1168
S. 497
Vermerk von Jacobi:

2
Hamann.
Münster den 31
ten
May 88

3
empf den 2
ten
Juni.   beantw den 3
ten


4
den letzten May 88

5
Im Musaeo der holden
Diaphane

6
und christl.
Aspasia.

7
Heute ist nichts Herzenslieber Fritz-Jonathan von Dir eingelaufen; Deinen

8
letzten Brief erhielt ich in A
l
ngelmodde durch HE.
Miquel.
Den Tag

9
drauf fieng ich den Driburger Brunnen an, und morgen in Angelmodde mit

10
dem ersten meine Sorgen zum Abzuge in meine Heimath. Vorigen Sonntag

11
habe ich die eine Hälfte der guten
Nachbaren
kennen gelernt, und nun die

12
andere. Ich hatte mir vorgenommen nicht mehr an Dich zu schreiben, dem

13
Verbot der
Gesundheiträthe
zu folge – Habe endlich eine Antwort an meine

14
Lisette Reinette
fertig gemacht, und werde noch ein paar Zeilen an Freund

15
Crispus
hinzufügen, weil Hans mit dieser Post nicht auskommen kann, und

16
wir alte Leute uns den jungen beqvemen müßen.
Heute ist nichts von Dir,

17
lieber Jonathan! eingelaufen, so oft ich auch vor
der
Pforte gieng meinen

18
bestellten Briefträger entgegen zu sehen.
Wenn nur nicht Deine Gesundheit

19
wieder leidt; so mag alles gut seyn, und ich habe gegen Dein Stillschweigen

20
nichts einzuwenden; ich werde es als ein
Jus talonis
ansehen.

21
In
No
2. ist mir ein Ausdruck aufgefallen der meinen lieben

22
Namensvetter
angeht, von dem die gute Caroline keinen Nachdruck beym Leser

23
vermuthet haben kann. Sollte er wirklich so ein Feind des Burschen-Lebens

24
und Wandels seyn, als er
wähnt
? Du nimmst mir
meine
nasenweise

25
Freundschaft gewiß nicht übel und weist noch wie sehr ich damals mit Deinem

26
langen Unwillen
über einen Jugendstreich unzufrieden war. Anstatt

27
dem verlornen Sohn, der sich von selbst einstellte, entgegen zu kommen, gieng

28
Dein Groll zu weit und währte zu lange. Begehe nicht daßelbe
Extreme
in

29
Deinem Vertrauen. Du kennst sein
pantomimi
sches
Talent,
nimm Dich ein

30
wenig in Acht, daß er es nicht gegen alte Leute gegen seine Lehrer und Freunde

31
misbraucht.
Die Wahrheit macht uns frey, nicht ihre Nachamung –

32
sondern ein sympathetisches lebendiges Gefühl, das unsern Worten und

33
Handlungen zum Grunde liegen muß.
Sey aufmerksamer auf sein Auge, als auf

34
seinen Mund – Auch ich bin Vater, und meine Sorgen für meinen einzigen

35
Sohn nehmen von Tage zu Tage zu. Verdenk es mir also nicht, daß ich so

36
dringend an Deine künftigen Sorgen Antheil nehme und denselben so gern

37
zuvorkommen
möchte.
Jedes
ingenium praecox
kommt mir verdächtig

38
vor und am meisten ein zu schneller Catonischer Ton –
der wie die

S. 498
Coquetterie
eine Vorläuferin des Selbstbetruges und Unfalls
wird – Behalte diesen

2
Wink
für Dich
und mache einen guten Gebrauch
da
vo
ran
zum

3
Besten meines Namensvetters, den ich liebe
und von dem ich beßer hoffe als

4
urtheile.

5
Ist es wahr, lieber Jonathan Fritz, was ich neulich vielleicht im Traum

6
gehört, daß des schweitzerischen Geschichtsschreibers Styl dem Magen unsers

7
Freundes Schenk widersteht. Ist er ihm zu schön, zu künstlich, oder zu stark?

8
Ich habe die neue Ausgabe noch nicht gelesen – und den Innhalt der ersten

9
ziemlich ausgeschwitzt. Sein politisches System soll dem vorigen ziemlich

10
entgegengesetzt seyn.
Mit dem Geist ändert sich auch die Sprache.

