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Kgsberg den 22 Apr. 85.

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Ihre geneigte Zuschrift vom 11 habe nebst den Büchern erst gestern erhalten,

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und muß abermals bitten mit einer tumultuarischen Antwort für lieb zu

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nehmen. Sie erhalten höchstzuEhrender Herr und Freund, den 2ten und 3ten Theil

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von Necker, weil ich im Anfang des 2ten Theils unterbrochen, auch durch die

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Schwierigkeiten der Materie abgehalten werde, mitten unter so viel zufälligen

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Zerstreuungen fortzufahren. Kraus besuchte mich noch denselben Sontag, wie

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ich mich seiner in meinem letzten
Billet
erinnerte. Nach seiner Instruction kann

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er kein Buch, das über 15 rth kostet, ohne ausdrückl. Anfrage und Erlaubnis

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anschaffen. 2. vermuthet er nicht ohne Grund diese Pasquille in des seel. Lausons

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Bibliothek. Ich habe mich der Gelegenheit zu Nutze gemacht das Buch selbst zu

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lesen, halte aber alle Versuche deshalb für fruchtlos – Habe ihn seit der Zeit

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nicht wider gesehen, werde ihn auch außer ausdrücklichen Anlaß nicht besuchen.

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Habe am vorigen Bußtage meinen Kirchengang gehalten und den ersten Besuch

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in der Stadt bey HE Kr. R. Hippel abgelegt und bey HE Pr. Kant. Beim ersten

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mein Gelübde wie St. Johannes weder zu eßen noch zu trinken, leider! weidlich

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gebrochen und vom letzten – wo nicht ohne alle mein Verdienst und Würdigkeit,

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doch wider und über alle Erwartung – mit einem noch für kein Geld feilem

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Exemplar seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, beehrt und erfreut worden.

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Die 3 Briefe von meinem Hill lege versprochenermaaßen bey mit Beyl. und

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Mängeln, die den Mantel der christl. Liebe nöthig haben.

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Unser alte Freund Hintz ist von Hasenpoth nach Pernau als dasiger

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Stadtsekretair in Begleitung einer künftigen Hälfte abgegangen, und im Begriff also

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einmal ein ganzer Mann zu werden. Ihren Namen hab ich vergeßen, Sie

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werden daher nicht seine ehemalige Reisegefährtin vermuthen.

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HE Nicolai hat mir gestern die Ankunft seines 5ten u 6 Theils angemeldt und

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die Vorauszahlung auf noch 2 folgende. Mach End o Herr mach Ende, könnte

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man auch hier mit der alten christl. Kirche singen – denn ich zweifele daß das

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Lied ins neue Gesangbuch aufgenommen seyn wird.

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Es hätte mir wirklich um die Osterfladen leid gethan, oder vielmehr um Ihren

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gutwilligen
Magen, wenn Sie ohne Ihren Assistenzrath die Gebühren der

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heil. Policey hätten übernehmen müßen. Die Diät eines faulen Magenfiebers –

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wofür Sie der Himmel bewahren wolle! –
erfordert
verträgt sich mit keinem

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Süßteige, sondern erfordert alles, was dem Sauerteige ähnlicher ist, und ich bin

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vom Sauerkraut zum Sauerbraten seit dem letzten Bußtage avancirt.

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Von Brenckenhoff hat mir HE Mayr ein ähnliches
Praeservativ
gegen die

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Meisnersche Skizze bereits eingegeben – auch ein Ideal seiner gelehrten Hand

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und Unterschrift, welche sein Biograph hat wollen in Kupfer stechen laßen, aber

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es bey dem
guten Willen
hat bewenden laßen – wie der
gute Wille
der

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Schriftsteller oft vereitelt wird! – Zum ewigen Andenken auf einem Herderschen

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Briefe vor- und nach gemahlt.

