861
36/2
Kgsb den 31
Julii
85.
Dom X p Tr.
3
Herzenslieber Jacobi,
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Bin schon wider da – Ich weiß sehr gut, daß ich, was Ihnen seit den
5
18
Oct. pr.
an
Porto
koste niemals zu ersetzen im stande bin, bitte aber
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wenigstens Einl. auf Rechnung unsers lieben B. zu setzen, von dem ich
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gestern Morgen einen Brief vom 11
ten
huj.
und gegen Abend vom 4
ten
8
erhielte
, weil er wegen meiner geschehenen Abreise unruhig ist und besorgt, daß
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ich mich im heil. römischen deutschen Reich verlieren werde. Ich sehe daraus,
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daß er meine ihm seit dem 22
Junii
gegebenen Nachrichten damals noch
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nicht erhalten, wodurch er aller Unruhe überhoben gewesen wäre.
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So sehr ich von einer Seite das Uebermaas seiner Aufmerksamkeit fühle;
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desto weher thut es mir von der andern, daß er dadurch seiner lieben jungen
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Marianne und einer solchen Stadt wie Paris Augenblicke entzieht, die er
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angenehmer und nützlicher verschwenden könnte, als für meine alte
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Schlafmütze zu
sorgen
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Sie sind doch wohl gesund von Ihrer Reise nach Aachen zurückgekommen.
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Warum haben Sie nicht eine Zeile der Einl. beygelegt? Wie der
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Handlungsbediente des
Herr
Comm.
Raths in meine Loge tratt, hüpfte ich ihm vor
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Freuden entgegen, in
Hofnung
Etwas von Ihnen zu erhalten – Zu noch
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größeren Leidwesen war der Innhalt auch nicht neu für mich – Sind Sie
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unpäßlich oder beschäftigt: so verzeihen Sie meinen unzeitigen Scherz. Ist es
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nichts als eine Autorwolke oder ein kleiner Groll gegen mich: so wünschte den
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Spaß noch weiter treiben zu können.
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Ich war eben mit dem Briefe nach Paris fertig, wie ich einen aus Wien
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von meinem Wanderer
Hill
erhielt vom 20. dieses, worinn er mir
meldt
daß
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er den 25 von dort über Prag u Dresden nach
Weimar
abgegangen
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seyn wird, ohne die neue Freude zu vermuthen die am letzten Ort auf ihn
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wartet.
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Diesen Morgen hatte ich auch einen ähnlich rührenden Besuch von einem
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jungen Menschen, der mit einer sehr artigen Schüchternheit mir zumuthete,
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sein Sprachmeister zu werden. Ich wieß ihn an meinen Sohn und seine
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junge Freunde und Gespielen. Wie ich mich nach seinem Namen erkundigte,
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hatte ich schon viel gutes von ihm gehört durch meinen Johann Michel, der
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seit vorigen Montag aufs Land gereist zu seinen PflegeEltern und erst
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diesen Freytag wider zu Haus kommen wird. Es wird mir also nicht schwer
S. 37
werden ein Freundschaftsband unter diesen sich ein ander aus dem Wege
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gehenden Liebhabern aufzurichten.
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Vorige Woche fiel mir ein Brief von der Gen. Administration in die Hände
4
wo sie den 19
huj.
einem
Cavalier
von guter Familie aber – – der als
Sous-
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Controleur
beym hiesigen Krahn steht, einen Urlaub auf 3 Monathe zu
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einer Reise nach Berlin, ohne die geringste Einwendung, ertheilt. Als
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Officier
wurde er vom Könige auf dem Paradeplatz
cassi
rt, und wenn er seine
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Versorgung wüste, es zum 2ten mal werden. Zu meinem großen Trost und
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Ruhm muß ich es gestehen, daß ich nicht völlig so entbehrlich bin auf meinem
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Posten als dieser begünstigte Liebling der Gen. Adm.
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Audiuere, Lyce, Di mea vota,
DI
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audiuere: fis Anus! –
13
den 1 Aug.
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Wenn Sie wüsten, wie viel kindische Freude mir der kleine Umstand
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gemacht, den ich so zufällig erfuhr, daß B. den Titel eines
Raths
hat: so
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würden Sie meine Bitte mir mehr von seiner äußerl. Lage, seiner und ihrer
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Familie – und ob das Verhältnis der 3 Schwestern einige Beziehung auf
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seine jetzige glückl. Ehe hat, zu melden – nicht übel nehmen, sondern schon
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längst befriedigt haben. Er hat die Barmherzigkeit, sich noch in seinen letzten
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Billets,
eines
Hauptbriefes
zu erinnern, den er mir schon lange
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zugedacht, und auf deßen Ausfertigung ich bey seiner jetzigen Lage nicht
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dringen mag. In Entbehrung des Wesentlichen will ich mich schon vor der Hand
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mit dem, was alle Welt von ihm weiß oder zu wißen glaubt und öffentl.