11
Die Verwechselung des Präsidenten mit dem Abt kommt mir sehr

12
wahrscheinlich vor. In dem Buche von der Münze herrscht so ein gesetzter, reifer

13
Geschmack, der mir ein sehr wichtiges Problem gewesen ist, zu dem ich eine

14
sehr künstliche Hypothese nöthig fand um es mir zu erklären. Er redt in

15
diesem Werk von einem
größeren
über die ganze Politik – von seinem

16
Schicksal, das ich mit der Denkungsart des jungen Manns von 20 Jahren nicht

17
stimmig machen konnte.
Pericles
wird den nächsten Mittwoch erwartet und

18
ich will ihm den
Montluc
und welschen Staatsmann wider abliefern, den

19
ich blos gelesen habe des alten
Procardi
wegen:
Valent verba sicut nummi;

20
denn das politische Fach liegt nunmehr gantz außer meiner Sphäre und ich

21
schränke mich blos auf die liebe
Grammatic
ein. Hast Du des
P. Buffier

22
seine, so leih sie mir wenn ich dort ankomme, wegen einer treffenden Stelle,

23
die
Meursius
anführt. Kennst Du Rehbergs
Cato
Basel 780, den ich in

24
seinen
φφ
ischen Gesprächen über das Vergnügen Nürnb. 85 anführt. Mein

25
Hans fand heute das letztere in dem Musäo u ich will es mitnehmen um es

26
anzusehen. Mir sind beyde Dialogen gantz unbekannt.

27
Ich vermuthe eher, daß Schlotzer
arbeitet
als daß er
krank
ist. Wie

28
gefällt Dir der Frkf. Articul über Starks Proceß mit seinem Herrn

29
Verleger? Viel Glück zur Kuh!! Was Windbeuteley heißt, ist im Grunde

30
medicinische Politik. Die Holde hat mir den
Necker
geschenkt – also erwarte ich

31
dafür Lavaters Religions unterricht vom Autor. Gestern habe erst Kleukers

32
Brief vom Nov.
pr.
beantworten können durch eine zufällige Gelegenheit,

33
neml. eine Reise des
Vicarii
Conraadt
zu St. Mauritz.

34
Gehe doch in Dich, lieber Jonathan und beherzige, wie wenig Du

35
zureichende Gründe
hast mich zu lieben und mir so gut zu seyn, wie ich
ohne Gründe

36
aus Thatsachen mehr als vermuthen muß. Morgen wills Gott nach

37
Angelmodde. Wie mich die medicinische
Disciplin
in meiner Laufbahn hindert. Das

S. 499
Buch über die offentl. Erziehung ist wirkl. von
Diderot
trotz des
initial
-

2
u
final-motto
aus der
Vulgata.
Küße und grüße
Mama
und
Tante,
Deine

3
liebe Kinder in der Nähe und Ferne
und wenn es Gottes Wille ist, bleibe mein

4
Freund, wie ich fest entschloßen bin zu seyn und zu bleiben    Dein alter

5
redlicher
Hans Jürgen
.
   Erhalte mich in gutem Andenken Deiner

6
Hausfreunde, Schenk, Ho. Abel, Theodor
p p p
.

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 428 f.

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 669–672.

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 7: November 1787 bis Juni 1788. Hg. von Jürgen Weyenschops, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2012, 245–247.

ZH VII 497–499, Nr. 1168.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
497/11
Nachbaren
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Nachbarn
497/13
Gesundheiträthe
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Gesundheitsräthe
497/16
–18
Heute […] sehen.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
497/17
der
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
die
497/24
meine
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
meinen
497/31
–33
Die […] muß.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen; „Wahrheit“ und „Nachamung“ doppelt von Jacobi unterstrichen.
497/37
möchte.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
möchte –
497/38
–498/1
der […] Unfalls]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
498/2
da
vo
ran
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
daran
davon
498/3
–4
und […] als urtheile.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
498/10
Mit […] Sprache.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
498/11
–26
Die […] unbekannt.]
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert.
498/15
größeren
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
größern
498/33
Conraadt
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Conradt
498/35
zureichende Gründe
]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
498/35
ohne Gründe
]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
499/3
–5
und […] Jürgen.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
499/5
Hans Jürgen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
HansJürgen
499/6
p p p
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
φφφ