vernunft, in
22
welcher der letzte Grund aller sophistischen Unwißenheit u Gedankenlosigkeit zu
23
finden ist, ohne daß man
nothig
hat die
Sterne
deshalb um Rath zu
24
fragen, und auf die Autorität schaler u seichter Kunstrichter stoltz zu seyn. Ich
25
halte es noch immer für eine fruchtlose Arbeit an
subordinirt
en Grundsätzen
26
zu flicken und ihren Widerspruch aufzudecken. Man muß sich schlechterdings
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entschließen tiefer zu graben oder höher zu steigen. Wer dazu nicht Herz noch
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Gedult hat und sein gleichzeitiges Jahrhundert verleugnen kann, dem ist
29
es immer beßer:
manum de tabula!
30
An Deine Handschrift läßt sich hier gar nicht denken. Marianne versichert,
31
daß Peter dem Vetter Georg hat
einpacken geholfen
. Also ist es sehr
32
leicht, daß die Handschrift so gut als die 2 Bücher durch Peters Hände in den
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Coffre
gekommen. Ich habe hier eine ähnl. Angst mit den 2 Stammbüchern
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der Fürstin gehabt, die auf einmal verschwunden waren. Hans hatte nicht
35
seinen Namen einmal unterschrieben, weil er noch eine griechische Stelle
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übersetzen wollte. Ich habe in ein paar Tage keine Ruhe gehabt, weil meine
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Einbildungskraft immer das ärgste und äußerste sieht und sich darauf gefaßt
S. 453
macht. Hans muste Donnerstags nach Angelmodde deshalb, und die Fürstin
2
hatte sie das letzte mal mitgenommen ohne mein Wißen und Willen. Sie
3
kommt heute nach Münster.
4
Freund Schenk wird auch ungehalten seyn über einen Riß der in sein
5
Dedicationsexemplar von Frantz gemacht worden mit dem seidenen Bande.
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Zum Glück geht der Riß nicht in den Text sondern blos durch den
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ungedruckten Rand S. 65. Ich glaube daß der Schwiegervater beßer als die hiesigen
8
Buchbinder dies zu leimen im stande seyn wird. Amyntas scheint mir zu
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unwißend
und
leichtgläubig
, desto ähnlicher
unserm
und vielleicht
10
jedem
Publico; das einseitig und übereilt ist, und
mit dem
Sokrates mit
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seiner Laune den Rücken hält.
Die Götter halten es selten mit unsern Catonen
12
u
Patrioten, vielleicht weil sie die Sache aus einem andern Gesichtspuncte
13
ansehen, der menschlicher und nicht so stoisch ist, oder so abstract als der
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philosophische und politische.
15
Perikles hat mich gestiefelt zu meiner Abreise, sich
meiner
in Paderborn
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erinnert und mir ein paar Stiefel geschenkt, die zu Deinem Peltz und der
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Fürstin chinesischen Schlafrock gehören. Ich habe mich von dem guten
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Mauritz nach St. Lamberti führen laßen und habe Albers gehört, den ehrl.
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Observanten vor 8 Tagen, der mir beynahe beßer gefiel, komme aber so
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erschöpft nach Hause, daß ich wohl nicht im stande seyn werde noch einen
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Gang zu thun.
22
Ich ruhte eben am Ende der Seite aus, und wurde gantz unerwartet mit
23
Einl. aus Kgsb. erfreut, die ich lieber Jonathan mittheile, 2 an meinen Hans
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u 1 an mich. Gottlob! es steht alles gut in meinem Hause, und man scheint
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durch die Nachrichten von
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Habe mich ein paar Straßen durchgeschleppt und bin beynahe ohnmächtig
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zu Hause gekommen. Wie ich zu Kräften kommen werde, begreife ich nicht.
28
Den Auftrag wegen des dortigen Arztes habe an
D. Dr.
bestellt, der recht
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wohl damit zufrieden war daß er nicht schreiben durfte. Das Buch des
30
Reimarus auch gestern Abend ihm zugeschickt.
D
Wirthrosen liegt hier auf den
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Tode an einem Faulfieber wo unser gute Hausartzt nichts als ein gewöhnl.
32
vermuthete. Habe heute den letzten Band von
Monde primitif
angefangen
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an dem ich mich ganz verseßen habe, weil ich mehr darin fand als
erwarten
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konnte den offentl. Urtheilen zufolge. Ich eile mit dem Ende dieses Monaths
35
fertig zu werden um den May desto beßer zur Bewegung und Cur anwenden
36
zu können.
37
Habe Gedult mit meinem Hypochonder, der mich reitet, daß ich alles
S. 454
finster und schwarz ansehe und laß mich bald an der Freude des
2
widergefundenen Groschen Antheil nehmen. Die lateinische Zeitung schicke
3
bestelltermaaßen zurück und danke für gütige Mittheilung deßelben. Die Einl. an
4
meinen
Raphael
soll mit der nächsten Post fortgehen. Kannst Du mir nicht
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sagen, wo sie herkommt. Die herzlichsten u zärtlichsten Grüße an Dich u die
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lieben Deinigen von uns allen samt und sonders. Bitte die 3 Briefe bald
7
zurück damit wir darauf antworten können. Der vierte ist es schon. Einer
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der Schloßerschen Briefe ist hier liegen geblieben. Es ist mir nicht möglich
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weiter zu schreiben. Lebe wohl, bleibe gesund und mein Freund.
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On pourroit appeller crime de lèze-raison cette ambition singuliere
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des hommes de ne voir jamais que l’arbitraire, leur caprice, leur simple
12
volonté dans la plupart de leurs institutions; comme si les hommes
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pourroient etre mus par d’autres considerations que par celle de l’ordre
14
auquel est attaché le bonheur physique et moral de l’humanité entiere
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et par consequent celui de chaque individu.
Mein Urtheil über Seuthes
16
ist nicht
gar
geworden
17
P. S.
Dem Briefe
an die Fürstin zu folge kann ich ihr das sokratische
18
Gespräch mittheilen, wovon ich durch den
zufalligen
Riß abgeschreckt worden
19
bin. Ich bin in keiner Geschichte am wenigsten in der Thomischen zu Hause,
20
also nicht imstande die Anspielungen der Namen zu beurtheilen, zu denen
21
mehr Gelehrsamkeit gehört als
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 407–410.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 635–639.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 7: November 1787 bis Juni 1788. Hg. von Jürgen Weyenschops, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2012, 181–184.
ZH VII 451–454, Nr. 1152.
Zusätze fremder Hand
|
451/11 |
Friedrich Heinrich Jacobi |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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451/11 |
empf […] 29ten] |
Geändert nach der Handschrift; ZH: empf d 28 Apr beantw d 29 t. |
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452/2 –5
|
Mein Vorurtheil […] Ezechiel.] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
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452/6 |
stande ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: stande, |
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452/9 –11
|
Bey […] gnug.] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
|
452/15 |
Conf |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Conf. |
|
452/16 |
urs p rüngl. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: ursprüngl. |
|
452/23 |
nothig ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: nöthig |
|
453/11 –14
|
Die […] politische.] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
|
453/12 |
u ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: und |
|
453/28 |
D. Dr. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: D. Dr. |
|
453/33 |
erwarten ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: ich erwarten |
|
454/16 |
geworden ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: geworden. |
|
454/17 |
Dem Briefe ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Den Briefen |
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454/17 |
P. S. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: P. S. |
|
454/18 |
zufalligen ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: zufälligen |