830
423/28
Sonnabend vor Cantate.
29
Vermerk von Hamann:
30
den 23
Apr.
Georg
.
85 Erhalten den 14 May Pfingst heil. Abend
31
Geantw. den 9
Julii Dom VII. p Tr.
32
Hier komme ich am Geburtstage meines Louischen, die eben mit blauen
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Bändern geschmückt sich im Kreise ihrer Brüder behrdet, Ihnen
auch
liebster
34
Hamann;
ein (wenigstens unerwartetes) Geschenk zu bringen, ein richtiges
S. 424
Geschenk von Blumen u. vielleicht verwelkten Blättern. Wenn was Uebles daran
2
ist, so habe ich mit meiner Hausfrauen, die ich diesmal in die Gestalt einer, wie
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sie sagt viel zu gescheuten, Theano maskirt habe, den Haus- u. Ehecontract
4
gemacht, daß sie alle
δυς
- und
ευφημια
an meiner statt übernehme, weil ich von
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diesem gedruckten Blumenbeet oder von der Kürbishütte meines Vorfahren
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Jonas Trotz ihrer breiten Blätter keine fernere Notiz nehme. Das
punctum
7
saliens
der Sammlung, das aber wie die Großmutter Natur bei ihren
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Organisationen es macht, weise versteckt ist, war nichts anders, als einen Beitrag zur
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Reise nach dem Karlsbade zu haben, folglich ein Allmosen zur Gesundheit,
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folglich ein hochnothwendiges gutes Werk,
das
ja auch vom Tod errettet u. eine
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Menge der Sünden zudeckt, folgl. folgl. Suppliren Sie weiter, lieber alter
12
Gevatter, der auch
i
m
n
dem engen Schuh gesteckt hat, diese Shakespearschen
ergels
u.
13
laßen Sie ein barmherziges Gericht über den Gen. Super.
u.
Ob. Cons. Rath
14
ergehen, der aus Barmherzigkeit einige Griechische Jugendblumen zu Markt
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bringt. Was ich im Gespräch der Antichambre des Buchs darüber gesagt habe,
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ist Wahrheit. In Riga war das erste Buch, das dem zeitigen oder unzeitigen
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Bibliothekar in die Hand fiel, die Anthologie u. Athenäus, die er beide noch
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nicht kannte: beide kamen ihm in Holland u. Bückeburg wieder in die Hände u.
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so lag das Häufchen oder die Sträuschen lagen da u. weil sie hie u. da dem,
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der sie
roch,
wohlgefielen: so wurden sie aus dem
pot-pourri
meiner Papiere
21
errettet u. das erste Stück
dies
meiner
aeskulapischen
Sammlung. Die
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Fortsetzung soll nach dem weisen Sprüchwort: wer A. gesagt hat, muß p folgen,
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in der einige Griechische Fabeln pp sind, die noch in keiner der gewöhnl.
24
Sammlungen
paradieren
u.
der
eine sehr kurze Theorie des gr. Epigramms, dem
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Leßing nicht gnug Gerechtigkeit wiederfahren laßen,
der
weil er sich in seinen
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Martial, wie mich dünkt, zu sehr verliebt hat, diesen Blumenkram schließen.
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Vielleicht ists bei mir eben
die
auch Einseitigkeit des Geschmacks, daß ich die
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Spitzen des Martialischen Sinn- u. Windgedichts nie habe lieben können u.
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mich an einer simpeln Viole oder Rose im Griech. Geschmack immer mehr
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erquickte. Wenigstens heben sich sodann 2. Einseitigkeiten auf u. geben für das
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liebe Publicum ohne Augen u. Ohren die Büste eines Janus, die
sie
es von
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selbstbeliebiger Seite betrachten kann. Das Göttergespräch u. die meisten
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Paramythien wurden vor 2. 3. Jahren für ein sogenanntes Tiefurter Journal
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aufgesetzt, daran die Herzogin Mutter Freude fand u. das für 6. 7. Personen
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abgeschrieben wurde. Es hat sein seliges Ende erreicht u. so konnte ich auch diese
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Spielwerke zum Besten geben. Die Gespr. der Seelenwandr. u. den Hemsterh.
