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Kgsberg den 16 Sept. 85

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HöchstzuEhrender Herr Kriegsrath

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und Freund,

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Ihre gütige Zuschrift vom 8 habe mit den Vorlesungen erst heute

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erhalten, und vorgestern die Nachricht von HE Wagner wegen der

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zurückgeschickten Imbertschen Erzählungen, von denen mir auch die letzte erträglich

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erschienen. In Hartknochs Katalog find ich eine Uebersetzung von Imberts

S. 63
Morgenzeitvertreib
oder kleine Erzählungen in 2 Theilen, die zu

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Breslau 84 ausgekommen, welche einerley Buch zu bedeuten scheinen. Der

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Einfall
Reveries philosophiques
in Morgenzeitvertreib zu
travesti
ren

4
macht mich nur neugierig nach dieser Kleinigkeit.

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Hartknoch hat mir ich weiß selbst nicht wie? die kleine Schrift über Offenb.

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zugeschickt, welche ich beylege. Ich bin jetzt aller sophistischen Schleichwege

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überdrüßig, und wünsche nur daß der noch immer unbekannte Verf. der

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Vorlesungen die gerade einfältige Bahn, welche er so glücklich eingeschlagen

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fortsetzen und vollenden möge. Diese verbindet das Älteste und Neueste, das

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trivialste und paradoxeste für meinen Geschmack.

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Mein zweiter Brief nach Wien ist mir durch das Friedlaendersche

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Comptoir
den 16 Aug. widereingeliefert worden. Wucherer hat unter dem 5
ej

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bescheinigt, daß Hill vor 8 Tagen bereits abgereist. Sein gesetzter Termin war

14
der 25
Julii.

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Den 28 Aug. erhielte einen seltsamen Brief von einem Buchdrucker

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Weimann, der mir viel Guts von Hill schrieb, wo ihn Wucherer in die Kost

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gegeben, und daß er von
Me.
Wucherer die er im Ital. unterrichten müßen und

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ihrem kleinen Albert sehr vermißt würde – mit der Bitte doch Nachricht von

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seiner glückl. Ankunft zukommen zu laßen. Ich erwarte mit jedem Posttag

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einen Brief aus Weimar von ihm – und werde beynahe deshalb unruhig.

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Y.R.W. kann ich wol keinen Anspruch auf das HE.R P. u. Hauptmann

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von S. Hochwolgeb. Vertrauen machen. Es soll nicht an meinem
guten

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Willen
liegen – und das ist alles, was ich noch übrig habe. Aber Hill muß

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erst
hier
seyn – und in jedem Fall werd ich das
Beste
meines jungen

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Freundes meiner Neigung und Intereße ihn um mir zu haben vorziehen,

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und ich glaube immer daß ersteres durch die Verbindung mit einem so

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gründlich und gut denkenden Manne befördert werden wird, der in der

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Hauptsache mit Hills Character und gelehrigen Bescheidenheit zufrieden seyn

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dörfte.

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Nach einer unangenehmen Unterbrechung von einigen Stunden bin ich

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wider im Stande fortzufahren. – Ich war ausdrücklich den ganzen

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Nachmittag zu Hause geblieben, um in aller Ruhe an einem neuen Buche

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schwelgen zu können, das ich mir diesen Morgen mit vieler Mühe abgeholt hatte.

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Considerations sur l’ordre de Cincinnatus ou Imitation d’un Pamphlet

35
Anglo-Americain etc Par le Comte de Mirabeau etc a Londres
785.

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p.
385 gr. 8
o
. Das engl.
Pamphlet
ist im vorigen Jahre zu Philadelphia

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ausgekommen unter dem Namen eines Adams Burke, der zuerst über die

S. 64
Errichtung des neu errichteten Ordens Lerm geblasen, der als ein erblicher

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Adel oder
Patriciat
das ganze demokratische Gebäude zu Grunde gerichtet

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haben würde. Auf diese meisterhafte Umarbeitung eines
Mirabeau
die mehr

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als Uebersetzung und Nachahmung ist, folgt ein langes
Postscriptum
über

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die bereits geschehene Aufhebung dieses Ordens nebst den Urkunden
zu

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seiner Geschichte, ihre Statuten und ein
Circulare
dieses Ordens von

7
Washington unterzeichnet, mit den schneidenden Anmerkungen des
Mirabeau.
So

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weit bin ich gekommen, bis
p.
181. Nun folgt noch ein
Brief
des berühmten

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Turgot an
Doctor Price
und eine
Abhandlung des letztern über die

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amerikanische
Revolution und die Mittel selbige für die Menschheit

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nützl. zu machen. Den Schluß machen wider Anmerkungen des Verfaßers.

