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Kgsb. den 18 Sept. 85.

27
Höchst zu Ehrender Freund,

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HE. Scheller ist gestern nicht eingetroffen, statt seiner Person erhielt einen

29
Brief von ihm aus Petersdorf, den ich auf sein Verlangen heute dem HE.

30
Pf. Fischer mitgetheilt, weil er von dem hiesigen Fortgange seiner

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Angelegenheit auch durch einen Expreßen im Nothfall Nachricht zu haben

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wünscht, ich aber nichts davon weiß, auch alles in Erwartung, daß er heute

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eintreffen wird, für überflüßig halte.

S. 67
Da die schlechte Witterung mich zu Hause hält, hab ich die 3 ersten

2
Predigten Zollikofers widerholt, um mein Vorurtheil theils zu berichtigen theils

3
mir selbst zu erklären. Sie beobachten mit Ihrer gewöhnlichen Feinheit, daß

4
der Beyfall mich ein wenig scheu mach
t
e und zum Widerspruch geneigt,

5
vielleicht gar zu einem heimlichen Neide. Diese
Qualitas occulta
meines

6
Mistrauens macht mich gleichwol auf keine Art unfähig diejenigen

7
Talente, auf die ich nicht den allergeringsten Anspruch machen kann und zu

8
denen mich die Natur oder mein eigenes Misverständnis derselben
mich

9
verschnitten hat, desto inniger zu bewundern und zu
untersuchen
erkennen.

10
Aber mein Geschmack ist einmal lieber gar nicht urtheilen, als nach dem

11
bloßen
Ansehen
der
Person
oder
Sache
.

12
Z. verbindt mit dem Reichtum seiner Sprache eine sehr glückliche

13
Oekonomie der Worte für den Verstand und das Herz. Die Schnur seiner Fragen,

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Ausruffungen und Redefiguren ist voller Licht und Wärme für die

15
Einbildungskraft. Sein Mechanismus ist voller Symmetrie. In seinen Gebeten,

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Abtheilungen und Anwendungen ist Einheit und künstliche Beziehung. Diese

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Schönheiten und Energien sind so sichtbar und so sinnlich, daß nur ein Blinder

18
und Tauber selbige leugnen oder in Zweifel ziehen kann; aber eben so wenig

19
die
Tavtologien
und Einförmigkeit, und daß ich selbige mit einer

20
ebenmäßigen Genauigkeit und Evidentz fühle, und ein wenig abergläubisch die

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evangel. Armuth und Einfalt den
Ethnicismis
und ihrer
Polylogie
im Beten

22
und Lehren unendlicher und inniger vorziehe; weil ich für Wahrscheinlichkeit

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weniger reitzbar bin als für Wahrheit. Die Wahl des Textes fiel mir gleich

24
auf, und die Kühnheit gefiel mir – weil man, wie Morus sagt, von keinem

25
einzigen Menschen, auch nicht vom ganzen menschl. Geschlechte sagen

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kann im strengsten und eigentlichsten Verstande, daß ihm die ganze Natur

27
unterworfen gewesen sey, als von dem einzigen
Individui
und Ideal,

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worauf ein gewißer Lehrer der Heiden diese prophetische Stelle gedeutet. Wenn

29
auch der Sprachgebrauch es einem Redner erlaubt von jedem Unterthanen

30
zu sagen was das eigentliche
Prädicat
des Fürsten und Monarchen ist: so

31
besteht doch der Grund des Christentums oder die Form deßelben nicht in

32
einem bloßen Sprachgebrauch.

33
Die Frage des Kämmerers: Von wem redt der Psalmist
solches
? ist

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doch wenigstens einem andächtigen Leser erlaubt – wenn gleich der

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andächtige Zuhörer des Predigers Fragsucht gedultig aushalten muß und die

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wenigsten
s
richtig zu
be
antworten kaum im stande sind
ist
.

37
Ist in diesem Fall vom Menschen überhaupt die Rede: so verlier ich fast

S. 68
allen Sinn und Zusammenhang; weil ich gar nicht begreifen kann, daß

2
unserer Natur dadurch Leid geschehen, daß selbige etwas geringer als der Engel

3
oder Götter ihre gerathen, und daß der höchste Gott diesen geringen

4
Abbruch, oder eines Sterbl. Murren darüber gut gefunden hätte mit Majestät

5
zu krönen. Ich weiß wol, daß Hiobs Beschwerden gerechter in Gottes Augen

6
waren als seiner Freunde Theodiceen – aber dies konnte keinem Zuhörer

7
einfallen, weil keiner den Brief an die Hebräer scheint gelesen zu haben, wo

8
dieser Spruch auf eine gantz andere Art ausgelegt wird.

9
Die erste Predigt ist also im Grunde nichts anders als ein sehr

10
schmeichelhaftes und gefälliges Gemälde von der Würde unsere
s
r Verstandeskräfte,

11
unserer moralischen Freyheit, unserer Thätigkeit und Perfectibilität,

12
unserer Unsterblichkeit, woran
der
kein Autor zweifelt, von unserer Originalität

13
bis auf die Physiognomie.

14
Ueber alles dieses wird in der zweyten Predigt
per arsin
wider eben so

15
viel geredt – und in der dritten Predigt erscheint das alte Kleid noch einmal

16
mit einigen Lappen des Christentums ergänzt und aufgestützt. Sollte aber

17
wirklich das Christentum auf so eine Flickerey unsers Verstandes, Willens

18
und aller übrigen Kräfte und Bedürfniße bis auf die Scherben unsers

19
Schatzes hinauslaufen – und die Hauptsache auf einige religiöse Theorien

20
und Hypothesen berufen. Ist das die Verheißung
alles
neu zu machen, –

21
einer Geistes- und Feuertaufe mit neuen Zungen.

