815
S. 381
Kgsb. den 27 Febr.
Dom. Oculi
85.
2
Mein auserwählter, mein gewünschter Sohn, diesen Morgen erhalte durch
3
meinen
Jacobi
Ihren auch ungeachtet der darinn enthaltenen
Nachwehen
4
erfreulichen Brief, an statt daß ich einen von unserm J. fast so gewiß erwartet
5
wie den Besuch meiner ältesten Tochter. Ich kann aus meinen eigenen
Wehen
6
sehr treffend auf die Ihrigen schließen, und hoffe aus analoger Erfahrung die
7
neue Geburt gründlicher u lebhafter Freuden.
8
Unser J. weiß nichts von dem geheimen Verhältniße – und wenn ich Sie
9
meinen Vater nenne, wie kann er vermuthen, daß Sie der Sohn meines ganzen
10
Wohlgefallens sind. Dies Wortspiel der Vorsehung liegt so tief in meiner Seele
11
vergraben, und ist bey mir so innig verdaut, daß jede Laut- und Ruchbarkeit
12
deßelben eine Entweihung unserer gegenseitigen Liebe, wie ein metaphysischer
13
Cynismus – mir vorkommt.
14
Ich habe also gar nicht nöthig mir einzu
ge
prägen, daß Ihre wesentliche
15
Sache mit jener zufälligen nicht einerley ist. Wie die gute Gr. Kayserl. zu
16
praelu
diren anfieng, fiel ich gleich mit der Thür ins Haus in lauter
Generalibus
17
– Wie sie mir den
Ort
nannte, war ich so behutsam mir nicht im geringsten
18
merken zu laßen, daß es der Ihrige wäre. – Ich fand in dem Gedanken, daß Sie
19
daran Theil hätten, ich weiß nicht was Zurückstoßendes und widriges für mich.
20
– Um die Gräfin und mich selbst davon zu entfernen, griff ich nach Düßeldorf,
21
und unsern J., erbot mich die Samml. seiner Schriften ihr mitzutheilen, welche sie
22
noch gar nicht kante und von keinem Verf. als dem Domherrn das geringste wuste.
23
Es war mir also schon gleich beym ersten Ausbruche der Sache eine Art von
24
Herzenserleichterung
Sie, mein Auserwählter, von allem directen Antheil
25
an diesem Ebentheuer abzusondern, weil mein Kopf an Einer Idee, und mein
26
Herz an Einer
Leidenschaften
gnug hat – und ich mit einer Art von Eifersucht und
27
Verdacht mich getheilt und zerrißen sahe.
28
Durch Kl.
positive
Nachricht vom 27
Nov.
die aber erst am NeujahrsAbend
29
erhielt, wurde mir diese ganze Hypothese noch zuverläßiger: und weil ich in
30
unsers J. und der Fürstin Briefe an die Kays.
parallel
Züge Ihres
31
wohlthuenden Plans bemerkte oder zu bemerken glaubte, so wuste ich jedem
operi operato
32
super
er
ogationis
nicht beßer vor- und auszubeugen als durch die reine
33
Wahrheit im Allgemeinen, mit der sorgfältigsten und aufmerksamsten Vermeidung
34
alles zu
Individuell
en – weil ich in Ansehung deßelben selbst im Dunkeln war,
35
wie zum Theil noch bin, und damals noch mehr, aus Besorgnis anzustoßen,
36
tappen muste als jetzt, da jeder Brief, den ich von Ihnen
erhalte,
mein Vertrauen
S. 382
stärkt, – und Ihre damalige dreiste Versicherung, „daß Ihr Kopf immer mit
2
dem Herzen zugleich
marchirt
“ nicht mehr so räthselhaft ist, obschon ich jenes
3
ebenso wenig Ihnen nachsagen darf, als das Neuerliche: „Mir ist alles so
4
erwartet, und aus einer Welt, worinn ich durch den guten u. gerechten Willen des
5
Vaters zu Hause
gehöre
“
6
Wir können also, mein gewünschter Sohn, von beyden Seiten gantz ruhig
7
seyn. Unsere
harmonia praestabilita
zeigt sich vornemlich in einem gleich
8
natürlichen Geschmack an der
Wahrheit
, von dieser allein hängt Freyheit ab, und
9
der rechte Gebrauch derselben. Gesetzt also, daß Sie unserm J. mehr entdecken
10
sollten, als er von mir weiß und durch mich wißen kann: so habe ich eben das
11
Vertrauen, das Sie ihm selbst in Ihrem Briefe bezeigen, zu seiner Ehrlichkeit,
12
daß er uns beyde Niemanden verrathen wird – und was ein Freund errathen
13
kann, muß man lieber von selbst ihm anvertrauen.
