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81/20
Hamann machte auf dem Foliobogen zunächst ein umfangreiches Exzerpt der
21
französischen Schrift „L’Inconnue, Histoire veritable 785“, der rätselhaften
22
Biographie einer angeblichen natürlichen Tochter von Kaiser Franz I sowie
23
der Hofintrigen um sie und der Verhöre durch Johann Karl Philipp Graf Cobenzl.
24
Diese „Einlage“ ließ Hamann offenbar einem Bekannten in Königsberg
25
zukommen – vermutlich Theodor Gottlieb Hippel –, der sie noch am gleichen
26
Tag mit einer Dank-Note zurückbringen ließ. Diese wurde vmtl. nicht von
27
Hippel selbst geschrieben, da er in jener Zeit wegen eines Augenleidens
28
nicht schreiben konnte, sondern diktiert.
29
Retour-Notiz, vmtl. von Hippel:
30
Nicht volle zwo Stunden vergiengen zum Durchlesen der hier mit Dank
31
zurück kommenden Einlage. Lange lange aber wird es mir unbegreiflich
32
bleiben, wie eine sonst überall so milde Fürstin wie die K. s. r. n, eine Unschuldige
33
zur härtesten Verlaßenheit zu überliefern, nachgeben mögen, und nicht
34
vielmehr der guten Meynung des Gr. C.‥l. Beyfall gegönnt.
35
Schieben Sie doch Ihren gefälligen Zuspruch nicht lange aus für Ihren
36
redlichen Freund
37
H…
38
den 1
ten
October
85.
39
Adresse auf der vierten Seite schräg geschrieben, von derselben Hand:
40
Des Herrn Pack Hauß
Inspectoris Hamann
/ HochEdelgebohrnen
41
Exzerpt von Hamann:
L’Inconnue, Histoire veritable 785. p. 99.
gr 12
o
42
Avis
aus dem Engl.
Craftman
von 80 oder 81. Daß sich ein gestörtes
43
Frauenzimmer vor ungefehr 4 Jahren auf einem Dorfe bey
Bristol
aufgehalten.
44
Mlle Atking
hat sich ihrer angenommen, u ihr Name soll
Bi
gewesen
45
seyn
.
Ihr Ton soll deutsch oder welsch gewesen seyn 775 oder 76 soll
46
sie ein Schiff in einem Hafen vor Engl. abgesetzt haben.
47
Im Sommer 68 bekam der Graf von Coblenz einen Brief von
Bordeaux dati
rt,
48
unterschrieben
La Freülen,
kurz darauf einen Brief
dati
rt von Prag unter
49
dem Namen des Grafen von Weißendorf. Ferner aus Wien unter dem Namen
50
des Gr. von
Dietrichstein
:
51
Gegen Ende deßelben Jahres kam eine Kaufmannsfrau
Me l’Englumée
aus
52
Bordeaux
nach
Bruxelles,
– ihre außerordentliche Ähnlichkeit mit dem
53
Kayser
Franz
54
Beschwert sich über die Verfolgung des Kayserl. Abgesandten zu Paris Graf
55
Merci Argenteau,
schickt dem Gr. Coblenz ihr
Portrait,
an dem der Herzog
56
Carl von Lothringen auch die Ahnlichkeit mit dem Kayser erkante.
57
Schickt einige Zeit nachher das Gemälde des Kaysers und der Kayserin.
58
Ersteres erkante der Herz. v Lothr. für eine Arbeit des
Liotard.
59
Im
Xbr
68. erhielt
Coblentz
einen außerordentl. Brief,
dati
rt:
de mon lit
60
à 2 heures du matin, Vienne
.
Man lobte des
Cobl
Betragen u beschwerte
61
sich über den
Merci.
Man bedauerte sehr das Schicksal des armen Mädchens.
62
Elle m’a ete si tendrement recommandée par la personne du monde qui
63
m’etait la plus chere.
Der Brief war ohne Unterschrift.