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Nachtrag habe ich
in der Sprache der
von Sprachfehlern sowohl als von denen
S. 425
gegen Schloßer anfangs gerichteten Pfeilen zu reinigen
gesucht
u. also
2
wenigstens abermals eine geschehene Sünde durch die Wiederholung des
actus illiciti
3
gutzumachen gesucht. Nun richten Sie, lieber Cadi oder Baßa mit 3. Federn.
4
In meinem 41. Jahr lern ichs endlich sehen u. greifen, daß ich kein ehrliches
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Deutsch schreiben kann, wenigstens bisher nicht geschrieben habe u. so will ich
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wenigstens,
den Rest meiner Schreibstunden dazu anwenden, daß ich die alten
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verwachsnen Kinder meiner Muse, die eigentl.
etourderie
heißt, durch Fischbein
8
u. Schnürleiber curire.
Gnug
lieber
Hamann;
setzen Sie sich bei dem Büchlein in
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verlebte Jugendzeiten, in denen Sie mich ja auch am Ufer des Baltischen
Meers
10
kannten u. nehmen
die
mit den
triffles of the youth
wie mit Gänseblümchen
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einer nordischen Wiese vorlieb. Seit diese alte Zeit vorbei ist, klettern wir nicht so wohl
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nach Früchten in die Höhe sondern wühlen oft gnug die Erde um, nach Pastoral-
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u.
Consistorial-Kartoffeln
. Ich weiß, daß Sie unsrer Gesundheitsreise ein gutes
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Epigramm auf der Säule Ihrer Brust stellen u. damit sind wir zufrieden, ohne
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weiter im Reich der schönen Literatur glänzen zu wollen – also
satis superque.
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Mit dem Druck meiner Ideen wills nicht fort: bald fehlte Papier bald starb
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ein Setzer, der wahrscheinl. noch lebt; also werden sie auf Johann fertig – der
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2t. Theil nämlich u. mit dem 3ten werde ich schließen. Ueber den
höch
s
ten
Berg
19
sind wir also Gottlob! herüber. Einige Stücke dieses Theils haben mir
20
entsetzliche Mühe gekostet, ohne daß sie mich noch befriedigen; insonderheit das
caput
21
mortuum
der Regierung, an dem doch die ganze leidige Geschichte, wie sie der
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HE. Immanuel u. das Publicum,
das
der Universalgeschichte
liest
will,
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hänget. Den 2ten Aufsatz drüber, nachdem ich den ersten selbst
ad carceres
24
verdammet, gab ich unserm Freund Göthe zur Ministerial-Censur u. er brachte ihn
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mir mit der tröstl. Nachricht wieder, daß fügl. kein Wort davon stehen bleiben
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könnte. Der 3te Aufsatz ist nicht beßer gerathen u. so hoffe ich noch auf eine gute
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Pfingst
auram,
wenn meine
KirchRechnungen
zu Ende sind, um diesen
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Gordischen Knoten säuberlicher zu behandeln. So gehts, wenn verdorbne politische
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Säfte im Magen sind;
die
repraesentatio mundi pro positu corporis nostri
ist
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eine wahre Lehre. In tiefster Autor-Demuth, (denn der Theil, auf den das
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meiste vorgearbeitet war, ist vor großem Ueberfluß aufs dürftigste gerathen)
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bin ich auf Ihr Urtheil oder vielmehr auf den
sensum internum
Ihres Herzens
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übers 9. u. 10. Buch sehr begierig. Jetzt schwitze u. buchstabire ich am Styl, wie
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ein armer Sünder.
