1155
461/26
Von Jacobi zunächst am Briefkopf vermerkt:
27
empf den 10
ten
–
28
Später von Jacobi vermerkt:
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May 88. empf den 10
ten
30
beantw den 13
ten
31
M.
den 7 May 88.
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Mein Herzens lieber Fritz Jonathan.
33
Deinen letzten Brief erhielte den letzten April, da ich mit dem
Court de
34
Gebelin
fertig wurde. Den 1
d
war wider im stande mich anzukleiden und
35
mitzueßen. Seit dem 2 stehe ich mit Tages Anbruch auf, trinke den
Caffé
36
außer dem Bette und befinde
mich
sehr wohl bey dieser neuen
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Lebensordnung. Frantz ist heute zum ersten mal auch früh aufgestanden, befindet sich
S. 462
aber nicht recht dabey wie es allen geht, die der Frühstunde nicht gewohnt
2
sind. Den 25
pr.
holte mich der ehrl. Sprickmann zu einem kleinen
3
Spatzierwege ab. Den 3 habe ich einen sehr zufriednen Nachmittag in seiner
4
Bücherstube zugebracht. Morgen denke ich ihn nach seiner
Country-Tavern
zu
5
begleiten. Hans war diesen Sonntag nach Angelmodde mit dem Briefe unseres
6
S. Georgii.
Die Fürstin hat den Brief noch zurückbehalten und wird heute zu
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Mittag bey uns erwartet. Die Stammbücher sind da; wie geht es mit Deiner
8
verlornen Handschrift. Marianne behauptet daß Peter einpacken geholfen
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ohne Mama und
Tante.
Die gute Fürstin hat mir die Besorgung der
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Witzenm. Abhandlung und der
Lav. Briefe an Garve
überlaßen, in
11
denen ich die beste
Entwickelung
meiner eigenen Gedanken über den Styl
12
gefunden habe. Unsere Individualität muß allerdings in jedes Puncte und
13
Perioden wirken. Hieneben liegt der Wisch über einen kleinen Abschnitt
14
Deines Spinoza büchleins. Ich habe mich aller Freyheit bedient, die sich ein
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feindseeliger Kunstrichter nimmt. Ich hoffe lieber Jonathan! daß Du mir diesen
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gutherzigen aber nicht verargen wirst. An
Spinoza
und
Hemsterhuis
17
läßt sich bey meiner jetzigen Lage nicht denken. Ich will Dich ausreden laßen,
18
und meine Sichel brauchen, zur bloßen Nachlese. Worauf Du mit dem
19
Namen Gamaliel gezielt hast, läßt sich eben so wenig mathematisch als
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hypochondrisch weder denken noch ahnden. Gamaliel war wie alle unsere
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Toleranzprediger ein
Politicus
und Lehrer des schnaubenden Sauls, ein
22
Pharisäer. Der Anschlag war gegen das Leben der Apostel
V.
33. da wider
23
war Gamaliel, und darinn war das
Consistorium
allerdings folgsam.
24
Drohungen hatten nicht gefruchtet
IV.
17. Sie begnügten sich also selbige durch
25
schimpfliche Schläge noch eindrücklicher zu machen, und die Erhaltung ihres
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Lebens hatten die Apostel wirklich dem Gamaliel zu verdanken, der gegen ein
27
solches
Correctif
nichts einzuwenden hatte und bloß billig und klug genug
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war zu
temporisi
ren, und nicht zugeben wollte den Knoten mit dem Schwert
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aufzulösen. Du hast den Schiedsrichter ohne Beruff gespielt, und man hat
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Dir mehr Unrecht gethan als Deinen
Clienten,
deren Denkungsart Ihren
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Gegnern angemeßener ist als Deine. Gamaliel war gar nicht parteyisch für
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die Apostel und suchte die Ehre seiner Amtsbrüder zu decken durch einen sehr
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klugen und billigen Rath, den er durch Thatsachen wahrscheinlich machte.
