876
81/20
Hamann machte auf dem Foliobogen zunächst ein umfangreiches Exzerpt der

21
französischen Schrift „L’Inconnue, Histoire veritable 785“, der rätselhaften

22
Biographie einer angeblichen natürlichen Tochter von Kaiser Franz I sowie

23
der Hofintrigen um sie und der Verhöre durch Johann Karl Philipp Graf Cobenzl.

24
Diese „Einlage“ ließ Hamann offenbar einem Bekannten in Königsberg

25
zukommen – vermutlich Theodor Gottlieb Hippel –, der sie noch am gleichen

26
Tag mit einer Dank-Note zurückbringen ließ. Diese wurde vmtl. nicht von

27
Hippel selbst geschrieben, da er in jener Zeit wegen eines Augenleidens

28
nicht schreiben konnte, sondern diktiert.


29
Retour-Notiz, vmtl. von Hippel:

30
Nicht volle zwo Stunden vergiengen zum Durchlesen der hier mit Dank

31
zurück kommenden Einlage. Lange lange aber wird es mir unbegreiflich

32
bleiben, wie eine sonst überall so milde Fürstin wie die K. s. r. n, eine Unschuldige

33
zur härtesten Verlaßenheit zu überliefern, nachgeben mögen, und nicht

34
vielmehr der guten Meynung des Gr. C.‥l. Beyfall gegönnt.

35
Schieben Sie doch Ihren gefälligen Zuspruch nicht lange aus für Ihren

36
redlichen Freund

37
H…

38
den 1
ten
October
85.


39
Adresse auf der vierten Seite schräg geschrieben, von derselben Hand:

40
Des Herrn Pack Hauß
Inspectoris Hamann
/ HochEdelgebohrnen


41
Exzerpt von Hamann:
L’Inconnue, Histoire veritable 785. p. 99.
gr 12
o

42
Avis
aus dem Engl.
Craftman
von 80 oder 81. Daß sich ein gestörtes

43
Frauenzimmer vor ungefehr 4 Jahren auf einem Dorfe bey
Bristol
aufgehalten.

44
Mlle Atking
hat sich ihrer angenommen, u ihr Name soll
Bi 
gewesen

45
seyn
.
Ihr Ton soll deutsch oder welsch gewesen seyn   775 oder 76 soll

46
sie ein Schiff in einem Hafen vor Engl. abgesetzt haben.

47
Im Sommer 68 bekam der Graf von Coblenz einen Brief von
Bordeaux dati
rt,

48
unterschrieben
La Freülen,
kurz darauf einen Brief
dati
rt von Prag unter

49
dem Namen des Grafen von Weißendorf. Ferner aus Wien unter dem Namen

50
des Gr. von
Dietrichstein
:

51
Gegen Ende deßelben Jahres kam eine Kaufmannsfrau
Me l’Englumée
aus

52
Bordeaux
nach
Bruxelles,
– ihre außerordentliche Ähnlichkeit mit dem

53
Kayser
Franz

54
Beschwert sich über die Verfolgung des Kayserl. Abgesandten zu Paris Graf

55
Merci Argenteau,
schickt dem Gr. Coblenz ihr
Portrait,
an dem der Herzog

56
Carl von Lothringen auch die Ahnlichkeit mit dem Kayser erkante.

57
Schickt einige Zeit nachher das Gemälde des Kaysers und der Kayserin.

58
Ersteres erkante der Herz. v Lothr. für eine Arbeit des
Liotard.

59
Im
Xbr
68. erhielt
Coblentz
einen außerordentl. Brief,
dati
rt:
de mon lit

60
à 2 heures du matin, Vienne
.
Man lobte des
Cobl
Betragen u beschwerte

61
sich über den
Merci.
Man bedauerte sehr das Schicksal des armen Mädchens.

62
Elle m’a ete si tendrement recommandée par la personne du monde qui

63
m’etait la plus chere.
Der Brief war ohne Unterschrift.