14
Er hat mein einfältiges
Vielleicht
zur Behülflichkeit, durch einen
15
Geschwindschluß, in einen
Auftrag
verwandelt, und eine mit Fleiß hingeworfene
16
entfernte
Frage
zu mehr als Einer Antwort und
Vermuthung
anzuwenden
17
gewußt. Meine Zufriedenheit mit der ersten erlaubte mir nicht der andern zu
18
widersprechen; sondern ich vereinigte mit dem Beyspiel eigner Vorsicht, die
19
Bitte selbiger nachzuahmen.
20
Ich habe Ihnen meines Wißens gemeldt, daß ich den 15 Jänner 21 Hefte bey
21
Kayserlingks abgegeben habe; den 1 d. war ich wider da, um
Gesneri Isagoge,
22
die der Graf sehen wollte und meinem Sohn gehört, abzuholen. Gestern war
23
wider angesprochen um die Samml. des Jacobi, die
ich
sie lesen wollte, zurück
24
zu haben. Die Gräfin schlief noch, und ich hatte wenigstens die Ehre dem jungen
25
Grafen aus Curland, deßen Kinder hier erzogen werden, einen Bückling zu
26
machen, erhielt wider einen Auftrag ihnen jemanden zum Lehrer in der
27
Mathematik vorzuschlagen, wo mir ich weiß selbst nicht wie, der in meinem vorigen
28
Briefe angeführte Mayer einfiel. Ich werde daher nächstens wider ansprechen
29
müßen, um so mehr, da der alte Graf das vorige mal auf meinen Joh. Michel
30
Anspruch machte, daß er ein paar Stunden die Woche das Griechische mit den
31
kleinen Grafen versuchen möchte. Demohngeachtet weiß ich noch nicht, ob meine
32
Hefte abgegangen, u habe auch deßhalb keine Erkundigung einziehen mögen.
33
Ich hoffe von Ihnen die Ankunft
meiner Hefte
derselben zu meiner
privat-
34
notiz
zu erfahren, und wann sie von hier abgegangen.
35
Der erste Brief von meinem Freunde aus Halle ist auch der letzte gewesen; er
36
hat seitdem keinen Laut von sich gegeben, der mir kaum entgangen seyn würde.
37
Er kehrte nach einem kaum überstandenen faulichten Nervenfieber aus Wien
S. 383
zurück und wollte seine daselbst gemachte reiche Erndte den Winter über ordnen
2
und gelegentlich anwenden – hatte sich aber schon vor seiner Reise eine
3
langwierige Lähmung der rechten Seite durch seinen übertriebenen Fleiß zugezogen –
4
und ist vielleicht durch neue eigene Leiden zu einem
consilium fidele
für andere
5
noch tüchtiger geworden.
6
Auf einen tiefen Schnee, der eine ganze Woche gewährt, hat sich heute eine
7
grimmige Kälte eingestellt, die mich nicht erlaubte auszugehen. Meine arme
8
Tochter hatte den Weg zu Fuß thun müßen, weil es allenthalben an Schlitten
9
gefehlt, und kam halb verfroren und mit thränenden Augen in unser Haus.
10
Mutter und Schwestern haben sie desto vergnügter eben jetzt auf einem Schlitten
11
zu Hause begleitet.