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Ich habe also noch die stärkste und vermuthlich beste Hälfte des Werks übrig;

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zu deßen Uebersetzungen ich mit Rath und That behülflich seyn wenigstens

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Kraus zur Beyhülfe aufmuntern werde – auch für des
Mirabeau
neu

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confisci
rte Schrift über die spanische St. George Bank sorgen, daß selbige

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hergeschaft und als ein Anfang zu dieser Samml. komme.

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Von der neuen und berichtigsten Ausgabe der Briefe des Fr. weiß nichts.

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Wegen einiger Abhandlungen, auf die mich mein Freund in Düßeldorf

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aufmerksam gemacht, bin ich so unverschämt mir das ganze deutsche Musäum

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auf
einige Zeit auszubitten
. Je eher ich diese Fracht,
wenn sie

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nicht auf einmal zu stark ist
, bekäme, desto geschwinder könnte ich

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damit fertig werden.

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HErrn Deutsch habe ich heute Ihre Einlage, GeEhrtester Freund

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abgegeben. Er wird in ein paar Tagen abreisen die Michaelsferien über, und hat

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mir auf morgen unsers doppelten
Candidat
en Ankunft angemeldet, aber

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wider alle Vermuthung aus Graventihn.

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Ich muß mich noch wegen 2 Misverständnißen wo nicht rechtfertigen,

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doch wenigstens bey Ihnen entschuldigen. Bey aller meiner gegenwärtigen

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Schwäche das geringste Kluge zu denken oder zu schreiben, hat es mir kaum

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einfallen können Zollikofer u N. zu paaren. Bey allem Eindruck, den des

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ersten Schönheiten bey mir gemacht, widersteht etwas in seinen Reden

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meinem Geschmack, das ich nicht der Mühe werth gehalten zu untersuchen, und

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ich damals mir erklärte durch das
Plagium
des Schreyers, der aber den

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alten Cramer, wie man mir gesagt, zu seinem Steckenpferd mehr brauchen

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soll. Der erste Band über die Predigten über die Würde des Menschen u den

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Werth, sind meines Wißens das erste Buch, das ich von Z. gelesen. Nunmehr

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weiß ich, daß es an jener Aßociation meiner Einbildungskraft nicht liegt,

S. 65
sondern mehr an meiner Idiosynkrasie, die das wortreiche, das

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gleichförmige, das abgezirkelte, das kunstmäßige, das über und über redende für

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unnatürlich hält.

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Der 2 te Theil von Monboddo hat für mich mehr Innhalt gehabt, als der

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erste. An statt mit ihm gar nichts zu schaffen haben zu wollen, habe ich mir

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seine
alte Metaphysik
verschrieben, so schwer sie auch meinem Beutel

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fallen wird. Seine Hypothese aber von Erfindung der Sprache ist immer in

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meinen Augen eine Grundlüge, die wie eine schädliche Fliege alle seine übrige

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Untersuchungen vereitelt. Sprache und Sprachkunst sind ganz verschiedene

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Dinge, wie Vernunft und Philosophie.

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Der Beyfall, den M. mit seinen Metten finden wird, und sich zum voraus

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versprechen kann, soll ihm keine Vesperlection von mir zuziehen; da ich mehr

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meine Schwäche als meine Stärke fühle – und Gottlob! keinen Brief mehr,

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noch
Billet,
viel weniger ein Buch schreiben kann. Ich habe ein Jahr lang

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über Spinoza Sittenlehre gebrütet, ohne um ein Haar weiter gekommen zu

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seyn. Mendelssohn und seine Freunde sind über den Verdacht des Atheismus

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sehr aufgebracht gewesen, ohngeachtet ich denselben für einen bloßen

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Atticismus
oder
Dialect
der reinen Vernunft halte, und dafür erklärt habe.