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Deiner Vergleichung fehlt es aber gantz an historischer Richtigkeit und
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Deinen Mittelbegriffen an Analogie mit dem
sensu communi,
in dem dieser
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Name gebraucht wird von allen bisherigen Schriftstellern und in der Urkunde
37
erscheint. Mit
Berkeley
bin ich fertig und wünschte sehr den zweyten Theil,
S. 463
so wenig ich auch von ihm erwarte. Dies ist das Werk, worinn Hume die
2
gröste Entdeckung unsers
φφ
ischen Jahrhunderts gefunden hat. Daher ist es
3
mir lieb und wichtig, weil ich Qvellen liebe und aus selbigen am liebsten selbst
4
schöpfen mag. Der engl. Buchhändler ist schuldig dies Buch zu
ergänzen
5
oder
zurückzunehmen
.
Condillac
gefällt mir beßer; ich bin kaum in der
6
Hälfte. Die Fürstin hat mir eine Fortsetzung des
Monde primitif
zugeschickt.
7
Es ist aber die
IX Livraison
und geht gantz die
griech
griechische
8
Sprache
an.
Seine
Grammaire universelle
u
Comparative
nebst den
9
Origine du Langage et de l’ecriture
sind ein gantz vortrefliches Werk. Es
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ist von diesen zwey Theilen ein Auszug herausgekommen, den ich sehr
11
begierig bin nicht nur kennenzulernen sondern auch mir selbst anzuschaffen.
12
Hans muß die beyden
Quartanten
studieren
cum grano salis.
Auch die
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Hirngespinste dieses Mannes sind
lehrreich
. Ich denke erst künftige
14
Woche nach Hause zu schreiben, und weiß nicht wo ich Augenblicke hernehmen
15
soll alles zu bestreiten, was noch vor mir liegt.
Swifts
Leben ist sehr leer für
16
mich gewesen; desto reichhaltiger des unglückl.
Savage,
nach deßen Werken
17
ich trachten werde, so bald ich zu Hause bin. Sprickmann hat eine
Duodez
18
Ausgabe von
Johnson’ Works of the English Poets.
Im 45
Vol.
stehen die
19
Gedichte des
Savage,
auf die ich mich freue. Der
VII.
Theil dieser Ausgabe
20
enthält
Pope’s
Leben wo ich mehr erwartet als gefunden habe. Daß der
21
zweite Theil von
St. Pierre
Reisen aus Vergeßenheit Dir nicht abgeliefert
22
worden, habe ich meines Wißens schon gemeldet. Starkes Nachtrag ist noch
23
beym Buchbinder. Die Fürstin hat den Seuthes unserm
Pericles
mitgetheilt.
24
Ich habe seit dem Sont.
Exaudi
an einem Hirtenbrief geschrieben, mit dem
25
ich erst gestern ins reine
gek
zu Ende gekommen bin. Von Lindner noch
26
keine Zeile. – Eben kommt Dein Briefchen an Franz an. Gottlob! daß Du
27
gesund
b
ist und alles
recht
und
gut
in Deinem Elysium. Gott erhalte
28
Euch samt und
so
nders bey
gutem Wohlseyn! Franz trinkt zum zweiten
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mal diesen Morgen
Caffé
und werde nach einer
Tasse Chocolade
durch sein
30
Beyspiel
Schreiben ist eine erschöpfende Arbeit für mich –
31
Die Fürstin wurde umsonst erwartet und entschuldigte sich durch ein
Billet
32
daß sie nach Angelm. hätte eilen müßen wegen einer ihr zugestoßnen
33
Unpäßlichkeit die ihr schon die ganze Woche in den Gliedern gelegen hätte. Ich
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komme eben aus Ihrem Hause wo ich hörte daß sie zu Fuß abgegangen ist.
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Den Seuthes hat sie zurück gelaßen, ich hoffe Verzeihung von unserm Freund
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für den zufälligen Riß. Wenn ich mich besinnen könnte, was ich eigentl. über
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das Buch geschrieben habe, würde ich mein Urtheil genauer bestimmen
S. 464
können.
Ich halte alle Regierungsformen für gleichgiltig, und bin gewiß daß alle
2
Producte und Ungeheuer der Gesellschaft wieder Natur Producte eines
3
höheren Willens sind, den wir anzubeten und nicht zu richten Gewißen und Noth und
4
Klugheit verpflichtet.
