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82/2
Kgsberg den 2
Oct.
85
Dom
XIX.
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Ich gieng eben aus, liebster Gevatter und Freund, um das heutige
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Erndtefest zu feyren, wie mir unser
D.
Ihre Nachrichten aus
Paris
mittheilte und
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zugl. ein
Billet
vom HE von Auerswald mir die glückl. Entbindung seiner
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würdigen Gemalin von einer Tochter zu melden. Nun Gott bringe Sie erst
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glücklich nach der Heimath Ihrer lieben Hälfte, und laße Ihnen Wetter und
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Weg zur Vollendung Ihrer Reise günstig seyn.
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Wären Sie zu Hause gewesen, Sie würden sich auch meiner angenommen
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haben. Die Vorsehung hat aber Ihre Hand im Spiel gehabt, und alle
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Umstände zum Besten gelenkt. Ich bin also recht sehr zufrieden, daß aus meiner
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Reise nichts geworden. Einen so traurigen Sommer und niederschlagende
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Witterung habe ich noch nicht erlebt. Für einen alten Mann, der ganzer
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20 Jahre hinter dem Ofen geseßen, mit dem Schwindel im Kopf, der
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Hypochondrie im Unterleibe und der Gicht in den Füßen – wäre alle Hofnung zur
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Cur und Freude ein grober
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gewesen, der durch eine höhere
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Regierung verbeßert worden. Je mehr ich Lust habe unsern Herrn Urian zu
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sehen, desto weniger hab ich an ihn zu schreiben.
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An unsern seel. Vetter Becker hab ich mich vorige Woche erinnert; da ich
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seine Reise nach Elsaß im zweiten Stück des Journals für Deutschland gantz
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unvermuthet gefunden. Der Wanderer Hill ist am Ende
Julii
von Wien
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abgegangen aber seitdem keinen Laut von ihm vernommen; welches mich auch
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seinetwegen beunruhigt –
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Mein Johann Michael ist seit Ostern auf der Akademie; meine älteste
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Tochter
Lisette Reinette
bey der Baroneße Bondeli seit ¾ Jahr in
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Pension
und wird selbige, wie ich eben höre, heute über 14 Tage einseegnen
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laßen. Alles übrige in meinem Hause Gottlob! wohl und auf altem Fuß.
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Von unserm Landsmann
D.
Lindner, der von
Halle
nach
Jena
ziehen
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wollen, ist auch nichts zu hören; ohngeachtet er eine Einlage an mich
erhalten
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Weil ich weiß, daß Sie bey Ihrer Ankunft in Berlin volle Arbeit finden
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werden: so werde ich nicht eher als bey völliger Ruhe und
post peractos
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labores
Nachricht von Ihnen erwarten – oder auch Sie von mir erhalten.
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Der Wind braust wie im
King Lear
– und ein Regenguß kommt nach dem
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andern. Kopf und Herz sind so wüste und leer, daß ich kein
Billet
geschweige
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einen Brief zu schreiben im stande bin. Ein desto reicheres Maaß von
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Geistesgaben wünsch ich Ihnen – Empfehlen Sie mich Ihrer lieben Frau und
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Reisegefährtin. Gott seegne Sie und die lieben Ihrigen, Pathchen
p
Seyn Sie
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allen Ihren Freunden willkommen, und genießen Sie der Ruhe mit aller
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Zufriedenheit. Ich umarme Sie und ersterbe mit meinem ganzen Hause Ihr
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alter
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treu ergebener und verpflichteter Johann Georg Hamann.
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Hippel, Kant, Kraus, Jacobi sind unsere gemeinschaftl. Freunde u nehmen
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gewiß an Ihrem Glück Antheil.
Me Courtan,
meine Gevatterin ist mit
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Hartknoch nach Riga gegangen und wünscht sich auch wider nach Hause. Der
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seinen Willen nicht bekommt, ist oft glücklicher als der ihn kriegt.
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Adresse:
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An / HErrn Reichardt / Königl. Preuß. Kapellmeister / zu / –
Provenienz
Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 1.
Bisherige Drucke
ZH VI 82 f., Nr. 877.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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82/2 |
XIX. |
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: XIX |
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82/21 |
Julii |
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: Julii |
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82/29 |
erhalten ]
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Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: erhalten. |
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83/1 |
p ]
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Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: p. |