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Kgsb. den 5. Aug. 85

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HöchstzuEhrender Freund,

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Ich erwarte heute meinen Sohn aus Gr. zurück, und wenn ich ihn

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allenfalls entgegen gehen solte, wäre es mir ziemlich gelegen bey HE. Str. Wirth

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anzusprechen. Vorgestern kam ein Fuhrmann aus Berl. mit einem großen

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Pack Bücher von Nicolai an seinen Vetter den Kaufmann Jacobi, der für

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sich u den
Assessor
Lilienthal, welcher die stärkste u beste Lesebibliothek hier

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hält und auch mein Päckchen von Hartknoch mitbrachte. Ich lief also gl. um

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dieses zu melden, und zum zweiten mal, um bey Eröfnung deßelben

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gegenwärtig zu seyn, schleppte meinen Armvoll zu Hause, und fand eben Ihren

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Brief nebst dem 1. Theil von
Blair
und
Büsching
. Mein eigen Pack liegt

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noch, wie ich es erhalten, und soll erst von meinem Sohn eröffnet werden.

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Das Beste unter meinem Armvoll war
Biographien der

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Selbstmörder
7 aus Liebe, 3 aus Armuth 2 aus Ehrgeitz u 2 aus Bosheit u

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Schicksal.
Tagebuch eines Richters
oder Beyträge zur Geschichte

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des menschl. Elends. Von
Hofrath von Eckartshausen
, auf deßen

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Erzählungen für empfindsame Herzen
ich auch aufmerksam

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gemacht worden, wovon auch schon 4 Bändchen herausgekommen, wie auf

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die 3 ersten des Tagebuchs.
Kwerl
. ein komischer Roman, von dem ich

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kaum einige Seiten auszulesen im stande gewesen. Die nachgelaßene
Werke

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des
Montesquieu
haben einen würdigen Uebersetzer gefunden. Seine

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Betrachtungen über die Ursachen des Vergnügens
an

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Litteratur u
Kunstwerken
sind mir schon bekannt gewesen, u gantz treflich.

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Das übrige ist eine morgenl. Geschichte u ein Entwurf zu einer Lobschrift

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auf den Marschall von Berwick.
Briefe nach Eichstädt
sind von

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Schlötzer, betreffen seinen Briefwechsel und vertheidigen die
Publicität
,

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die bald zum Modewort werden wird, wie Popularität. Brief an den Verf.

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der Briefe über die Bibel u den Plan Jesu zu Creyfeld von 2 Bogen ist mehr

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bewegt als gründl.
Meisters
Sittenlehre der Liebe und Ehe ist von gl.

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Schlage mit seinen übrigen Compilationen. Er führt eine Lebensgeschichte

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von
Jaques
u
Lisette
des Prof. Fuesli an und den sokratischen Verfaßer der

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intereßanten Schrift über die Ehe.
Voyage de Figaro en Espagne.

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Currente Rota Lond.
785 ist abscheulich gedruckt vermuthl. in Deutschl. im

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Geschmack des
Mercier,
ein dürftiger Nachahmer. Der Abt
Raynal
ist nach

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seinem Urtheil
diffus, plagiaire, relateur infidele, partial, impuste, mal

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instruit
– zu jedem
epitheto
eine Note, die eben nicht viel beweist. Der

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Luftwagen oder Reise in den Mond von der Freyfrau von V…ist auch nicht

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viel werth. Journal aus Urfstädt vom Verf. des
Romans meines

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Lebens
u
Peter Clausen
wird kaum ein 2 tes Stück erleben. Ist das

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nicht ein Herr von Knigge – ein großer Fußgänger u Schmierhans in Prose

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u Versen? Er schlägt halbe Ausrufungs- und halbe Fragezeichen vor, mit

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einem
Comma
an statt eines Puncts. Eine
Silhouette
von
David Plumbeus

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Rector
in Ruhrtal stellt vermuthl. den hölzernen Sammler selbst vor.

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Schlüters Hallische Monathsschrift
enthält Übersetzungen aus

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Ovid und ist eben so wenig der Rede werth als
Hebe
, die zu Gera

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herauskomt, zum besten der lieben Jugend, die das alles nicht zu lesen im

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stande ist, was man zu ihrem besten schreibt.
Theatralisches
Quodlibet

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vom Lorentz ist in 2 Theilen ein eben so elender Mischmasch.

