870
59/9
Pempelfort den 12
ten
Sept. 1785
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Vermerk von Hamann (nachträgliche Nummerierung mit roter Tinte):
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Erh. den 24
Sept
85 Geantw den 28–2.3
Oct.
No
14.
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Innig Geliebter Hamann,
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Herzens Freund und Vater
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Ich hoffe Sie haben meinen Brief vom 5
ten
Aug erhalten. Am 11
ten
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deßelbigen Monaths erhielt ich den Ihrigen vom 31
ten
Julii,
u besorgte
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gleich folgenden Tages den Einschluß nach Paris. Von unserem Buchholz
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sehe u höre ich nichts, so daß es mich würklich traurig macht. Ich will
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Morgen an seine Schwiegermutter nach Münster
nach Münster
schreiben, ob
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ich etwas erfahre. Vor 4 Wochen schrieb ich an die Prinzeßin, die seit dem
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nach Hof Geismar verreist ist, u wurde nichts gewahr. Eben so an Kleucker.
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Sie sind zuverlaßig nicht ohne Nachrichten. Aber das Königsberg liegt
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unglücklicher Weise so weit v der Hand.
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Ihr Verlangen nach
Detail
von Buchholtzens Umständen, habe ich in
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meinem jüngsten Briefe nur schlecht befriedigen können, weil ich selbst zu
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wenig unterrichtet bin. Sie fragen diesmahl nach Marianens Schwestern.
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Die habe ich nur einmahl, u zwar in Gegenwart der
Prinzeßinn
gesehen. Das
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Aeußerliche sprach gar nicht für sie. Auch hat mir Buchholtz nie etwas von
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ihnen gesagt, weder Gutes noch Böses.
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Heute vor 8 Tagen, mein Lieber, habe ich 3 Exempl. meiner eben fertig
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gewordenen Schrift, in einem an
Fischer
u
Legnick
adreßierten Packet, an
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Sie abgeschickt. Der Bogen 0, der die 4 ersten u die 4 letzten Blätter
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ausmacht, ist der Probebogen, nur auf
conformes
Papier gedruckt, u es ist
S. 60
vergeßen worden, S. 2 de
r
s Vorberichts, das Wort
sie
auszustreichen, u
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diese Schrift
dafür zu setzen. Ein ganz reines Exempl. kommt mit
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Gelegenheit nach. Eins von den
Gesche
gesandten Exempl. ist für Sie, Eins
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für Hippel, u Eins für wen Sie wollen. Mich verlangt herzlich zu erfahren,
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was für einen Eindruck nun das Ganze auf Sie machen wird. Mir ist unter
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dem Schreiben der letzten Bogen sehr wohl geworden, u mir ist noch itzt
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davon sehr wohl. Gott wird weiter helfen, u mit meinem täglichen Gebeth
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um ein reines Herz, u einen neuen gewißen Geist, mich nicht zu Schanden
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werden laßen.
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Ich fand neulich in einem Ihrer Briefe (dem vom 17
ten
May) eine Stelle,
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die ich glaube nicht beantwortet zu haben. Ich will sie nun Punktweise
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hersetzen u beantworten.
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„Ist das Original von Hemsterhuis Simon noch nicht heraus?“ – Noch
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nicht. Er hat einiges darin veränderen wollen, u kann nicht damit zu Stande
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kommen.
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„Daß ich auf seine Antwort auf Ihr Schreiben neugierig bin, können Sie,
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l. F. leicht erachten.“ – Diese Antwort ist immer noch zurück. Hemsterhuis ist
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gegenwärtig mit der Prinzeßin zu HofGeismar, wo er genug gemahnt
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werden wird. Der
Druck
meines Briefes an ihn, mag aber leicht noch stärker
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würken. Mich verlangt was er dazu sagen wird.
