802
334/21
Königsberg den 23 Jänner
Dom III. p. Epiph.
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Mein auserwählter – mein gewünschter Sohn,
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Ungeachtet aller Rechte eines Vaters, die Sie sich auf mich und meine Kinder
24
erworben, giebt Ihnen mein Herz am liebsten
diesen
jenen Namen Ihrer
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eigenen Wahl. Ich speiste heute zum ersten mal in diesem Jahr bey meinem
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Freunde Jacobi, der mit der gestrigen Post Antwort aus Amsterdam von dem
27
ihm oder vielmehr der Bank angewiesenen
Comptoir
erhalten hatte, das seinen
28
Wechsel
accept
irt aber damals noch keinen
Avis
von dem Hof
Banquier
29
Breslau
bekommen. Er glaubt, daß die Sache gegen Ende des
Febr.
völlig
30
abgemacht seyn wird, und Sie so gütig seyn werden meine Nachricht
davon
31
abzuwarten
–
32
Ich habe es für meine Pflicht gehalten Ihnen dieses zu melden – und zugleich
33
die Begebenheiten meines
wunderbaren Jahrs
noch vollends mitzutheilen.
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Im Sommer besuchte ich meine Freundin, die würdige Baroneße von
S. 335
Bondeli, und wes das Herz voll ist, geht der Mund über: so klagte ich ihr meine
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Noth in Ansehung der Erziehung meiner 3 Töchter. Sie war so grosmüthig sich
3
auch ohngeachtet meiner Unvermögenheit und Mangel sie wenigstens zu
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unterhalten, sich dieser Sorge zu unterziehen. Mit ebenso vieler Achtsamkeit, ersuchte
5
sie mich einige Kleidungsstücke abholen zu laßen, wenn ich ihr diese Vorsorge
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nicht übel auslegte. Das geschah und ich habe sie seit der Zeit weder besucht, noch
7
mich bedankt. Nach Erhaltung oder Erlebung des 15
Dec.
war meine erste
8
Bewegung dieser grosmüthigen Freundin an meiner Freude Theil nehmen zu
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laßen. Durch den Besuch eines Mannes, den ich beynahe für tod hielt, und der
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mich mit seiner ganzen Familie überraschte und in Bestürzung setzte, muste der
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Besuch einen Tag später ausgesetzt werden, als mein fester Vorsatz gewesen
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war – aber auch zu meinem guten Glück; denn mein Gemüth war in solchem
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Tumult, daß ich keiner Ueberlegung fähig war, und ich hatte Zeit gehabt
14
nachzudenken – Meine Freundin machte mir Bedenklichkeiten, und wollte ihre
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Entschließung bis Ostern aussetzen. Ich bat nur um meine älteste Tochter, aber je
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eher je lieber – und ich kam gantz beschämt nach Hause, weil es mir gar zu
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auffallend war, daß Ihre Freundin und Gesellschafterinn, eine Fräulein von
18
Morstein, es für nöthig fand, mich wie
K
ein Kind zu liebkosen, um ruhig zu seyn.
19
Den 27
Xbr.
erhielte meines Herzens wunsch, ein
Billet
und die Erlaubnis den
20
Tag drauf meine Tochter hin zu bringen. Denselben Nachmittag kam mein Sohn
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mit seinem dortigen Hofmeister an, den Aussichten zu einer vortheilhaften
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Adjunctur auf eine Landpfarre zu gleicher Zeit nach der Stadt geruffen hatten –
23
Den 28
ten
also führte der Bruder seine Schwester zu ihrer neuen Mutter Haus,
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wo er als ein Kind erzogen worden; und über des Sohns Gesellschaft wurde
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die Schwester weniger vermißt.
26
Den 29
Xbr.