64
Nach einiger Zeit that der Unbekannte Nachfrage wegen eines erhaltenen

65
Briefes
.
Im Anfang des Sommers von 769 erhielt
Cobl.
einen
Expresse
aus

66
Wien mit der Nachricht daß der Fr. Hof ersucht worden wäre die Unbekante

67
nach
Bruxelles
zu schicken um von
Cobl.
u
Mr. de Neni Chef-President

68
verhört zu werden. Der Zerz von Lothringen bekam von der Kaiserinn zugl.

69
den Auftrag
Cette malheureuse veut passer pour la fille de Feu notre

70
maître; s’il y avoit la moindre apparence, je l’aimerai et la traiterai

71
comme mes propres enfans: mais je sais que c’est une imposture, et je

72
veux qu’on fasse tout en monde pour que ce nom si cher et si sacré de notre

73
maître
fait
plus prophané par cette malheureuse –

74
Während des Kaysers Reise erhielt der König von Spanien einen Brief im

75
Namen des Kaysers das sein Vater eine natürliche Tochter durchgelassen

76
hätte, von der niemand das geringste wüste als seine Schwester die Erzherzogin

77
Marie, er selbst u wenige Vertraute, daß sie sich zu
Bordeaux
aufhielte

78
u der König selbige
reclami
ren möchte um sie zu Madrid bey einer Frau v

79
Stande oder in einem Kloster anzubringen – ohne daß seine Mutter die

80
Kayserinn davon etwas wüste. Der König schickte diesen Brief dem Kayser

81
nach Mailand – dieser der Kayserinn. Hierauf kam die
Ordre
u Nachfrage.

82
Sie wurde im
Aug.
769 arretirt von
M. Carel de Ferrand, Lieutenant

83
de la Marechaussée de Guienne
dessen
Neveu
sie heyrathen wollte, welches sie

84
immer ausschlug. Da meldeten sich ihre Gläubiger u die Frau
l’Englumée,

85
welche sie so außerordentlich dem Gr.
Cobl
empfohlen hatte, führte

86
sich so grob auf, daß sie
M de Ferrand
aus dem Hause jagen muste. Krank

87
von
Colio
-Schmerzen u Blutspeyen kam sie zu
Bruxelles
an unter Begleitung

88
des
M. Poyot,
Exemt de la Marechaussée de Guienne.
Unterwegens noch

89
auf Fr. Boden kam ein Unbekannter in Gestalt eines
Couriers
u warf ihr ein
Billet

90
im Wagen. Sie bot ihrem Begleiter es zu lesen, u enthielt folgende wenige

91
Worte:
Chère enfant on a fait l’impossible pour vors sauver; ne perde pas

92
courage esperez toujours.

93
Cobl
den sie wie in Briefen so
s
auch bey ihrer Ankunft als Vater ansahe,

94
giebt ihr Zimmer im
Fort Monterel
unter Aufsicht des
Plat Majeur Mr. de

95
Camerlang
u
Mr de Neny
verschaffte ihr eine Cammerfrau.

96
Man bot ihr Bücher an, die sie ausschlug, weil ihr die Zeit niemals lang

97
würde u sie immer Luftschlößer baute. Sie konnte weder lesen noch schreiben.