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„Was meynen Sie aber mit dem daselbst angeführten Articul Spinoza –
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kann man darauf
sub sigillo confessionis,
das mir heilig ist, nicht
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Ansprüche machen?“
– Ich meyne nichts anders mit diesem Articul, als was ich
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am Anfange meines Briefes, aus dem v Hemsterhuis v Wort zu Wort
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abgeschrieben habe. Seit dem hat Hemsterhuis noch ein paar Mahl über den
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Spinoza sich gegen die Prinzeßin heraus gelaßen, aber immer in demselbigen
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Geiste, u demselbigen Ton. In dem Briefe an mich kam die Rede davon, bey
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Gelegenheit des Bildnißes des Spinoza, welches mir Hemsterhuis
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versprochen hatte nebst einem Spinozistischen Werke v Kuffler.
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Zwischen den Büchern die ich Ihnen heute vor 8 Tagen geschickt habe,
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liegen zwey Exempl. eines Kupferstiches, der mich vorstellen soll, u doch
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etwas leidlicher ist, als die scheußliche Copie, vor ich weiß nicht welchem
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Bande der Allg. Biblioth. Eins von diesen Exempl geben Sie Hippeln,
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wenn es ihm darum zu thun ist. – Und nun noch ein Wort v Hippel. Ich
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weiß
zuverläßig
daß er der Verfaßer der Lebensläufe ist, u Sie wißen
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es auch. Eh ich dieses wußte, habe ich einmahl an ihn geschrieben, u auch
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Antwort von ihm erhalten. – Sollte er Ihnen davon gesagt haben, so
S. 61
entschuldigen Sie mich daß ich nicht wieder geschrieben habe. Der Aufschub
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kam daher, daß ich den letzten Band seines Werks noch einmahl lesen wollte,
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u auch würklich noch einmahl gelesen habe. Hernach wollte ich die
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vorhergehenden Bände auch noch einmahl durchlaufen, u da fand sich daß der Erste
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davon verlohren war. Ehe dieser wieder angeschafft war, verstrichen einige
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Wochen; u so kam mir der harte Winter von 83 in 84 über den Hals – der
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sehr vieles ungeschehen werden ließ. Wenn ich wüßte daß der vortreffliche
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Mann noch gern eine Antwort v mir hätte, so sollte er sie bald erhalten. Es
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ist weit über allen Ausdruck was ich für ihn fühle.
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Hier der Zedel, den Sie jüngst von mir begehrten. – Ich danke Ihnen,
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lieber HerzensFreund, daß Sie mir den Tag Ihrer Geburt meldeten.
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Diesmahl habe ich ihn an dem eigentlichen Tage nicht feyern können, weil ich an
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wüthenden Kopfschmerzen zu Bette lag. – Gott erhalte Sie, u gewähre mir
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bald die Freude, Sie von Angesicht zu sehen. Schon seit einigen Posttagen
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sehe ich einer frohen Nachricht hierüber entgegen – O, daß Hamann käme –
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u bald, bald!
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Grüßen Sie Ihren wackern Johann Michael doch auch einmahl von mir!
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Ich habe nun die Vorlesungen über das neue Testament gelesen, u
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schmachte nach der Fortsetzung. Sie sind gewöhnlich alle Abende mit mir zu
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Bette gegangen, u waren morgens früh wieder zuerst in meiner Hand. Große,
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durchdringende, anhaltende Freuden habe ich dabey genoßen. Ich bin ganz
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Ihrer
Meynung
, daß dieses Werk verdient ein allgemeines Haus und Familien
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Buch zu werden, u habe zu seiner Verbreitung mein Schärflein beygetragen,
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indem ich in meiner neuen Schrift eine Stelle daraus angeführt habe. Den
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Brief an Lavater, um nach dem Verfaßer zu fragen, den Sie mir beyschlagen
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wollten, habe ich nicht gefunden. Ich habe nun selbst bey Lavater angefragt. –
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Sollten wir nicht diese herrlichen Vorlesungen zum Theil dem guten Lavater
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schuldig seyn, der in seinem gelästerten Pontius dahin Weg wies? – Den
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frommen
reinen Willen segnet unser Vater im Himel überall. – Ich besitze
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eine sehr ähnliche Schrift in der Handschrift, von einem jungen Geist vollen
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Manne, aber noch unvollendet. Sie behandelt ganz allein den Matthäus.