19
Leßing soll auch zum Spinozismo,
Einem und Allem
, seine Zuflucht

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genommen haben, als der letzten Theorie seines Christentums. Dieser kleine

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Umstand hat seinen Biographen irre gemacht – und durch alle diese

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Episoden, bin ich auf meine Idee einer Metakritik über den
Purismum
der

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Vernunft und Sprache, die ich schon seit 81 im Schilde geführt, zurück gebracht

24
worden. Aber gegenwärtig geht es mir nach den Anfangsworten Agurs

25
d
– und in meiner Lage hab ich weder Lust den Mund aufzuthun, noch

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durch meine Gänsekiele zur Menschenverklügerung oder zum Weh ihres

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Aergernißes eine Zeile beyzutragen.

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HE. Mayer ist den 27 Aug. abgereist. Er hat an seinen Freund

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Sprengel
geschrieben viel Ungemächlichkeiten unterwegs wegen der

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Ueberschwemmungen durch Litthauen gehabt zu haben. Ich habe bey ihm Abschied

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genommen um ihm einen Gang zu ersparen, und erhielt wenige Tage nachher

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noch eine Abschiedskarte, die er dem
Licent
fuhrmann abgegeben, welcher sie

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vergeßen zu bestellen. HE. Sprengel hat mir seinen Besuch noch diese Woche

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versprochen, ohne sein Versprechen bisher erfüllt zu haben.

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Unser Freund in M. wird wenigstens eine vortheilhafte Zerstreuung durch

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seine Reise nach Berlin erbeuten.

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Mein Sohn, der sich bestens empfiehlt, hat die Einlage nach Trutenau an

S. 66
Kaufmann Jacobi abgegeben, der seine Familie diesen ganzen Sommer

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daselbst eingemiethet, und alle Abende selbige besucht.

3
Ich wünsche sehr den Erfolg von dem Börnsteinöl gegen das Stocken zu

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wißen, um das Experiment desto sicherer nachahmen zu können.

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Die beste Philosophie über die Sprache habe ich in einem Buche eines

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deutschen Schulmanns gefunden, der mit der letzten Meße noch 2 Schriften

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ausgegeben, die ich weder im hiesigen Buchladen noch, wo ich selbige

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vermuthet, habe auftreiben können, so sehr auch ihr Innhalt meine Neugierde

9
intereßirt. Der Mann von unerkannten Verdiensten heißt
Meiner
, und

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ich besitze von ihm blos eine hebräische Grammatik. Seinen Versuch einer an

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der menschl. Sprache abgebildeten Vernunftlehre hoffe ich in einer
Auction

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zu erhaschen.

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Eine Fräul. von Bardeleben ist eine Gespielin meiner
Lisette Reinette

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gewesen, und unterschied sich durch ihre vorzügl. Lust zu lesen und Fähigkeit

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in Sprachen. Diesen Sommer verließ sie erst die Pension und war ein

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Liebling der Baroneße.

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Es ist mir lieb, daß wir Kinder eines Monaths und einer
Decade
sind.

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Ich hatte mir aber den Unterschied größer vorgestellt – weil ich kürzl. die

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Ehre hatte von einem sehr galanten Juden, der Hartknochs Bücherhandel in

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seiner Muttersprache versteht und hier Hochzeit machen will, für einen 70 ger

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angesehen zu werden. Erwiedern Sie das Andenken der Frau Gemalin und

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Ihres HErrn Gevatters aufs nachdrücklichste und gefälligste von Ihrem

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ergebensten J G Hamann.


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Ich muß Hill erst
haben
und
sehen
; und Kraus werde mit zu Hülfe

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nehmen für einen guten Hofmeister Sorge zu tragen auf allen Fall. –

Provenienz

Druck ZH nach dem überlieferten Typoskript Walther Ziesemers. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Preußisches Staatsarchiv Königsberg, Nachlass Johann George Scheffner.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 280–283.

ZH VI 62–66, Nr. 871.