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Den letzten März wurde von HE Stadtrath überrascht, der so gütig war

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selbst Ihren letzten Auftrag an Biester zu erläutern. Den 4 d. ließ er mir seiner

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Zusage gemäß die geschehene Wahl melden, und ohngeachtet mein Sohn einen

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Tag früher ankam und ich eben kein rechtes Vertrauen zur Sache hatte, die der

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Abrede gemäß durch unseren guten K. der sich durch seine Beyträge zur

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Monatsschrift um B. verdient gemacht, bezog ich mich auf deßen Brief in der

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Voraussetzung, daß er wirklich von HE Stadtrath deshalb ersucht worden. Ich habe

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noch keine Gelegenheit gehabt mich deshalb zu erkundigen, und erwarte von

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ihnen deshalb Auskunft, weil mein Brief ohne diese Voraussetzung ein wenig

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rätzelhaft ihm vorkommen muß, aber in Vergleichung desjenigen was ich vor

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Jahr und Tag auch länger schon geschrieben, sehr leicht zu entziffern war. Denn

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bey aller meiner Hypochondrie habe ich wirklich meine ziemliche
Dosin
von

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Etourderie,
die ich aber wie ein herrisches Mittel blos auf den Nothfall zu Rath

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halte. Die Anfrage, was mir vom 2 Jahrgang fehlt, hab ich gar nicht

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beantwortet. Kraus u. Kant erhalten – ohne ihm dafür zu danken, vielleicht weil es

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ihnen am Anfange, wie mir an der Fortsetzung fehlt.

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Mein Freund in Düßeldorf hat den ganzen Vorfall mit der Fürstin mir ins

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reine und klare gebracht, daß die ganze Sache für mich abgemacht ist. Aber in

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der großen Begebenheit bin ich noch völlig im dunkeln und nicht einen Schritt

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weiter. An Briefen fehlt es gar nicht, nichts als Episoden, die meine Neugierde

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und Bewunderung und Neigung meiner ganzen Seele aufs höchste treiben. –

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Alles komt auf einen
Hauptbrief
an, von deßen Fortgang er fast in jeder

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Zuschrift Meldung thut. Er thut eine Reise gegenwärtig, wenn Witterung und

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Weg nicht selbige verzögert – und diese wird entscheiden, ob er hieher komt, oder

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ich den 1 Jul. zu Frankfurt an der Oder seyn soll, wie Sie leicht erachten können

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– zur Gesellschaft und Bedienung für einen alten unbeholfenen Mann – in

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Begleitung eines jungen Fuchses, der so viel Löcher hat, daß er um 5 Uhr

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aufsteht mehrentheils vor meinem Aufstehen ausgeht, bloß Mittag hält und sich

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gleich wider bis 7 Uhr Abends unsichtbar macht, dann schläfrig und müde zu

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Bette eilt. Wir haben Macbeth angefangen, und sein Engl. ist durch HE Scheller

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erhalten – den Dechant von Killerine versteht er und liest das Stottern

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ausgenommen, erträgl. ohne es die ganze Zeit über getrieben noch einen Anfang von

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einiger Bedeutung hier gemacht zu haben unter einem Vagabond, der sich für

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einen Professor Toupet aus Warschau ausgab.

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Wegen der Reise im Kopf und
in spe
seh ich dies Sommer
semestre
für verloren an,

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und will ihn seinem eigenen Hange überlaßen, um selbigen beobachten zu können.

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Unser gute Mayr hat gestern Vorlesungen über Karstens Mathematik mit ihm

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angefangen und er soll einen guten Vortrag haben – philosophirt auch ein wenig

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über die Metaphysik
à la Malebranche
mit ihm, das auch nicht schaden kann. –

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Nun muß ich aufhören um in meine Loge zu gehen. Bitte mich der Frau

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Kriegsräthin ergebenst zu empfehlen und bin mit Haut und H
off
aar d. i. gantz

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mit
Vapeurs
und
Etourderies

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Ihr     

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treuer Vasall und Diener

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Joh Ge Hamann. 


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Mein freundl. Willkom an Ihren gewesenen Nachbar – und gute Bothschaft

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von seinem Nachfolger, weil ich unmögl. selbst nach dem Friedl. Thor gehen

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kann, bitte diese Unterlaßungssünde durch einen Wink – ob K geschrieben, zu

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ersetzen. Ihn selbst darüber zu fragen oder unsern Freund, scheint mir eine

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entbehrl
.
Etourderie
zu seyn, die zu keinem Frommen dient, und reine Neugierde

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die wohl ein wenig
warten
kann. Nochmals Gott empfohlen!

Provenienz

Druck ZH vmtl. nach einer nicht mehr überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas oder einem Typoskript Walther Ziesemers. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Preußisches Staatsarchiv Königsberg, Nachlass Johann George Scheffner.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 243–245.

ZH V 421–423, Nr. 829.