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spricht begnügen, um wenigstens ein wenig Feilstaub für meine magnetische
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Einbildungskraft zu haben. Lachen Sie über mich, verrathen Sie mich ihm
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auch, wenn ich nur meinen Willen
kriege
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Ich habe ihn nochmals gebeten, sich um mich nicht eher zu bekümmern, bis
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er wieder in Münster seyn wird; denn es ist unverantwortlich in meinen
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Augen, daß ich ihm dort ohne meine Schuld Sorgen und Unruhe mache. Ich
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kann es weder gegen
Marianne
noch
Paris
verantworten. Ist dieser
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Rath nicht der vernünftigste und klügste? Also unterstützen Sie ihn.
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Wenn ich auch nichts thue, weil ich nichts thun kann: so denken Sie nicht
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deshalb, lieber Jacobi, daß ich meine Zeit verschlafen werde.
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Ich würde nichts als Angst auf dem Herzen gehabt haben, wenn ich den
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Buben, die ich für Verräther des Vaterlandes und des Königs ansehe, die
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gröste Wohlthat meines Lebens u Alters zu verdanken gehabt. Dieser Stein
S. 38
wäre für meinen
Au
Magen unverdaulich gewesen. Ich will mich nicht
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aus dem Lande schleichen, oder stehlen – Zu allem andern untüchtig und
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unbrauchbar, soll das
vnum necessarium
mein
vltimum visibile
seyn und
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bleiben.
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Keinen Schritt thue, von dem ich nicht Ihnen und meinen Freunden
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Rechenschaft geben werde, wenn es Zeit seyn wird, und ich damit fertig bin oder
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fertig werden kann.
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Herder, Claudius und ich feyern diesen Monath ihre Geburtstage.
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Schreiben Sie und antworten Sie noch Einmal zu guter Letzt, und wenn Sie mich
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einer Unlauterkeit halb in Verdacht haben: so sagen Sie es mir
explicite
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Ihre Meinung – Wenn meine
Exceptiones
nicht
gültig
sind; so werde
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folgen, wie ein Kind. Ist das Recht aber für mich, fürchte ich kein
Pereat!
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Gott ist ein zu großer und guter
Oekonom
, um das geringste
halb
oder
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vergebens
zu thun für seine arme Geschöpfe und Liebhaber – Wir wollen
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Seine
Nachfolger
seyn. Sein
Styl
, seine
Manier
ist lauter, wie
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durchläutert Silber im erdenen Tiegel bewährt 7 mal.
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Gott seegne Sie und die lieben Ihrigen. Ich ersterbe Ihr alter treuer
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ewiger
19
Freund und Diener J G H.
20
Ich bin 730 d 27
Aug.
geboren – Bitte mir auch zu melden wenn Sie es
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sind – und Ihre lieben Kinder auf einem
Zedel
den ich hinter Ihr Bild
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kleben kann, wie bey Herder u Claudius.
23
Adresse:
24
Des / HErrn Geheimen Raths Jacobi / Wolgeboren / zu /
25
Pempelfort
/ bey
Düsseldorff
Fco
Wesel
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Vermerk von Jacobi:
27
Königsberg den 31.
ten
Julii
1785
28
J. G. Hamann
29
empf den 11.
ten
Aug.
30
beantw. den 13.
ten
Sept.
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 73–76.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 101–104.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 4: 1785. Hg. von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2003, 147–150.
ZH VI 36–38, Nr. 861.
Zusätze fremder Hand
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38/27 –30
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Friedrich Heinrich Jacobi |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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36/8 |
erhielte ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: erhielt |
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36/16 |
sorgen ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: sorgen. |
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36/19 |
Comm. ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Com. |
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36/19 |
Herr ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Herrn |
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36/20 |
Hofnung ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Hofnung, |
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36/26 |
meldt ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: meldt, |
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37/11 |
DI ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Di |
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37/26 |
kriege ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: kriege. |
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38/20 |
Aug. ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Aug |
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38/21 |
Zedel ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Zedel, |
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38/25 |
Fco Wesel |
Hinzugefügt nach der Handschrift. |