98
HE von
Cammerlang
lehrte im Gefängnis ihren Namen schreiben.

99
Gestand aus Böhmen zu seyn, immer in einem kleinen Hause auf dem Lande

100
gelebt zu haben mit einer Frau von 50 die sie Mutter genannt hatte u einer

101
andern von 30, Katherina – daß ein Geistl. bisweilen bey ihr die Meße

102
gelesen u den Katechismum sie gelehrt hätte.
Mama
hatte sie wollen lesen

103
u schreiben lehren, der Geistl aber hatte es nicht haben wollen. Ein Schöner

104
Mann im Jagdkleide hatte sie einmal besucht. Der Fremde hatte sie geküst

105
auf den Schooß genommen, sich über ihr Wachstum gewundert. Den Monath

106
drauf wäre derselbe Mann in gleicher Begleitung widergekommen – u hatte

107
Ahnlichkeit mit HE von
Neny
gehabt – Über dem rothen Kragen seines

108
Mantels hatte sie sich aufgehalten u sich erkundigt. Worauf er gesagt, daß

109
man daran einen
Officier
erkennt. Das sind brave Leute, denen ihr gut

110
sein müst, weil ihr auch eines
Off.
Tochter seyd. Bey diesem 2ten Besuch

111
hatte sie sich besonders so erfreut u beym Abschiede sehr geweint; das

112
hatte ihn gerührt u er hatte versprochen bald wider zu kommen. Zwey Jahr

113
drauf hatte er erst Wort gehalten wegen einer Unpäßlichkeit die er sich

114
durch eine Erhitzung auf der Jagd zugezogen. Der Herzog von
Lothr.
hatte

115
sich dieser Unpaßlichkeit erinnert, dieser letzte Besuch wär der nährendste

116
gewesen. Sie hatte über die Nachricht seiner Krankheit sehr geweint – und

117
die Ursache wär gewesen ihre Neigung zu ihm. Er hatte ihr auf seine Liebe

118
versichert, versprochen sie reich u glückl. zu machen, ihr Haus, Geld u

119
Bediente zu geben in gelber u blauer
Uniform.
Ob sie die Königin sehen

120
wollte? sie hätte nicht verstanden was eine Königin wäre. Sie wäre eine

121
schöne Frau, welche sie sehr lieben würde, wenn sie sie kennen möchte, aber

122
ihrer Ruhe wegen müste sie selbige nicht kennen. Darauf hatte er ihr die

123
beide Gemalde gegeben welche sie von
Bordeaux
dem Gr.
Cobl.
zugeschickt.

124
Sie hatte sein Bild gleich gekannt, u er hatte ihr befohlen sein, der Kayserinn

125
u ein drittes Bild einer Frau, halb verschleiert, gut zu verstehen, weil es

126
ihre Mutter wäre. Diese Gemälde waren in einem blauseidenen Beutel gewesen

127
mit viel #. Der Fremde hatte ihr versichert, daß sie glückl. seyn u ihr

128
nichts fehlen sollte; aber sie müste ihm auch versprechen nicht zu heirathen

129
u sich immer dieses Versprechens erinnern.

130
Zwischen dem ersten u zweiten Besuch wäre einmal eine
Dame
gekommen mit

131
2 Mansleuten – ohne allen Putz, mittler Größe, weiß, ein angenehmes Gesicht,

132
etwas völlig. Diese Frau hatte sie aufmerksam mit trähnenden Augen anschaut,

133
gleichgiltige Dinge gefragt, sie 2 oder 3 mal umarmt, mit den Worten: Mein

134
Kind, Du bist sehr unglückl. Sie hatte Waßer gefordert, ihre Bewegung

135
niederzuschlagen u wäre abgereist. Ob das Bild dieser Frau ähnlich gewesen

136
könne sie nicht sagen.

137
Hierauf hatte sie in ihrer Aussage gewankt u auf folgende Art ihre Entfernung

138
von dem Ort ihres bisherigen Aufenthaltes erhällt
:
Wenige Monathe nach

139
dem letzten Besuche wär der Geistl. den sie für einen Jesuiten hielte

140
gekommen mit der Nachricht daß ihr Beschützer gestorben wäre u Befehl hätte

141
sie nach Frankr. in ein Kloster zu bringen, u sie in wenig Tagen abreisen

142
müste. Er hatte Maas genommen mit einem Bande Kleider für sie zu bestellen.