erscheint des Morgens ein Bedienter aus dem Gräflich
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Kayserlingschen Hause, und ich werde den andern Morgen drauf hingebeten. Ich
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erscheine den 30 zur bestimmten Stunde, welche mir angenehmer war, als der
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Mittag. Man macht mir einige Verweise, daß ich nicht öfterer käme – und
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endlich
entam
irt die gute Gräfin mit der allgemeinen Bemerkung, daß ich
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auswärtig in gutem Andenken stünde
. Ich gab ihr hierinn Recht, und
gab
32
ihr
einen Beweis davon, daß ich durch einen mir unbekannten Wohlthäter
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imstande gesetzt worden wäre, gestern meine Tochter bey der Bar. Bondeli
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unterzubringen, – ohne
Namen
,
Ort
und
Umstände
zu verrathen, war ich meiner
35
Zunge nicht mächtig – und ein Zusammenfluß von Ideen, die ich nicht
detailli
ren
36
kann und sich auf
data
bezogen, macht mich bisweilen eben so beredt als stumm
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und tumm. Sie erstaunte, daß schon jemand ihrer mir zugedachten Freude
S. 336
zuvorgekommen war, und theilte mir endlich den Auftrag einer Fürstin
2
Galliczin
mit, welche ihr den Auftrag gethan alle meine Schriften zusammen zu
3
bringen, und meine ganze Lage und Individualität von innen u außen ihr
4
anzuvertrauen.
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Ich bin so glücklich gewesen alle meine fliegende Blätter und Maculatur bis
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auf 3 Stück hier aufzutreiben, und habe 21 Hefte bey den Excell. den 15 dieses
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zu weiterer Beförderung eingehändigt, und den 5– einen berichtigten Auszug
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meiner Schriften aus Meusels gelehrten Deutschland zum voraus.
9
Alle Rücksicht auf den
alten Adam
jeder auch noch so kleinen Autorschaft
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bey Seite gesetzt, ist mir auch dieses
Zeichen
und
Wunderspiel
der Vorsehung
11
erfreulich und tröstlich gewesen um
Ihrentwillen, auf daß die
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überschwengliche Gnade, durch vieler Danksagung, Gott reichlich
13
preise
–
14
Denn meine Vermuthung ist eingetroffen, daß die Sache, da sie einmal an die
15
Bank gekommen, nicht geheim bleiben konnte, und zu allerhand uns beyden
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nachtheiligen Vorurtheilen Anlaß geben muste, welche durch den mir ebenso
17
unbegreiflichen und zufälligen Geschmack einer Fürstinn, und durch d
ie
as
18
Vorurtheil des Standes und Geschlechts, gleichsam gedeckt werden.
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Ich stehe seit dem
Oct.
in einem sehr genauen und vertraulichen Briefwechsel
20
mit dem Geh. R. Jacobi in Düßeldorf und am Neujahrstag fand ich einen
21
Brief, wie ich von meiner Freundin und Gevatterin
Me Courtan
zu Hause
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kam, aus Osnabrück von unserm guten Kleuker, der mi
ch
r meldete, daß jener
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mit dieser Fürstin zu Hofgeismar und in Weimar gewesen. Meine Vermuthung,
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daß er die Fürstinn
d
auf meine Schriftstellerey und Umstände aufmerksam
25
gemacht, ist durch keine Spur in seinen bisherigen Briefen bestätigt worden. Ich
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bin also bis auf diese Umstände eben so unwißend in Ansehung der Fürstin, als
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in Ansehung Ihrer eigentlichen Bewegungsgründe. Gott weiß alles – und Den
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will ich
sorgen
laßen, da ich Seine Hand in dem ganzen
Spiel
mit mir zu
29
fühlen glaube.
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Ich schmachte nach näheren Erläuterungen von Ihnen, und Nachrichten von
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Ihrer Gesundheit und Gesinnungen zu einer Reise – An meiner Bereitwilligkeit
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Ihnen zuvor zu kommen fehlt es nicht. Die Schwierigkeiten dazu hab ich Ihnen
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gleichfalls gemeldt. Ich bin weder im stande an die
General-Administration
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noch an den König zu schreiben, deßen Geburtstag morgen gefeyert wird. Daher
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hatte ich den Einfall mich an den Prinzen von Pr. zu wenden, in der Absicht
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auch zugl. das ungerechte Verfahren gegen meine
leidende Genoßen
ihm
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vorzustellen, und für diese etwas auszuwirken und mich zugl. an den Verräthern
S. 337
meines Vaterlandes zu rächen, welche sich an den Biergeldern ihrer
2
Unmündigen vergriffen – Diese Leidenschaft ist der Hefen
-
und Sauerteig aller meiner
3
lettres perdues
gewesen. Aber zu diesem Schritt habe ich noch keinen rechten
4
deutschen
impetum
und
ὁρμην
, den ich erst von Ihrer Entschließung und
5
Erklärung erwarte.
6
Da Sie mir zum Dank den Mund gestopft; so sollen Hände und Füße nicht
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gebunden seyn, trotz den 3 Anfällen der
podagra molesta,
die ich bereits erlebt.