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Also ist unsre Zusammenkunft, lieber alter Mitgenoße meiner Wallfahrt,
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noch in so weitem Felde? So lieb es mir für diese ersten Wochen ist: so unlieb
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wäre mirs für das Weitere; ich muß Ihnen aber sagen, daß ich in meiner
S. 426
Hoffnung nichts weniger als laß werde. Die Umstände der Vorsehung haben sich gar
2
zu sonderbar geknüpfet, daß sie uns nicht auch diese
coronam
unsers Lebens
3
flechten wollte u. sie wirds gewiß zur besten Zeit thun. Von Jacobi habe ich in
4
langer Zeit keinen
Br.;
er hat aber vorigen Montag an Göthe u. seine Schwester
5
an meine Frau geschrieben, daß er gesund
ist
sei u. über Spinotza brüte.
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Mendelssohn regt ihn, wie er schreibt, dazu fleißig auf u. es scheint, dieser will
7
damit nur veranlaßt seyn, daß er ein
en
Anti-spinoza
schreibe
werde. Für
8
mich ist diese Disceptation Waßer auf die Mühle ob ich gleich alle Metaphys.
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von Tag zu Tag mehr haßen lerne, weil sie das Buch der Natur versiegelt läßt
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oder gar selbst zuschließt u. ihre Caractere auf die äußre Rinde mahlet. Für
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Jac. ists gut, daß er etwas zu thun bekommt; sonst aber ist mit Mendels. nicht
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zu disputiren. In seinen Worterklärungen liegt alles schon fertig, was er
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braucht – – Der junge Spalding ist vor ein paar Wochen hier durchgegangen u.
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hat mir einen Br. von seinem Vater gebracht, darinn er mir ihn empfohlen.
15
Mich freuete dieser Brief sehr, weil wie Sie
wißen
, eine
ich vor jenen 10. Jahren mit
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dem Alten in einen Handel kam, der damit endigte, daß ich ihm meine Br.
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abfoderte u. die seinen zurücksandte. Der junge Mensch war so liebenswürdig,
18
gutherzig u. wirklich gelehrt, daß ich ihm mit Freuden alle Höflichkeiten erwies,
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die ich ihm erweisen konnte; u. so freue ich
mich
daß auch
die
Spitze verwetzt
20
ist. Ich habe im Sohn den Vater studirt u. gesehen, daß gutherzige
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Furchtsamkeit gerade das seyn möge, was ich für ganz etwas anders aufnahm, darüber
22
aber kein Richter hätte seyn dörfen. Wir fehlen alle mannigfaltig, sagt die
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Kirchensäule zu Jerusalem; wir armen Bruchstücke stecken im Winkel der Kirche
24
eines Landkirchhofs u. da sollten wir uns einander stecken laßen, wo jedes steckt.
25
Alles was nur von weitem an
KirchenOrdnung
u. Litürgie grenzt, ist mir im
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Thüringerlande so verhaßt oder gleichgültig geworden, daß ich nichts wünsche,
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als daß Luther aufleben u. den Unrath auf seinem Grabe sehen möge. Als ich
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die Epigramme zusammenlas u. ein paar Tage auch im
furore
war, dergleichen
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zu machen, fiel mir der schwarze Luther von Kranach auf, wie er krank u.
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grämlich vom Streit gegen Herzog Georg 1528. gemahlt in meinem Zimmer hängt
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u. ich beehrte ihn mit diesem Epigramm:
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Guter, schwarzer Mönch, mit starkem Arme begannst du
33
abzukehren den Staub, der die Altäre verbarg;
34
Aber schnell entrißen dir andre das säubernde Werkzeug,
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lasen vom Staube das Gold, hingen den Besen sich auf:
36
Und nun steht der entgüldete Altar in ärgerem Staube
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ohne Säuberung; – Gold können sie fegen nicht mehr.
S. 427
Da haben Sie zu den Griechischen eine Thüringsche Superintendenten Blume.