143
8 Tage drauf wär er des Nachts angekommen mit eine Postchaise u hatte eine

144
vollständige Kleidung für sie gebracht 2 Peltze, ein schwarzes u rothes Kleid

145
Auf hartes Zureden des Gr. von
Loth.
hatte sie versprochen die Wahrheit

146
zu sagen, sobald der
Secretair
des HE von
Neni
sich entfernen würde, und

147
da hatte sie gestanden, daß aus Furcht vor dem Klosterleben sie sich gl zur

148
Flucht entschloßen, aber nicht eher Gelegenheit gehabt a
ls
in Hamburg den

149
Tag vor ihrer Einschiffung, wo sie des Nachts ihr Bündel gemacht u die

150
Katherina verlaßen, ihre Hemde, ein Kleid, den Beutel mit den 3 Gemälden

151
u den 100# welche der fremde HE ihr gegeben mitgenommen und mit Anbruch

152
des Tags aus Hamburg gegangen wäre. Sie hätte sich vor Müdigkeit in der

153
Scheune eines Pächters ausgeruht – Diese ehrl. Leute hätten sie aufgenommen

154
ohne das geringste genommen zu haben. Sie hätte aber auf einem schlechten

155
Wagen nach Schweden geeilt. Den 3ten Tag ihrer Reise hatte sie so einen

156
gefährl. Fall gethan, daß man sie hätte müßen in einem Wirthshause trepaniren

157
laßen. Eine holl. Familie wäre nach Schweden gegangen u sie nach Stockholm

158
mitgenommen
.
Ein lutherscher Priester wäre auch in Gesellschaft gewesen,

159
der gegenwärtig Hofmeister bey einem Kaufmann in Hamburg ist. In Stockholm

160
hatte sie bey einer deutschen Frau
logirt
u da hatte sie von ihrem

161
Peruqier
gehört daß Graf
Belgioso,
Kaiserl Abgesandter sich nach einer

162
Person erkundigte die von Hamburg verschwunden wäre. Durch diesen
Peruquier

163
hatte sich selbst angeben laßen den Gr.
Belgioso,
der
ihr
sie gl. durch ein

164
Billet
zu sich einladete, welches ihr das Dienstmädchen
Sophie
vorlesen

165
muste. Er miethete sie bey einem Apotheker ein, u schickte ihr Eßen von

166
seiner Tafel. Das
Portrait
des Kaysers setzte sie in solche Bewegung,

167
daß sie bey dem Grafen in Ohnmacht fiel u 6 Wochen ein tödl. Fieber bekam,

168
u da sie nur 16 Jahr alt war, 30 zu haben schien. Wie sich erholt hatte,

169
frug der Graf ob sie mit einem jungen Engl. von Hamburg durchgegangen wäre.

170
Weil aber Graf darauf bestand, so bekannte sie sich aus Verdruß zu dieser

171
Lüge. Wie es endl. herauskam, daß sie nicht die Tochter des hamburgschen

172
Kaufmanns war, die mit einem Engl. durchgegangen seyn sollte, gab ihr der

173
Gr. 25
Louis
u empfahl sie einem Kaufman der sie wider nach Hamburg begleitete.

174
Ihre Einfalt war so groß daß HE.
Commis et assoccié de Mr. de St… Consul

175
imperial a Bordeaux,
der während dieser Untersuchung nach Brüßel kommen

176
muste ihr bisweilen die Dienste eines
Secretaires
geliefert hatte aussagte,

177
wie sie ihm einmal zugemuthet einen fingierten Namen zu unterschreiben. Auf

178
seine Vorstellung deshalb, hat sie ihm geantwortet: Wer ihr das wehren könnte

179
und warum sie nicht jeden Namen der ihr gefiel für sich schreiben sollte.

180
Sie fand in Hamburg ihre Leute nicht mehr nach denen sie sich umsahe. Ein

181
50jähriger schlecht gekleideter Mann verfolgte sie einige Tage und sprach

182
sie endl um sie nach
Bordeaux
zu bringen, wozu sie sich gleich entschloß.

