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4. Aug.
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Glück auf! lieber alter Freund. Wir sind glücklich u. so ziemlich gesund aus
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dem
Karlsbade
wieder
eingetroffen u. das erste, wornach ich da die Herzungen
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meiner Zurückgebliebnen vorbeiwaren, suchte, war ein Brief von Ihnen.
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Neben an lag unter einem bloßen Einschluß an mich ein Brief an Sie,
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wahrscheinlich
an
von B., den ich also sogleich, da glücklicher Weise heut
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morgen die Post abgeht, mit diesen Zeilen, die ersten die ich in Weimar schreibe,
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begleite. Da so viel Freundeshände u. Hirne sich in das Spiel, Sie nach
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Deutschland zu bringen gemengt haben, so kann es nicht fehlen, daß Einer
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vom andern nichts weiß u. B. Sie schon bei mir vielleicht vermuthet hat.
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Leider aber hat es, wie ich aus Ihrem Briefe sehe, auch hier geheißen:
homo
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proponit,
oder wie jener Junge seine ersten Verse machte:
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U. Kain redete mit seinem Bruder Abel
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Da kam der liebe Gott u. schlug ihm auf den Schnabel. –
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Und mich freuets, daß Sie sich den
Launoi
u.
Grodast
nicht anfechten
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laßen, vielmehr das böse Gericht Koloquinten, wie jene Propheten kinder
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gesund verschluckt haben. Ich bin überzeugt, wenn ein menschlicher Entwurf
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lange kocht, wird er desto genießbarer; vielleicht wäre alles noch roh
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gewesen, wenn Sie sich mit Ihren neuen Freunden dies Jahr schon gesehen
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hätten. Nur mich setze ich mich, mit Ihrer Erlaubniß nicht in diese Zahl: ich will
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keinen neuen blühenden Sproß an Ihnen sehen, der ich Gottlob! auch nicht
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mehr bin, sondern
einen
den alten von der Sonne ausgebrannten Stamm,
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wie mein Herzensfreund Persius die Gedichte des alten Maro nannte. Wir
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kennen uns von alten Zeiten u. haben uns sowohl in drückender Sonnenhitze
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als in der brennenden Winter kälte gekannt; also kommen wir wie 2.
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Schatten jenseit des Styx zusammen;
NB
aber daß der Styx in dieser Welt fließe
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u. wahrscheinlich die Oder oder die Saale sei. Denn ich gebe nichts weniger
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als meine gute Hoffnung auf, zumal sie für dieses Jahr oder diesen Monat
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vereitelt scheinet. Um desto beßer! Da wird, da muß desto eher was daraus
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werden. Es muß sich doch eine Zeit finden, u. eine Person finden, die Sie auf
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Monate wenigstens aus Ihrem Kerker befreie; wir wollen auch daran
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denken. In der Welt habe ich nicht davon gewußt, daß eine Reise aus Ihrem
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Lande so hart hält; im Karlsbade sind ja ganze Trupps Preußen d. i. auch
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Berliner in Diensten gewesen, Ursinus, der Bergrath Rosenstiel, Göcking p.
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Sind Sie allein denn zu den Hütten Kedar u. den Gezelten Masech
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verdammt, ohne einen Hauch andrer Luft zu genießen. Aber gnug! Schreiben
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Sie mir, liebster Alter, was Sie vorzunehmen Willens sind; wenn B. Ihnen
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nochmals ein
rendez vous
giebt, so dächte ich, Sie gingen unmittelbar ins
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Kabinet, ließen die Ursache der Gesundheit u. Consultation mit dem Arzt aus
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u.
foderten
die Reise blos dringender Geschäfte wegen. In unserm
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Jahrhundert respektirt man nichts, als Geschäfte; je weniger sie bedeuten desto
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geehrter sind sie u. mir ist gesagt, daß der alte Landesvater in seinen guten
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Stunden selten was abschlägt, was dieser Art ist. Wenigstens ist Ihnen ein
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refus de main de maitre
glorwürdiger als das
signé Launoi.
Doch über
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das Alles werden Sie selbst am besten walten, u. B. Brief muß den Ausschlag
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geben. Ists nicht heute, wirds morgen seyn! Also höchstens ein Jahr
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gewartet u. wir alle sind ein Jahr reifer!!! Gott helf, Gotthelf! Wir sehen uns
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doch!
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Von Karlsbad u. uns kann ich in dieser Viertelstunde wenig schreiben.
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Gottlob wir sind hier u. leben. Meine Frau ist 14. Tage im Bade krank
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gewesen
u.
; Wind u. Regen haben auch nicht unterlaßen, uns nach Macht
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zu stören. Indeßen bin ich u. wir alle sind froh, daß es so weit gelungen ist;
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die beste Wirkung muß Gott u. die Zeit geben.
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Der 2te Th. der Ideen ist vom Buchdrucker Schlegel an Sie spedirt; durch
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wen? weiß ich in diesem Moment noch nicht; vielleicht ist er schon in Ihren
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Händen. Sobald Sie Ihn gelesen, erfreuen Sie mich mit einem Fetwa
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darüber, ehrwürdiger Mufti;
mir ist durch das Karlsbad, wo ich jeden Tag
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15. warme Becher u. das 5. Wochen lang getrunken, rein abgespült worden.
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Also komme ich vom Lethe her u. erwarte nach allen Stößen im Wagen u.
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allem Gedräng’ im Bade gute neue Mähr eines 2ten Lebens in meinem
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Alter.
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Vom Super. in Mitau weiß ich nichts; die Fr. v. Reck hat einige Worte
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drüber im Karlsb. verlohren, die aber eher zu erkennen gaben, daß irgendwo
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einer aufgerafft sei. Außerdem weiß ich, daß der Herz. mit den Landständen
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der Stelle wegen in Streit ist, da er ein zu derselben Einkünften gehöriges
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Gut eingezogen hat;
u.
also ist wohl am ganzen Gerücht nichts, zumal ich
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die Sprache nicht kann. Mein Plätzchen ist mir zu seiner Zeit bestimmt,
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wenn nicht anderswo so im Grabe.
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Leben Sie wohl, armer gebundner Prometheus; meine arbeitselige
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Mitgefährtin, die in der Natur etwas anders ist, als der blaue Dunst einer
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Theano (den ich dem Publikum vorgemacht habe) grüßt Sie schwesterl. u.
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herzl. Meine Kleinen u. Großen sämtl. u. sonders deßgleichen.
Vale et fave.
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Nil desperandum est, duce Teucro et auspice Teucro. Vale
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Ihr ewiger
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H.
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am Rande:
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Erfreuen Sie mich ja zu unsern Geburtsfesten mit Ihrem Fetwa, da das
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Glück unsre hohe Zusammenkunft heurig zu verhindern scheinet.
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 285.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 268–271.
Herders Briefe an Joh. Georg Hamann. Im Originaltext hg. von Otto Hoffmann. Berlin 1889, 216–218.
ZH VI 43–45, Nr. 864.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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43/20 |
wieder ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: wider |
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43/20 |
Karlsbade ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Karlsbad |
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44/24 |
foderten ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: forderten |