2
Und nun, da das Papier zu Ende läuft, Gott empfohlen! Meine Frau grüßt
3
s
Sie
herzl. u. wünscht Ihrer Tochter so viel Glück zu
ihrer
, als ich Ihrem Sohn,
4
der auch mir einmal geschenkt ist, zu
seiner
Akademie wünsche. Wir aber lieber
5
H., wollen
unsre
Akademische Lection auch nicht versäumen, uns nicht zu
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grämen weder um die Administration des Mammons noch um seinen Erwerb.
7
Der’s besorgte, wird es fernerhin versorgen. Vorigen Sonnt. war das Evangel.
8
des Sonntags meiner Heirath, den 2. Mai wird der Tag seyn. Gebe Gott
9
Ihnen u.
mir
uns
alles, was uns
Gott
gut ist u. er hat uns so viel, viel gegeben!
10
Wenn
Oursimus
kommt, soll er nach bester Art ohne Kunst empfangen werden.
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Leben Sie wohl, Lieber mit Ihrem ganzen, ganzen Hause.
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Ich sehe, daß ich einige Punkte Ihres letzten Briefes,
auch
für den wir
13
Ihnen Beide nochmals danken, besonders zu beantworten habe, auch die
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Fragen aus der Büttn. Bibl. also
à revoir. Vale, vale.
15
Nach Leßings Evangelisten bin ich sehr begierig.
Dem Brief lag ein Zettel bei, Arthur Warda zufolge anscheinend von Christian Jakob Kraus, dessen Inhalt sich auf Hamanns Anfrage an Herder vom 6 Februar 1785 bezieht (vgl. HKB 806 [V 353/9–10]. – ZH druckt den Zettel ohne weitere Angaben in den letzten drei Zeilen des Briefes):
427/16
Halhed’s
hindostanische Grammatik, zu
Calcutta
gedruckt, soll das
17
vollständigste Werk seiner Art seyn, und besonders in der Einleitung viele neue
18
sowol als merkwürdige Thatsachen und philosophische Bemerkungen enthalten.
Provenienz
Krakau, Jagiellonenbibliothek, Slg. Autographa der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin (ehemalige Berliner Signatur: Acc. ms. 1886. 53, Nr. 31).
Bisherige Drucke
Herders Briefe an Joh. Georg Hamann. Im Originaltext hg. von Otto Hoffmann. Berlin 1889, 213–216.
ZH V 423–427, Nr. 830.
Zusätze fremder Hand
|
/ |
Christian Jakob Kraus |
|
423/30 –31
|
Johann Georg Hamann |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
|
423/30 |
Georg . |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Georg |
|
423/33 |
auch ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: auch, |
|
423/34 |
Hamann; ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Hamann, |
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424/10 |
das ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: das |
|
424/12 |
i m n ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: in |
|
424/13 |
u. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: und |
|
424/20 |
roch, ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: roch |
|
424/24 |
paradieren ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: paradieren, |
|
425/6 |
wenigstens, ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: wenigstens |
|
425/8 |
Gnug ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Gnug, |
|
425/8 |
Hamann; ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Hamann, |
|
425/9 |
Meers ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Meeres |
|
425/13 |
Consistorial-Kartoffeln […] Consistorial-Kartoffeln] |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Consistorial Kartoffeln |
|
425/18 |
höch s ten ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: höchsten |
|
425/27 |
KirchRechnungen ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Kirch Rechnungen |
|
425/29 |
die ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: die |
|
426/4 |
Br.; ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Br., |
|
426/7 |
Anti-spinoza ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Antispinoza |
|
426/15 |
wißen , eine |
Geändert nach der Handschrift; ZH: wißen |
|
426/19 |
mich ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: mich, |
|
426/25 |
KirchenOrdnung ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Kirchen Ordnung |
|
427/3 |
s Sie ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Sie |
|
427/9 |
mir uns ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: uns |
|
427/10 |
Oursimus ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Ursinus |