Der Theokratie geht es wie der Physiokratie; einerley
5
Misverständnis und Misbrauch von ihren Tadlern u Bewunderern,
6
Kunstrichtern u Lobrednern. Meine Zufriedenheit hängt mit diesen Hypothesen
7
meines Glaubens und meiner besten Erkenntnis zusammen, die jeder andere
8
für Wahn halten mag. Hat der Hausvater mit dem Unkraute Gedult und
9
Nachsicht: so mag ein jeder für seinen Acker und Garten sorgen. Ich habe
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keinen, und mag mir die Finger an Neßeln nicht verbrennen. Ich halte mich
11
an die
letzte Worte Davids
, so wenig ich auch das Ende dieser
12
Weißagung verstehe und absehe. Alle Monarchen sind in meinen Augen
13
Schattenbilder der güldnen Zeit, wo
Ein
Hirt und
Eine
Heerde seyn wird,
ἡ καρδια
14
και ἡ ψυχη μια – ἁπαντα κοινα
wie in der ersten Kirche so im
15
tausendjährigen Reich. Ich rede also von Zeiten in der Ferne und Weite, von
16
Vergangenheit und Zukunft. Wizelm. Abhandl. habe auch beygelegt, aber die
17
Lavaterschen Briefe an Garve hat Franz gebeten noch einen Posttag liegen zu laßen.
18
Wie gefällt
Dir
der
Einfall, mit dem ein Freund dem
Quesnoi
die Arme
19
hielt und ausrief:
arretez, le
Mieux
est l’ennemi du
Bien
vous allez
20
tout gâter.
Ein Republicaner liebe sein freyes Vaterland und der Unterthan
21
eines Monarchen trage sein Joch ohne gegen den Stachel zu löcken – Jeder
22
thue seinem Beruff Gnüge aus Liebe der offentl. Ordnung und allgemeinen
23
Ruhe.
Saltz in uns und Friede unter einander.
24
Die Post geht ab. Gott erhalte Dich lieber Fritz Jonathan Deine liebe
25
Schwestern und Kinder gesund und erfreue mich bald mit der Nachricht
26
Deines wiedergefundnen
Mst.
Ich umarme Dich u die Deinigen in meinem u
27
aller Namen. Morgen wird mich Freund Sprickmann abholen. Ich weiß
28
nicht wo ich die Zeit hernehmen soll die mir unter Händen verschwindt.
29
Verzeih also mein Stillschweigen, das aus legalen Ursachen – grüß Freund
30
Schenk und Theobald u alles das sich meiner erinnert.
Dein alter – –
31
Adresse von der Hand J. M. Hamanns:
32
A Monsieur / Monsieur Jacobi / Conseiller intime /
à
Duesseldorff
/
33
Nebst einem Pack / Bücher, unter gleicher / Adreße.
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 411–413.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 640–434.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 7: November 1787 bis Juni 1788. Hg. von Jürgen Weyenschops, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2012, 198–201.
ZH VII 461–464, Nr. 1155.
Zusätze fremder Hand
|
464/32 –33
|
Johann Michael Hamann (Sohn) |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
|
461/27 –30
|
empf […] 13ten] |
Hinzugefügt nach der Handschrift. |
|
461/31 |
M. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Münster |
|
462/11 |
Entwickelung ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Entwicklung |
|
463/8 |
Comparative |
Geändert nach der Handschrift; ZH: comparative |
|
463/8 –11
|
Seine […] anzuschaffen.] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
|
463/28 |
so nders bey |
Textverlust durch Defect am unteren Rand des Blattes. |
|
463/30 |
|
Textverlust durch Defect am unteren Rand des Blattes. |
|
464/1 –4
|
Ich […] verpflichtet.] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
|
464/18 |
Dir der |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Dir der |
|
464/23 |
Saltz […] einander.] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
|
464/32 |
A […] /] |
Geändert nach der Handschrift; ZH: A Monsieur / Monsieur Jacobi / Conseiller intime / à Duesseldorff / |