12
Ich komme wider auf die Stelle meines Briefes
zurück,
und finde eben so
13
nöthig selbige zu
corri
giren, wie Sie es mit einer an J. haben machen müßen –
14
dem ich die ganze Verlegenheit (meiner
äußerlichen und häuslichen
15
Umstände
) sicher entdecken konnte und gewissermaaßen muste – „
Ich habe ihm
16
meinen Vater nicht genannt
“ bestund nicht nur in dem Geheimniße Ihres
17
Namens
, sondern eigentl. des
tituli
,
der eben die
intension
für alle meine
18
Empfindungen
hatte, als die
Gabe
selbst sich über alle meine Bedürfniße
19
exten
dirte
und selbige mehr als
deckte
. Was Sie
Nebengeheimniße
nennen,
20
sind
Name
und
Summe
in meinen Augen – Ihr Recht zu geben und meine
21
Pflicht zu nehmen lag in Einer
Qvelle
– Das
Symbol
u Pfand der
22
geheimen Verhältnis
gieng aus Ihrem
Mund
in meinen, aus Ihrer
Hand
in die
23
meinige. Das Eigenthum der Summe bleibt Ihnen, und ich bin Ihnen so wol
24
für den Hauptstock als meinen leibl. u natürl Kindern für die Anwendung u
25
Nießgebrauch der Zinsen die gewißenhafteste Red und Antwort schuldig. Der
26
Schwachheit meiner Adamsnatur wegen, muß ich zu diesen
fiction
en
juris
27
meine Zuflucht nehmen, weil es mir wie dem
Holtz am Weinstock
geht, wie
28
den Reben, die ohne Geländer und
adiutorium
keiner Selbsthaltung fähig sind
29
– und ich ohne einen
sichtbaren Principal
nicht
exi
stiren kann. Ich sage
30
Ihnen die Wahrheit und lüge Ihnen keine Schmeicheleyen, daß in der kleinen
31
besten Welt
von
Freunden
, die mir Gott ge
sucht
geben, noch immer ein
32
Gehülfe
, den ich Bein von meinem Beine, Fleisch von meinem Fleische
33
nennen
könnte
gefehlt
und
geahnt
, ein
ισοψυχος
, wie St. Paul seinen
34
Timotheum hieß, und den ich für ein bloßes Ideal
hielte
als Diogenes mit seiner
35
Laterne suchte. Ihre Briefe enthalten immer mehr Randgloßen über meinen
36
eigenen Text, an deßen Richtigkeit ich beynahe zu verzweifeln anfieng. Ich habe
37
manche Gewalt nöthig meine innere Freude durch kein zu lautes
Ευρηκα
zu
S. 384
verrathen. Auch meine Empfindung hat das
votum positiuum,
und der
2
zureichendste Grund
bleibt ein bloßes
negatiuum,
ist kein
Bothe der Freude
3
für mich, noch des
Friedens
. Was Sie von Ihrer
Diät
und
Selbstheilungsmethode
4
einfließen laßen, hoffe ich durch Ihre
Hauptantwort
beßer zu
5
verstehen, und bezieht sich vermuthlich auf das, was
Sie darüber schon an
6
mich geschrieben haben
, und ich bald zu lesen hoffe.
7
Den letzten.
8
Sie sind der Aspecten und Episoden in meinem Briefe schon gewohnt, und
9
können sich leicht die Zerstreuungen von selbst vorstellen, unter denen ich schreiben
10
muß, aus den Spuren und
membris disiectis
meiner Schreibart. Jetzt komme
11
eben von meiner
Loge
, (wie die alten
Amtsstuben
heißen, die neu angelegten
12
nennt man
bureaux
)
.
Weil die heutige Kälte noch schrecklicher ist: so hatte sich
13
das
telonium
in eine Weinschenke verwandelt. Eine Dienstbotin fehlt mir, und
14
Briefe bestelle ich am liebsten selbst. Ich zweifele also, daß ich im stande seyn
15
werde auszugehen, weder zu Jacobi noch auf die Post zu kommen, von der ich
16
Montags u Freytags auch die Graventihnsche Briefe selbst abzuholen gewohnt
17
bin. Von meinem Jacobi wünschte zu wißen, wie er zu Ihrer Einl. gekommen,
18
da er gar keine Geschäfte in Münster hat. Meine Wohnung ist nur einige Schritte
19
vom Packhofe, und überhaupt meine Geschäfte so selten, daß ich nicht so genau
20
wie andere an Stunden und Gegenwart gebunden bin, welches ich für eine
21
große und unschätzbare Wohlthat meines verstümmelten Postens erkenne. Auch
22
hab ich die Zufriedenheit, bey aller nur möglichen Entfernung von
23
Vertraulichkeit in einem sehr guten Vernehmen mit den allernächsten meiner
24
Berufsgenoßen zu stehen. Diese Leute, die sich um alles bekümmern, erzählten mir, daß
25
auf 40 Menschen gestern an Nase und Ohren, durch den Frost verunglückt
26
wären; ich kann also noch von Glück sagen, meine Tochter ganz und unversehrt
27
erhalten und wider abgeliefert zu haben.
28
Irre ich, so irre ich
mir
– und ich weiß nicht anders, als was ich Ihnen schon
29
im vorigen Briefe und gegenwärtigen geschrieben habe. Finden Sie je in der
30
Antwort aus Düßeld. das geringste, welches diesen Versicherungen zu wider
31
schiene; so haben Sie die Gnade, mir selbiges mitzutheilen. Alles noch so bittere,
32
was rothe Wangen macht und zu meiner Selbsterkenntnis frommt, ist mir
33
willkommen. Es ist mir eben so schwer Worte zu finden, als selbige zu behalten;
34
aber von dem ganzen Gange meiner Ideen in dieser Sache, bin ich überzeugt.