64
Nach einiger Zeit that der Unbekannte Nachfrage wegen eines erhaltenen
65
Briefes
.
Im Anfang des Sommers von 769 erhielt
Cobl.
einen
Expresse
aus
66
Wien mit der Nachricht daß der Fr. Hof ersucht worden wäre die Unbekante
67
nach
Bruxelles
zu schicken um von
Cobl.
u
Mr. de Neni Chef-President
68
verhört zu werden. Der Zerz von Lothringen bekam von der Kaiserinn zugl.
69
den Auftrag
Cette malheureuse veut passer pour la fille de Feu notre
70
maître; s’il y avoit la moindre apparence, je l’aimerai et la traiterai
71
comme mes propres enfans: mais je sais que c’est une imposture, et je
72
veux qu’on fasse tout en monde pour que ce nom si cher et si sacré de notre
73
maître
fait
plus prophané par cette malheureuse –
74
Während des Kaysers Reise erhielt der König von Spanien einen Brief im
75
Namen des Kaysers das sein Vater eine natürliche Tochter durchgelassen
76
hätte, von der niemand das geringste wüste als seine Schwester die Erzherzogin
77
Marie, er selbst u wenige Vertraute, daß sie sich zu
Bordeaux
aufhielte
78
u der König selbige
reclami
ren möchte um sie zu Madrid bey einer Frau v
79
Stande oder in einem Kloster anzubringen – ohne daß seine Mutter die
80
Kayserinn davon etwas wüste. Der König schickte diesen Brief dem Kayser
81
nach Mailand – dieser der Kayserinn. Hierauf kam die
Ordre
u Nachfrage.
82
Sie wurde im
Aug.
769 arretirt von
M. Carel de Ferrand, Lieutenant
83
de la Marechaussée de Guienne
dessen
Neveu
sie heyrathen wollte, welches sie
84
immer ausschlug. Da meldeten sich ihre Gläubiger u die Frau
l’Englumée,
85
welche sie so außerordentlich dem Gr.
Cobl
empfohlen hatte, führte
86
sich so grob auf, daß sie
M de Ferrand
aus dem Hause jagen muste. Krank
87
von
Colio
-Schmerzen u Blutspeyen kam sie zu
Bruxelles
an unter Begleitung
88
des
M. Poyot,
Exemt de la Marechaussée de Guienne.
Unterwegens noch
89
auf Fr. Boden kam ein Unbekannter in Gestalt eines
Couriers
u warf ihr ein
Billet
90
im Wagen. Sie bot ihrem Begleiter es zu lesen, u enthielt folgende wenige
91
Worte:
Chère enfant on a fait l’impossible pour vors sauver; ne perde pas
92
courage esperez toujours.
93
Cobl
den sie wie in Briefen so
s
auch bey ihrer Ankunft als Vater ansahe,
94
giebt ihr Zimmer im
Fort Monterel
unter Aufsicht des
Plat Majeur Mr. de
95
Camerlang
u
Mr de Neny
verschaffte ihr eine Cammerfrau.
96
Man bot ihr Bücher an, die sie ausschlug, weil ihr die Zeit niemals lang
97
würde u sie immer Luftschlößer baute. Sie konnte weder lesen noch schreiben.
98
HE von
Cammerlang
lehrte im Gefängnis ihren Namen schreiben.
99
Gestand aus Böhmen zu seyn, immer in einem kleinen Hause auf dem Lande
100
gelebt zu haben mit einer Frau von 50 die sie Mutter genannt hatte u einer
101
andern von 30, Katherina – daß ein Geistl. bisweilen bey ihr die Meße
102
gelesen u den Katechismum sie gelehrt hätte.