183
Ihre Reise war glücklich u sie miethete sich bey
Me Guillomot,
wo sie einen

184
Brief ohne Unterschrift erhielt, zum Herzog von
Richelieu
zu gehen u seinen

185
Schutz zu suchen, der schon ihrentwegen Nachricht hatte. Der Herzog gestand

186
einen Brief von der Fürstin von
Aversberg
erhalten zu haben welche

187
ihm die Fräul von Schonau nachdrückl. empfohlen. –
Il finit, suivant son

188
caractere, par etre plus qu’honette. Elle se mit en pleurer en se jettant à

189
ses genoux: Le Duce lui fit des excuses.
Wenige Tage nachher legte er

190
Gegenbesuch ab u rieth ihr das Französische zu lernen, welches sie wenig

191
verstand. Er zog sie zu allen Festlichkeiten u sagte jedermann, der sich

192
nach ihren Umständen erkundigte:
C’est une personne très respectables.

193
Sie hat zu
Bordeaux
2 Liebhaber ausgeschlagen den
Neveu de M. Carrel de

194
Ferrand, Conseller
am
Parlement
u M. de …‥ Sie gab beyden einen Korb wegen

195
des Versprechens das sie in Böhmen gethan hatte.

196
Ein Unbekannter gab ihr da sie bey
Me Guillaumot logi
rte einen Beutel mit

197
1000
Louis.
Eben derselbe brachte ihr dann u wann zu ihrem Unterhalt ungefehr

198
150000
Livres,
ohne daß sie die Quelle davon gewußt hat. Sie gab alles aus

199
wie sie erhielt u hatte bey ihrer Gefangennehmung 60000 livr. Schulden. Von

200
ihren Gläubigern verfolgt, schwinde
l
te sie alle die Briefe an Gr von
Cobl.

201
Gr. Johann von Weißendrof, an den Kayser nach Florentz unter Umschlag des Gr

202
Dietrichstein,
wie auch an den bayerischen Minister zu Paris u endl an den

203
König von Spanien, wodurch der ganze Handel ausgekommen war.

204
Alle diese Briefe gestand sie, leugnete aber das geringste von dem zu wißen

205
mit der außerordentl. Unterschrift
V. T. H. Servante, le Comte de Dietrichstein,

206
wie auch von manchen andren welche
Coblentz
u
Neny
erhalten hatten.

207
Man konnte ihr auf keine Art ihr Unrecht begreiflich machen; sondern gab

208
immer die unschuldigste Antworten wie zu
Bordeaux
und glaubte sich durch

209
diese Mittel der Personen zu erkennen zu geben, die an ihrem Schicksal bisher

210
Antheil genommen hatten –
p
Sie versicherte alle diese Schritte für ihren

211
eigenen Kopf gethan zu haben u leugnete gar
nicht
den Brief unter dem Namen

212
der
Princeßin
von
Aversberg
an den Herzog von
Richelieu
geschrieben zu haben.