22
Dergl. Predigten sind schmackhaft für Gesunde, die einen Koch nöthig

23
haben, aber nicht für Kranke, denen mehr mit einem Artzt gedient ist. Wenn

24
du ein Mal machst, so lade die Armen, die Krüpel, die Lahmen, die Blinden.

25
Auch nach meinem Geschmack ist Z. eine natürlich warme und klare

26
Qvelle, aber nicht mehr unter den Händen derer, die aus selbiger schöpfen

27
oder wol, gar wider von sich geben – und die plausibelsten Irrthümer sind

28
immer die nachtheiligsten.

29
Unsere Würde hängt nach beßern Begriffen nicht von Verstand, Wille,

30
Thätigkeit – sondern bleibt das Geschenk einer höheren Wahl – nicht mehr

31
ein angebornes, sondern erworbnes – auch nicht selbst erworbenes noch

32
selbstständiges – sondern schlechterdings abhängiges, und eben dadurch desto

33
festeres und unbewegliches Verdienst. Alle Herrlichkeit der Menschen ist wie

34
des Grases Blumen – aber des HErrn Wort bleibt in Ewigkeit.
Recht zu

35
theilen
das Wort der Wahrheit, und nicht zum bloßen Motto einer

36
geistlichen Rede zu machen, gehört zum Fleiß eines rechtschaffenen und

37
unsträflichen Arbeiters.

S. 69
Es thut mir immer wehe, den lächerlichen Nachahmungsgeist, der immer

2
die schwächsten Seiten guter Köpfe verfolgt, ihnen mit seiner Bewunderung

3
schädlicher und gefährlicher zu sehen, als alle Furien des Neides, oder

4
ungerechter Kritik.

5
Doch weder Tadel noch Lob ist
Urtheil
, sondern bisweilen ein bloßes

6
argumentum ad hominem
– eine Recension
in nuce,
die über den Werth

7
eines Buches nichts entscheidet. Zur Strafe meiner bösen Laune will ich alle

8
noch übrigen 14 Predigten von neuem lesen – und zur Schadloshaltung lege

9
ich meinem Geschwätz das
Memoire
des
Mirabeau
bey, welches ich heute

10
erhalten.

11
Haben Sie schon des HE von Elditten
Betrachtungen über das

12
Fundament der Kräfte
gelesen? Ich habe den Verf. noch auf der

13
Akademie gekannt, wie ich noch in die Schule gieng. Sein Hofmeister war ein

14
gewißer Belger, ein Landsmann meines seeligen Vaters, der in unserm Hause

15
stark verkehrte, und den ein Herr von Canitz wahrscheinl. als seinen

16
natürlichen Sohn ins Land brachte. Jetzt ist wider ein junger Elditten auf der

17
Akademie, deßen Vater ist also ein Domherr in Magdeburg; der die paar Bogen

18
geschrieben, hat seine Güter nahe an Barthen und Wickerau gehört, wo ich

19
nicht irre, dazu.

20
In der Familie des
Mirabeau
sollen schreckliche Dinge vorgegangen seyn.

21
Des Grafen Mutter soll auf ihren Todebette einmal über das andere

22
ausgeruffen haben:
il n’y a pas de Dieu!
und hat mit Wuth ihrem Mann

23
zugeschrie
b
en:
Dis donc qu’il n’y a pas de Dieu!

24
Das
Memoire
bitte mir vorzüglich und durch eine Gelegenheit von

25
Friedrichsthal wider zurück; mit den übrigen 3 Büchern hat es desto längere Zeit.

26
Hartung soll sehr vergnügt über ein
Mst.
zum Verlage seyn, das er von

27
einem gewißen Philosophe
inconnu et pseudonyme Fabriccius
erhalten,

28
von dem Sie vielleicht mehr wißen als ich.


29
den 19.

30
HE Scheller ist noch nicht hier – diesen Augenblick kommt sein gewesener

31
Eleve, und wird morgen früh abgehen, ohne etwas von der fehlgeschlagenen

32
Erwartung zu wißen. Von dem
Journal
von und für Deutschland, deßen

33
erste Stücke ich nur gelesen, ist mir heute unvermuthet das 2 te dieses Jahrs

34
in die Hände gefallen wegen eines
Pro Memoria
von Dohna die Censur des

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Cranzen betreffend an den Kgl. Staatsrath – Mehr Vergnügen hat mir

36
gemacht die Fortsetzung einer Reisebeschreibung durch Elsaß, Lothringen – als

37
neue
Relique
von unserm Vetter Becker. Ich erkannte ihn an einer Anekdote,

S. 70
die er mir selber erzählt, ohne mich besinnen zu können
wo
? gehört oder

2
gelesen zu haben, bis ich von meinem Sohn auf die Spur gebracht wurde.

3
Ich habe noch so viel weite Gänge, daß ich kaum vor Abend damit fertig

4
zu werden denke – und mehr als zu viel geschrieben auf Abrechnung –

5
In Ansehung des Museums bitte nach
Bequemlichkeit
halb oder

6
gantz oder nach Jahrgängen mitzutheilen, weil ich nur das wenigste aus sehr

7
wenigen Bänden nöthig habe, ohne eigentlich es bestimmen zu können – und

8
das übrige nur übersehen will.

9
Ich habe die Ehre nach meinen ergebensten Empfehlungen
incl.
Johann

10
Michel zu seyn ganz der Ihrige

11
J. G. Hamann

Provenienz

Druck ZH nach dem überlieferten Typoskript Walther Ziesemers. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Preußisches Staatsarchiv Königsberg, Nachlass Johann George Scheffner.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 283–288.

ZH VI 66–70, Nr. 872.