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Künftig mehr davon.
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Von unserm lieben Herder habe ich seit 3 Monathen nichts vernommen, u
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der böse Mensch hat mir auch nicht den
II
ten
Theil seiner Ideen geschickt, der
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doch heraus ist. Ich habe dieser Tage an ihn geschrieben u ihm mein
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Büchlein geschickt. Gerade da ich an der zweyten Seite meines Briefes war, wurde
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mir ein Packet von meinem Buchhändler aus Frankfurt gebracht, u darin die
S. 62
Ideen. Ich habe sie erst wie ein
Raubvogel
gelesen, u werde sie nun wie
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eine Schnecke lesen. Als Raubvogel erblickte ich hie u da Stellen, wo mir ein
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gewißes
Durcheinander
von Physi
c
s u Theologie zu seyn schien, welches
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mir nicht recht behagte, u gewiße alte peinliche Empfindungen in mir
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erneuerte. – Meine Geschichte mit Herder ist eine lange verwickelte Geschichte,
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voll Bewegung – Ich schrieb ihm diesmahl aus Gelegenheit meines
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Spinozabüchleins noch im Postscript: „Schade daß die Post abgeht. Ich habe vom
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Mohren u Zuckertrank
genommen u mich wieder erholt, u könnte
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nun noch ein paar Seiten mit Dir herunter schwatzen. Als ich mich gestern
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hinsetzte an Dich zu schreiben, hatte ich vor, unter andern Dich davon
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zu unterhalten, wie es dem Menschen nicht zukomme,
Gott
zu
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offenbahren
; sondern daß Gott
ihm
muß offenbahrt
werden
. So oft er jenes will,
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wird seine
richtigste
Philosophie gerade die verkehrteste. – Vielleicht haben
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die alten Geheimniße hierin ihren Grund. Die
eigentliche
Theologie, kann
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nie
eigentliche
Philosophie werden.“ u.s.w. –. Eben erhalte ich einen
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Brief von dem ehrlichen, guten, lieben Kleucker. Hier eine Stelle daraus.
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„Sie laßen dem Untersuchungs-Geiste u der Vernunft in dem wozu sie
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dienen kann u soll Gerechtigkeit wiederfahren;
erkennen dabey aber auch
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vermittelst des Glaubens, der wie ein Anker in das Unsichtbare u Ewige
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reicht, ein Gebiet Menschlicher Bedürfniße, die die Vernunft, als solche,
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nie befriedigen; u ein Feld, das sie nicht urbar machen kann
.“ – Leben
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Sie wohl, lieber Herzens Freund, u gebe Gott daß Sie bald kommen.
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Ihr ewig getreuer Fritz Jacobi.
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Am 13
ten
Sept. 1785.
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 76–78.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 104 f.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 4: 1785. Hg. von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2003, 177–180.
ZH VI 59–62, Nr. 870.
Zusätze fremder Hand
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59/11 |
Johann Georg Hamann |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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59/11 |
No 14. ]
|
Hinzugefügt nach der Handschrift. |
|
59/11 |
Sept |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Sept |
|
59/26 |
Prinzeßinn ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Prinzeßin |
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60/21 –23
|
„Was […] machen?“] |
Die Auszeichnungs-Konvention für Anführungszeichen des 18. Jahrhunderts wurde modernisiert (wie ZH es auch sonst tut, aber hier unterlässt). |
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61/22 |
Meynung ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Meinung |
|
61/29 |
frommen ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: frommen, |