Mama
hatte sie wollen lesen
103
u schreiben lehren, der Geistl aber hatte es nicht haben wollen. Ein Schöner
104
Mann im Jagdkleide hatte sie einmal besucht. Der Fremde hatte sie geküst
105
auf den Schooß genommen, sich über ihr Wachstum gewundert. Den Monath
106
drauf wäre derselbe Mann in gleicher Begleitung widergekommen – u hatte
107
Ahnlichkeit mit HE von
Neny
gehabt – Über dem rothen Kragen seines
108
Mantels hatte sie sich aufgehalten u sich erkundigt. Worauf er gesagt, daß
109
man daran einen
Officier
erkennt. Das sind brave Leute, denen ihr gut
110
sein müst, weil ihr auch eines
Off.
Tochter seyd. Bey diesem 2ten Besuch
111
hatte sie sich besonders so erfreut u beym Abschiede sehr geweint; das
112
hatte ihn gerührt u er hatte versprochen bald wider zu kommen. Zwey Jahr
113
drauf hatte er erst Wort gehalten wegen einer Unpäßlichkeit die er sich
114
durch eine Erhitzung auf der Jagd zugezogen. Der Herzog von
Lothr.
hatte
115
sich dieser Unpaßlichkeit erinnert, dieser letzte Besuch wär der nährendste
116
gewesen. Sie hatte über die Nachricht seiner Krankheit sehr geweint – und
117
die Ursache wär gewesen ihre Neigung zu ihm. Er hatte ihr auf seine Liebe
118
versichert, versprochen sie reich u glückl. zu machen, ihr Haus, Geld u
119
Bediente zu geben in gelber u blauer
Uniform.
Ob sie die Königin sehen
120
wollte? sie hätte nicht verstanden was eine Königin wäre. Sie wäre eine
121
schöne Frau, welche sie sehr lieben würde, wenn sie sie kennen möchte, aber
122
ihrer Ruhe wegen müste sie selbige nicht kennen. Darauf hatte er ihr die
123
beide Gemalde gegeben welche sie von
Bordeaux
dem Gr.
Cobl.
zugeschickt.
124
Sie hatte sein Bild gleich gekannt, u er hatte ihr befohlen sein, der Kayserinn
125
u ein drittes Bild einer Frau, halb verschleiert, gut zu verstehen, weil es
126
ihre Mutter wäre. Diese Gemälde waren in einem blauseidenen Beutel gewesen
127
mit viel #. Der Fremde hatte ihr versichert, daß sie glückl. seyn u ihr
128
nichts fehlen sollte; aber sie müste ihm auch versprechen nicht zu heirathen
129
u sich immer dieses Versprechens erinnern.
130
Zwischen dem ersten u zweiten Besuch wäre einmal eine
Dame
gekommen mit
131
2 Mansleuten – ohne allen Putz, mittler Größe, weiß, ein angenehmes Gesicht,
132
etwas völlig. Diese Frau hatte sie aufmerksam mit trähnenden Augen anschaut,
133
gleichgiltige Dinge gefragt, sie 2 oder 3 mal umarmt, mit den Worten: Mein
134
Kind, Du bist sehr unglückl. Sie hatte Waßer gefordert, ihre Bewegung
135
niederzuschlagen u wäre abgereist. Ob das Bild dieser Frau ähnlich gewesen
136
könne sie nicht sagen.
137
Hierauf hatte sie in ihrer Aussage gewankt u auf folgende Art ihre Entfernung
138
von dem Ort ihres bisherigen Aufenthaltes erhällt
:
Wenige Monathe nach
139
dem letzten Besuche wär der Geistl. den sie für einen Jesuiten hielte
140
gekommen mit der Nachricht daß ihr Beschützer gestorben wäre u Befehl hätte
141
sie nach Frankr. in ein Kloster zu bringen, u sie in wenig Tagen abreisen
142
müste. Er hatte Maas genommen mit einem Bande Kleider für sie zu bestellen.
