882
96/2
Kgsberg den 16 8
br Dom XXI.

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HöchstzuEhrender Herr Kriegsrath,

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Gütigster Freund,

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Den 1 d. habe ein ganzes Kästchen mit Büchern erhalten, neml. 16 Bände

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des deutschen Museums nebst einem sehr angenehmen Geschenk und

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Andenken für meinen Sohn, das ich blos dem Gerüchte nach kenne, ohne es bisher

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gelesen zu haben. Diese Lebensbeschreibung übertrifft vermuthlich alle

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übrigen
Bagatelles
und
Frivolités
des Abts
Coyer,
von denen mir die meisten

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viel Vergnügen gemacht, daß ich bei der ersten Muße auch dieses wichtigere

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Werk nachzuholen wünsche. Unterdeßen danke in meinem und meines Sohns

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Namen – mit dem besten Willen Ihnen eine Gegenfreude machen zu können.

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Ich habe gegen das Ende vorigen Monats einige engl. Bücher erhalten,

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an die
ich mehr
dachte und die mich um ein gantzes monathl. Gehalt

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gebracht haben. Das wichtigste Werk, ist des
Monboddo
alte

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Metaphysik
in 3 Qvartbänden, davon der letzte erst im vorigen Jahr ausgekommen,

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und nur wenigstens die Hälfte des Ganzen ausmacht. Jeder Band kostet

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eine
Guinée
– O über den Werth einer
Lais
von 6 Bänden ließe sich auch

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eine
Postille
schreiben. Ich habe mich satt geärgert und satt gelacht, und

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dabey mag es vor der Hand sein Bewenden haben. Kürzer zu werden ist keine

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Hofnung für einen so alten Knaben, der mehr als ein Phrygier ist.

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Bald darauf erhielt einen Brief von unserm Lindner aus Jena, der sich

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allen seinen Freunden empfiehlt, und dort nach Herzenslust lebt, ein neues

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Elysium für seine Wißbegierde gefunden, mehr als er gehoft und vermuthet

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hat, auch nicht weiß, wie und wenn er sich wird los machen können. So sehr

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gefällt ihm die Gegend und der Umgang mit den dortigen Gelehrten. Er hat

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mir aufgetragen seine Kasten mit Büchern, die er beym Kaplan Kahle auf

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dem Roßgarten
in depot
gelaßen, nachzusehen wegen der Fortsetzung oder

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zu
completi
renden Theile. Ich laß es mir unglückl. Weise einfallen den 7 d.

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am zweyten
Revue
tage wegen der feyerl. Muße in Geschäften, diesen weiten

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Weg abzumachen – Ich komme unverrichteter Sache zu Hause und finde den

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Grafen Friedrich Leopold von Stolberg in meiner frisch aufgenommenen

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wüsten Stube bey offenen Fenstern p der gegen 3 Stunden auf mich

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gewartet, als Eutinscher Gesandter nach Petersburg noch denselben Nachmittag

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abreiste. Ich begleitete ihn bis zum Kayserlingschen Hause, wo er Mittags

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eingeladen war. – Er versprach in wenigen Monathen wider hier zu seyn,

S. 97
hatte einen Brief von Claudius und den Auftrag mich auf seiner Rückreise

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mitzubringen.

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Denselben Vormittag hatte ich den ersten Theil des deutschen Museums

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auf meine
Loge
mitgenommen und wollte eben den Anfang machen, es

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durchzulaufen. Ich habe ihn erste aus dieser Monathsschrift kennen und von

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seinem Bruder unterscheiden lernen. Er war sehr begierig HE Kr. Hippel

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kennen zu lernen und seinen alten Freund Hofr. Dehn wider zu sehen, nach

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deßen Aufenthalt er sich schon unterwegs allenthalben erkundigt hatte. Bey

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mir war es ihm blos darum zu thun, mich in einem Kopftuch
à la Russienne

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zu ertappen.

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Vorigen Donnerstag hab ich den Lindnerschen Auftrag in Gesellschaft

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meines Sohns abgemacht. Heute meine Andacht gehabt und bringe diesen

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Nachmittag gantz einsam zu, weil mein gantzes Haus in die Tragheimsche

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Kirche zu Fuß und in der
Wagen
Kutsche gegangen. Die gute Baroneße

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läßt meine
Lisette Reinette
einseegnen,
und
da ich nichts mehr thun als

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beten kann, daß Gott alles seegnen wolle, wie Er angefangen hat zu Seiner

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Ehre und meiner Freude!

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Diese Umständlichkeit soll zugl. mein bisheriges Stillschweigen

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entschuldigen, und wie wenig auch heute zum Schreiben aufgelegt bin. Die

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fehlgeschlagene Erwartung war von meiner und nicht von HE Schellers Seite.

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Eben so viel Mühe habe ich gehabt das Wort
praetention
slos

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auszubuchstabieren, und es erst diesen Augenblick herausgebracht.