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Was die Verwaltung des mir anvertrauten Geschenks betrifft: so ist es für
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meinen Hang zu
Extremen
des Geitzes und der Verschwendung am sichersten,
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mich den gemachten Bedingungen streng zu unterwerfen, daß das Eigenthum
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des Capitals immer Ihnen unverletzt bleibt – denn fremdes Gut bin ich nicht
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imstande für meine Kinder zu veruntreuen, wie ich den Rest meines Vermögens
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für ihre alte Mutter unversehrt gehütet, und Gott mir bisher die Gnade gegeben
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hierinn gewißenhaft zu seyn.
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Ich bin noch nicht gewiß, wie ich diesen Brief abgehen laße, und halb
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entschloßen ihn zur Einl. nach Düßeldorf zu machen. Vielleicht ist der Mann auch
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Ihr Freund, und verdient es zu seyn. Ich bin nicht nur mistrauisch gegen die
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Post – sondern sie scheint auch geschwinder und gerader jenen Weg als nach
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Münster zu gehen. Der Herr Geh. R. Jacobi hat mir hier einen sehr beqvemen
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Canal zu seiner Correspondentz eröfnet; der mir angenehm wäre,
wenn Sie
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nichts dagegen einzuwenden hätten
. Ob ich mich gegenwärtig deßelben
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bedienen werde, will mich doch diese Nacht bis Morgen bedenken – denn
Seinen
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Freunden giebt er Schlaf
– – und den wünsch ich Ihnen und mir –
24
den
XXIV.
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Das heutige Staatsfest sollte besonders für mich ein
Fasttag
seyn, da mir
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gestern der herrliche Caviar meines Wirths beynahe zu gut geschmeckt, und dies
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eins meiner Lieblingsspeisen ist, worinn ich mich wenigstens einmal des Jahrs,
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am liebsten daheim mit meinen ebenso darnach lüsternen Kindern satt eßen muß.
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Hartknoch versorgt mich damit, aber der seinige war diesmal nicht so gut als die
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Haselhüner, welche ich mit meiner Baroneße getheilt – und auf die andere Hälfte
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meine älteste Tochter gestern vor acht Tagen zum erstenmal und in der Stille zu
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Gast gebeten hatte. Das Vergnügen der Ueberraschung gerieth nicht so gut, wie
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ich es mir vorgestellt hatte, und ich habe sie die ganze vorige Woche nicht besucht.
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Doch mit welchen Kleinigkeiten unterhalt ich Sie, mein auserwählter, mein
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gewünschter Sohn, da ich so viele wichtige Nachrichten in meinem Kopf und auf
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meinem Herzen habe, daß ich selbst nicht Anfang noch Ende zu übersehen weiß.
S. 338
Ihre Freundschaft verschmäht diese Eindrücke des Augenblicks nicht, noch
2
ärgert sich daran.
3
Wenn Sie mit der Fürstin in Verbindung stehen, wie ich fast vermuthen muß:
4
so geben Sie mir
Licht
. Ich habe Ihr meine Schriften im eigentl. Verstande
5
verkauft, und mir alle Unkosten laut meiner Qvittung und derselben Belägen
6
bezahlen laßen. Vor meine
Lettres perdues
habe ich die Antwort des guten
7
Quintus Icilius
abgeschrieben und es für nöthig gehalten hinten ein
Certificat
8
de l’Auteur
anzuhängen, der seine Zufriedenheit mit dem von Gott geschehenen
9
Ersatz ausdrückt –
daß
und also von
kein
Absichten des Eigennutzes allen
10
Verdacht aus dem Wege geräumt. An der Uebersetzung des
Dangeul,
die nach
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meinem eigenen Urtheil sehr elend ist, kann der Durchl. Person nichts gelegen
12
seyn. Von meinen Recensionen und Beyträgen zur hiesigen gelehrten und pol.