143
8 Tage drauf wär er des Nachts angekommen mit eine Postchaise u hatte eine
144
vollständige Kleidung für sie gebracht 2 Peltze, ein schwarzes u rothes Kleid
145
Auf hartes Zureden des Gr. von
Loth.
hatte sie versprochen die Wahrheit
146
zu sagen, sobald der
Secretair
des HE von
Neni
sich entfernen würde, und
147
da hatte sie gestanden, daß aus Furcht vor dem Klosterleben sie sich gl zur
148
Flucht entschloßen, aber nicht eher Gelegenheit gehabt a
ls
in Hamburg den
149
Tag vor ihrer Einschiffung, wo sie des Nachts ihr Bündel gemacht u die
150
Katherina verlaßen, ihre Hemde, ein Kleid, den Beutel mit den 3 Gemälden
151
u den 100# welche der fremde HE ihr gegeben mitgenommen und mit Anbruch
152
des Tags aus Hamburg gegangen wäre. Sie hätte sich vor Müdigkeit in der
153
Scheune eines Pächters ausgeruht – Diese ehrl. Leute hätten sie aufgenommen
154
ohne das geringste genommen zu haben. Sie hätte aber auf einem schlechten
155
Wagen nach Schweden geeilt. Den 3ten Tag ihrer Reise hatte sie so einen
156
gefährl. Fall gethan, daß man sie hätte müßen in einem Wirthshause trepaniren
157
laßen. Eine holl. Familie wäre nach Schweden gegangen u sie nach Stockholm
158
mitgenommen
.
Ein lutherscher Priester wäre auch in Gesellschaft gewesen,
159
der gegenwärtig Hofmeister bey einem Kaufmann in Hamburg ist. In Stockholm
160
hatte sie bey einer deutschen Frau
logirt
u da hatte sie von ihrem
161
Peruqier
gehört daß Graf
Belgioso,
Kaiserl Abgesandter sich nach einer
162
Person erkundigte die von Hamburg verschwunden wäre. Durch diesen
Peruquier
163
hatte sich selbst angeben laßen den Gr.
Belgioso,
der
ihr
sie gl. durch ein
164
Billet
zu sich einladete, welches ihr das Dienstmädchen
Sophie
vorlesen
165
muste. Er miethete sie bey einem Apotheker ein, u schickte ihr Eßen von
166
seiner Tafel. Das
Portrait
des Kaysers setzte sie in solche Bewegung,
167
daß sie bey dem Grafen in Ohnmacht fiel u 6 Wochen ein tödl. Fieber bekam,
168
u da sie nur 16 Jahr alt war, 30 zu haben schien. Wie sich erholt hatte,
169
frug der Graf ob sie mit einem jungen Engl. von Hamburg durchgegangen wäre.
170
Weil aber Graf darauf bestand, so bekannte sie sich aus Verdruß zu dieser
171
Lüge. Wie es endl. herauskam, daß sie nicht die Tochter des hamburgschen
172
Kaufmanns war, die mit einem Engl. durchgegangen seyn sollte, gab ihr der
173
Gr. 25
Louis
u empfahl sie einem Kaufman der sie wider nach Hamburg begleitete.
174
Ihre Einfalt war so groß daß HE.
Commis et assoccié de Mr. de St… Consul
175
imperial a Bordeaux,
der während dieser Untersuchung nach Brüßel kommen
176
muste ihr bisweilen die Dienste eines
Secretaires
geliefert hatte aussagte,
177
wie sie ihm einmal zugemuthet einen fingierten Namen zu unterschreiben. Auf
178
seine Vorstellung deshalb, hat sie ihm geantwortet: Wer ihr das wehren könnte
179
und warum sie nicht jeden Namen der ihr gefiel für sich schreiben sollte.
180
Sie fand in Hamburg ihre Leute nicht mehr nach denen sie sich umsahe. Ein
181
50jähriger schlecht gekleideter Mann verfolgte sie einige Tage und sprach
182
sie endl um sie nach
Bordeaux
zu bringen, wozu sie sich gleich entschloß.
