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Kgsb den 12 May 85.

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Vergeben Sie, höchstzuEhrender Freund, daß ich so spät antworte und so

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wenig von meinen alten Versprechungen und Schulden abtragen kann. Die

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kalte Witterung hat auf meine ganze animalische Oekonomie so viel Einfluß,

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daß ich zu allem unfähig bin, und mein Gemüth ist so wund – und unruhig,

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mein Kopf so wüste –

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Ich bin erst gestern mit Necker fertig geworden. Das Ende übertrift beynahe

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den Anfang. Ich habe mich an dem kleinen Kapitel über den
Esprit de Systeme

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nicht satt lesen können. Wie gern wünscht ich seinen
Geist
ausziehen und ins

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deutsche concentriren zu können zu einem politischen
Manuel
oder

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Handbüchlein. Daß Raynal an diesem Werk Antheil haben soll, ist mir sehr

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unwahrscheinlich. Wenigstens hat Neckers Philosophie und Politik ein gantz ander

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Gepräge und ist von gantz anderm Schroot und Korn.

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Jemand, der es wißen kann, versicherte daß HE Pr Kant Ihnen auch ein

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Exemplar seiner Grundlegung verehrt: sonst hätte ich meines schon zum

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Durchlesen mitgetheilt, welches ich beylege, ohngeachtet ich es zum zweiten mal wider

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vornehmen wollte.

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Reine Vernunft
und
guter Wille
sind noch immer Wörter für mich,

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deren Begriff ich mit meinen Sinnen zu erreichen nicht im stande bin, und für

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die Philosophie habe ich keine
fidem implicitam.
Ich muß allso mit Gedult die

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Offenbarung dieser Geheimniße abwarten.

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Den deutschen Hemsterhuis lege Ihnen bey, weil das letzte Gespräch Simon

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noch nicht in der Grundsprache erschienen – und es ein Vergnügen ist das

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Wachstum dieses Schriftstellers in der platonischen Gabe zu dialogiren zu

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beobachten.

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Wie gern hätte ich die
Oeuvres de Valentin Jameray Duval
beygelegt –

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Ich habe nur den 1 Theil auf ein paar Tage bekomen ohn den zweiten noch

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gesehen zu haben. Vielleicht bringt Hartknoch ein Exemplar u die Fortsetzung

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mit. – Aus Weimar vermuthe ich auch mit der ersten Post ein Päckchen.

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Ich weiß nicht, HochzuEhrender Freund, ob ich Ihnen gemeldet, auch aus

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Düßeldorf des
Spinozae Principia Philosophiae Cartesii
erhalten zu haben,

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an denen mir so viel gelegen war, daß Sie nach Danzig deshalb eventuelle

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Aufträge geben wollten, die jetzt nicht mehr nöthig sind.

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Ich habe die Uebersetzung des Machiavells auf so gute Bedingungen

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erhalten, daß ich sie gleich zum Buchbinder gegeben, um selbige bey der ersten Muße

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mit dem Original vergleichen zu können, das ich kaum mehr allein zu lesen im

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stande seyn werde – und dergl. Vergleichungen sind eine meiner liebsten

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Beschäftigungen, wobey man in zwey Sprachen lernen kann –

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Unser Reichard ist den 22 Apr. in Berlin gewesen um seine Frau abzuholen

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und seinen Urlaub bis zum Novbr. zu verlängern. Er scheint auf gutem Wege

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zu seyn, das Ziel seiner Reise zu erreichen, zu dem ich hier alle mögl.

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Empfehlungen
von hier
auftreiben muste, welche er kaum dort brauchen wird.

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HE. Nicolai bittet noch um 5 fl. 3 gl. zu seinem Zarm 4 : 15 als

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Praenumeration
und 18 gl. für Fracht
etc.
der beyliegenden 2 Theile. Mir ist am Ende

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seiner Wallfahrt desto mehr gelegen, weil ich nicht eher die Beschreibung davon

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zu lesen mir vorgenommen habe.