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Zeitung hab ich nicht mehr als 9 Stück auftreiben können. Wie sauer mir die
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Durchsicht aller dieser Misgeburten geworden, kann sich niemand vorstellen. Ich
15
bin
dadurch fast gantz vereckelt worden an eine Sammlung zu denken, weil das
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meiste auf öfters sehr zufällige Umstände beruht, die ich mir gar nicht wider ins
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Gedächtnis zu ruffen imstande bin – eben so oft auf offenbar falsche
18
Vermuthungen und recht chimärische und willkührliche Combinationen. Von
19
Druckfehlern
habe ich so viel möglich die Maculatur zu reinigen gesucht. Die
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hierophantische Briefe wimmeln durch ein besonderes Misverständnis des Leipziger
21
Censors
und Druckers am ärgsten. In meiner jüngsten Schrift fehlt es auch
22
nicht dran. Luther nannte sn
Spiritum familiarem
Schiblemini
aus
mit dem
23
hebräischen Wort:
Setz dich zu meiner Rechten
aus
Ψ
CX.
1. Golgatha
24
steht also für Christentum und dies für
Lutherthum
. Ungeachtet einer
25
ausdrückl. Vorschrift steht S. 74. Philosophie für
Psilosophie
. Ich habe gleich
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nach Erhaltung
Ihres ersten Briefes
2 Exempl. nach Osnabrück und ein
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Aushängeblatt von Druckfehlern in Berlin bestellt, aber Kleuker hat nur eins
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erhalten und das letzte ist bis diese Stunde ausgeblieben, ohngeachtet
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Hartknoch selbst deshalb geschrieben. In beyden Buchläden, ist kein einzig Exemplar
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aufzutreiben, sonst würde Ihnen über Düßeldorf eins zugefertigt haben, und
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ich habe von Freunden bereits borgen müßen. Stehen Sie also mit der Fürstinn
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in Verbindung: so werden Sie meine gesäuberte Exempl. wenigstens ansehen
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können. Denn daß eine Dame von Ihrem Stande etwas zu ihrem Frommen
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oder Behagen in meinen panischen Bockssprüngen finden
könne
sollte, ist mir
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meine ganze Autoreitelkeit nicht vermögend zu überreden. Doch der Geschmack
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liebt eben so sehr Extreme als die Vernunft.
37
Ich wunderte mich, daß Sie in Ihrem ersten Briefe 2 meiner Schriften
S. 339
anführten von deren einer ich nicht vermuthen konnte daß sie weit gekommen, und
2
die andere hat im Druck so viel Unsinn oben eingewonnen, ohne den vorsätzlichen
3
meiner eigenen Willkühr – daß ich Sie im Ernst hier wünschte um einen Freund,
4
der
Muße und Verleugnung
hätte, bey der
Correctur
meiner ersten
5
Schriften, die ich schon seit Jahren lang versprochen, dabey zu Rath ziehen zu können.
6
Zu gleicher Zeit würkte eine zwar dunkle aber lebhafte Ahndung in mir, die
7
Bedürfniße meiner Reise theils zu meiner Erholung theils Herder noch einmal
8
zu sehen und Claudius kennen zu lernen, worüber schon Jahre lang unter uns
9
in Scherz und Ernst gearbeitet worden. Ich schrieb an Herder und überlegte
pro
10
et contra,
ob ich ihm Ihren Namen oder die nähere Einkleidung Ihres
11
Anliegens entdecken sollte. Ich wählte zum
Glück das erste
, und unterdrückte das
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letztere. Herder fieng gleich Feuer, sprach mit aller Wärme, und weißagte unser
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Widersehen. Seitdem bin ich ihm und seiner vortreffl. Frau noch die Antwort
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schuldig
, welches beyde nicht so beunruhigen kann wie mich selbst.
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Nun ist mein gröstes und innigstes Anliegen Nachricht von Ihrer Gesundheit,
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und etwas von der Geschichte Ihrer Krankheit zu haben. Unser Leib ist der
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Erstgeborne, und verdient als Tempel unsere Pflege und Sorgfalt. Aus dem schönen
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mäßigen Winter den uns Gott schenkt, läßt sich ein ihm ähnlicher Sommer
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vermuthen – und vielleicht thut
unser kaltes Klima
Ihren schwächlichen
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Leibesumständen mehr Dienste, und heilsamere Wirkungen – als Sie absehen können.
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Sollte Ihre Unpäßlichkeit und die Ärtzte eine Reise widerrathen: so bin ich
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fertig alles zu unternehmen mit Gottes Beystand um unsere gegenseitige
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Sehnsucht zu befriedigen, und werde Ihrem Rath und Vorschrift nachzuleben suchen.