183
Ihre Reise war glücklich u sie miethete sich bey
Me Guillomot,
wo sie einen
184
Brief ohne Unterschrift erhielt, zum Herzog von
Richelieu
zu gehen u seinen
185
Schutz zu suchen, der schon ihrentwegen Nachricht hatte. Der Herzog gestand
186
einen Brief von der Fürstin von
Aversberg
erhalten zu haben welche
187
ihm die Fräul von Schonau nachdrückl. empfohlen. –
Il finit, suivant son
188
caractere, par etre plus qu’honette. Elle se mit en pleurer en se jettant à
189
ses genoux: Le Duce lui fit des excuses.
Wenige Tage nachher legte er
190
Gegenbesuch ab u rieth ihr das Französische zu lernen, welches sie wenig
191
verstand. Er zog sie zu allen Festlichkeiten u sagte jedermann, der sich
192
nach ihren Umständen erkundigte:
C’est une personne très respectables.
193
Sie hat zu
Bordeaux
2 Liebhaber ausgeschlagen den
Neveu de M. Carrel de
194
Ferrand, Conseller
am
Parlement
u M. de …‥ Sie gab beyden einen Korb wegen
195
des Versprechens das sie in Böhmen gethan hatte.
196
Ein Unbekannter gab ihr da sie bey
Me Guillaumot logi
rte einen Beutel mit
197
1000
Louis.
Eben derselbe brachte ihr dann u wann zu ihrem Unterhalt ungefehr
198
150000
Livres,
ohne daß sie die Quelle davon gewußt hat. Sie gab alles aus
199
wie sie erhielt u hatte bey ihrer Gefangennehmung 60000 livr. Schulden. Von
200
ihren Gläubigern verfolgt, schwinde
l
te sie alle die Briefe an Gr von
Cobl.
201
Gr. Johann von Weißendrof, an den Kayser nach Florentz unter Umschlag des Gr
202
Dietrichstein,
wie auch an den bayerischen Minister zu Paris u endl an den
203
König von Spanien, wodurch der ganze Handel ausgekommen war.
204
Alle diese Briefe gestand sie, leugnete aber das geringste von dem zu wißen
205
mit der außerordentl. Unterschrift
V. T. H. Servante, le Comte de Dietrichstein,
206
wie auch von manchen andren welche
Coblentz
u
Neny
erhalten hatten.
207
Man konnte ihr auf keine Art ihr Unrecht begreiflich machen; sondern gab
208
immer die unschuldigste Antworten wie zu
Bordeaux
und glaubte sich durch
209
diese Mittel der Personen zu erkennen zu geben, die an ihrem Schicksal bisher
210
Antheil genommen hatten –
p
Sie versicherte alle diese Schritte für ihren
211
eigenen Kopf gethan zu haben u leugnete gar
nicht
den Brief unter dem Namen
212
der
Princeßin
von
Aversberg
an den Herzog von
Richelieu
geschrieben zu haben.
213
Sobald der Herzog von
York
zu
Bordeaux
ankam, ließ er dem Fräul. von Schonau
214
sagen, daß er über eine wichtige Angelegenheit mit ihr zu sprechen hatte u
215
sich eine Stunde dafür ausbat. Sie bestimmte ihm zwischen 5. u 6 des Morgens
216
nach dem Ball beym Herzog von Richelieu. Er sagte ihr daß eine Person von
217
Stande ihm aufgetragen ihre Schuld zu bezahlen. Sie gestand deshalb beunruhigt
218
zu seyn
.
Er schickte ihr denselben Tag 700
Louis
u versprach für den Rest
219
zu sorgen. Er reisete den Tag drauf ab. Sie wurde krank u eines Morgens
220
brachte man ihr einen Brief von Herzog
York
aus
Monaco.