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Der
deutsche Zuschauer
betrift hauptsächlich das katholische

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Deutschland, und ist noch das erträglichste der deutschen Journale. Im 2 ten

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Heft ist ein kleiner Aufsatz über die innere Verfaßung der preuß. Staaten.

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Mit diesem ganzen Stoß eilte gestern Abend zurück um mir einen neuen

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zu holen. Zum Glück war schon alles gehörigen Orts abgegeben, und ich fand

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das Nest leer.

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Der Geschichtsschreiber des Chiliasmus heißt
Korrodi
. Wie sauer einem

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zwei Bände von Predigten werden, habe auch erfahren; auch nicht zum

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Durchlesen selbige eigentl. Ihnen zugedacht. In der allgemeinen Bibliothek

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sollen 2 Recensionen stehen, deren Urtheil über das
Original,
das zwey

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Uebersetzer gefunden, gantz widersprechend seyn soll. Ich wünschte selbige

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einmal vergleichen zu können. Eben besucht mich ein junger hofnungsvoller

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Mann HE Ehrenbot, Hofmeister des HE Seif in Pillau, der Hartknochs

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Schwager ist und eine gantz artige Büchersamml. hat. Er bringt mir die

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Uebersetzung von
Blair
s Vorlesungen, die ich ein wenig gegen den Text

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halten will, weil ich gar keine Möglichkeit absehen kann, wie es Schreiter

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ausführen wird, dies Werk in 2 Bänden und noch dazu mit seinen

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Anmerkungen zu liefern, ohne gewaltige Verstümmelungen.
Blair
hat eine

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Lauterkeit, eine Schönheit in seynem Styl, die nicht durch eine Uebersetzung

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erreicht und übergetragen werden kann. Sein Vortrag soll eben so

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unnachahmlich seyn.

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Den kleinen Engl. habe blos als eine Uebersetzung des Garve merkwürdig

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gefunden, weil sie mir als solche gantz unbekannt gewesen.

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Einnehmer Brahl wird keinen Aufschub wegen dieses Buchs übelnehmen,

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wünschte der Frau Stadträthin was beßeres für die Winterabende

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verschaffen zu können. Was meynen Sie zur Bibliothek der Romane? Davon

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ich die beyde ersten Bände zu Hause habe. Doch mein ordentlicher Bibliothek.

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ist nicht zu Hause und ich gehe ihm noch spät mit Raphael entgegen.

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Vergreifen Sie sich nicht an die
Schrauben
meiner Erbauung. Sie thun

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mir auch gute Dienste. Hat das Experiment gegen die stockende Wände nicht

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angeschlagen? Ich habe mich freylich an einen
Arbiter elegantiarum

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gewandt, der mein
eigenes
in petto
gefälltes Urtheil unterschrieben; aber

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der Geschmack eines
Hungrigen
und eines
Lüsternen
kann auch

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zuweilen zusammen treffen. Der Magnet hat nicht nur einen anziehenden

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sondern auch entgegen würkenden Pol. – Das Schöne braucht selten wahr

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und gut zu seyn für unsere theure
Kunstnatur
und närrische Naturkunst.

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Ein Schein des Guten und Wahren bringt die angenehmsten Situationen

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hervor, und ist das höchst
Condimentum
und Gewürtz der reinen Aesthetik.

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Hill hat mir unter dem 20
pr.
gemeldet, daß er willens ist den 25
ej.
Wien

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zu verlaßen und über Weimar zu Hause zu kommen. Der Abend u Raphael

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dringen auf einen Abschied. Vom Innhalt des Päckchens nächstens mehr.

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Jo G H.


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Adresse:

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Des Herrn Krieges Rath / Scheffner / Wolgebohren / zu /

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Sprintlacken

Provenienz

Druck ZH nach dem überlieferten Typoskript Walther Ziesemers. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Preußisches Staatsarchiv Königsberg, Nachlass Johann George Scheffner.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 265–267.

ZH VI 45–48, Nr. 865.