35
Wie ich wegen der
Association
Ihres ersten Briefes mit dem Reiseproject
36
kurz darauf nach Weimar schrieb um unsern hypochondrischen Briefwechsel ein
S. 385
wenig aufzuheitern, war es eine
wichtige Ueberlegung
für mich, ob ich die
2
Sache ohne Ihren Namen, oder Ihren
Namen
ohne die Hauptsache diesem
3
meinem ältesten und vertraulichsten Freunde mittheilen sollte. Ich wählte das
4
letzte, und war mit meiner Wahl ungemein zufrieden, weil ich ohne Ihren
5
Namen nicht die angenehme Nachricht seiner Bekanntschaft und der darinn
6
zurückgelaßenen günstigen Eindrücke erhalten hätte, die ich
auf
noch vor L.
7
Antwort auf meinen Brief empfieng – und die Hauptsache immer für mich
8
wichtiger durch die Entwickelung wurde, um die hier in der ersten Hitze begangene
9
Unbesonnenheiten gegen meine innigste Freunde zu verbeßern.
10
Mein seel. Freund Kreutzfeld machte mir noch einige Vorwürfe über mein
11
Mistrauen, das ich selbst in meine Freunde setzte. Es schien mir
überflüßig
,
12
mich dagegen zu rechtfertigen, oder unzeitig von seiner u meiner Seite. Bey
13
meinem Hange zur Offenherzigkeit hat die Natur für ein
Gegengewicht
14
gesorgt, und ich halte selbst mit meinem Mistrauen niemals hinter dem Berge.
15
Von der Hypochondrie möchte es überhaupt wohl heißen: Diese Krankheit ist
16
nicht zum Tode, sondern gereicht eben so oft zur Ehre Gottes, als Schande der
17
Aertzte – ist bisweilen ein
nisus
des sichtbaren Principals zur Herzenserleichterung
18
von einer unsichtbaren Leidenschaft, die ihre stoltzen Wellen vor dem Sand
19
des Ufers auf ein: Bis hieher! legen muß.
20
Den 3 März auf dem Bette.
21
Noch wollte ich den Lieblingsspruch des blinden Tiresias hinzufügen:
O
22
Laërtiade
quidquid dicam aut erit aut non
ich muste mich aber Knall und Fall
23
in mein Lager verkriechen vor fieberhaften Krämpfen und einer Art von Colik, –
24
dergl ich als ein Kind
gehabt
aber seitdem fast gantz verschont geblieben. – Ich
25
hatte schon den ganzen Sommer einen mir gantz unnatürlichen Uebergang zu
26
Verstopfungen gemerkt – denn mein Leib ist so willig, daß er sich weder bitten
27
noch halten läßt – dabey habe seit langer Zeit den gewöhnl. Gebrauch meiner
28
Pillen bey Seite gesetzt. Hier währt neuer Schnee und neue Kälte, die auch auf
29
meine Eingeweide gewürkt. Der Prinzipal meiner unsichtbaren Hälfte hatte
30
nicht Unrecht ihr die
Mitfasten
ein wenig eindrücklich zu machen. Nach einem
31
peinl. Abend und durchgewachten u gewimmerten Nacht verschlief ich beynahe
32
den ganzen ersten März – Ich wollte gestern den Brief zu Ende schreiben, hofte
33
aber noch heute auf einen neuen Brief von unserm Jacobi, der mir den 1 Febr.
34
die nächste Woche wider zu schreiben versprach, wo ihm vielleicht der Ihrige im
35
Weg gekommen. Ich glaube daß mein letzter Brief schon das meiste von dem
36
jetzigen
anticip
irt.