St. Gere
laß ihr
221
diesen Brief vor, der sich so anfieng:
J’etai pret a Vous envoyer ce que
222
me restant à vous remettre. Mais en sortant de chez vous, j’ai recu une
223
lettre par la quelle on me chargeoit très-expressement de ne peu donner cet
224
argent que par partie. J’ai ecrit a Me la Princesse d’Aversberg –
bey dieser
225
Stelle riß sie dem St Gere den Brief aus der Hand u erlaubte ihm nicht
226
weiter zu lesen. Besorgt deshalb gestand sie den Namen der Prinzeßin u
227
daß der Herzog
York
sie versichert, daß
s
diese Pr. um das Geheimnis ihrer
228
Geburt wüste u an ihrem Schicksal Antheil nehme. – Sie zog den Brief selbst
229
aus ihrer Tasche u die Folge war…
pour l’engager à me permettre au moins
230
de vous remettre la somme dont vous avez besoin pour vous mettre à l’abri
231
des poursuites de vos creanciers; mais…
Wenige Tage nachher erfuhr die
232
Unbekannte den Tod des Herzogs. Sie schrieb an seine Leute ihre Briefe u ihr
233
Portrait
auszuliefern. Man fand nicht mehr als einen Brief u ihr
Portrait,
234
welches man ihr zurücklieferte wie auch dasjenige was sie hernach dem HE von
235
Camerlang
an
Fort Monterel
gab.
236
Das Verhör wurde nach 24 Sitzungen geschloßen u auf Verlangen des Hofs
237
das gemeinschaftl. Gutachten ertheilt, diese Unglückl. in ein entlegenes
238
Kloster zu verschließen
.
, bis man nähere Einsichten über sie erhielte –
239
Aber eben da das Gutachten nach Wien abgehen sollte erhielt HE von Neny
240
einen Brief von seinem Vater Cabinet Sekretar der Kayserinn, daß diese nach
241
dem allmählig überschickten Verhör schlecht von der Unbekannten dächte u
242
selbige nach aller Strenge verurtheilt wißen wolle.
M de Neny
wurde
243
allso anderer Meinung u glaubte als das Beste sie den Gläubigern zu
Bordeaux
244
auszuliefern. Aber von Coblenz belieb bey seinem gefasten Urtheil schlug
245
vor ihre Schulden zu bezahlen die sich auf 60000
livres
beliefen,
246
welche zum Theil durch den Verkauf ihrer Mobilien getilgt werden konnten
247
u sie in ein Tyrolisches Kloster oder irgend eine entferntere Provintz zu
248
bringen. Dieser kluge Rath wurde nicht befolgt und des von
Neny
seiner
249
konnte nicht ausgefolgt werden weil HE von Choiseul keinen Paß ertheilen
250
wollte, diese Unglückl. nach
Bordeaux
zu bringen. Mr de Barré, Gesandschafts
251
Secretair
in Abwesenheit des Gr. von
Mercy
–
stellte umsonst
252
den Schaden der Gläubiger vor
.
Den Tag da Coblentz das
Vunctio
empfieng
253
sagte er zu einer vertrauten Person daß er eben vom Hofe zu Wien den Befehl
254
erhalten die unbekante nicht fortzuschicken bis zur neuen
Ordre.
Es war
255
ein Brief von HE von Kaunitz den Cobl. sogl. verbrennen ließ. Und fügte
256
als eine Anmerkung hinzu, daß der Rath eines ehrl. Mannes doch wol den Vorzug behalten
257
würde. Er starb den 3
ten
drauf, sonst würde die Sache anders behandelt
258
worden seyn.
259
Vier Tage zog man die Unglückl. aus dem Gefängnis; ein Unter
Lieut.
der
260
Marechaussee
von
Brabant
brachte sie nach
Quevrin,
jenseits
Mons.
Man gab
261
ihr 50
Louis
u überlies sie ihrem Schicksal.
262
Diese Erzählung ist ein treuer Auszug aus den 24 Verhören die mir vom Grafen
263
von
Coroniny, Neveu
des
Cobl.
der ihm erlaubt hatte gegenwartig zu seyn,
264
anvertraut worden.
265
Den 1
Oct.
85
Provenienz
Krakau, Jagiellonenbibliothek, Slg. Autographa der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin (ehemalige Berliner Signatur: Slg. Parthey).
ZH druckte nur die Dank-Note ohne Hamanns Exzerpt.
Bisherige Drucke
ZH VI 81, Nr. 876.