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Vorgestern erhielt den Meßkatalog zum Abendbrodt, das sehr

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kümmerlich war. Der erste Theil von Mendelssohns Morgenstunden oder

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Vorlesungen über das Daseyn Gottes ist bey Voß herausgekommen; auch

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Gottlob! der
II
Theil der
φφ
ischen über
über
das N. T. der dritte auf Ostern

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angekündigt.

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Aus Weimar nichts, noch von Hill. Ich habe vorige Woche geschrieben,

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auch wegen des zweiten Theils der Ideen.

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Ein guter Genius hat mich nach dem Deutschen Museo lüstern gemacht.

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Besonders ist es mir lieb gewesen einen
Rath
Sprickmann zu Münster

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kennen zu lernen. Bisher habe noch nichts von meinem Jacobi zu D.

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gefunden. Vielleicht kommt alles in den letzten Bänden –

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Ich werde eilen müßen mit der Zurücksendung – Es ist mir ein großer

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Vortheil gewesen, die ganze Folge nach der Reyhe haben zu können. Sollte

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ich die letzten Bände hier habhaft werden können: so würde Sie, gütigster

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Freund, gern der Mühe überheben, und bey Zeiten deshalb Nachricht geben.

S. 98
Eher ich damit fertig bin, werde in meinem
Monboddo
nicht fortfahren,

2
und hierauf des Jacobi
Spinozabüchl
. anfangen theils mit seiner

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Qvelle theils mit
Hemsterhuis
zu vergleichen. Daß Mendelssohn noch nicht

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hier ist, wundert mich.

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Habe heute zum 2ten mal die Z. Predigten zu Ende gebracht, ohne etwas

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von meiner Rechthaberey oder Orthodoxie erlaßen zu können. Bey allem

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Aufwand für die schöne Natur, thut es mir desto mehr leid um die

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Wahrheit, Kraft und den
Grund
des Christentums, der immer vorausgesetzt,

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und selten berührt wird. Despotismus und ein moralischer Aberglaube

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bieten sich einander die Hand ein neues Pabstum aufzurichten. Die Berl.

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schlauer wie die
galanten
Sachsen machen sich ein neues Verdienst daraus,

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das erste blinde Lermen darüber zu machen.

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Meine Leute kommen in vollem Regen, ohngeachtet des gestiegenen

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Barometers, und sehr zufrieden mit unserer Lieschen zu Hause. Erlauben Sie mir,

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daß ich Feyerabend mache. Johann Michel hat das Pollnische mit neuem

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Muth angefangen, hört die Metaphysic, Theol. Natur. u Anthropol. bey

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Kant, Statistik, Historie und Encyclopädie bey Kraus, Anatomie bey

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Metzger und Mineralogie bei Hagen – hat einen sehr guten Gesellen an dem

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ältesten
Nicolovius
gefunden im Gr. und Engl. nebst seinem alten Freund

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Raphael. Wie würde sich Hill über seine Schülerin und die Schule seines

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comilito
freuen; aber beynahe vergeht mir der Muth an ihn zu denken!

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Kanter treibt sich aus
Desperation
über das unwirthliche Wetter in der

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Stadt um, ohne daß ich ihn zu sehen bekommen kann. Er hat das Zerbachsche

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Haus gekauft und baut – Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemalin und

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setzen
ergäntzen den Mangel des Ausdrucks und der Construction meiner

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Gedanken u Gesinnungen

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Joh Ge. Hamann.


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Adresse:

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Des / HErrn Kriegsraths Scheffner / wohlgeboren Erbherrn / zu /

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Sprintlacken
. / Nebst 2 Büchern.

Dem Brief lag ein Exzerpt Hamanns bei (Provenienz: Original verschollen; letzter bekannter Aufbewahrungsort: Preußisches Staatsarchiv Königsberg, Nachlass Johann George Scheffner):

550/8
Lebensgeschichte Joh. Jac. Mosers, Königl.

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Dänischen Etatsraths von ihm selbst geschrieben
III.

10
u. letzter Theil. Dritte Auflage Fr. u. Leipz. 777. 8
o
.

11
S. 101. Ich traf in einem Stuttgarter Buchladen unter alten

12
gebundenen Büchern die zu Kayser Carl
V.
Zeiten gedruckte

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Pasquillorum Tomos duos
in 8
o
an. Der Buchhändler bote sie mir

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für 12 Kr. ich sagte ihm aber: Er sollte sie aufheben, er könnte

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vielleicht 1 Ducaten daraus lösen. Bald hernach zahlte ich ihm

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1 Ducaten dafür, und bekam davor 12# konnte aber dem

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Käufer zeigen, daß, wenn in den holländischen Auctionen ein

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Exemplar zu haben sey, es allemal wenigstens mit 500 fl. bezahlt

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werde.

Provenienz

Druck ZH nach dem überlieferten Typoskript Walther Ziesemers. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Preußisches Staatsarchiv Königsberg, Nachlass Johann George Scheffner.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 344 f.

ZH VI 96–98, Nr. 882.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
96/14
ich mehr
]
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1979):
lies:
ich
nicht
mehr