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Mein Kopf und Herz sind nicht ein Gespann von gleichem Schritt, und ich habe
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zu allem Vormünder und Handleiter nöthig. Schwindel ist schon ein physischer
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Erbfehler meiner Natur von Kindesbeinen an gewesen, wiewol meine
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Gesundheit mit den Jahren mehr zu- als abzunehmen scheint, und ich mich schonen muß,
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ohne aber zu verzärteln. Ruhe und Vertraulichkeit ohne Zwang ist mir zum
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Genuß des Lebens unentbehrlich.
30
Ich habe meinem Freunde in Düßeld. meine ganze Verlegenheit entdeckt, in
31
welcher ich bisher gelebt, ohne ihm meinen Retter genannt zu haben. Man hält
32
Sie hier für einen engl.
Mylord,
und mich für einen Betrüger, der sich durch
33
eine verstellte Armuth Mitleiden erschlichen, auch hat man uns beyde in Verdacht
34
einer Schwärmerey. Unterdeßen nehmen die meisten an meinem Glück Antheil,
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und scheinen es mir mehr zu gönnen, als zu beneiden. Ich gehe blos in Geschäften
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aus und hoffe dieser Regel immer treuer in diesem laufenden Jahre nachzuleben.
37
Nicht allein meiner selbst sondern auch
meiner Kinder wegen
, behaupten
S. 340
Sie das Eigentum, wenn ihre Erziehung nicht durch den Aufwand der Zinsen,
2
wie ich hoffe und wünsche und Gottes Seegen täglich dazu erflehe, erreicht oder
3
gar vereitelt werden sollte.
4
Ich bin nichts imstande von dem zu schreiben, was ich eigentlich schreiben
5
möchte – und befinde mich noch gantz im Dunkeln in Ansehung Ihrer guten
6
Gesinnungen und Absichten. Gott wird unterdeßen alles zu Seiner Ehre und
7
unserm gemeinschaftlichen Wohl gedeyen laßen; denn Seine Kraft ist in den
8
Schwachen mächtig.
9
Ein
Seelsorger
bin ich nicht, möchte ich Ihnen sagen, sondern ein
10
Ackermann, und habe Menschen gedient von Jugend auf. Ein
schöner Geist
bin ich
11
auch nicht, möchte ich Ihrer dortigen Durchl. gern antworten – sondern ein
12
Kuhhirt, der Maulbeer abliest. Ein ganz natürliches Gefühl meiner
13
Unwürdigkeit und Unbrauchbarkeit, und ein eben so unschuldiger
Nisus
einer
14
Gegenwirkung, die ich Gott und
meinen
Nächsten schuldig zu seyn glaube, machen
15
mich so verlegen und ungedultig, daß ich meiner Sinne noch nicht mächtig bin.
16
Haben Sie auch mit dieser neuen Noth Mitleiden, mein auserwählter – mein
17
gewünschter Sohn – und laßen Sie mir vom
Zusammenhange der Dinge
18
so viel Licht zufließen, als ich nöthig habe meine Schritte zu richten. Erfreuen
19
Sie mich bald mit einer er
fr
wünschten Antwort auf mein Anliegen. Wir
20
denken hier täglich an Sie. Sein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel, in
21
und durch uns. Gott sey uns allen
gnädig
im Sohn Seiner Liebe! Ich umarme
22
Sie und ersterbe der Ihrige im vollkommensten Sinn.
23
Johann Georg H.
24
Unsers L.
Herzenserleichterung
fiel mir gestern vor 14 Tagen erst in die
25
Hände, und ich habe selbige als ein
Pendant
seines Kupferstichs gekauft von
26
dem Kayserlingschen Gelde, nebst einer für mich eben so
intereßanten
u
27
merkwürdigen Streitschrift gegen meinen alten Freund Mendelssohn, der hoffentl.
28
mit mir ausgesöhnt seyn wird nach einem Briefe, den ich gestern Abend zu
29
meiner großen Beruhigung aus Berlin erhielt.
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Lessing-Sammlung Nr. 1841 c.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 198–202.
Ludwig Schmitz-Kallenberg (Hg.): Aus dem Briefwechsel des Magus im Norden. Johann Georg Hamann an Franz Kaspar Bucholtz 1784–1788. Münster 1917, 15–24.
ZH V 334–340, Nr. 802.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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338/9 |
kein |
Geändert nach der Handschrift; ZH: keiner |
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338/15 |
bin ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: binn |
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338/23 |
CX. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: CX, |
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340/14 |
meinen ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: meinem |
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340/21 |
gnädig ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: gnädig, |