213
Sobald der Herzog von
York
zu
Bordeaux
ankam, ließ er dem Fräul. von Schonau

214
sagen, daß er über eine wichtige Angelegenheit mit ihr zu sprechen hatte u

215
sich eine Stunde dafür ausbat. Sie bestimmte ihm zwischen 5. u 6 des Morgens

216
nach dem Ball beym Herzog von Richelieu. Er sagte ihr daß eine Person von

217
Stande ihm aufgetragen ihre Schuld zu bezahlen. Sie gestand deshalb beunruhigt

218
zu seyn
.
Er schickte ihr denselben Tag 700
Louis
u versprach für den Rest

219
zu sorgen. Er reisete den Tag drauf ab. Sie wurde krank u eines Morgens

220
brachte man ihr einen Brief von Herzog
York
aus
Monaco.
St. Gere
laß ihr

221
diesen Brief vor, der sich so anfieng:
J’etai pret a Vous envoyer ce que

222
me restant à vous remettre. Mais en sortant de chez vous, j’ai recu une

223
lettre par la quelle on me chargeoit très-expressement de ne peu donner cet

224
argent que par partie. J’ai ecrit a Me la Princesse d’Aversberg –
bey dieser

225
Stelle riß sie dem St Gere den Brief aus der Hand u erlaubte ihm nicht

226
weiter zu lesen. Besorgt deshalb gestand sie den Namen der Prinzeßin u

227
daß der Herzog
York
sie versichert, daß
s
diese Pr. um das Geheimnis ihrer

228
Geburt wüste u an ihrem Schicksal Antheil nehme. – Sie zog den Brief selbst

229
aus ihrer Tasche u die Folge war…
pour l’engager à me permettre au moins

230
de vous remettre la somme dont vous avez besoin pour vous mettre à l’abri

231
des poursuites de vos creanciers; mais…
Wenige Tage nachher erfuhr die

232
Unbekannte den Tod des Herzogs. Sie schrieb an seine Leute ihre Briefe u ihr

233
Portrait
auszuliefern. Man fand nicht mehr als einen Brief u ihr
Portrait,

234
welches man ihr zurücklieferte wie auch dasjenige was sie hernach dem HE von

235
Camerlang
an
Fort Monterel
gab.

236
Das Verhör wurde nach 24 Sitzungen geschloßen u auf Verlangen des Hofs

237
das gemeinschaftl. Gutachten ertheilt, diese Unglückl. in ein entlegenes

238
Kloster zu verschließen
.
, bis man nähere Einsichten über sie erhielte –

239
Aber eben da das Gutachten nach Wien abgehen sollte erhielt HE von Neny

240
einen Brief von seinem Vater Cabinet Sekretar der Kayserinn, daß diese nach

241
dem allmählig überschickten Verhör schlecht von der Unbekannten dächte u

242
selbige nach aller Strenge verurtheilt wißen wolle.
M de Neny
wurde

243
allso anderer Meinung u glaubte als das Beste sie den Gläubigern zu
Bordeaux

244
auszuliefern. Aber von Coblenz belieb bey seinem gefasten Urtheil schlug

245
vor ihre Schulden zu bezahlen die sich auf 60000
livres
beliefen,

246
welche zum Theil durch den Verkauf ihrer Mobilien getilgt werden konnten

247
u sie in ein Tyrolisches Kloster oder irgend eine entferntere Provintz zu

248
bringen. Dieser kluge Rath wurde nicht befolgt und des von
Neny
seiner

249
konnte nicht ausgefolgt werden weil HE von Choiseul keinen Paß ertheilen

250
wollte, diese Unglückl. nach
Bordeaux
zu bringen. Mr de Barré, Gesandschafts

251
Secretair
in Abwesenheit des Gr. von
Mercy
stellte umsonst

252
den Schaden der Gläubiger vor
.
Den Tag da Coblentz das
Vunctio
empfieng

253
sagte er zu einer vertrauten Person daß er eben vom Hofe zu Wien den Befehl

254
erhalten die unbekante nicht fortzuschicken bis zur neuen
Ordre.
Es war

255
ein Brief von HE von Kaunitz den Cobl. sogl. verbrennen ließ. Und fügte

256
als eine Anmerkung hinzu, daß der Rath eines ehrl. Mannes doch wol den Vorzug behalten

257
würde. Er starb den 3
ten
drauf, sonst würde die Sache anders behandelt

258
worden seyn.

259
Vier Tage zog man die Unglückl. aus dem Gefängnis; ein Unter
Lieut.
der

260
Marechaussee
von
Brabant
brachte sie nach
Quevrin,
jenseits
Mons.
Man gab

261
ihr 50
Louis
u überlies sie ihrem Schicksal.


262
Diese Erzählung ist ein treuer Auszug aus den 24 Verhören die mir vom Grafen

263
von
Coroniny, Neveu
des
Cobl.
der ihm erlaubt hatte gegenwartig zu seyn,

264
anvertraut worden.

265
Den 1
Oct.
85

Provenienz

Krakau, Jagiellonenbibliothek, Slg. Autographa der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin (ehemalige Berliner Signatur: Slg. Parthey).

ZH druckte nur die Dank-Note ohne Hamanns Exzerpt.

Bisherige Drucke

ZH VI 81, Nr. 876.