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Von Engels Mimik ist wider mein Vermuthen der 2te Theil auch schon

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heraus – nur Garve hat eines
Macfarlan’s
Werk über die Armuth, Ursachen und

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Hülfsmittel mit Anmerkungen, Erläuterungen u einem Anhange übersetzt.

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Adelung hat 2 Theile über den deutschen Styl herausgegeben.

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Ohngeachtet der liebe Ernst einen
Keuch
argen Husten hat, wird er die

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Feyerwoche in Grav. zubringen und mein Johan Michel ihn vermuthl.

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begleiten müßen, der alle Morgen um 6 ausgeht, Mittags erscheint, gegen 2 bis 7

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Uhr des Abends mit oder bey Raphael ist, und dann müde nach Hause komt,

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daß selten weder Abends noch Mittags ein Viertelstündchen zum Fr. u Engl.

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übrig bleibt.

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Ernst und Raphael hören mit meinem Sohn gemeinschaftl. bey Pr. Kant die

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physische Geographie
u.
Logik
– Michel noch obenein die Physik über

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Karstens für Aertzte
. Alle 3 bey Reusch die
Experimentalphysik
. Ernst

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und Raphael noch die Mathematik bey Hofprediger Schultz; HE. Mayr ist

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dafür so gut diese Stunde zu ersetzen. Endl. hört noch mein Sohn alle Mitwoche

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u Sonnabend 1½ Stunden bey Hofr. Metzger über Selle Einl. in das

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Studium der Natur- und Arzneywißenschaft. Seine übrige Zeit vertreibt er sich

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mit Raphael im lateinischen und Gr. und Engl. Ich habe mich aber bisher noch

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gar nicht um ihren Fleiß bekümmern können, noch mögen – und rechne kaum

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auf dies Semester, für meinen Johann Michel wenigstens.

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Seit dem 2 April habe keine Zeile weder aus Münster noch Duderstadt

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erhalten. Die Gräfin Kayserl. hat mich zu sich ruffen laßen – und hat mir viel zu

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sagen, weil sie Briefe erhalten. Ich habe weder Lust Hand noch Fuß zu rühren,

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nicht zum Reisen, nicht zum Schreiben. Claudius wünscht mich im May, Herder

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im August und die Hauptperson des ganzen Spiels hat den 1
Julii
zu unserer

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Zusammenkunft ausgesetzt. Ob und was draus werden wird, weiß ich nicht.

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Wird die Stelle Ihres HE Nachbars durch den Bruder unsers Freundes

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ersetzt werden und die Sache des HE Schellers bald entschieden seyn? Ich erwarte

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letztern nach den Feiertagen bey mir, und hoffe denn von ihm selbst mehr zu

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hören.

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Empfehlen Sie mich der Frau Kriegsräthin, und erinnern Sie sich bey Ihren

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Spatziergängen wie die Egypter bey Ihren Schmausen, einer traurigen Gestalt.

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Mein Sohn wird sich Ihres geneigten Andenkens würdiger zu machen

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suchen, und seine älteste Schwester Lisette Reinette giebt mir eben so viel

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Hoffnung und Freude durch gute Gerüchte, denn ich sehe sie nur alle Monathe

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Einmal, und ein sittsames Mädchen ist mir lieber, als ein lebhaftes zur Tochter.

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Ich bin mit der vollkommensten Ergebenheit Ihr alter Freund und Diener

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Johann Ge. Hamann.


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Adresse mit Siegelrest:

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Des HErrn Kriegsrath Scheffner / Wolgeboren / zu /
Sprintlacken
. /

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Nebst Einem rohen und 2 gehefteten Büchern.

Provenienz

Druck ZH vmtl. nach einer nicht mehr überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas oder einem Typoskript Walther Ziesemers. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Preußisches Staatsarchiv Königsberg, Nachlass Johann George Scheffner.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 247–249.

ZH V 434–436, Nr. 834.