Die gantze Verlegenheit
, welche ich ihm entdeckt,
S. 386
bestand in meiner mehr als hypochondrischen Furcht vor
Schulden
– die mir ein
2
Gräuel sind, und vor der noch größern
Ungerechtigkeit
mich an dem Rest
3
meines Vermögens zu vergreifen u dadurch die Mutter meiner 4 Kinder in Noth
4
u Kummer u Abhängigkeit p zurück zu laßen. Mein Testament, das ich vor 2
5
Jahren machte unter Entschließungen, mehr der Verzweifelung als der
6
Ueberlegung, war im Grunde die gröste und ernsthafteste
Gewißens
- und
Ehren-
7
Sache
für mich. Ich würde keine ruhige Minute des Lebens mehr gehabt und
8
mich zu Tode gegrämt, geärgert oder geqvält haben, um nur der Mutter meiner
9
Kinder, die selbst das
Legat
meines seel. Vaters anvertraut, im eigentlichen
10
Verstande gerecht zu werden. Bey ihrem ländlichen Geschmack an häuslicher
11
Ämsigkeit, unüberwindlicher Eingezogenheit und Mäßigkeit war der damalige
12
und gegenwärtige Betrag meines verwahrloseten Vermögens völlig
13
hinreichend, das wahre bescheidene Theil, welches sie nöthig hatte um ihrer alten Tage
14
nach einem so langen Sclavendienst mit Gemächlichkeit und Anstand genießen
15
zu können. Meine Kinder sollen mir schlechterdings nichts als einen ehrlichen
16
Namen zu verdanken haben, und wie ihr Leben auch den kleinen Rest von dem
17
Seegen meiner frommen Eltern und unglücklich gewesenen Bruders nicht
18
anders aus der
Hand ihrer Mutter
– und hierinn handle ich nach der
19
Einförmigkeit, Gemächlichkeit und Eigensinn eines alten Mannes. Kein
äußerliche
20
Name oder Wort ist der Schlüßel eines inneren Verhältnißes – und ich glaube,
21
daß diese Individualität unserer Gesinnungen und Nuanzen darinnen auch nach
22
der Probe der Evidenz für uns selbst ein Rätzel bleiben wird, geschweige für
23
Fremde – oder Andere. Zu jener Probe der Evidenz ist die Hypothese, die
24
Freundschaft selbst als ein Organ der Versuchung ist mir auch nützlich gewesen, ohne
25
daran erstickt zu seyn.
26
Wie mich hungert und dürstet nach Ihrer Hauptantwort – die ich doch lieber
27
spät als verstümmelt, lieber gantz als abgebrochen lesen möchte. Gott schenke
28
Ihnen nur Gesundheit zum letzten
Vielleicht
Ihres
Briefes
mein
29
auserwählter, mein ge
sch
wünschter Sohn zu erfüllen. Vielleicht haben auch die
30
öffentl.
Coniunc
turen auf unsere kleine Angelegenheiten einen guten Einfluß –
31
vielleicht Sie zurückbegleiten –
32
Ich kann nicht mehr – Als Hypochondrist kennen Sie die Plagegeister
33
verschloßener und verirrter – Mein seel. Vater glaubte als ein alter Stahlianer an
34
die Hämorrhoiden ohne sie zu erleben. Einen so anhaltenden Kreuzschmerz habe
35
noch
nicht erlebt – wohl Stiche von einigen
Augenblicken
36
Sorgen Sie weder für mich noch sich.
Res integra est.
Die Weisheit lehrt ihre
37
Jünger Feinde lieben und den edelsten Theil unserer Selbst, Freunde haßen und
S. 387
verleugnen. Schlaf ist der beste
modus existendi
für
mich –
damit habe ich diesen
2
martialischen Monath angefangen und wünsche ihn auch damit zu beschließen,
3
wie Ihnen alles Gute, was ein Vaterherz seinem
Τιμοθεῳ γνησιῳ τεκνῳ εν
4
πιστει
erbitten und erflehen kann – Amen.
Joh. Georg H.
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Lessing-Sammlung Nr. 1841 e.
Bisherige Drucke
Ludwig Schmitz-Kallenberg (Hg.): Aus dem Briefwechsel des Magus im Norden. Johann Georg Hamann an Franz Kaspar Bucholtz 1784–1788. Münster 1917, 38–47.
ZH V 381–387, Nr. 815.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
|
381/16 |
Generalibus |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Generalibus . |
|
381/26 |
Leidenschaften ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Leidenschaft |
|
381/36 |
erhalte, ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: erhalte |
|
382/2 |
marchirt |
Geändert nach der Handschrift; ZH: marchirt, |
|
382/5 |
gehöre ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: gehöre. |
|
383/12 |
zurück, ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: zurück |
|
383/34 |
hielte ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: hielte, |
|
384/12 |
bureaux ) . |
Geändert nach der Handschrift; ZH: bureaux ). |
|
385/22 |
Laërtiade ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Laertiade |
|
385/24 |
gehabt ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: gehabt, |
|
386/6 |
Ehren- |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Ehren |
|
386/28 |
Briefes ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Briefes, |
|
386/35 |
noch ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: ich noch |
|
386/35 |
Augenblicken ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Augenblicken. |
|
387/1 |
mich – ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: mich, |